MOZ, Nummer 48
Januar
1990
New Age

Geist geheilt oder umnachtet?

Esoterik-Messen, UFO-Beobachtungsstationen, zahlreiche Erscheinungen in Buchform und auch anderer Art beleben die New-Age-Konjunktur. Weiterhin und beständig. Die „Rest-Linke“ verharrt in konsequenter Ignoranz, die „Neue Rechte“ profitiert.

Ende September beim Anatomischen Institut in Wien

Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.

Ödon von Horvath

„Allen Unkenrufen zum Trotz scheint ‚New Age‘ noch immer auf Hochtouren zu laufen ...“, meint Michael Hesemann, Herausgeber eines renommierten New Age-Magazins und Veranstalter des medienwirksamen UFO-Kongresses, der Ende Oktober in Frankfurt über die Bühne ging. Wer die Blicke über seinen/ihren ideologischen Tellerrand hinausschweifen läßt, merkt, daß der Mythos vom neuen Zeitalter, vom ökologisch-spirituellen, harmonischen Wasserzeitalter noch nichts an Zugkraft verloren hat.

Die 12-15% New Age/Esoterik-Anteil am Gesamtumsatz der deutschsprachigen Buchpublikationen, die auch hierzulande wachsende Anzahl von New Age-Zentren, die erfolgreich besuchten New Age-Messen, das vermehrte Auftreten von Plastik- und Neoschamanen (die die Interessen der wirklichen Indianer — Kampf gegen Völkermord und Uranabbau — aufs schändlichste untergraben), Druiden und GeistheilerInnen oder die Zunahme des Glaubens an Karma und Wiedergeburt sprechen eine deutliche Sprache.

Schicksal als Chance?

All diese Erscheinungen gehen mit der Ansicht einher, ALLEIN die Änderung unseres Bewußtseins werde die Welt zum Besseren wenden. „Wir brauchen einen vertikalen Sprung auf eine neue Bewußtseinsebene.“ Thorwald Dethlefsen, Reinkarnationstherapeut und Chefideologe in Sachen „Schicksal als Chance“, begeistert AkademikerInnen gleichermaßen wie Hausfrauen. Er spricht aus, wonach viele unserer ehemaligen politischen MitstreiterInnen hungern: „Wer sich selbst ändert, ändert die Welt. Es gibt in unserer Welt nichts zu verbessern, aber sehr viel an sich selbst ...“

Und Ma Prem Kaveesha, seit 12 Jahren Schülerin von Meister Osho aus Poona (der neue Name des Bhagwan), weist deutlich auf die Fehler der Vergangenheit hin: „Niemand, der nach Wahrheit hungert, kann unterdrückt werden. Wenn du also mit der Lüge beginnst, daß dich jemand unterdrücken kann, findest du nie einen Ausweg. Du wirst dein ganzes Leben vergeuden, gegen etwas anzukämpfen, das unwirklich ist. Die gesamte Frauenbewegung entstand aus dieser Lüge.“ „Neue Priesterinnen“, so der Buchtitel, schreiten einher im alten Gewande. Soweit eine kleine Spitze des im kosmischen Ozean verborgenen New Age-Eismassivs.

Probleme einfach wegtransformieren

Dieser Zwang zum positiven Denken und Sprechen führt freilich ins politische Out: Themen wie Macht, Machtstrukturen, Ausbeutung, Interessens- und Klassengegensätze, Faschismus, aber auch Mitbestimmung, Solidarität, Demokratie, Probleme der sogenannten „Dritten Welt“ oder geschichtliche Bedingtheit von politischen Entwicklungen werden völlig negiert. Sie scheinen wie wegtransformiert — nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein!

Jegliche gesellschaftspolitischen bzw. systemimmanenten Ursachen von ökologischen Krisen und persönlichem Leid werden geleugnet. Nach dem Kontakt zu Thorwald Dethlefsen ließen viele vom Engagement für Stammeskulturen und Umweltschutz ab und verschrieben sich gänzlich der New Age/Esoterik-Bewegung. Kritiker Edi Gugenberger: „... man soll jetzt seine eigene Persönlichkeit vervollkommnen und sich nicht in das Karma anderer Personen oder Völker einmischen. Würde man ihnen durch Engagement ihr schlechtes Karma (z.B. Völkermord) nehmen, dann beraubt man sie ihrer Lebensaufgabe.“

Paradiesische Zustände

Warum wird gerade jetzt, in Zeiten neuer Armut, zunehmender Arbeits- und Obdachlosigkeit und staatlichen Sozialabbaus, in Zeiten eines Öko- und Genozids die wonnige, ganzheitliche, spirituelle Wendezeit heraufbeschworen?

Die Bedrohung von Leben, Umwelt und Zukunft scheint unerträglich, die Hoffnung auf die persönliche Einflußnahme wird aufgegeben — statt dessen die Flucht in heilversprechende Paradiesphantasien angeboten, die das Gefühl von Unbeschädigtsein und Geborgenheit garantieren und so wieder Sinn stiften. Mensch möchte nicht wissen, sondern glauben.

Die allumfassenden Welt-, Mensch- und Kosmos-rettenden Konzepte eines Fritjof Capra, dem Spiritus rector des New Age, oder einer Marilyn Ferguson, der Erfinderin der „sanften Verschwörung“, passen gut in diese Logik (oder Paralogik): Das Neue Zeitalter hat ja bereits begonnen, „wir brauchen es nur zuzulassen“, die Rettung ist schon im Gange, es ist nur mehr eine Frage der Zeit, wann genug Menschen „ihr Bewußtsein, ihr Ich transformiert haben“, dann steht dem Paradies auf Erden nichts mehr im Wege.

„Altes wird abgeschafft, Neues wird eingeführt, beides entspricht der Zeit und bringt daher keinen Schaden“, betont Capra mit einem I Ging-Zitat immer wieder aufs nachdrücklichste.

Ganzheitlich reaktionär

New Age ist ein Reflex auf objektive gesellschaftliche Problemlagen und kein Zeitalter, das auf die überzeitlichen Bewegungen der Sterne zurückzuführen ist.

Die allzu einfachen Erklärungsmuster inklusive Rezept dürften das Verlockende und Betörende an der New Age Bewegung sein. Die Welt erscheint plötzlich hell und klar, die Abgeschlossenheit des Systems läßt keine Widersprüche zu.

Dem Bedürfnis nach „Lebenshilfen“ — von gesunder Ernährung über Körperentspannungstechniken bis hin zur Sinngebung — wird mittels „handfester“, ganz konkreter Angebote nachgekommen. Mit diesen konkreten Hilfsangeboten wird aber so quasi als Draufgabe eine meist irrationale und reaktionäre Ideologie mitgeliefert.

Ein gutes Beispiel hierfür sind die reaktionären Anwandlungen des Ernährungspapstes M. O. Bruker, der, von der Naturkostbewegung unterstützt, sein rechtsradikales, ausländerfeindliches Unwesen treibt. Oder Michio Kushi, der Makrobiotik-Guru, der in seinen Kochbüchern die Frau in die Küche verweist. Um mich makrobiotisch und gesund zu ernähren, bauche ich all diese reaktionären Beilagen nicht!

Positive atomare Strahlung?

Eine einfache Frage, die New Age sehr schnell ins „rechte“ Licht rückt, lautet: Wem nützt das Ganze? Wem nützt z.B. der seit Tschernobyl rapide angestiegene Glaube an Karma und Wiedergeburt? (Max Frisch’ kritische Anmerkung dazu: „Die Garantie, daß unsere Seelen wandern, entschärft jede Menge atomarer Sprengköpfe.“)

Oder wem nützt die in Findhorn — dem New Age-Imperium in Schottland — und von Chris Griscom gepredigte Harmlosigkeit radioaktiver Strahlung: wir bräuchten uns der Atomenergie nur ohne „Ablehnung oder Feindschaft“ zu nähern oder verstrahlte Nahrungsmittel mit unseren Händen zu „energetisieren“. „Damit kann nun etwas, sei es noch so radioaktiv verstrahlt, von unserem Körper gar nicht mehr als feindlich und zerstörerisch erkannt werden, sondern wird als schwingungsgleich angenommen. Damit ist die radioaktive Belastung für uns nicht mehr negativ.“

Das Ganze gipfelt dann in der Ansicht, „Radioaktivität für unsere Transformation nützen“ zu können, wobei das „alles seinen Sinn, sein Gutes“ habe, „je mehr unsere Körper strahlen, radio-aktiv werden, z.B. durch Radioaktivität, die den Atomkraftwerken entweicht, oder durch die jetzt mehr und mehr ungefilterte Strahlung der Sonne, desto mehr wird unsere Fähigkeit erhöht, UFOs wahrzunehmen, die gleichzeitig der Erde immer näher kommen“, um uns im kritischen Moment zu helfen.

Wem nützt also die anerkannte New Age-Meinung, „AKWs und hungernde Kinder in der Dritten Welt seien letztendlich von Gott gesandt“ und „demonstrieren tun doch nur die, die ihre Aggressionen nicht anders ausleben können“?

Die Antwort sollte zumindest für diejenigen klar sein, die ihren Hausverstand noch nicht an den esoterischen Nagel gehängt haben.

Mitverantwortung ade

Bleibt zu hoffen, daß nicht alle „kritischen Positionen verhallen müssen, weil sie eben von jenen stammen, die nicht dazugehören, dazugehören zu den Eingeweihten, die sich untereinander verstehen“, wie dies der Berliner Psychiater Günter Niklewski bei seinem Vortrag in Wien formulierte. Er erläuterte damit seine These vom „New Age als Theorie der Einweihung“. Niklewski mutmaßte, New Age-Praktiken dienten mehr dazu, unbewußte Inhalte abzuwehren, als diese wirklich zuzulassen.

Mehr noch als das Delegieren jeglicher politischer Mitverantwortung an die selbstregulierenden Kräfte des Kosmos und die Rechtfertigung jeglichen persönlichen und kollektiven Leides mittels Karma und Wiedergeburt beunruhigt die Parallelität von faschistischer Ideologie und jener des New Age sowie das weitgehende Ignorieren der New Age-Problematik durch die sogenannte „Rest-Linke“ und fortschrittliche grün-alternative Kräfte. Ausnahmen bilden die beiden Autoren Gugenberger und Schweidlenka, die auf die Zusammenhänge in „Mutter Erde, Magie und Politik“ und „Altes blüht aus den Ruinen“ hinweisen.

Braune Wurzeln

Unerwähnt blieb bis jetzt sowohl in der New Age- als auch in der kritischen Literatur, wer eigentlich den Begriff „Ganzheitlichkeit“ und „Holismus“ geprägt hat. In jedem x-beliebigen Lexikon sind da Namen wie J. C. Smuts, J. S. Haldane, A. Meyer-Abich, E. Dacque und der zu den ideologischen Wegbereitern des Faschismus zählende Wiener O.
Spann, der Ständestaattheoretiker, zu finden.

Ein Blick in die Literatur dieser Herren kann die Ähnlichkeit von Inhalt und Diktion mit der New Age-Literatur kaum übersehen. Ganz im Gegenteil, das Vorwort zum Buch „Die holistische Welt“ des südafrikanischen Kolonialisten und Rassisten J. C. Smuts ähnelt in frappanter Weise den Aussagen Capras!

Es sei noch erwähnt, daß etwa ein Hubertus Mynarek — ein New Age-Vordenker des weit rechten Lagers — sich 1989 in seinem Buch „Die Vernunft des Universums“ vor allem auf Capras Thesen stützt.

Weitgehend totgeschwiegen wird auch die Tatsache, daß es in der Zwischenkriegszeit eine breite esoterische Bewegung gab, die den heutigen New Age-Tendenzen nicht unähnlich war. Diese esoterische Bewegung hat den Aufstieg der NSDAP wesentlich mitgetragen.

Die Zerstörung der Vernunft war eine conditio sine qua non für den Sieg des für den Faschismus charakteristischen Irrationalismus. Aus der von präfaschistisch-esoterisch-rationalistischen Denkern erträumten Entindustrialisierung und Zurückführung des Reiches zur Natur wurde, wie wir wissen, nichts. Im Gegenteil, nach der Zerstörung der Vernunft folgte jene der Menschen und der der Natur durch eine industrialistische Mordlogik.

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