MOZ, Nummer 51
April
1990

Gehörlose Sprachrohre

Eigentlich versteht es sich von selbst, daß, wenn ich schon in einem Namen spreche, dann in meinem. Zumal es sich hier um einen ‚Kommentar‘ handeln soll. Doch angesichts der Tatsache, daß wir von FürsprecherInnen und anderen VertreteInnen umgeben sind, erscheint es mir angebracht vorauszuschicken, daß ich nicht den Anspruch habe, im Namen anderer zu schreiben.

Erica Fischer ist eine dieser selbsternannten Fürsprecherinnen. Ihr Anspruch ist es, „Frauen die Stimme zu geben, die keine Stimme haben“. Von welchen Frauen bei solcherart Ansprachen die Rede ist, sei dahingestellt. Klar sollte aber sein, daß der Stimmverleih geradezu undenkbar ist ohne die Stummheit der Bestimmten. Es ist dies das Verhältnis, welches sich Dialektik nennt, und nicht dasjenige des differenzierenden „sowohl als auch und des ja, aber“, wie uns fälschlicherweise glauben gemacht wird. Wenn der Differenzierung und Vielfalt das Wort geredet wird, dann wäre anzunehmen, daß diese auch wahrgenommen wird.

Was nun die Frauenbewegung betrifft, die sich zur Buch-Präsentation von „Donauwalzer-Damenwahl“ Anfang Februar ein bereits weitgehend vollzogenes Stelldichein gab, so verwundert es doch, daß sie von einer ‚alten‘ Feministin auf das Frauenzentrumsgrüppchen beschränkt wird. Auf die Frage an einige FZ-Frauen, ob sie sich als die Frauenbewegung verstünden, erhielt Erica Fischer von einer dieser Frauen die Antwort: „Ich bin die Frauenbewegung!“ Die ihrer Frage angemessene Ironie darin überhörte sie tunlichst und nahm die von ihr gewünschte Version für die Zeitung mit: „Das Grüppchen, das die Stirn hat, das Etikett ‚Bewegung‘ zu usurpieren.“ Der Etikettenschwindel war wohl eine Verwechslung mit den Pariser Verhältnissen. Abgesehen davon kann eine Bewegung grundsätzlich keine Etikette sein. Das wäre gewissermaßen ein Wesenswiderspruch, in den zu begeben sich wohl auch nicht die FZ-Frauen erblöden würden. Wenn dies nun als irrelevante Wortklauberei erscheinen mag, dann stellt sich doch noch die Frage, ob das Sprachrohr beim Wort genommen werden kann.

Alles, was Flügel hat, fliegt; die geflügelten Worte aber gehen der tradierten Banalität auf den Leim, wenn sie der Verankerung in der Wirklichkeit weitgehend entbehren. So werden beispielsweise alle, die Radikalität beanspruchen, in den dogmatischen oder ghettoisierten Topf geworfen, ohne daß sie ihn jemals zu bewohnen beanspruchten.

Wer mit der Kritik an einer radikalen Infragestellung der beherrschenden Institutionen auf den erwachsenen Feminismus rekurriert, ohne diese Infragestellung differenzierter zu betrachten, ruft in mir die Erinnerung an die verachtende Verurteilung der sogenannten Kinderkrankheit einer Bewegung wach. Das Prädikat kleinbürgerlich kehrt dann verschleiert in seinem Facettenreichtum wieder, der von der Kleinmütigkeit über den Feierabendfeminismus zum Mitläufertum reicht. Als „radikale Angepaßtheit“ eben.

Mag sein, daß diese differenzierte Betrachtung schon stattgefunden hat. Zu einer wirklichen Veränderung der Problematik von Autonomie und Institutionen hat sie nicht geführt. Haben die Parteifrauen denn tatsächlich aufgehört, ihre ‚eigenen‘ Parteiinteressen mit den — und gegen die — Nichtpartei-Frauen zu verfolgen?

Ist es heute wirklich um so vieles müßiger denn ‚damals‘, die ehrwürdig sich gebende Aufopferungshaltung vieler Institutionsmarschiererinnen zu hinterfragen? Auch sind die derzeit immer noch herrschenden Institutionen nicht weniger hierarchisch als vor fünfzehn Jahren.

Daraus können mehrere Schlüsse gezogen werden: Entweder eine Feministin entscheidet sich dafür, den Marsch anzutreten, um durch die Institutionen hindurch etwas zu verändern. Sie kann dabei — muß natürlich nicht als Alibifrau steckenbleiben. Oder sie gibt sich der Illusion hin, im Getriebe der Institutionen diese selbst zu verändern. Oder aber sie erwartet sich keine wirkliche politische Veränderung unter Beibehaltung dieser Institutionen. Wenn ich letzteren Standpunkt beziehe, dann aus einer politischen Haltung heraus und nicht, um die Autonomie im Ghetto zu verwirklichen. Dort ist sie Autarkie, so wie sie in und mit der Hierarchie schlichtweg nicht ist.

Wenn also einigen Veteraninnen diese Art Diskussionen unaktuell und langweilig erscheinen mag, so ändert das noch nichts an der Tatsache, daß gerade politische Probleme sich weder durch einmalige noch durch wiederholte Benennung allein lösen und auch nicht, indem so getan wird, als gäbe es sie nicht. Darüber hinaus sind uns die Fragen und Antworten nicht in die Wiege gelegt, sondern nicht zuletzt in mühsamen Diskussionen als niemals abgeschlossene aufzuwerfen bzw. zu er-finden. Wen wundert’s, daß angesichts der Seltenheit solcher ‚Versammlungen‘ keine inhaltlichen Weiterführungen zustandekommen? In der BRD ist das natürlich ganz anders. ‚Damals — so tönt stimmend das personifizierte Alter — war die Bewegung jung, nicht wir; heute verwesen die Jungen diese alte Bewegung‘. Aber was kann das für eine Bewegung sein, die sich von einem Grüppchen verwesen läßt? Wo sind die anderen vielen, derer eine Bewegung bedürfte? Im Café Central vielleicht, oder auf Urlaub, oder in den Institutionen: 50 Stunden pro Woche domestiziert und/oder kämpferisch für die anderen beschäftigt? Es ist eine bewegungslose Zeit mit wenigen oder keinen großen Perspektiven: wer sich damit nicht begnügen will, könnte sich zum Beispiel auch andere Stimmen als die der ständig Dreinredenden zu Gehör bringen.

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