FORVM, No. 230/231
März
1973

Frauen wie Leibeigene

Zur Politischen Ökonomie der Frau II.

1 Frau im Kapitalismus

Margaret Benston sieht die materielle Grundlage der untergeordneten Stellung der Frauen in dem Umstand, daß man von ihnen die unbezahlte Verrichtung der Hausarbeit erwartet; sie produzieren Gebrauchswerte außerhalb der Geldwirtschaft und stehen somit in einem anderen Verhältnis zu den Produktionsmitteln als die Männer:

In einer Gesellschaft, in der Geld den Wert bestimmt, arbeiten die Frauen als Gruppe außerhalb der Geldwirtschaft. Ihre Arbeit wird nicht mit Geld abgegolten und ist daher wertlos, keine wirkliche Arbeit. Und die Frauen, die diese wertlose Arbeit verrichten, können daher selber nicht soviel wert sein wie die Männer, die für Geld arbeiten.

Die Schwäche dieses Arguments liegt in der Streitfrage, was die Quelle des Werts in der kapitalistischen Gesellschaft sei, aber seine Bedeutung ist klar: In den Augen Margaret Benstons ist die Hausarbeit die eigentlich weibliche Arbeit, was immer die Frauen sonst noch tun mögen.

Über die Wirkung der Hausarbeit auf jene, die sie verrichten, schrieb Lenin: „Allen Emanzipationsgesetzen zum Trotz bleibt die Frau eine Haussklavin, weil die Hausarbeit sie erdrückt, abstumpft und entwürdigt, sie an Küche und Kinderzimmer fesselt und sie ihre Arbeitskraft an barbarisch unproduktive, nervenaufreibende, verdummende und erdrückende Plackerei verschwenden muß.“ Heute bedeutet die Hausarbeit für viele Frauen nicht mehr erschöpfende physische Anstrengungen, aber der verdummende Effekt ist der gleiche geblieben. Amerikanische Untersuchungen beispielsweise haben zu dem Ergebnis geführt, daß arbeitssparende „Gadgets“ keine Verkürzung der für Hausarbeit aufgewendeten Zeit bewirken.

Die Haushaltspflichten haben allgemein wirtschaftliche wie auch politische, soziale und kulturelle Bedeutung:

Die Kernfamilie als ökonomische Einheit ist ein unersetzlicher Stabilisierungsfaktor der kapitalistischen Gesellschaft. Da der Gatte und Vater für die Familie zahlen muß, hat er nur wenig Möglichkeit, seine Arbeitskraft dem Markt vorzuenthalten. Sogar ein Arbeitsplatzwechsel ist dadurch erschwert. Die Frau, die auf dem Markt keine aktive Rolle spielt, hat wenig Kontrolle über die Bedingungen, die ihr Leben beherrschen. Ihre wirtschaftliche Abhängigkeit widerspiegelt sich in emotioneller Abhängigkeit, Passivität und anderen ‚typisch weiblichen‘ Eigenschaften. Sie ist konservativ, ängstlich und auf Wahrung des Status quo bedacht.

(Margaret Benston).

Diese allgemeine Lage der Frau führt zu einer starken Isolierung von anderen Frauen, die sich in gleicher Lage befinden. Die Verwundbarkeit ihrer ökonomischen Stellung wird durch die Institution der Familie verhüllt und zeigt sich daher am deutlichsten dort, wo der Mann fehlt: bei ledigen Müttern, Witwen, geschiedenen und verlassenen Frauen.

Margaret Benston definiert:

Frauen sind jene Menschen, denen die Produktion einfacher Gebrauchswerte im Bereich von Heim und Familie obliegt. Strukturell gesehen, gleichen die Frauen am ehesten jenen Gruppen, die ebenfalls außerhalb der Warenproduktion stehen, wie die Leibeigenen.

2 Berufstätige Frauen

Zwischen 1881 und 1951 war der Anteil der berufstätigen Frauen in England ziemlich unverändert 25 bis 27 Prozent; 1961 betrug er bereits 37 Prozent. 1965 waren 34 Prozent der Frauen zwischen 16 und 64 voll beschäftigt, 17,9 Prozent teilbeschäftigt und insgesamt 54,3 Prozent in irgendeiner Form berufstätig. Fast zwei Drittel der berufstätigen Frauen waren verheiratet.

In den Vereinigten Staaten waren 1947 28,1 Prozent aller berufstätigen Frauen, 1968 bereits 37,1 Prozent.

J. und M. Rowntree verweisen darauf, daß dieser Trend die Unzulänglichkeit der Auffassung Benstons beweist: „Wenn mehr als zwei Fünftel aller Frauen berufstätig sind, ist es falsch, die Frau als bloße Produzentin von Gebrauchswerten im Haushalt zu definieren.“ Der „National Manpower Council“ der USA stelite 1958 fest: „Was würde geschehen, wenn alle verheirateten Frauen ihre Berufsarbeit aufgäben? Wir wären nicht mehr imstande, den Bedarf zu decken. Es wäre eine Katastrophe erster Ordnung.“ Daß ein großer Teil der Frauen berufstätig ist, scheint für die kapitalistische Wirtschaft zur Zeit unerläßlich zu sein. Das Arbeitseinkommen der Frau ist zu einer wichtigen Komponente des Lebensstandards vieler Familien geworden. Daß die Frau arbeiten geht, ausgenommen höchstens ein paar Jahre, in denen sie sich um ihre Kleinkinder kümmert, gilt weithin als normal.

In der Berufsarbeit nehmen die Frauen eine den Männern untergeordnete Stellung ein.

  1. Ungleiche Arbeit. Den Frauen stehen weit weniger Berufe offen als den Männern. Die meisten von Frauen ausgeübten Berufe entsprechen einem niedrigen Qualifikationsniveau. In den USA sind „die meisten Frauen in einer relativ kleinen Anzahl von Berufen beschäftigt, die allgemein als ‚Frauenberufe‘ gelten“ (Yudkin und Holme, 1969). In Schweden schrieben Baude und Hoimberg: „Wie die Volkszählung von 1960 ergab, sind 71 Prozent aller berufstätigen Frauen in etwas mehr als zwanzig Berufen beschäftigt. In diesen Kategorien sind nur 11,7 Prozent der männlichen Arbeiter tätig. Die meisten Berufe sind fast ausschließlich ‚Männerberufe‘.“ In Großbritannien sind die Frauen nicht nur traditionsgemäß auf eine kleine Anzahl niedrig qualifizierter und schlecht bezahlter Berufe beschränkt, sondern ihr Anteil an hochqualifizierten, technischen und leitenden Posten sinkt, während die Zahl der berufstätigen Frauen insgesamt steigt.
  2. Ungleiche Entlohnung. Frauenarbeit ist mit niedriger Entlohnung verbunden. Eine 1965 in Großbritannien durchgeführte Erhebung zeigte, daß 31,2 Prozent der berufstätigen Frauen weniger als 4 Shilling in der Stunde verdienten, 53,3 Prozent weniger als 5 Shilling, nur 3,6 Prozent 10 Shilling und 1,5 Prozent 14 Shilling. Im September 1968 wurde festgestellt, daß der durchschnittliche Wochenlohn eines Arbeiters 22,4 Pfund betrug, der einer Arbeiterin nur 10,8 Pfund. Bei den Angestellten waren es 27,8 Pfund für Männer und 14,1 Pfund für Frauen. Dies beweist den geringen ökonomischen Wert, der den hauptsächlich von Frauen ausgeführten Arbeiten beigemessen wird, wie auch die niedrigere Entlohnung von Frauen, die in vielen Fällen gleiche Arbeit wie Männer verrichten. Trotz Publizität und Kampagnen in dieser Frage scheint die Ungleichheit zuzunehmen. Beispielsweise „betrugen im Oktober 1960 die durchschnittlichen Frauenlöhne 49 Prozent der Männerlöhne; 1968 waren es 48 Prozent, im Oktober 1969 nur noch 47 Prozent“ („Morning Star“, 18.12.1970).
  3. Ungleiche Erziehung und Ausbildung. Das Schulsystem sichert angeblich Chancengleichheit; diese ist jedoch fraglich, nicht nur was Arbeiterkinder, sondern auch was Mädchen betrifft. Die Beseitigung der wirtschaftlichen Schranken enthüllt andere, subtilere. In vielen Schulen enthält der Lehrplan für Mädchen mehr musische und hauswirtschaftliche Fächer, der für Knaben mehr Wissenschaft und technische Gegenstände. Die Zahl der Mädchen an Hochschulen wächst, beträgt aber meist nur einen Bruchteil aller Studenten. Ein UNESCO-Bericht aus dem Jahre 1966 gibt die folgenden Anteile: Großbritannien 24 Prozent, Finnland 47 Prozent, Frankreich 41 Prozent, USA 37 Prozent, Schweden 34 Prozent, Italien 29 Prozent.

Um in gleicher Position wie die Männer zu sein, müßten die Frauen die gleiche Freiheit haben, in Arbeitsverhältnisse einzutreten. Wegen ihrer „Pflichten“ als Gattinnen, Hausfrauen und Mütter haben sie diese Freiheit nicht.

In dieser Gesellschaft steht die Rolle des Vaters als ‚Familienerhalter‘ in Beziehung zum Markt. Sie entspricht seiner Rolle als freier Lohnarbeiter. Aber die Rolle der Mutter in unserem Kulturkreis steht in keiner Beziehung zum Markt, ihre Aufgabe ist die Betreuung der Kinder. Während der Mann sich mit dem Gedanken trösten kann, daß er die Familie erhalte, muß die Frau fürchten, wegen ihrer Berufstätigkeit ihre Kinder zu vernachlässigen. Infolgedessen erleiden die Frauen die gleiche Entfremdung wie alle Arbeiter im Kapitalismus plus einer zusätzlichen, und sie werden dafür nicht einmal finanziell entschädigt.

(M. und J. Rowntree)

3 Muttermythos

Die gesellschaftliche Bewertung von Fortpflanzung, Sexualität und relativer Hilfslosigkeit der Kinder drängen die Frauen in eine Position allgemeiner Zweitrangigkeit, die trotz der immanenten Widersprüche von den meisten Frauen akzeptiert wird.

  1. Fortpflanzung und Kinderbetreuung. Die Fortpflanzung sowie die physische und soziale Abhängigkeit der Kinder werden weithin als immanente Elemente der Mutterschaft betrachtet. Der Anteil der Frauen an der Produktionsarbeit ist durch ihre Rolle in der Fortpflanzung eingeschränkt — Kinder kriegen heißt zeitweilig auf Berufsarbeit verzichten. Doch dies wurde zu einer mächtigen Ideologie aufgebaut, in der das Gebären und Betreuen von Kindern und die Führung eines Haushalts als natürliche Berufung der Frau, als ihr Weg zur persönlichen Erfüllung angesehen wird. Die Zeit, die eine Frau auf Gebären und Betreuen von Kindern verwendet, hat sich erheblich vermindert; Titmus schätzt, daß um 1890 eine Frau durchschnittlich fünfzehn Jahre mit Schwangerschaften und der Betreuung von Säuglingen verbrachte, 1963 nur noch vier Jahre. Aber die Mutterschaftsmystik hat sich nicht in gleichem Maße verringert. Sie wird von verschiedenen Seiten genährt: von der Kirche, von Industriellen und Reklamefachleuten, Psychologen und Soziologen usw. Sie dient zum Vorwand, den Frauen geringere Möglichkeiten und niedrigere Entlohnung zu bieten.

    Obwohl die Mutterschaft als tiefste Erfüllung für die Frau betrachtet wird, behandelt man sie in der Wirtschaft als eine Art Disziplinlosigkeit der Frau, die mit dem Verlust des Lohns, des Arbeitsplatzes, der Beförderungschancen usw. bestraft werden kann.

    Im Zweiten Weltkrieg hatte die „Pflicht zur Arbeit“ Vorrang vor der „Pflicht gegenüber den Kindern“; es gab mehr Krippen und Kindergärten als heute. Der Mangel an Kindergartenplätzen zwingt heute viele Frauen, sich mit unzulänglichen Arrangements für ihre Kinder zu behelfen. Nichtsdestoweniger bilden die verheirateten Frauen, von denen viele Mütter sind, die wichtigste Arbeitskräftereserve; bei Bedarf müssen sie wieder in die Industrie gezogen werden. Wirtschaftlicher Druck und der Wunsch nach Kontakt mit Erwachsenen sorgen dafür, daß viele Mütter dem Ruf folgen, aber auf Kosten der herrschenden Mutterschaftsideologie und (im allgemeinen) unter Verzicht auf angemessene Betreuung ihrer Kinder. Die Freuden der Mutterschaft gelten als Entschädigung der Frau für ihre ökonomische und sexuelle Abhängigkeit.

  2. Sexualität kann heute in größerem Maß als früher separat von der Fortpflanzung erörtert werden. Empfängnisverhütende Mittel sind verläßlicher, leichter erhältlich und mehr unter Kontrolle der Frauen; die Pille und die liberalisierte Abtreibung sind wichtige Faktoren. Daß die Frau ein Recht auf ihren eigenen Körper hat und über ihr Sexualleben selbst entscheiden kann, stößt immer noch auf starken Widerstand. Obwohl die traditionellen Maßstäbe der Sexualmoral weitgehend in Frage gestellt und abgelehnt werden, lasten auf uns noch die Reste einer Doppelmoral.
    1. Die weibliche Sexualität wird von Männern definiert — und zwar als Reaktion auf die männliche. Man findet dies in einer ganzen Reihe traditioneller Klischees — eine Dame macht nicht den ersten Schritt, Männer handeln, Frauen reagieren usw. Freuds Interpretation der Probleme seiner Patientinnen liegt im Rahmen dieser Tradition und wurde zugleich zu deren Rechtfertigung verwendet. Freuds Patientinnen mögen außerstande gewesen sein, sich damit abzufinden, daß sie keine Männer waren, sie mögen unter Penisneid gelitten haben, mögen unfähig gewesen sein, zu „reifen“ Geschlechtsbeziehungen (d.h. zu vaginalem Orgasmus) zu gelangen. Die hier diagnostizierte neurotische Disposition kann jedoch entweder als kennzeichnehd für die Frau, für die weibliche Sexualität im allgemeinen interpretiert werden, oder als kennzeichnend für ein bestimmtes Reagieren auf eine gesellschaftliche Situation, in der die Möglichkeiten für Frauen begrenzt, die für Männer (das heißt, für Bourgeois) aber unbegrenzt waren.

      Die männliche Definition der weiblichen Sexualität widerspiegelt sich auch in der Art und Weise, in der Frauen versuchen, so zu werden, wie sie selbst oder ihre Mütter meinen, daß die Männer sie haben wollen. Ganze Industriezweige leben davon, den Frauen das dementsprechende Aussehen zu geben. Es gilt aber auch für persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Eine der interessanteren Untersuchungen über das Verhalten in amerikanischen Colleges zeigte, daß amerikanische Collegemädchen sich bemühen, dümmer zu erscheinen als ihre Freunde. Solche Vorgänge, manchmal mehr, manchmal weniger offenkundig, sind Teil des — vielfach widersprüchlichen — Sozialisierungsprozesses, den Mädchen in Gesellschaften wie der unseren durchmachen. Die weibliche Sexualität, als dem Wesen nach passiv, unterwürfig, von den Auffassungen und Handlungen der Männer abhängig betrachtet, ist anfällig für Verzerrung und Manipulation nicht nur in persönlichen Beziehungen, sondern auch durch den Gebrauch, den Reklame und die Massenmedien im allgemeinen davon machen.

    2. Die weibliche Sexualität wird als Sache behandelt, gesondert und trennbar von der Person. Die auffälligsten Beispiele dafür sieht man in der Reklame und in den Massenmedien. Reizvolle Mädchen — oder ihre auffeizendsten Körperteile — können dazu verwendet werden, fast jede Ware schmackhafter zu machen. (Auch die männliche Sexualität wird von der Reklame auf diese Weise verzerrt, aber in geringerem Maß.)

      In diesem Zusammenhang macht sich die an Frauen gerichtete Reklame die Widersprüche und die Unsicherheit der weiblichen Lage zunutze — die richtige Zahnpasta macht sexuell attraktiv, das richtige Getränk sichert Kontakt, am richtigen Waschpulver erkennt man die „gute Mama“, usw. Die Parade weiblicher Körper in Schönheitskonkurrenzen deutet an, daß weibliche Schönheit ganz ähnlich beurteilt werden kann wie die Qualität von Zuchtrindern in einer Viehausstellung. Der Körper ist nicht Teil einer Person, sondern eine Reihe von Proportionen, verglichen mit anderen Reihen von Proportionen.

Die Stellung der Frau ist in jeder Gesellschaft durch die spezifischen Beziehungen zwischen ökonomischen, biologischen und kulturellen Faktoren bestimmt. Dabei dominieren die Basisfaktoren, aber die Überbaufaktoren haben besondere Bedeutung, weil sie biologische Eigenschaften umfassen, so daß viele Aspekte der Unterordnung der Frau als Folgen der weiblichen Physiologie erscheinen. Deswegen ist die Befreiung ohne Veränderung der ökonomischen und politischen Basis unmöglich; aber es gibt keine Garantie dafür, daß eine solche Veränderung tatsächlich die Befreiung der Frau mit sich bringt.

4 Sowjetische Frau

Die sowjetischen Frauen haben in mancher Hinsicht mehr Gleichheit als die Frauen in kapitalistischen Ländern. Aber sie sind keineswegs befreit. Jüngste sowjetische Soziologiepublikationen zeigen dies sehr deutlich (Ossipow 1969). Darin ist das Gerüst der Familiensoziologie moralistisch und reaktionär. Eine Untersuchung über ein Dorf in der Moldau zeigt (in Tabellen, nicht im Text) die fortdauernde Ausbeutung der Frauen, deren Arbeitszeit von 1964 bis 1969 sich von 13,2 auf 12,2 Stunden täglich verringert hat, während die der Männer von 11,7 auf 7,8 Stunden gesunken ist.

Diese Situation muß im Zusammenhang mit den spezifischen historischen Umständen der russischen Revolution gesehen werden.

Unmittelbar nach 1917 zielte die Gesetzgebung darauf ab, die traditionelle Familienstruktur mit ihrer Ausbeutung von Frauen und Kindern zu untergraben. Gesetzliche Gleichheit wurde hergestellt, Eheschließung wurde eine Angelegenheit der Registrierung, Scheidung wurde auf Ersuchen einer der beiden Parteien gewährt, Abtreibung war frei, der Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Kindern wurde abgeschafft. Lenin betonte die Notwendigkeit, die Frauen von der „Sklaverei“ zu befreien, es wurden Krippen und kommunale Speisehäuser eingerichtet.

Diese Maßnahmen wurden jedoch im Kontext revolutionärer Isolierung und wirtschaftlicher Rückständigkeit getroffen, die die Grundlage für die Entwicklung des Stalinismus lieferten. Vor diesem Hintergrund ist der Abbau und die Umkehrung der progressiven Familienpolitik zu verstehen: „Die tatsächliche Befreiung der Frau ist auf der Grundlage allgemeinen Mangels nicht durchführbar“, schrieb Trotzki, als er den Verrat an diesem Aspekt der Revolution erläuterte. Im Rahmen der allgemeinen Degeneration der Revolution wurde das „funktionale“ Bedürfnis nach einer Familie traditionellen Typs bestätigt, und die neuerliche Mystifizierung der Mutterschaft erreichte ihren Höhepunkt in den vierziger Jahren, als Kindergebären fast zur politischen Pflicht wurde.

Die Entwicklung in der ersten Zeit nach der Revolution zeigt uns die Möglichkeiten einer Befreiung, die sich aus einer Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse ergeben können, aber die spätere Geschichte der Sowjetunion zeigt auch, wie in jener spezifischen Situation die alten Kulturformen in beträchtlichem Maß wiederbelebt wurden. Die Frauen, obwohl formal gleichberechtigt, konnten in eine zweitrangige Position zurückversetzt werden.

5 Doppelmoral

Wie andere strukturell benachteiligte Gruppen erkennen auch die Frauen nicht automatisch, daß sie untergeordnet sind. Sie erweisen sich als wichtiges Instrument ihrer eigenen Unterdrückung. Von Kindheit an lernen sie, sich als minderwertig zu betrachten und ihr Leben danach einzurichten. In der Mutterschaftsmystik, in der Rolle im Heim und indirekt durch Mann und Kinder finden sie eine Art Identität.

Die meisten Frauen heiraten und sehen auch gar keine andere Möglichkeit. Einen Mann zu finden, ist eine Leistung, selbst wenn die langfristigen Implikationen oft unklar sind. Die meisten geben ihren Beruf auf, wenn sie Kinder bekommen. Jedoch empfinden viele „die Mutterschaft als eine Art Gefangenschaft“ (Gavron 1968). Die Mehrzahl hofft, wieder in den Beruf zurückzukehren, wenn die Kinder einmal erwachsen sind. Aber der Gedanke, daß die Frauen ein Recht auf Berufsarbeit haben, ist noch nicht weit verbreitet.

Beschränkte Möglichkeiten, ungleiche wirtschaftliche Anerkennung und Entlohnung, eine zweitrangige Position in der Familie, widersprüchliche Erwartungen — daraus entsteht Unzufriedenheit, Frustration und Verwirrung bei den Frauen, zumeist in vager, fragmentarischer, inkohärenter Form. Im allgemeinen scheinen die Frauen sich nicht als eine ausgebeutete und unterdrückte Gruppe zu verstehen; und da das Bewußtsein und die Bedeutung dessen, daß man zur Kategorie der Frauen gehört, je nach Klassenposition sehr unterschiedlich sind, wäre es nicht unbedingt ein Schritt vorwärts, wenn sie es täten.

Am meisten ausgebeutet sind die Arbeiterfrauen, sowohl zu Hause, wo sie oft als Blitzableiter dienen für die Spannungen und Enttäuschungen, die ihre Männer in der Arbeitssituation erfahren, wie auch am Arbeitsplatz. Die arbeitenden Mütter haben es wahrscheinlich am schwersten. Insbesondere außerhalb der alten Arbeitersiedlungen, wo Verwandte nahe genug wohnen, um Hilfe, Unterstützung und Gesellschaft zu leisten, ist das Bedürfnis nach adäquater Betreuung der Kinder besonders wichtig — und die vorhandenen Einrichtungen sind meist inadäquat. Am Arbeitsplatz sind die Möglichkeiten für gewerkschaftliche Organisierung und Aktionen oft beträchtlich. Es scheint, daß die Frauen dies in wachsendem Maß erkennen — in den letzten Jahren sind mehr Frauen als Männer den britischen Gewerkschaften beigetreten.

Wir wollen in Kürze die Auffassungen jener charakterisieren, die gegen die Unterordnung der Frau Stellung nehmen.

Erstens jene, die für die Frauen einen größeren Anteil an den Vorteilen dieser Gesellschaft wollen. Sie möchten mehr Direktorsposten für Frauen, oder sie wollen, daß verheiratete Frauen in besser bezahlten Stellungen separat von ihren Gatten — und daher weniger schwer — besteuert werden. Diese Fragen haben wenig mit der Frauenbefreiung zu tun; hier geht es — zumindest unmittelbar — darum, mehr Frauen Zugang zu den Privilegien der kapitalistischen Gesellschaft zu verschaffen.

Die zweite Auffassung ist die feministische. In ihrer extremsten Form läuft sie darauf hinaus, Männer in herrschenden Positionen durch Frauen ersetzen zu wollen, wobei häufig die Männer als die Unterdrücker der Frauen betrachtet werden. Die amerikanische „Society for Cutting Up Men“ („Gesellschaft für Zerstückelung der Männer“) ist wahrscheinlich das häufigst zitierte Beispiel dieser Orientierung; die Männer, welche die Unterdrückung der Frauen ausüben, werden für die Ursache dieser Unterdrückung gehalten. In weniger extremer Form zeigt sich dieselbe Konfusion in den Ansichten jener, die hoffen, eine Bewegung aufbauen zu können, die sich an alle Frauen wendet. In dieser Einstellung werden die sexuelle Ausbeutung, die Verantwortung und Sorge für die Betreuung kleiner Kinder am meisten hervorgehoben.

Die berufstätigen Frauen, und besonders die Arbeiterinnen haben die potentionelle Macht einer organisierten oder organisierbaren Gruppe. Traditionsgemäß gelten die Frauen als rückständiger Teil der Arbeiterschaft, aber die Brechung dieser Tradition ist für die Kämpfe der Arbeiterinnen und der Arbeiter gleichermaßen wichtig; daß sie gebrochen werden kann, haben die Arbeiterinnen mit ihrer Kampfbereitschaft bewiesen.

Wenn jedoch der Kampf sich entwickeln soll, dann muß die Forderung nach gleichem Lohn ergänzt werden durch die Forderung nach gleichen Rechten in der Leitung der Gewerkschaften, nach Chancengleichheit bei der Postenvergabe, und durch die allgemeine Infragestellung der kapitalistischen Verhältnisse, welche die Frauen zu allgemeiner Unterordnung verdammen. Denn in unserer Gesellschaft sind auch die meisten Männer in keiner beneidenswerten Lage — ihnen untergeordnet zu sein, ist natürlich noch schlimmer, aber Gleichheit genügt nicht. Die Befreiung der Frauen (und der meisten Männer) ist im Rahmen dieser Gesellschaft nicht möglich.

Eine Nachricht, ein Kommentar?
Vorgeschaltete Moderation

Dieses Forum ist moderiert. Ihr Beitrag erscheint erst nach Freischaltung durch einen Administrator der Website.

Wer sind Sie?
Ihr Beitrag

Um einen Absatz einzufügen, lassen Sie einfach eine Zeile frei.

Hyperlink

(Wenn sich Ihr Beitrag auf einen Artikel im Internet oder auf eine Seite mit Zusatzinformationen bezieht, geben Sie hier bitte den Titel der Seite und ihre Adresse bzw. URL an.)