FORVM, No. 230/231
März
1973

Frauen sind Gastarbeiterinnen

„Darf eine Mutter berufstätig sein?“ fragte „Eltern“ seine Leser im Sommer 1972 und gab mit der Präsentierung beispielhafter junger Frauen auch gleich die Antwort. Die 34jährige Margit Karl z.B. breitete ihren zur Nachahmung empfohlenen, nach Minuten abgestoppten Tag chronologisch aus. Er beginnt um 5 Uhr („Ich mache das Frühstück, bereite die Bügelwäsche für den Abend vor, stopfe oder flicke ein bißchen“) und endet nach 21 Uhr („Ich koche das Mittagessen für Armin und Christa und das Abendessen für die Familie vor. Ich lege den Kindern die Kleidung für den nächsten Tag heraus und bügle ein bißchen oder mache Handarbeiten“).

Das ist das neue Frauenleitbild:

Frauen dürfen nicht nur, sie sollen berufstätig sein.

Aber sie dürfen — im Dienste des Kapitals und des Patriarchats — ihr KKK-Leitbild dabei nicht aus den Augen verlieren. Denn gerade ihre Hatz zwischen zwei Schauplätzen scheint ihre Willigkeit allerortens zu gewährleisten: In Küche und Kinderzimmer arbeiten Frauen ohne Widerspruch und schuldbewußt — weil berufstätig — weiterhin allein. Im Büro und am Fließband bleiben sie das willig-billige Potential — weil vor allem Mutter und Ehefrau —, auf das die Wirtschaft längst nicht mehr verzichten kann.

Dazu ein paar Zahlen: Jede zweite Frau im erwerbsfähigen Alter ist in der Bundesrepublik erwerbstätig, die Hälfte davon ist verheiratet. 50 Prozent aller berufstätigen Frauen lassen sich mit unter 600 DM im Monat abspeisen — nur jeder 33. Mann wird mit einer solchen Summe beschieden. Von rund 5000 Plätzen im Topmanagement waren 1971 genau 16 von Frauen besetzt. 16, die keinesfalls ein Beweis sind, daß man es trotzdem schaffen kann. 16, die die möglichen Ausnahmen, die weißen Neger sind.

„In der aktuellen arbeitsmarktpolitischen Diskussion besteht Übereinstimmung darüber, daß allein bei den Frauen ein bemerkenswertes ungenutztes inländisches Arbeitskräftepotential besteht. In der Beurteilung der Frage, wie weit dieses Potential genutzt werden kann oder soll, gehen die Meinungen allerdings auseinander“, schreibt Günter Buttler in der Broschüre „Beiträge des deutschen Industrieinstituts“ und führt in unbesorgter Offenheit weiter aus: „Es geht im nachfolgenden um die Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Förderung der Frauenerwerbsarbeit, die geeignet sein können, latente Beschäftigungsreserven für das Wirtschaftswachstum zu erschließen, ohne daß dadurch die spezifische Rolle der Frau und ihre Funktion im Rahmen der Familie beeinträchtigt oder gar in Frage gestellt werden.“

Was ein Industrie-Autor unter der „spezifischen Rolle“ der Frau versteht, wird wenige Zeilen später präzisiert: „Man kann die menschliche Arbeit in Erwerbsarbeit und Hausarbeit einteilen, beide tragen zum Lebensunterhalt bei. Von jeher galt es als Aufgabe der Frau, sich um den Bereich der Hausarbeit zu kümmern.“ Arbeitsteilung, die im allgemeinen Interesse der Wirtschaft ebenso liegt wie im individuellen der profitischen Männer — kurzum: im Interesse der Männergesellschaft.

Selbst das Gesetz zementiert in der Bundesrepublik nicht nur diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, sondern auch die Doppelbelastung. Die §§ 1356 und 1360 des BGB untersagen der Frau einerseits die Berufstätigkeit, wenn sie ihren Haushaltspflichten nicht voll nachkommt, verpflichten sie aber auch andererseits zur Berufstätigkeit, wenn die wirtschaftliche Lage der Familie es erfordert. („§ 1356: Die Frau ist berechtigt, berufstätig zu sein, so weit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ — Es gibt im bundesdeutschen Gesetz keinen entsprechenden Paragraphen für Männer — obwohl ja auch sie Teil einer Ehe und Familie sein können.)

Noch nicht einmal de jure also existiert die vom Grundgesetz an den Gesetzgeber gerichtete Forderung der Gleichberechtigung. De facto wird die Benachteiligung der Frauen und ihre Indoktrinierung auf allen Ebenen perpetuiert. Staatliche Institutionen stehen im Dienste der Doppelbelastung. So schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ am 21. Oktober 1971 über den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Joseph Stingl:

„Um der Frau mit Familienpflichten die Anpassung an die Arbeitswelt nach längerer oder kürzerer Berufspause zu erleichtern, regte der Präsident der Bundesanstalt an, einige Stunden Haushaltstechnik und Haushaltsrationalisierung in das berufliche Fortbildungsprogramm aufzunehmen, damit eine Überbeanspruchung der Frau und Mutter durch die beiden Aufgabenkreise Familie und Beruf möglichst vermieden wird.“

Im Klartext: Frauen sollten nicht entlastet werden, Arbeit soll nicht gleichmäßiger auf beide Geschlechter verteilt werden, sondern die Doppelbelastung soll diskreter bewältigt werden. Das Essener Arbeitsamt zum Beispiel hat die Anregung des Präsidenten realisiert, hat solche Lehrgänge, in denen Koch- und Schreibmaschinenkurse gekoppelt werden, bereits eingerichtet.

„Ich arbeite nicht“, sagen bezeichnenderweise die „Nur“-Hausfrauen, die ohne Kind mindestens 16 Stunden, mit Kind bis zu 100 Stunden in der Woche arbeiten. Sie demonstrieren damit ungewollt, wie weitgehend sie selbst die Mißachtung der Gesellschaft für die Hausarbeit verinnerlicht haben.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. in Frankfurt errechnete, daß in der BRD für private Haushalte zirka 45 bis 50 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr aufgewendet werden, für die Erwerbswirtschaft 52 Milliarden. Die Stundenzahl der nicht entlohnten Arbeit ist fast so hoch wie die der entlohnten.

Für die „nicht arbeitenden“ Frauen mit Kindern kalkulierte Reinhold Junker in seiner Untersuchung „Die Lage der Mütter in der BRD“ einen Arbeitstag von 13½ Stunden — mit 7-TageWoche.

Nur dank dieser unentlohnten Frauenarbeit können Männerlöhne ganze Familien ernähren. Und nur dank der psychischen Auftankmöglichkeit in der Familie können Männer den Leistungsstreß „draußen“ aushalten.

„Weshalb die unentgeltlichen Dienstleistungen der Hausfrauen nicht in das Sozialprodukt eingehen, läßt sich logisch aus dem System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht begründen“, räsoniert Rainer Skiba in der WWI, Zeitschrift des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften. Er zitiert den Ökonomen Samuelson, nach dessen Auffassung „diese Ausklammerung als bedeutungslos hingenommen werden kann, solange mit einem einigermaßen konstanten Anteil der zu Hause tätigen Frauen zu rechnen ist.“ Volkswirtschaftlicher Kalkül, der nur möglich ist, solange die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nicht in Frage gestellt wird ...

Das heißt: Solange Frauen es hinnehmen, daß ihr Geschlecht sie als Kaste brandmarkt, die exklusiv für Küche und Kinder zuständig ist. Solange Frauen nicht aufmucken. Solange sie es billigen, aus irgendwelchen physischen oder metaphysischen Gründen beim Spülen und Windelnwaschen für alleinzuständig gehalten zu werden und — vor allem — solange sie sich für allein zuständig halten. Totale Arbeitsaufteilung im Haushalt? „Nein“, antwortet Helga H., geschiedene Karrierefrau und Gewerkschaftlerin, „wenn ein Mann Staub wischte, da käme ich mir doch albern vor — man sollte auch Frau bleiben.“

Eine im Herbst 1972 in der Frauenzeitschrift „Brigitte“ veröffentlichte repräsentative Untersuchung ergab, daß ein Drittel der Ehemänner erwerbstätiger Frauen nie bei der Hausarbeit helfen. Ein Drittel hilft bei ein bis zwei Arbeiten (Abtrocknen, Einkaufen ...). Ein Drittel hilft öfter. Aber wie oft auch immer, alle helfen den Frauen bei ihrer Hausarbeit.

„Frauen sind Gastarbeiterinnen in einer Männergesellschaft“, resümierte die Soziologin Helge Pross eine von ihr geleitete Untersuchung. Sie sind weniger noch: Frauen sind Sklavinnen in einer Männergesellschaft. Im Haus wie außer Haus, wo die männerdominierte Berufswelt nicht mehr ist als ein Schauplatzwechsel. Frauen bleiben auch hier die machtlosen Exekutantinnen der Männer.

Die de-facto-Benachteiligung beschränkt sich nicht auf die Leichtlohngruppen, die jetzt zum mitglieder-schmeichelnden „Jahr der Arbeitnehmerin“ der Gewerkschaften wieder aus der Schublade geholt wurden. Da wird so getan, als könne die formale Abschaffung der sogenannten Leichtlohngruppen — wovon man allerdings noch weit, weit entfernt ist — etwas ändern. Sie wird so wenig ändern, wie die Abschaffung ihrer Vorgängerin, der sogenannten Frauenabschlagsklausel, die vom Gesetzgeber verboten wurde.

Mit der Einteilung in acht Lohngruppen fanden die Arbeitgeber rasch wieder ein legalistisches Hintertürchen zur niedrigeren Einstufung sogenannter typischer Frauenarbeiten en bloc. Ganze Industrien — wie die Textilindustrie — und alle monotonen und peniblen Fließband- und Akkordarbeiten wurden in die Lohngruppen eins bis vier eingestuft. (90 Prozent aller Akkordarbeiten werden von Frauen verrichtet.) Wobei die Kriterien der Bewertung nicht etwa die in der qualifizierten Industriearbeit ausschlaggebenden sind: Nämlich Geschicklichkeit, Geduld, Konzentration und das Ertragenkönnen der Monotonie. Nein. Hauptkriterium ist noch immer die längst weitgehend überflüssig gewordene Muskelkraft. Sie ist der Vorwand für die globale Einstufung der Männerarbeit in die Lohngruppen fünf bis acht. Und das mit einer solchen Konsequenz, daß der Volksmund für 1-4 und 5-8 die Bezeichnungen „Frauenlohngruppen“ und „Männerlohngruppen“ treffenderweise gleich beibehielt.

Die überlegene Muskelkraft des Mannes war es auch, die es ihm einst erlaubte, die der permanenten Schwangerschaft ausgelieferte Frau zu unterwerfen. Beide Faktoren wurden im Zeitalter der Industrialisierung und möglichen Kinderplanung hinfällig. Die ursprünglich biologische Teilung der Menschheit wird ideologisch aufrechterhalten.

Es ist also müßig, über Leichtlohngruppen zu reden, ohne im gleichen Atemzug die gesamtgesellschaftliche Diskriminierung der Frauen und ihre Doppelbelastung zu nennen. Nach der Neudefinierung der Lohngruppen werden andere Vorwände herhalten müssen. Es ist nicht die Arbeit, die weniger wert ist, sondern die Tatsache, daß sie von Frauen gemacht wird.

Die typischste Frauenarbeit — die Hausarbeit — wird überhaupt nicht entlohnt. Und in Berufsbereichen, in die man Frauen einbrechen läßt, sacken soziales Prestige und/oder Entlohnung rasch ab (so zum Beispiel Sekretär—Sekretärin, oder in der UdSSR der heute von Frauen beherrschte, schlecht bezahlte Arztberuf).

Im Zuge der noch andauernden Auseinandersetzung zwischen der feministischen (oder feministisch-sozialistischen) und der sozialistischen Strömung der bundesdeutschen Frauenbewegung — das heißt, zwischen denen, die die Analyse und den Kampf gegen die frauenspezifische Unterdrückung autonom und richtungweisend in einen revolutionierenden Prozeß einbringen, und denen, die die Frauenprobleme innerhalb der bereits bestehenden, von Männern aufgestellten Konzepte und Strukturen lösen wollen — setzt sich jetzt, wie der nationale Frauenkongreß im Februar 1973 in München zeigte — die feministische Strömung mehr und mehr durch.

Selbst Gruppen, deren Ansatz zunächst ausschließlich der Klassenkampf war, wie die Frauen-Betriebsgruppe Siemens in München, sprechen von ihrer „feministischen Radikalisierung“. Das heißt: sie situieren ihren Kampf mehr und mehr im Rahmen des Frauenkampfes. So auch der Frankfurter Weiberrat. Er schreibt im Vorwort zu einer im Verlag Roter Stern erschienenen Auswahl amerikanischer Feministinnen-Texte:

Eine Beschränkung darauf, die Frauen in den Produktionsprozeß zu agitieren, kann keine erfolgversprechende Strategie sein, denn wie ja auch ihre Verfechter (z.B. Jutta Menschik) sehen, schließt sich der Zirkel zwischen Sozialisation und Weiblichkeitsideologie immer wieder. Es genügt nicht, die Phänomenologie der Unterdrückung der Frau noch einmal darzustellen, und dann mit — für eine Materialistin erstaunlichem Idealismus — zu fordern: Der Bruch mit diesen Vorstellungen wird erforderlich (Menschik, S. 80).

Die amerikanischen Feministinnen gehen weiter: Sie versuchen, die Systematik, die hinter diesen Erscheinungen steckt, zu entfalten als das patriarchalische Prinzip, das als Unterordnung des weiblichen Geschlechts unter das männliche in der Struktur der Gesamtgesellschaft sich durchsetzt (System of Sexism). Das patriarchalische Prinzip ist ein Grundmuster, nach dem auch andere gesellschaftliche Herrschaftsmechanismen funktionieren. Nämlich: Rassismus, Kapitalismus und Imperialismus. Das wird belegt mit der Entsprechung zwischen der Polarisierung männlich/weiblich und den an diese Polarisierung geknüpften gesellschaftlichen Bewertungen (stark, schwach etc.) einerseits und bestimmten kulturellen Stereotypen andererseits, nach denen unterdrückte Minderheiten/Klassen/Völker von den Herrschenden klassifiziert werden.

Daß den Frauen als primäre Funktion die Arbeit im Reproduktionsbereich gesellschaftlich zugewiesen ist, macht sie zur niederen Kaste, deren Lebensschicksal in unbezahlter ‚Sklavenarbeit‘ im Dienste der übergeordneten Kaste, der Männer besteht.

Dieser Text erscheint demnächst — hier nur Auszüge — im Band des Suhrkamp-Verlages „Frauen im Beruf“.

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