ZOOM 7/1996
Dezember
1996
Stephan Eibel-Erzberg:

Gräber raus aus den Friedhöfen

Briefroman

„Marisella hat mir Pablo vorge­stellt. Er darf aufbleiben, solan­ge er will. Für ihn gibt es keine Sperrstunde! Pablo ist sehr le­bendig und so klein. Am 25.2. wird er 2 Jahre.“ So beginnt die­ser Briefroman, der die Briefe eines Erwachsenen an ein Kind beinhaltet. Diese Briefe sind zunächst eine Auseinanderset­zung des Erwachsenen mit der eigenen Kindheit, den sogeahnten „Illusionen“, deren Verlust von der Seite der „Erwach­senendiktatur“ als „vernünftig­werden“ bezeichnet wird, mit gesellschaftlichen Zwängen und einem spielerisch-fröhlichen In­fragestellen.

Die Briefe sprechen aber auch von der Verunsicherung des Er­wachsenen, der sich plötzlich durch Kinderaugen beobachtet sieht: Wird der kritische Kin­derblick ihn als „Scheißhäuslträger“ entlarven? Werden sei­ne Belehrungen zu belehrend sein und er dadurch als (Be)Lehrer, also Besserwisser enttarnt? Ist er überhaupt ein „Besserwisser“?

Im Chinarestaurant wirft sich das Kind zu Boden, schreit: „Ich will Alles!“ Das erweckt Aufsehen, gehört aber immer­hin zu den Erwartungen, die die Erwachsenen einem Kind ent­gegenbringen. Als sich aber der begleitende Erwachsene eben­falls auf den Boden wirft, wer­den die Kellnerinnen ernst. Ver­ständlich, sind doch Jobs im Gastgewerbe ohnehin schlecht bezahlt, und da mag es weder Spaß noch Sinn machen, an In­teraktionen Kind-Erwachsener Interesse zu haben. Die Interak­tion stellt dadurch den Mut zur spielerischen Überschreitung von Benimm-Dich-Regeln auf die Probe.

Die Briefe sind eine ein­dringliche Vermittlung der Weitsicht eines Künstlers. Der „Phantasiefreund“, wie sich der Briefschreiber mitunter nennt, ist Maler und steht den Ausweg­losigkeiten und Zwängen im ge­sellschaftlichen und im Kunst­betrieb mit Ironie, aber auch mit Resignation gegenüber. Den Dichter Eibel-Erzberg, den er im Laufe seiner Geschichte ken­nenlernt, findet er jedenfalls „zu pessimistisch“.

Mir gefällt das Buch. Ich glaube, daß es Ein- und Aus­blicke in und auf das Leben mit Kindern, die Vergangenheit und Unwiederholbarkeit der ei­genen Kindheit und das Ver­ständnis von Kindheit gibt.

Stephan Eibel-Erzberg: Gräber raus aus den Friedhöfen. Briefroman. Edition Splitter, 109 S., öS 340,—

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