FORVM, No. 196/II
April
1970

Griechische Anatomie

Griechenland gehört im Kräftefeld der gegenwärtig dreigeteilten Welt politisch zum US-orientierten „freien Westen“, geographisch zur Interessensphäre des Ostblocks, seiner wirtschaftlichen Situation nach zur dritten Welt der Entwicklungsländer.

Durch die künstliche Übernahme verschiedener Kulturelemente der wiederentdeckten griechischen Antike in der Renaissance und deren wesentliche Rolle in der Ausbildung des „abendländischen“ Bewußtseins ist das realpolitische Verhältnis des Europäers zu Griechenland von irrationalen Faktoren belastet.

Da die für die ganze Welt entscheidenden Etappen der technischen und kulturellen Entwicklung im Europa der Neuzeit stattgefunden haben und ihrerseits unter dem Zeichen der übernommenen Komponenten des antiken Griechentums stehen, ist es natürlich, daß der Grieche, indem er technischen Fortschritt und Bildungsstruktur aus Europa bezieht, auch sein Geschichtsbewußtsein und besonders seine Beziehung zur Geschichte des eigenen Volkes europäisiert hat. Dagegen trägt sein politisches und soziales Bewußtsein durchwegs uneuropäische Züge.

Erst der durch diese grundlegenden Feststellungen abgesteckte Rahmen ermöglicht eine annähernd objektive Analyse der gegenwärtigen politischen Situation des Landes.

Ein typisches Beispiel ist der Militärputsch vom 21. April 1967. In der Reaktion der Welt zeigte sich heillose Konfusion: der allgemeine Proteststurm, der sich vorgeblich gegen den nationalistischen Militärfaschismus der Obristen richtete, hatte seine Wurzel zum größeren Teil im unreflektierten, als Tabu verehrten Griechenlandbegriff der Nichtgriechen.

Besonders bezeichnend war hierfür der Entrüstungssturm, der sich wegen des Todesurteils über den angeblichen Attentäter Panaghoulis in der ganzen Welt erhob, während z.B. die indonesischen Massaker, bei denen ungefähr 500.000 Kommunisten abgeschlachtet wurden, keine ähnliche Reaktion hervorriefen.

Darin zeigte sich klar, daß nicht der objektive Tatbestand der Militärdiktatur, der Folterungen, der Konzentrationslager verurteilt wird, sondern die Tatsache, daß sich diese anderswo geduldeten Phänomene gerade in Griechenland, „im Geburtsland der Demokratie“, breitmachen.

Entsprechend ist auch das Bild, das sich durchschnittliche Nichtgriechen — gleichgültig, welcher politischen Observanz — von der griechischen Militärdiktatur machen.

Man denkt an ein von „Levantinern“ bewohntes unterentwickeltes Land, in dem extreme Klassengegensätze herrschen, wo zwischen reichen Grundbesitzern und sklavisch ausgebeuteten Leibeigenen ständiger Klassenkampf schwelt und nun, nach längeren Wirren, eine Junta nach südamerikanischem Muster die Herrschaft an sich gerissen hat.

Neben dieser romantischen Vorstellung karibischer Prägung gibt es die einer Franco-Diktatur, von ritterlich-religiösen Soldaten (oder feudalistischen Militaristen), die die rote Gefahr (oder den Aufstand der Ausgebeuteten) besiegt und die Ordnung (eines Friedhofs) wiederhergestellt haben.

Diese beiden Interpretationen unleugbarer Fakten gehen von falschen Prämissen aus: Griechenland war bis zum Militärputsch die einzige „westliche Demokratie“, die in ihrer Geschichte den westeuropäischen Feudaladel nicht gekannt und auch im 18. Jahrhundert keine nennenswerten Klassenunterschiede entwickelt hat.

Der Großgrundbesitz wurde in zwei Bodenreformen — 1914 und nach 1922 — restlos aufgeteilt.

Ebensowenig gab es in Griechenland ein Militär, dessen Ideenwelt von der soldatischen Tugendlehre einer aristokratischen Kriegerkaste geprägt gewesen wäre. Im Gegenteil: bis 1935 war gerade das Militär Träger des demokratischen und republikanischen Gedankens.

Auch glaubt man in Europa vielfach noch immer, daß die Monarchie tief in der griechischen Volksseele verwurzelt sei. Dabei übersieht man, daß die Träger der griechischen Krone von Anfang an nur Garanten ausländischer Interessen waren und höchstens in deren Widerstreit kurzfristigen Kredit beim Volk fanden, etwa Ende des 19. Jahrhunderts, als das Königshaus, den Interessen Großbritanniens verschworen, gegen den Wunsch Deutschlands die Angliederung weiterer türkischer Gebiete durchsetzte, oder nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Königshaus im Interesse der USA die stalinistische Guerillainvasion — mit Hilfe der USA — vereitelte.

Unter diesem Aspekt muß man Papadopoulos und Konsorten sehen: Sie sind nicht Vertreter und Schutzmacht einer innergriechischen Besitzerschicht, sondern einer ausländischen Macht und deren Interessen, wie auch die Partisanenverbände 1945 — zum Unterschied von den Einheiten Titos — nur zum geringeren Teil die innergriechischen Klassengegensätze ausfochten und im wesentlichen das Vorfeld einer ausländischen Macht zu sichern suchten.

Papadopoulos und die Obristen könnte man am besten als Söldner-Condottieri bezeichnen.

Aber auch das Verhalten des griechischen Volkes zum Putsch und zur Junta wird falsch eingeschätzt: die stillschweigenden Förderer und Freunde des Putsches im Ausland glaubten, daß sich wenigstens ein Teil der rechtsgerichteten Politiker (sie hatten in den Wahlen 1964 immerhin 33 Prozent aller Stimmen erhalten) auf die Seite der neuen Herren schlagen würde; es fanden sich jedoch nur drei, die sich den Obristen zur Verfügung stellten, und auch diese sind keineswegs repräsentativ: der ehemalige Ministerpräsident Pipinelis, der ehemalige Außenminister Averof-Tositsa und der Führer der kleinen liberalen Partei, Markezinis. Keiner von ihnen hat politisch je eine Rolle gespielt, und alle drei sind bekannt für ihren krankhaften Ehrgeiz.

Auch die „Verräter“ im an und für sich kleinen Kreis der Hochfinanz und des Großunternehmertums lassen sich an der Hand abzählen, während die nicht allzu breite Schicht des Mittelbürgertums und der Beamtenschaft die Junta fast durchwegs ablehnt, was freilich nicht ausschließt, daß viele von ihnen aus Berechnung oder Angst kollaborieren.

Selbst das Bauerntum, das von der Junta den massivsten Köder bekam, den Nachlaß sämtlicher Kreditschulden, steht dem Regime in abwartender Ablehnung gegenüber, ebenso die Arbeiterschaft, die in der Lohnpolitik und Sozialgesetzgebung von den Obristen über die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Situation hinaus begünstigt wurde.

Daß der massivste Widerstand aus den Kreisen der Intellektuellen, der Studenten und der Mittelschüler kommt, von Anfang an Opfer der schärfsten Maßnahmen des Regimes, ist selbstverständlich. Leider gibt es gerade unter den Universitätsprofessoren relativ viele Opportunisten, die sich der Junta zur Verfügung gestellt haben.

Zwiespältig ist die Haltung des Heeres: Die königstreuen höheren Offiziere lehnen die Junta zwar ab, doch werden sie durch die Scheuklappen ihrer NATO-Ideologie gehindert, wirksame Maßnahmen gegen die Obristen zu ergreifen.

Davon abgesehen wurden im Lauf der Zeit alle auch nur potentiellen Gegner des Regimes entweder in den Ruhestand versetzt oder auf ungefährliche Posten abgeschoben.

Die massivste Gegnerschaft steht der Junta in der Luftwaffe und in der Kriegsmarine gegenüber. Aus technischen Gründen konnte in diesen Waffengattungen keine so radikale Versetzungspolitik verfolgt werden wie in den anderen. Luftwaffe und Marine könnten nach wie vor zum Ausgangspunkt eines aktiven Widerstandes gegen das Regime werden.

Die stärkste Anhängerschaft dürfte die Junta in den mittleren und jüngeren Altersklassen der Infanterie- und Artillerieoffiziere haben.

Die Mannschaften sämtlicher Waffengattungen können trotz der intensiven ideologischen Beeinflussung — „das Heer, Retter der Nation!“ — durchweg als passive Gegner des Regimes angesehen werden.

Angesichts dieser Ablehnung der Junta in allen Schichten des Volkes mutet es seltsam an, daß der von griechischen Exilpolitikern immer drohend angekündigte Aufstand und die Verwandlung Griechenlands in ein europäisches Vietnam nicht stattgefunden hat, ja daß die vereinzelten Terrorakte, die sich in jüngster Zeit ereignet haben, wie auch die Spuren eines organisierten Widerstandes fast ausschließlich auf die extreme Rechte zurückzuführen sind.

Das griechische Volk, dessen Geschichte immer wieder von langen Perioden der Gewaltherrschaft gekennzeichnet war, besitzt untrüglichen Instinkt, ob eine Erhebung Chancen hat oder ob passive Gefügigkeit geboten ist. Dies zeigte sich im Freiheitskampf gegen die Türken und im Partisanenkampf gegen die nationalsozialistischen Okkupanten. Die intensive Widerstandstätigkeit der Rechten hat ihren Grund in der vielleicht nicht ganz vergeblichen Hoffnung, die NATO-Verbündeten, voran die USA, auf diese Art zum Eingreifen zu nötigen.

Die hier skizzierten Tatbestände, die alle klischeehaften politischen Vorstellungen des Europäers sprengen, lassen sich erst aufhellen, wenn man das Zusammenspiel der griechischen Innenpolitik mit der Weltpolitik näher betrachtet.

Die weltpolitische Situation Griechenlands ist klar: die Konferenzen von Jalta und Moskau teilten Griechenland eindeutig der Interessensphäre der USA zu. Einer möglichen Abspaltung im Zuge des von Rußland inoffiziell unterstützten Aufstandes der kommunistischen Guerillakräfte trat Amerika mit der Truman-Doktrin und massiver militärischer Hilfe entgegen.

Als bedeutendste und seit den Folgen der Kubakrise letzte Raketenbase der NATO im östlichen Mittelmeerraum hat Griechenland eine außerordentlich wichtige Stellung im westlichen Militärbündnis.

Die innenpolitische Situation Griechenlands ist — im Gegensatz zu anderen europäischen Entwicklungsgebieten wie Kalabrien oder Sizilien — nicht bestimmend von sozialen Gegensätzen beeinflußt. Zwar hat auch hier die Agrarwirtschaft das Übergewicht, doch fehlt jeglicher Großgrundbesitz. In den fruchtbaren Gebieten Thessaliens und des Peloponnes gibt es ein blühendes Genossenschaftswesen.

Da die meisten Gebiete Griechenlands schwer zu bebauen und ertragsarm sind, hat seit dem vorigen Jahrhundert eine zunehmende Landflucht eingesetzt. Die noch in ihren Anfängen steckende Industrialisierung schafft nicht die notwendigen Arbeitsplätze, und so entsteht ein ständig wachsendes Stadtproletariat, das den größten Teil der in der deutschen Bundesrepublik beschäftigten Fremdarbeiter und der in ausländischen Handelsflotten dienenden Seeleute stellt.

Der Gegensatz zwischen der Armut des Stadtproletariats und dem Luxus der ganz dünnen Schicht von Industriellen, Finanzleuten und Reedern prägt das politische Bild der Stadt; die keineswegs große politische Macht der Großbürgerschicht wird aber mehr durch Korruption ausgeübt als durch Gesetze, da ein großer Teil der nicht sehr bedeutenden nationalen Industrie unter der Kontrolle des Staates steht.

Viel einflußreicher ist die Rolle des ausländischen Kapitals, die sich jedoch nicht unmittelbar in sozialen Gegensätzen ausdrückt.

Das Schulwesen — seit dem Befreiungskrieg wichtigstes Anliegen aller Griechen — ist vorbildlich: schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts war das Analphabetentum abgeschafft; die 1965 durchgeführte Schulreform Papandreous — von der Junta inzwischen rückgängig gemacht — war, verglichen mit den Systemen mancher europäischer Staaten, geradezu revolutionär: die Unterklassen der verschiedenen Schultypen wurden im Sinne einer Einheitsschule reorganisiert, die Oberklassen in zwei Grundtypen — humanistisch und naturwissenschaftlich — untergeteilt, mit einer großen Zahl von Wahlfächern, und statt der Matura wurde für Schüler, die an einer Universität weiterstudieren wollen, eine Eignungsprüfung eingeführt. Jedem Begabten wurde das kostenlose Studium gesichert.

Das politische Klima — in der Stadt wie auf dem Land vom leidenschaftlichen Interesse aller an der Politik gekennzeichnet — steht noch immer unter dem sich erst langsam lösenden Trauma des Bürgerkrieges: seine Erbschaft ist die Abneigung der Mitte gegen die als kommunistisch subsumierte Linke wie auch gegen die mit dem König identifizierte extreme Rechte.

Da die Industrialisierung noch in den Anfängen steckt, hat sich neben der kommunistischen Partei nie eine gemäßigtere Arbeiterpartei etablieren können; die Kräfte, die sich in Europa in der Sozialdemokratie gesammelt haben, waren früher in verschiedenen Parteien zersplittert und gingen dann teils in der Zentrumsunion Papandreous, teils in der Nationalradikalen Union Karamanlis’ auf.

Quer durch beide Großparteien stehen einander Republikaner und Monarchisten — oft als unversöhnliche Gegner — gegenüber.

Die vielfachen Spannungen wurden im Sommer 1965 durch die unglücklichen Eingriffe des unerfahrenen und von einer zügellosen Kamarilla beratenen Königs Konstantin plötzlich verschärft. Die Verschleppung der Krise bis zum Frühjahr 1967 und die fortgesetzten politischen Intrigen des Hofes vergifteten die Atmosphäre.

Die unter unglücklichen Umständen ausgeschriebenen Neuwahlen entfesselten alle Leidenschaften: Die Rechte beschwor das Gespenst eines nahe bevorstehenden kommunistischen Putsches, die Linke das eines königlich-militärischen Eingriffs.

In dieser Situation sah eine kleine Gruppe von nationalistischen Abenteurern und Phantasten ihre Chance: 43 Offiziere, darunter viele Mitglieder des eng mit der CIA zusammenarbeitenden zentralen Nachrichtendienstes KYP, nützten die künstlich aufgeheizte Atmosphäre und das von ihnen selbst nachdrücklich propagierte Schreckgespenst einer kommunistischen Machtübernahme.

Die führenden Köpfe sind außer Papadopoulos der Brigadier Pattakos sowie die Obersten Makarezos, Joannidis, Ladas, Patilis und Rouphogalis. Die meisten gehören den Jahrgängen 1938 bis 1940 an und haben keinerlei militärische Erfahrung. Außer Papadopoulos nahmen sie nicht einmal am Bürgerkrieg teil.

Papadopoulos selbst kämpfte im Rahmen der noch von den Deutschen errichteten „Sicherheitseinheiten“ (seinen ehemaligen Vorgesetzten, den heute 83 Jahre alten Obersten der Sicherheitseinheiten, Kourkoulakos, hat Papadopoulos nach dem Putsch zum Präsidenten der Landwirtschaftlichen Bank Griechenlands gemacht).

Wie früh sich gerade der nachmalige Junta-Chef Papadopoulos am Aufbau der Legende von der drohenden Kommunistengefahr beteiligt hat, zeigt eine wenig bekannte Episode aus dem Sommer 1964. Mitten in der Zypernkrise wurde eine Panzereinheit in Makedonien von unbekannten Tätern einsatzunfähig gemacht. Der Vorfall wurde sofort als kommunistischer Sabotageakt propagiert. Eine offizielle Untersuchung der Angelegenheit ergab jedoch, daß es sich um einen stümperhaften Streich des Obersten Papadopoulos handelte, der nächtlicherweilen Zucker in den Treibstoff geschüttet hatte, um die Kommunisten anschwärzen zu können.

Daß dieses kindische Spiel Papadoupolos nicht seine Charge kostete, verdankte er der dramatischen Intervention seines Vaters, des Lehrers von Kalentzi, dem Geburtsort des damaligen Premiers Georg Papandreou: Der Ministerpräsident schlug auf die flehentlichen Bitten seines Jugendfreundes hin das Verfahren nieder.

Ähnlich ist auch die berüchtigte Aspida-Affäre zu beurteilen, die Aufdeckung einer Verschwörergruppe von linksgerichteten Offizieren: sie hatte das offensichtliche Ziel, Andreas Papandreou zu kompromittieren und aus dem Feld zu schlagen. Die Hintergründe dieses großangelegten Schwindels, der zur Regierungskrise 1965 führte und durch Schauprozesse im Winter 1966 wesentlich zur Vergiftung der politischen Atmosphäre und so zum Putsch beitrug, liegen noch im dunkeln. Wie wenig ernst die ganze Angelegenheit in Wirklichkeit wär, ist aus der Amnestierung dieser „gefährlichen Linken“ gerade durch die Junta klar zu ersehen.

In der spektakulären Amnestie, die Premier Papadopoulos zu Weihnachten 1967, zehn Tage nach dem mißlungenen Königsputsch, verkündet hatte, wurden sämtliche Beteiligten der Aspida-Affäre freigelassen, während von den mehreren tausend am 21.4.1967 Verhafteten bloß an die vierhundert heimkehren durften.

Am Vorabend des Putsches war jedenfalls so viel erreicht, daß die ganze Rechte, der Hof und das Heer tatsächlich an das künstlich heraufbeschworene Gespenst der drohenden Kommunistengefahr glaubten und auch ein Teil des Volkes in diesem Sinn beeinflußt war. Ausschlaggebend dürfte jedoch gewesen sein, daß auch die verantwortlichen Stellen der NATO und die CIA alarmiert waren.

Kurz vor dem Putsch nahmen zwei offizielle Emissäre der CIA mit der Regierung Kanellopoulos Kontakt auf, standen aber wahrscheinlich gleichzeitig bereits in Verhandlungen mit den zukünftigen Junta-Obristen. Wann die konkreten Vorbereitungen begonnen haben, läßt sich nicht mit Gewißheit feststellen. Jedenfalls blieb die Panzereinheit des Brigadiers Pattakos, die anläßlich der Militärparade am 25. März, dem griechischen Nationalfeiertag, in die Hauptstadt beordert war, in der Nähe Athens.

Am 20. April hatte ein Teil der Generalität Beratungen im Verteidigungsministerium, dem griechischen Pentagon. Der König hielt sich außerhalb Athens, im Schloß Tatoi, auf. Die Politiker waren vollauf mit dem Wahlkampf beschäftigt. Der Chef des Generalstabs, General Spandidakis, hatte an diesem Abend den Chef der Luftwaffe, Antonakos, und den Sicherheitsminister des Kabinetts Stefanopoulos, Christos Apostolakos, zum Abendessen eingeladen, das sich bis gegen zwei Uhr morgens ausdehnte.

Inzwischen starteten die Obristen um Mitternacht ihren Coup: Die von der NATO für den Notfall eines kommunistischen Putschversuches vorgesehenen Pläne wurden reibungslos verwirklicht. Rollkommandos verhafteten schlagartig alle potentiellen Gegner vom Premier bis zum letzten linksverdächtigen Politiker.

Der König, der die Initiative an sich hätte reißen können, war selbst Opfer des allgemeinen Kommunistengespensterspiels und blieb so lange untätig, bis er völlig isoliert war.

Die unmittelbare Wirkung war eine totale Lähmung aller Fronten: daß eine Gruppe an die Macht kam, mit der weder die Rechte noch die Linke gerechnet hatte, stürzte alle noch aktionsfähigen Kräfte in Verwirrung. Aber soviel war bald klar: der Putsch hatte den Segen der USA und war aller Wahrscheinlichkeit nach mit ihrem Einverständnis durchgeführt worden.

Während sich nun in Griechenland die politisch absurde Diktatur der Söldner-Condottieri etablierte, dürften die USA aus den fortgesetzt guten Beziehungen der Junta zu der Sowjetunion und den Ostblockstaaten wohl mit Schrecken erkannt haben, daß das Gespenst eines neutralistischen oder „nasseristischen“ Griechenland in den Bereich der Möglichkeit gerückt war.

Die Ablehnung des Regimes in allen politischen Lagern mochte anderseits die Befürchtung erwecken, daß die Ablösung der Obristen und das nachfolgende politische Vakuum ebenfalls die Gefahr einer Neutralisierung oder gar des Hineinschlitterns in das östliche Bündnissystem hervorrufen könnte.

Im Gegensatz zu anderen Formen des Faschismus fehlt der Junta sowohl eine ideologische Grundlage als auch ein allgemein anerkannter Führer.

Die ideologische Untermauerung beschränkte sich während der ersten Monate auf das armselige Schlagwort: „Ochi ston kommunismon!“ (Nein dem Kommunismus!).

Erst im Dezember 1967 kam man auf den zündenden Einfall, ein „Hellas der Christlichen Hellenen“ zu erfinden.

Den Mangel einer Ideologie können auch die vielen Versuche, einen griechischen Nationalismus zu erwecken, nicht verbergen. Als Propagandamaterial dient der Junta vom Alexanderreich bis zu den Partisanenkämpfen gegen die deutschen Okkupanten alles, was die griechische Geschichte zu bieten hat, wobei die wichtigste Voraussetzung für eine solche Propaganda fehlt: die europäische Form eines Nationalbewußtseins. Nationalistische Begeisterungsstürme nach Art des Dritten Reiches sind in Griechenland undenkbar.

Einen abenteuerlichen Versuch, sich diese ideologische Grundlage aus dem alten Byzanz auszuleihen, kann man wohl in der Kirchenpolitik der Junta entdecken. Die ersten Schritte in dieser Richtung dürften allein aus innenpolitischen Gründen erfolgt sein: die Absetzung des alten Erzbischofs Chrysostomos von Athen, von dem man kaum erwarten konnte, daß er das Juntakabinett vereidigen würde, die Ernennung des ehemaligen Hofkaplans Hieronymos Kotsonis durch eine Rumpfsynode.

Erst nach dem mißlungenen Königsputsch, nachdem sich Erzbischof Hieronymos der Junta voll zur Verfügung gestellt hatte, begann das Regime die Struktur der griechischen Kirche systematisch zu verändern. Im Frühjahr 1968 wurde der gesamte Klerus in staatliche Besoldung genommen, mißliebige Bischöfe, die sich gegen dieses Gesetz oder allgemein gegen die Junta gewandt hatten, wurden abgesetzt.

Im Herbst 1968 kündigte Premierminister Papadopoulos die Erfüllung des von den siegreichen Freiheitskämpfern 1827 abgelegten Gelübdes an: eine Erlöserkirche zu bauen. Diese Votivkirche soll nach dem Muster der Hagia Sophia errichtet werden.

Im Februar 1969 tat man einen weiteren Schritt: die unabhängige Mönchsrepublik Athos wurde staatsrechtlich Griechenland angegliedert. Damit rührte man an ein kirchliches Recht, das nicht einmal die Sultane angetastet hatten.

Gleichzeitig stellte man einige epirotische und makedonische Gemeinden, die unter der Jurisdiktion des Patriarchen von Konstantinopel standen, unter die Oberhoheit des Erzbischofs von Athen. Patriarch Athenagoras protestierte und brach die Beziehungen zu Athen ab.

Leider ging die Weltöffentlichkeit über diese Aktion bald zur Tagesordnung über, ohne zu erkennen, daß es sich dabei um den wohlüberlegten Schritt handelt, das Zentrum der Orthodoxie nach Athen zu verlegen, den Erzbischof von Athen zum ökumenischen Patriarchen zu machen und so das Regime als ein neues Byzanz zu befestigen.

Das Fehlen sowohl einer Ideologie als auch einer Führerpersönlichkeit sind die Grundsymptome des griechischen Militärfaschismus; alle ihre einzelnen Züge lassen sich darauf zurückführen. Darum gibt es bis heute noch kein Regierungsprogramm, das über negative Ansätze hinausginge: Wütende Kritik an den Mängeln des Parlamentarismus und seines Verwaltungsapparates sollte die vereinfachte Regierungsform im Verordnungsweg rechtfertigen.

Touristen und reisende politische Freunde des Regimes, deren Fassungsvermögen den Blickwinkel eines Touristen nicht übersteigt, loben die spürbare Verringerung bürokratischer Komplikationen in der Verwaltung, übersehen dabei aber, daß dieses oberflächliche Plus nur um den Preis der absoluten Willkürherrschaft zu erreichen war.

Dem Staatsbürger ist praktisch jeder Rechtsschutz genommen, mit der Bürokratie wurden auch die Sicherungen des Rechtsstaates abgeschafft und das illusorische direkte Beschwerderecht eingeführt. Denn Deportierte oder aus politischen Gründen Entlassene können sich wohl kaum beschweren.

Dasselbe gilt auch für die vielgerühmte Abschaffung der Bestechlichkeit: Die — im Ausmaß der Pauschalbeschuldigungen der Junta kaum glaubhafte — Korruption hat sich auf den engen Kreis der Machthaber konzentriert und feiert in der Protektion der Offiziere, der Besoldung eines Spitzelnetzes, das jährlich dreimal soviel kostet als früher das „korrupte Parlament“, und in völlig ungerechtfertigten Zwangseinhebungen — wie bei der Sammlung für die Erlöserkirche — fröhliche Urständ.

Der schlimmste Ausdruck des Militärfaschismus der Junta, die keine Gelegenheit versäumt, stolz auf den unblutigen Verlauf des Putsches hinzuweisen, ist die Bestialität, mit der politische Häftlinge, vorwiegend Kommunisten, behandelt werden. Den Berichten der Amnesty International und der Menschenrechtskommission des Europarates sowie zahlreichen aus den Gefängnissen geschmuggelten Briefen zufolge spotten die Zustände auf den Konzentrationslagerinseln Gyaros und Ghioura, in den Gefängnissen auf Leros, Kreta sowie in der Umgebung von Athen jeder Beschreibung.

Die noch immer aus Rache für die Grausamkeiten der kommunistischen Guerillas im Bürgerkrieg durchgeführten Folterungen von kommunistischen oder auch nur linksverdächtigen Arbeitern, Kleingewerbetreibenden, Studenten, ja sogar Bauern, sind von einer Grausamkeit gekennzeichnet, die das türkische Erbe der Griechen ist. Das Raffinement dieser Torturen übertrifft noch die Methoden der Gestapo.

Die kümmerlichen nationalistisch-sozialistischen Splitterideen, die die Obristen von ihren Ideologen (in erster Linie wohl vom Chefredakteur der Regierungszeitung „Eleftheros Kosmos“, dem kommunistischen Renegaten Konstantopoulos) beziehen, können über den Mangel auch nur der Spuren eines Konzeptes nicht hinwegtäuschen. Auf dem wirtschaftlichen Sektor zeigt sich dies im zunehmenden Einfiuß des um jeden Preis in das Land gepumpten ausländischen Kapitals.

Der Konzeptlosigkeit entspricht auch die innere Zerrissenheit der Junta: eine extremistische Gruppe unter der Führung des Obersten Ladas steht den Gemäßigten unter Papadopoulos gegenüber. Auf das Spiel mit allen Mitteln, das die beiden Gruppen gegeneinander führen, dürften manche der für Außenstehende oft absurd erscheinenden Ereignisse seit dem 21. April 1967 zurückzuführen sein.

Die düpierten Verbündeten, vor allem die USA, die zu Beginn beruhigt die Beseitigung der kommunistischen Gefahr zur Kenntnis genommen haben mochten, stehen vor einem Phänomen, für das ihre politischen Spielregeln nicht mehr ausreichen.

Die ohnmächtigen Versuche des Europarates, die halben Gesten der USA zeigen zur Genüge die allgemeine Ratlosigkeit gegenüber den Söldner-Condottieri. Die Mischung von blutigem Ernst und Schmierenkomödie übersteigt die Fassungskraft einer Politik, in der zwar die Lüge ihren festen Platz hat und Interessen mit Idealen verschweißt erscheinen, jedoch geordnet von den ritualisierten Spielregeln einer traditionsreichen Diplomatie.

Seit Mitte 1969 ist die Berichterstattung über Griechenland in den führenden europäischen Blättern merkwürdig sporadisch geworden. Die Entrüstung ist allmählich der Ratlosigkeit gewichen.

Die griechischen Exilpolitiker versuchen das öffentliche Interesse wachzuhalten. In letzter Zeit scheinen die Kontakte zwischen diesen Politikern und der NATO sowie der US-Regierung intensiviert worden zu sein, vermutlich um einen gemeinsamen Weg zu finden, wie man die Junta loswerden könnte. Das Tauziehen ist zäh: die verschiedenen gegnerischen Parteien, Andreas Papandreou, Konstantin Karamanlis, die kommunistischen Fraktionen der Exilgriechen (in Paris gibt es fünf) und König Konstantin, kurzfristig gegen die Junta vereinigt, stehen bereit, einen allfälligen Wechsel sofort für sich auszunützen.

Die USA wollen ihre Raketenbasen behalten, fürchten aber, weder von der Junta noch von den nachdrängenden Politikern die nötigen Garantien zu bekommen.

Eine besondere Schwierigkeit liegt in der weitgehenden Unkenntnis der politischen und sozialen Situation Griechenlands: sie wird im politischen Klischeedenken der USA mit jener der lateinamerikanischen Länder in einen Topf geworfen. Außerdem besteht die Gefahr, daß die westdeutsche und die US-Industrie alle Hebel in Bewegung setzen, um eine Ablösung der Junta zu verhindern. Wie sich das Schicksal Griechenlands weiterentwickelt, ist ungewiß. Der Austritt aus dem Europarat versteifte die Fronten. Letztlich liegt es an der Haltung der USA, ob die Junta bleibt oder abgelöst wird.

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