FORVM, No. 218
Februar
1972

Gegen Treibjagd auf Spartakus

Erklärung der Gesellschaft der Redakteure des NEUEN FORVM

Wir appellieren an die Regierung, die Justiz, die Polizei und die Massenmedien vor einer Kriminalisierung der Gruppe „Spartakus“.

Der gegenwärtige Kurs der gerichtlichen und polizeilichen Maßnahmen steuert auf einen Punkt hin, wo politische Aktionen mit Gefängnis bestraft werden. Die von der Obrigkeit vorgeschützten Gründe für diese Verfolgungsmaßnahmen sind bloße Vorwände und stellen im Einzelfall einen Rückgriff auf polizeistaatlich-absolutistisches Denken dar. Es gibt nämlich keine politische Demonstration oder Kollektivaktion, bei der nicht die „Öffentliche Ordnung“ gestört oder irgendein dubioses „Hausrecht“ gebrochen würde. Die geltenden liberalen Verfassungswerke garantieren aber die freie politische Tätigkeit über solche Einzelvorschriften hinweg.

Wenn Gerichts- und Polizeifunktionäre ihre Drangsalierungsmethoden in einer bestimmten Phase verstärken — und wir haben den Eindruck, daß dies jetzt geschieht —, dann ist dies weder der Ausdruck individueller Fehlhandlungen, noch die Folge des Unterdrückungscharakters des Staates schlechthin. Es handelt sich um einen bestimmten politischen Kurs, der gegenwärtig angesteuert wird.

Wir befinden uns augenblicklich in einer Übergangsphase. Die Studentenbewegung ist verebbt, und die Massenkämpfe der Lohnabhängigen, welche durch die verschärfte internationale Kapitalskonkurrenz herbeigeführt werden, haben noch nicht eingesetzt. In dieser politischen Pause funktionieren die Mittel des Polizeistaates.

Das Rezept ist einfach und aus der Geschichte der Unterdrückung des „Anarchismus“ gut bekannt. Man greift die aktivste Gruppe heraus, isoliert und drangsaliert sie, soweit die Legalität es zuläßt, und oft auch darüber hinaus. Die Gegensätze zwischen den linken Gruppen werden ausgenützt, um eine Solidarisierung zu verhindern.

In der nächsten Phase tritt der Kriminalisierungseffekt ein. Aus politischen Gruppen werden Randfiguren abgesprengt, die dann unter Mitarbeit von Provokateuren und Polizeispitzeln mit einer „Propaganda der Tat“ zu zündeln beginnen. Diese Gruppen werden in der Öffentlichkeit zu „Banden“ gestempelt, und der ganze Verfolgungsapparat von Polizei und Massenmedien wird auf sie losgelassen. Die Medien mixen die politischen Gruppen dazu und lenken die Emotionen der Ordnungsbürger (und das sind alle die vor den heraufziehenden Krisen und Arbeitskämpfen Angst haben) auf ein wohldefiniertes, wenngleich unsichtbar bleibendes Ziel.

In der Bundesrepublik ist dieses Stadium bereits erreicht. Die Hysterie der treibjagdähnlich angelegten Verfolgungen führt immer wieder zu tödlich verlaufenden Schießereien. Aber auch in Österreich haben die großen Kriminalspektakel der letzten Monate (ein Gefangenenausbruch mit vorgehaltener Pistole, die Sprengung einer Bankfiliale) den Quasi-Bedarf nach einer politisch haftbar zu machenden Gruppe erzeugt.

Obgleich stets alle Anhaltspunkte fehlen, phantasieren österreichische Leitartikler bei solchen Gelegenheiten von „anarchistischen“ Tendenzen und vermuten „politische“ Motive. Man spürt förmlich die Gier, tastend nach Personen, auf die man die Verfolgung richten kann.

Die Kriminellen, von der charakterlichen Konstitution her geltungssüchtig, erfassen die Stimmung der Öffentlichkeit intuitiv, und inszenieren die gewünschten Spektakel mit oft groteskem pseudopolitischen Anflug. So reflektiert der ins Individuelle sich verlierende Radikalismus und die reaktive Kriminalität die angsterfüllten Phantasien, welche dem offenen Ausbruch von Klassenkämpfen vorausgehen.

Gegenüber innerer Opposition und politisch integrierten Randschichten dient eine solche „Anarchistenkampagne“ als Droh- und Druckmittel. Loyalitätserklärungen werden verlangt, und jeder, der gewisse Losungen aufnimmt, des bombenlegenden „Anarchismus“ verdächtigt. Liberale Professoren und Journalisten werden in Deutschland und Italien von der Polizei verhört und verdächtigt, es entwickelt sich eine giftige Atmosphäre des Mißtrauens, der gebrochenen Solidaritäten, von Hexenjagd und Teufelsaustreibung.

Wir glauben, daß es an der Zeit ist, immer mehr Menschen diesen Ablauf bewußt zu machen. Wir glauben, daß die Regierung es in der Hand hat, hier gegenzusteuern, wenn sie will.

Wir wissen, daß sich in den Medien immer gewissenlose Hetzer finden, die das Geschäft besorgen, wenn der anständige Journalist angewidert zurückzuckt. Dennoch unterschätzen wir nicht die Wirkung, welche die vernünftige Aufklärung von Minderheiten in sich birgt. Hier kann jeder gutwillige Journalist an seinem Platz etwas tun.

Wien, am 20. Jänner 1972

Mitteilung

in Heft 218, März 1972, Seite 3:

Irrtümlicherweise wurden beim Aufruf „Gegen Treibjagd auf Spartakus. Erklärung der Gesellschaft der Redakteure des Neuen Forum“ (NF Februar 1972) auch die Namen Ilse M. Aschner, Wilhelm Burian, Kurt Greussing, Adalbert Krims angegeben. Diese 4 Personen haben den Aufruf nicht unterzeichnet.

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