radiX, Nummer 1
Dezember
1998

EU-Umweltpolitik in der Sackgasse?

Zu Beginn der EWG im Jahre 1957 war Umweltschutz noch kein Thema. Erst bei der Pariser Gipfelkonferenz am 19./20. Oktober 1972 wurde das Thema erstmals behandelt, was zum Beschluß eines „Umwelt- Aktionsprogrammes“ mit der Dauer von 5 Jahren führte.

Bis jetzt gibt es 5 solcher Aktionsprogramme, das letzte wurde ab 1993 gültig und hat u.a. eine gemeinsame Strategie für Verbraucher, Wirtschaft und öffentl. Verwaltung bei den derzeit größten Umweltschädenverursachern zum Ziel: Energie, Verkehr, Tourismus, Industrie und Landwirtschaft.

Erst 1986 wird die Einheitliche Europäische Akte unterzeichnet, die die Geburtsstunde einer EU-Umweltpolitik bedeutet. Ergebnis waren die zwei Umweltartikel der EU, Artikel 130 r-t des EWG- Vertrags und Artikel 100 a.

Laut Artikel 130 r-t obliegt die Einführung strengerer Umweltschutzbestimmungen primär den einzelnen Mitgliedsstaaten. Allerdings dürfen diese Bestimmungen kein „Handelshemmnis“ darstellen oder den Wettbewerb verzerren.

Der Artikel 100 a hingegen ist stärker binnenmarktbezogen und wird im Rat mit qualifizierter Mehrheit beschlossen.

Wird in der Kommission keine Einigung erzielt, muß der Fall vor den Europäischen Gerichtshof gebracht werden, der schließlich über die Einführung strengerer Umweltschutzmaßnahmen in einem Mitgliedsstaat entscheidet. Das bedeutet, daß die einzelnen Staaten auf nationalstaatlicher Ebene kaum mehr Möglichkeiten als den Artenschutz (Schutzgebiete etc.) haben, um die Wettbewerbsverhältnisse nicht zu gefährden.

Sogar ein von den EU-Umweltministern in Auftrag gegebener Bericht über die Umweltauswirkungen des Binnenmarktes (Task-Force-Bericht; 1989) zeichnet kein schönes Bild der Zukunft (weshalb er wahrscheinlich bis September 1990 unter Verschluß gehalten wurde): „Ohne starken politischen Willen und ohne ein Umdenken in den bisher gültigen Wirtschaftsmechanismen wird der schrankenlose Binnenmarkt mit einem schmutzigen Wachstum verbunden sein. Es muß befürchtet werden, daß die Chance, die ökologischen Belange in die Regelungen des schrankenlosen Binnenmarktes mit einzubeziehen, vertan wird.“

Weltweit gesehen ist die EU für 13% der CO2- Emissionen verantwortlich. Diese werden zu 31% von Kraftwerken, zu 26% vom Verkehr und jeweils zu 20% von Industrie und Kleinverbrauchern verursacht.

Die Lösung des Treibhausproblems war zu beschließen, daß bis zum Jahr 2000 die CO2- Emissionen auf den Stand von 1990 stabilisiert werden sollten. Die Maßnahmen hierfür waren, eine Energie- und CO2- Abgabe einzuführen, sowie zwei Forschungsprogramme zu initiieren:

  1. SAVE: Das Programm zur Steigerung der Energieeffizienz durch verschiedene Energiesparmaßnahmen und Verbesserung der „Energieintensität“ beim Endverbraucher.
  2. ALTENER-Programm zur Förderung regenerativer Energien und ordnungspolitischer Maßnahmen im Rahmen des SAVE- Programms. Seit März 1997 ALTENER II für Maßnahmen und Aktionen zur Förderung von erneuerbaren Energieträgern.

Die einzelnen Mitgliedsstaaten mußten die Maßnahmen erst billigen, was dazu führte, daß sich nun jeder Mitgliedsstaat von den Maßnahmen zurückziehen kann. Über Vorschläge des SAVE- Programms bezüglich Energieeffizienzstandards kann aufgrund von Widerständen gegenüber deren einheitlicher Einführung jeder Mitgliedsstaat selbst entscheiden. Auch genaue Zielwerte und Zeitpläne wurden fallengelassen. Deshalb wurde das SAVE-Programm selbst von der EU-Kommission in seiner Wirksamkeit angezweifelt und das Budget des Aktionsprogrammes ist äußerst beschränkt.

Im Dezember letzten Jahres fand in Kyoto die Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt. Die EU spielte dabei eine entscheidende Rolle und schlug vor, den Ausstoß der wichtigsten Treibhausgase bis 2010 gegenüber 1990 um 15% zu senken. Bremsende Mächte waren wieder einmal die USA und Japan. Die EU blieb überraschend standhaft mit ihrem Vorschlag, doch bleibt das Ergebnis der gerade in Buenos Aires stattfindenden Klimakonferenz abzuwarten.

Der EU-Vorschlag war zwar der gewagteste der Konferenz, doch nach Meinung einiger Umweltschutzorganisationen ist es klimapolitisch notwendig, die CO2- Emissionen um 20% zu reduzieren, und Schätzungen zufolge werden die von der EU ausgestoßenen Treibhausgase trotz (scheinbaren) Bemühungen bis 2010 um 8% zunehmen.

Durch die beiden „Ölkrisen“ 1973 und 1979/80 veranlaßt war das erste Ziel der gemeinsamen Energieprogramme, möglichst wenig von Erdölimporten abhängig zu sein. Die Einsparungen beim Erdölverbrauch sollten durch den Ausbau der Kernenergie und verstärkte Verwendung von Festbrennstoffen ausgeglichen werden.
Auch für die Ware Elektrizität soll der freie Warenverkehr im Binnenmarkt Anwendung finden. Doch trotz SAVE- und ALTENER-Programm bezieht die EU nur rund 6% ihres Gesamtenergieverbrauchs aus erneuerbarer Energien, während die Atomindustrie weiterhin forciert wird. Die Kernenergie wird laut Euratom-Vertrag von den EU-Ländern als „unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt“ betrachtet. Staaten wie Deutschland und Frankreich setzen wie eh und je auf Kernkraftwerke. Frankreichs elektrische Energie kommt zu 80% aus AKWs, die auch finanziell unterstützt werden und europaweit wird mit billigem Atomstrom geworben. Das Argument des „sauberen“, nämlich ohne Emittierung von CO2 hergestellten, Atomstroms ist inkorrekt. 54 Gramm CO2 pro im AKW produzierten Kilowattstunde werden indirekt beim Uranabbau, bei der Anreicherung etc. emittiert.

In der EU fallen pro Jahr ca. 2,2 Mrd. Tonnen Abfall an, davon 30 Millionen Tonnen Giftmüll. 1975 wurde eine Richtlinie erlassen, die die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Abfälle so zu beseitigen, daß keine Gefahren für die menschliche Gesundheit oder Schädigungen der Natur zu erwarten sind. Über Verpackungen und Verpackungsabfälle legte die Kommission 1992 einen Vorschlag vor, der besagt, daß Mitgliedsstaaten 90% aller Verpackungsabfälle verwerten müssen. Allerdings umfaßt diese Verwertung auch die „thermische Nutzung“, sprich Müllverbrennung, bei der zahlreiche giftige Gase frei werden. Weiters gibt es Bestrebungen, „Abfälle“ mit dem Begriff „Ware“ gleichzusetzen, was zu einer Geschäftemacherei mit der Ware Müll führt. Abfallvermeidende bzw. rohstoffsparende Produktionsprozesse stehen nicht zur Debatte.

Im Bereich Wasserschutz gibt es einige Richtlinien, die darauf abzielen, gefährliche Stoffe durch Grenzwerte zu determinieren bzw. zu verringern. Doch an den Ursachen der Wasserverschmutzung wird nicht gerüttelt. So werden zum Beispiel in Portugal von der Zellstoffindustrie ausgedehnte Industrie-Eukalyptuswälder gepflanzt, die im Umkreis von Kilometern den Grundwasserspiegel senken und die Felder der Bauern vertrocknen lassen, da diese Baumart bis in 20 Meter Tiefe wurzelt und ihr Wasserverbrauch enorm hoch ist.

Nun will die EU eine weitere Richtlinie erlassen, die zur Folge hätte, daß es keinen einheitlichen Trinkwasserschutz in der EU mehr gibt.

Das Wasser vergiftet, die Wälder sterben, die Schlöte rauchen, Verkehrslawinen überrollen uns, Atomstrom erhellt die Städte und schlußendlich werden wir unter Abfallbergen begraben.

Um das zu vermeiden, muß endlich eine grundlegende Wandlung Europäischer Umweltpolitik stattfinden, weg vom „Wettbewerbs- und Wachstumsdenken“, hin zu einer umfassenden ökologischen Wirtschafts- ­und Gesellschaftsform.

(Blümchen Blau, Sternstunden der EU-Umweltpolitik, Projektteam EU-Kritik 1994; one world web Forum Umwelt & Entwicklung )

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