FORVM, No. 207/I/II
Februar
1971

Forum im Spiegel

Der eigenwilligsten links-katholischen Zeitschrift des deutschen Sprachgebiets droht der Kuckuck. Das in Wien erscheinende „Neue Forum“, ein in Europa einzigartiges publizistisches Organ des christlich-kommunistischen Gesprächs, sucht 193.000 Schillinge, gleich rund 27.000 Mark, um 1971 zu überleben. [1]

Mitte Januar versuchten die „Forum“-Redakteure, die zugleich Eigentümer des Blattes sind, ihre Zeitschrift durch einen verblüffenden Akt zu retten; sie kündigten einander gegenseitig — der Chefredakteur Dr. Günther Nenning, 49, allen Redakteuren und umgekehrt die „Obfrau“ des Vereins der Gesellschaft der Redakteure des „Neuen Forum“, Trautl Brandstaller, dem Chefredakteur. Zum Witz der Aktion gehört, daß alle weiterarbeiten — wenn auch nur „freizeitlich“. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie seither als Aushilfskräfte bei anderen Zeitungen. Chef Nenning lebt von deutschen Hörfunk-Honoraren.

Die Finanzmisere von „Forum“ führen die Eigentümer-Redakteure (Lebensalter zwischen „rüstig“ und „ganz jung“) darauf zurück, daß ihr Blatt im Jahre 1970 „besonders unartig“ gewesen sei. Das habe zu einem „fortgesetzten Entzug von Inseraten“ geführt. „Unartig“ war die „Forum“-Redaktion in drei Fällen:

  • Sie propagierte ein Volksbegehren zur Auflösung des österreichischen Bundesheeres;
  • sie attackierte die Geschäftspraktiken der österreichischen Gewerkschaftsbank BAWAG, bei der das Blatt mit 300.000 Schillingen in der Kreide steht;
  • sie veröffentlichte „unsittliche Texte“, etwa des Marquis de Sade ...

Gleichwohl — was immer es mit der „Clownerie“ („Arbeiter-Zeitung“) Nennings auf sich hat, unbestreitbar ist, daß unter seiner Führung „Forum“ zur Tribüne jener Intellektuellen in Ost- und Westeuropa wurde, welche die Verständigung der beiden größten geistigen Mächte des Kontinents, des Christentums und des Kommunismus, zu ihrer Sache gemacht haben.

Die Liste der Redaktionsbeiräte des „Neuen Forum“ umfaßt denn auch eine Elite des abendländischen Geistes ...

Wenn das „Neue Forum“ 1971 überlebt, so wird das nicht zuletzt auf wachsendes Leserinteresse in der Bundesrepublik zurückzuführen sein. Dank westdeutscher Käufer erreichte das Blatt eine Auflage von 15.000.

Mit Hilfe der deutschen Abonnenten und der eingesparten Gehälter haben sich die Redakteure eine eigene Druckmaschine bestellt. Den Kaufpreis — rund 25.700 Mark — wollen sie in 36 Monatsraten abstottern. Die Märznummer soll schon auf der neuen Maschine gedruckt werden: „Der Termin für das Redakteurs-, Leser- und Volksfest der Maschinenweihe wird rechtzeitig bekanntgegeben.“ [2]

„Spiegel“, Nr. 9/71

[1Präziseres siehe nebenstehende Bilanz.

[2Der Andruck auf der neuen Maschine fand am 8. März statt. Dieses Heft ist schon auf ihr gedruckt. Volksfest wird nachgeholt, wenn’s wärmer ist.

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