MOZ, Nummer 56
Oktober
1990

Grußwort an die PDS

Am 15. September 1990 hielt die Linke Liste/PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) ihren Gründungskongreß in Berlin ab. Im folgenden der leicht gekürzte Redebeitrag von Jutta Ditfurth.

Ich habe das Angebot, mich mit dem Programmentwurf auseinanderzusetzen, gern angenommen. Viele Programmpunkte kommen mir erstens sehr bekannt vor. Zweitens fand ich zwar viele kapitalismuskritische Bemerkungen, es fehlt aber eine durchgängige, eindeutige antikapitalistische Position.

In etlichen öffentlichen Äußerungen von PDS-Vertretern finden sich erstaunliche Illusionen und Wunschträume über die SPD, als sei sie Teil der gesellschaftlichen Opposition. Realistischer ist doch wohl, daß die SPD eine Kapitalpartei mit marginalisierter Sozialfraktion geworden ist.

Im Programm finden sich, dazu passend, Fehleinschätzungen der bundesrepublikanischen Wirklichkeit. Es gibt keinen „sozialstaatlichen Kompromiß“, an den eine Linke Liste/PDS anknüpfen könnte. Eine Linke Liste, die die Ideologie von der Sozialpartnerschaft neu auflegt, wäre keine Linke Liste. Kapital und Arbeit sind im Kapitalismus nicht zu versöhnen, und der dringende Wunsch, das so sehen zu können, treibt perspektivisch nach rechts. Der „sozialstaatliche Kompromiß" heißt in der BRD 3-5 Millionen Arbeitslose, viele Menschen in Psychiatrien, Altersheimen, Obdachlosenasylen, Isolation und Einsamkeit. Die Stärke einer linken Partei liegt auch in ihrer polarisierten Gegnerschaft zu Kapitalparteien und ihrer souveränen und bewußten Staatsfeindlichkeit. Die Hoffnung, linke Politik harmonisch und nicht polarisiert betreiben zu können, ist gefährlich falsch. Sozialistische Positionen stehen in antagonistischem Widerspruch zu den herrschenden Verhältnissen.

Einige PDS-Vertreter haben das Loblied der „Modernität“ und des „hohen technischen Niveaus“ des Kapitalismus gesungen. „Modem“ heißt gar nichts außer „neu“, und das „hohe technische Niveau“, was immer das sein mag, baut auf hemmungsloser Plünderung der ökologischen und menschlichen Ressourcen in der sogenannten „Dritten Welt“ auf und hinterläßt seine Opfer auch in der reichen Bundesrepublik. Die Illusion, man könne Technik und Wissenschaft aus den konkreten kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen herausschneiden, war immer der SED, der KPdSU und der SPD gemein. Es gibt keine wertfreie Technologie. Eine für den Zweck der Profitmaximierung entwickelte Technologie sperrt sich gegen ihre humane und ökologische Umformung. Ich wünsche mir als Radikalökologin, daß die Linke Liste/ PDS ihr Verhältnis zu Technik, Wissenschaft und Natur aus einer anderen Tradition herleitet.

Marx und Engels entwickelten, vom Sozialdemokratismus wie vom Marxismus-Leninismus und vom Stalinismus zertretene ökologische Ansätze. Nur ein einziges Beispiel:

„... und jeder Fortschritt ist ... zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit... Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“

Der Programmteil Ökologie zeigt insgesamt keine Spur von sozialistischer ökologischer Utopie, und es ist, als ob all die linken ökologischen Erkenntnisse der letzten 15 Jahre auf dem Mond gewonnen worden wären.
Linke ökologische Politik muß Fortschrittsgläubigkeit als Aberglauben ablegen und akzeptieren, daß es in der Entwicklung von Technologie und Wissenschaft einen Punkt gibt, an dem Produktivkräfte in Destruktivkräfte umschlagen können.

Obwohl die „IG Farben“-Nachfolgefirmen „Bayer“, „Hoechst“ und „BASF“ in der DDR nach frischem Land lechzen, findet sich z.B. keine klare Position zur Auseinandersetzung mit dieser Kapitalfraktion und zur notwendigen radikalen Umgestaltung der chemischen Produktion im Ökologieprogramm.

Die Ablehnung oder auch nur eine kritische Position zur Gen- und Reproduktionstechnik fehlt vollständig. Falsche Hoffnungen in eine neue technische Entwicklung? ... Die Zeit ist vorbei, wo Linke behaupten oder auch nur den Glauben zulassen dürfen, die hemmungslose Freisetzung der Produktivkräfte, die vollständige Unterwerfung der Natur, brächte den menschlichen Fortschritt.

Die Ursachen von Naturvernichtung und sozialem Elend sind dieselben, und ohne Lösung der sozialen Probleme gibt es keine Rettung der Natur. Wer die Natur retten will, muß die Menschen, die unverschuldet und für das eigene Überleben die Natur plündern, wie in der Sahelzone oder im tropischen Regenwald, in die soziale Lage versetzen, überhaupt zwischen Alternativen des Überlebens entscheiden zu können. Die Forderung nach Schuldenstreichung ist richtig, aber es genügt nicht, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung zu fordern. Etwas klarer wäre, wenn da stünde, daß der Austausch zwischen den Ländern der Erde auf gleichberechtigter Basis stattfindet, und das geht nur mit der radikalen Umwälzung des kapitalistischen Weltmarktes, die ihren Anfang in den kapitalistischen Metropolen findet. An der Forderung, daß Wirtschaften auf Basis von Profitmaximierung bekämpft und abgeschafft werden muß, kommt kein linkes Programm vorbei.

Der imperiale Siegeszug würde komplett, wenn wir uns nicht — über viele Genzen, Erfahrungen und Vorbehalte hinweg — verbünden. Wer sich durch das berechtigte Scheitern stalinistischer Kommandowirtschaft jede befreiende sozialistische, antipatriarchale, radikalökologische Utopie aus dem Kopf rauben läßt, hat schon verloren. Der zentrale Ansatzpunkt ist der Aufbau eine ausserparlamentarischen linken, vielfältigen Gegenmacht, die im Parlament verstärkt werden kann. Die Linke Liste/PDS kann und soll Teil dieser Opposition sein, aber sie ist nicht ihr Zentrum. Das Projekt Radikale Linke, der Aufbau eines linken Diskussions- und Aktionszusammenhangs über alte Gräben hinweg, könnte ein weiterer wichtiger Baustein sein.

Ich wünsche mir, daß neben den Grünen im kommenden „Reichstag" auch die Linke Liste/PDS vertreten sein wird. Nicht nur als Antwort auf die Wahlrechtsmanipulation, die 15% der Menschen in der DDR aus dem künftigen Parlament ausschließen sollen. Gemeinsame Opposition gegen den deutschen Größenwahn ist angesagt. Dieses Großdeutschland hat uns wahrhaftig verdient.

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