FORVM, No. 198/II/199
Juli
1970

Gschnas = Design?

Versuch einer Begriffsentwirrung

Meine gefühlsmäßige Skepsis gegenüber dem Begriff „Design“ hat sich in den letzten Wochen noch vergrößert. Zunächst bin ich darauf gekommen, daß „Design“ im Englischen gar kein Begriff, sondern ein höchst unzuverlässiges, kontaktfreudiges Wort ist, das in jeder neuen Ehe etwas anderes bedeutet. Im Deutschen ist das natürlich etwas anderes. Man hat hier etwas Begriffsähnliches gebastelt, und ich habe den Eindruck, es handelt sich dabei um eine Summe von Vorurteilen, die langsam zur Instanz erhärten.

Ich möchte mit einer kurzen Geschichte beginnen, die vor rund siebzig Jahren von dem Pionier, Traditionalisten, Reformer, Secessionsfeind und Kitschsammler Adolf Loos stammt. Sie stand in der Zeitschrift „DAS ANDERE. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“, die Loos herausbrachte und die nur zweimal erschien. Ich glaube, diese Geschichte ist immer noch aktuell, wenn auch inzwischen der Funktionalismus einige Male überwunden wurde und, zugegeben, die Probleme heute mit einem viel differenzierteren Begriffsapparat behandelt, wenn auch genausowenig gelöst werden.

Der sattlermeister

Es war einmal ein sattlermeister. Ein tüchtiger, guter meister. Der machte sättel, die so geformt waren, daß sie mit sätteln früherer jahrhunderte nichts gemein hatten. Auch nicht mit türkischen oder japanischen. Also moderne sättel. Er aber wußte das nicht. Er wußte nur, daß er sättel machte. So gut, wie er konnte.

Da kam in die stadt eine merkwürdige bewegung. Man nannte sie secession. Die verlangte, daß man nur moderne gebrauchsgegenstände erzeuge.

Als der sattlermeister das hörte, nahm er einen seiner besten sättel und ging damit zu einem der führer der secession.

Und sagte zu ihm: „Herr professor“ — denn das war der mann, da die führer dieser bewegung sofort zu professoren gemacht wurden —, „herr professor! Ich habe von ihren forderungen gehört. Auch ich bin ein moderner mensch. Auch ich möchte modern arbeiten. Sagen sie mir: ist dieser sattel modern?“

Der professor besah den sattel und hielt dem meister einen langen vortrag, aus dem er immer nur die worte „kunst im handwerk“, „individualität“, „moderne“, „Hermann Bahr“, „Ruskin“, „angewandte kunst“ etc. etc. heraushörte. Das fazit aber war: nein, das ist kein moderner sattel.

Ganz beschämt ging der meister davon. Und dachte nach, arbeitete und dachte wieder. Aber sosehr er sich auch anstrengte, den hohen forderungen des professors nachzukommen, er brachte immer wieder seinen alten sattel heraus. Betrübt ging er wieder zu dem professor. Klagte ihm sein leid. Der professor besah sich die versuche des meisters und sprach: „Lieber meister, sie besitzen eben keine phantasie.“

Ja, das war’s. Die besaß er offenbar nicht. Phantasie? Aber er hatte gar nicht gewußt, daß sie zum sattelerzeugen notwendig sei. Hätte er sie gehabt, so wäre er sicher maler oder bildhauer geworden. Oder dichter oder komponist. Der professor aber sagte: „Kommen sie morgen wieder. Wir sind ja da, um das gewerbe zu fördern und mit neuen Ideen zu befruchten! Ich will sehen, was sich für sie tun läßt.“

Und in seiner klasse schrieb er folgende konkurrenz aus: entwurf für einen sattel. Am nächsten tage kam der sattlermeister wieder. Der professor konnte ihm neunundvierzig entwürfe für sättel vorweisen. Denn er hatte zwar nur vierundvierzig schüler, aber fünf entwürfe hatte er selbst angefertigt. Die sollten in den „Studio“. Denn es steckte stimmung in ihnen. Lange besah sich der meister die zeichnungen, und seine augen wurden heller und heller.

Dann sagte er: „Herr professor! Wenn ich so wenig vom reiten, vom pferde, vom leder und von der arbeit verstehen würde, wie sie, dann hätte ich auch ihre phantasie.“

Und lebt nun glücklich und zufrieden.

Und macht sättel. Moderne? Er weiß es nicht. Sättel.

Wenn man vom polemischen Anteil und von den unversteckten Seitenhieben absieht, führt diese Geschichte in jene Formdiskussion, die einige Jahrzehnte nicht nur verschiedene Werkbünde beherrscht hat. Der Loossche Gegenstand Sattel erscheint in einem konstruierten Gestaltungsdualismus. Auf der einen Seite erhält er seine Form aus einem subjektiven Vorstellungsbereich, aus einer modisch-ästhetischen Distanz (gleich vierundvierzig verschiedene Aussagen und zusätzlich noch fünf von einer Person über einen einzigen Gegenstand!), und im zweiten entsteht der Sattel aus den Determinanten Reiten, Pferd, Leder und Arbeit, das heißt aus Funktion, Material und Herstellung, also aus einem anscheinend rationalen, objektiven Bereich. Die Form wird nicht gegeben, eher gefunden, sie entsteht wie von selbst. Ich brauche hier nicht zu erwähnen, daß in Deutschland später diese Diskussion noch viel gründlicher geführt wurde und daß diese Auseinandersetzung in dem Begriftspaar „Form die Leistungserfüllung“ und „Ausdrucksform“ ihren Höhepunkt fand. Hugo Häring vertieft den Loosschen Gedanken insofern, als er im Dualismus Leistungsform-Ausdrucksform elementare, in der menschlichen Geschichte konstant vorhandene Gestaltungsprinzipien sieht. 1932 hielt Häring auf der Jahresversammlung des österreichischen Werkbundes ein Referat „versuch einer orientierung“, das mit folgenden Worten beginnt:

Außerhalb des ganzen kulturgetues hat sich seit urzeiten, sozusagen mit dem menschengeschlecht zugleich geboren, ein gestaltungsprinzip behauptet, das als eine elementare macht von den menschen nicht erst erfunden, sondern nur erkannt zu werden brauchte; man könnte auch sagen, daß es als eine fortsetzung der gestaltenden macht der natur durch den menschen, ja nicht nur durch den menschen, sondern auch durch die tiere selbst wirksam ist. Es ist das gestaltungsprinzip der bauenden natur selbst, gestalt als organ der lebenserfüllung. Ihm verdanken wir die gestalt der für den lebenskampf als organe gebrauchten, zum organ geschaffenen werkzeuge, geräte, waffen usw. So entstanden die gebilde, die durch eigenschaften ihrer materiellen beschaffenheit sowohl als durch ihre gestalt geeignet sind zu bestimmter leistungserfüllung, schöpfungen des menschen, geworden wie die schöpfungen der natur, nicht um eines ausdrucks willen, sondern einer leistungserfüllung wegen.

Häring überträgt das Begriffspaar Leistungs- und Ausdrucksform auf Bauen und Architektur. Er sieht diese als Gegensätze: während das Bauen Leben ermöglicht, ist die Architektur ein ihm feindliches Prinzip. Zitat:

Mit dem erlöschen der macht der geometrie schwindet aber auch die kraft der architektur, der die geometrie das leben geschenkt hatte, und an ihrer stelle wagt sich allmählich das bauen wieder hervor, das solange von der architektur verdrängt worden war. In der architektur stellt sich die geometrie nur selbst dar und erhebt die gesetzmäßigkeit, die sie selbst schuf, zum ur- und grundgesetz aller formung im raum. Das bauen hingegen steht im dienste eines leistungsauftrages, es geht nicht von formen aus, sondern endet in einer form; es dient nicht der verherrlichung geistiger konstruktionen, sondern der erfüllung des lebens. Architektur und baukunst sind gegensätze.

Später rundet er diese These ab:

Der künstler steht im inneren widerspruch zur form der leistungserfüllung, solange er seine individualität nicht aufgibt, denn es handelt sich bei der arbeit an der form der leistungserfüllung nicht um die verwirklichung der individualität des künstlers, sondern um die verwirklichung der individualität eines gebrauchsgegenstandes.

Häring sieht also die Aufgabe des Menschen im Einklang mit der Natur (wobei auch das definiert werden müßte) zu schaffen, seine Tätigkeit ist eine „Fortsetzung der gestaltenden Macht der Natur“, die daraus resultierende Gestalt ein Organ der Lebenserfüllung. Alles, was sich diesen Gesetzen nicht unterwirft, wie etwa die Geometrie, ist naturwidrig, also böse. Der Künstler, gewissermaßen das Sinnbild dieser menschlichen Freiheit, wird damit in seiner Subjektivität suspekt, wenigstens im Bereich der Formen der reinen Leistungserfüllung.

Dieses Denken, trotz seiner ethischen Integrität und Wirkung, der man sich kaum entziehen kann, ist für uns verhängnisvoll geworden. Durch die Forderung nach einem Entweder-Oder, die Ausschließlichkeit zweier Prinzipien, die nur theoretisch rein existieren, ist eine Spaltung im Denken eingetreten, wurde der Weg zur guten Form gebahnt, wurde der Blick von vielen formbestimmenden Faktoren abgelenkt, was schließlich zu jener verhängnisvollen Entfremdung von der Realität geführt hat, mit der nicht zuletzt auch der Werkbund zu kämpfen hatte und an der er vielleicht sogar, wenigstens in Österreich, eingegangen ist.

Um noch einmal zu der scheinbar so einfachen Geschichte von Adolf Loos zurückzukehren: Der Gewährsmann für Loos ist der Meister, der tüchtige, gute Meister. Seine Sättel waren so geformt, daß sie mit Sätteln früherer Jahrhunderte nichts gemein hatten. Das ist zweifellos ein polemischer Trick, Loos wollte seinen Meister aus der historischen (und damals historisierenden) Bildungswelt heraushalten.

Der Loossche Meister arbeitet in einer keimfreien Welt, er besitzt einen naiven, auf die Natur der Dinge bezogenen Geist. Unheil droht diesem paradiesischen Zustand durch eine „merkwürdige Bewegung“, die Inbegriff des fragwürdigen, arroganten und modischen Zeitgeistes ist. Diese Welt kann diktieren, fordern und fördern, ist institutionalisiert (Professor), gibt Ratschläge, macht Mode, ist intellektuell, bildungsbeladen, wirtschaftsgebunden, sie belastet einen so einfachen Gegenstand wie einen Sattel mit Ruskin, Individualität, Kunst, Handwerk, sie ist also das Spiegelbild jener Kräfte, die auch heute noch (oder noch viel ausschließlicher) das Aussehen von Produkten bestimmen. Loos gelingt die Konfrontation dieser realistischen Welt mit seiner reinen, jungfräulichen, die sich allerdings auf sehr reale Faktoren beruft. Wie sieht es aber tatsächlich mit den Konstanten wie Reiten, Pferd, Leder und Arbeit aus? Werden sie nicht gewaltsam in einem nach außen abgeschlossenen Beziehungsnetz gehalten? Es könnte doch sein, daß auch das Reiten eines Hunnen, eines Samurais, eines Cowboys und eines österreichischen Kavallerieoffiziers durchaus Ausdruck verschiedener Lebensformen und Kulturen sein könnte. Wie sieht es mit der Konstante Pferd bei näherer Analyse aus, von jenen des Materials und der Arbeit gar nicht zu reden?

Der Begriff Leistung ist sogar bei einem Gegenstand, dessen Funktion evident ist, ein sehr dehnbarer Begriff, und bei seiner Produktion ist der Entscheidungs- und Interpretationsspielraum schon relativ groß. Daß aber heute in unserem Lebensraum die meisten Gegenstände und Geräte nicht formal evidente Leistungen vollbringen, macht diesen Begriff praktisch unmöglich.

Es geht hier nicht darum, etwa Loos oder Häring eines auszuwischen oder sie zu widerlegen, als vielmehr die Gründe aufzudecken, die heute immer noch zu Mißverständnissen führen. Sicher gibt es gerade in der technischen Welt Objekte, deren Erscheinung von keinerlei ästhetischen Überlegungen bestimmt zu sein scheint. Ich sage absichtlich scheint, da es mir immer merkwürdig vorkommt, wie zum Beispiel bei Flugzeugen, die also extremen, einseitigen Belastungen ausgesetzt sind und zu den faszinierendsten Leistungsformen gehören, deren Form also durch Naturgesetze determiniert ist, wie gerade bei solchen Objekten eine sogenannte „formale“ Vielfalt entstehen kann. Sicher sind jeweils die Faktoren, die bei einem solchen Typ aufeinander abgestimmt werden müssen, verschieden, trotzem fließen, offensichtlich in einem nicht determinierbaren und kalkulierbaren Bereich Elemente ein, die nicht rational erklärbar sind. Ich meine zum Beispiel die Tatasche, daß bei Raumschiffen, wenn man etwa amerikanische mit russischen vergleicht, formale Unterschiede auftauchen, die Aussagen über die Mentalität ihrer Erbauer machen. Oder man vergleiche auf einem anderen Gebiet etwa italienische mit deutschen Motoren oder englische mit schwedischen. Ich will hier nur illustrieren, daß der Begriff der Leistungsform sogar dort eine Fiktion ist, wo eindeutige Leistungen zu scheinbar eindeutigen formalen Ergebnissen führen. Die Leistungsform ist nur dort relativ eindeutig, wo es sich um einfache mechanische Leistungen handelt, wie etwa bei elementaren Werkzeugen. Es ist auch kein Zufall, daß sich die Verkünder der Leistungsform immer auf diese angeblich ewig gleichbleibenden Gegenstände berufen haben.

Wir dürfen jedoch den Begriff der Leistungsform nicht nur im eigenen, funktionalistischen Licht sehen. Historisch war die Entdeckung der Leistungsform nach dem symbolischen Verschleiß aller historischen Stilformen durch das arrivierte Bürgertum des neunzehnten Jahrhunderts und nach dem mißlungenen Unternehmen im Jugendstil, einen neuen Stil zu finden, ein entscheidender, wenn nicht lebensnotwendiger Schritt zu einem neuen Formbewußtsein.

Daß dies im Gefolge der allgemeinen Sozialisierung geschah und damit ein Wechsel von ästhetischen Kategorien zu ethischen opportun war (wenigstens theoretisch), sollte man heute nicht übersehen. An diesem Begriff ist also weniger seine logische Konstruktion als seine historische Wirkung von Bedeutung.

Das von Loos und Häring angeschnittene Problem existiert natürlich heute noch. Wer könnte behaupten, daß den Dingen nicht immer weniger Gelegenheit gegeben wird, ihre eigene selbstverständliche und unprätentiöse Form zu finden! Die Form wird von immer mehr Interesse belastet, so ist die Ausdehnung des Designs insofern fragwürdig, als es Gebiete okkupiert, wo es von Natur aus nichts zu suchen hat. So wirken heute Bereiche, deren sich der Designer noch nicht bemächtigt hat, wie Oasen der Erholung für das Auge, wie unberührte Landschaften, in denen zwar auch Gesetze zu ihrer Form kommen, aber zu einer absichtslosen Form, die nichts im Schilde führt, sich weder anbietet noch anbiedert, die auch existieren würde, wenn wir sie nicht zu Gesicht bekämen. Eine solche Oase ist zum Beispiel noch (oder irre ich mich?) das große Gebiet der landwirtschaftlichen Maschinen. Die Bauern sind noch so zweckorientiert (wenigstens was ihre Arbeitsgeräte betrifft), daß sie nicht Form, sondern Leistung kaufen.

Design

heißt (nach Cassel) zunächst aufzeichnen, entwerfen, skizzieren, im weiteren Sinne: ersinnen, ausdenken, planen, beabsichtigen, vorhaben, sich vornehmen, bestimmen. Als Substantiv heißt es zunächst Vorhaben, Absicht, Plan, Anschlag und Endzweck; aber auch Projekt, Anordnung, Anlage, Einteilung, Ausführung, Konstruktion, Bau, Zeichnung, Entwurf, Abriß und Muster. Der Designer ist ein Zeichner (Musterzeichner), Erfinder und Konstrukteur. Im übertragenen Sinne aber auch ein Projektemacher, Ränkeschmied und Intrigant.

Soweit Cassel.

Für uns heißt das nichts anderes, als daß das Wort „Design“ praktisch in jeder Verbindung mit einer planerischen, konzeptionellen Tätigkeit aufscheinen kann. Im Englischen hat das Wort also überhaupt keine Tendenz, es ist von keiner Hypothek belastet.

Wie sieht es aber bei uns aus? Darf ich zuerst die schlimmste Assoziationskette erwähnen, wie sie etwa in Wien nicht selten mit dem Begriff Design auftaucht? Design = Produktform, Produktform = Kunstgewerbe, Kunstgewerbe = Gschnas.

Eines steht zunächst fest: Das Wort Design wird bei uns nicht als Verb gebraucht, sondern als Substantiv. Das heißt, es wird damit das Ergebnis eines Entwurfes oder gleich ein Produkt bezeichnet, das von einem eigens dafür ausgebildeten Designer entworfen wurde. Die Abgrenzung ist hier teilweise ziemlich präzise, so würde man zum Beispiel einen Graphiker, der Plakate entwirft oder Bücher gestaltet, kaum als Designer bezeichnen. Schon gar nicht einen Architekten, der Häuser oder Fabriken baut, oder einen Planer, der Stadt- oder Fabriken baut, oder einen Planer, der Stadt- oder Regionalplanung macht. Im Deutschen hat also dieser universelle Begriff eine Lokalisierung erfahren für eine Gruppe von Planern, für die man ohnehin nicht gerade befriedigende Ausdrücke wie Produktformer oder Industriegestalter hat.

Wird aber im Englischen der Begriff Designer als Oberbegriff verwendet oder hat er nicht auch eine unserer Verwendung verwandte Bedeutung? Werden in einem Design-Center nicht doch in erster Linie Industrieprodukte ausgestellt?

Da es sich bei dem Gebrauch (wenn wir einmal das kunstgewerbliche Moment ausschließen) von den verschiedenen Verbindungen mit Design eigentlich nur um Spezifizierungen in einem wertfreien Raum handelt, gilt es hier nicht viel zu entwirren. Ein emotionelles Problem entsteht nur, wenn das im deutschen Sprachraum lokalisierte Design wie im Englischen, aber ohne seine genauere Spezifikation (etwa urban design, industrial design) auf alle planerischen und entwerfenden Tätigkeiten ausgedehnt werden soll. Hier werden die Ohren — vor allem jene der Architekten — spitz, wenn sie hören: „Design umfaßt alle Tätigkeiten, die auf unsere gesamte Umwelt gerichtet sind: Formgebung von Gebrauchsgegenständen und Investitionsgütern, Entwicklung und Gestaltung von Wohn-, Freizeit-, Lern-, Arbeits- und Sozialräumen, Planung, Erweiterung und Erneuerung von Städten, Neuordnung regionaler und überregionaler Strukturen.“

Hier wird offensichtlich der eingefleischte Begriff vom Designer weit überfordert. So einleuchtend also die wertfreie Ausdehnung des Begriffes in seiner englischen Verwandtschaft wäre, so sinnlos scheint plötzlich dieses Vorhaben im Deutschen. Hier gerät zweifellos die Sprache mit der Wirklichkeit in Konflikt, was im Sprachlichen korrekt erscheint, ist in der Realität der verschiedenen Planertätigkeiten absurd. Konkret ist kein Designer imstande, dessen Ausbildung schon die eines Spezialisten ist (und das scheint noch immer größere Formen anzunehmen), die Qualität für eine Planertätigkeit bis hinein in den Städtebau mitzubringen. Noch dazu, wenn man bedenkt, daß sich die Entwurfsleistungen immer mehr in Teamarbeit auflösen und zu sehr komplizierten Abläufen werden. Es ist sogar eine Frage, ob innerhalb eines Institutes, wie eben ein Design-Center es sein kann, der ganze Umweltfragenkomplex behandelt, zufriedenstellend und nutzbringend behandelt werden kann, wenn ein solches Zentrum mehr sein wollte als ein Forum, das zur Aufhellung dieser Probleme dient.

Styling

Diesem Begriff möchte ich zwei Aussagen gegenüberstellen, die von anerkannten Theoretikern stammen. Zunächst Gillo Dorfles, aus seinem Buch „Der Kitsch“:

Das Phänomen Styling trifft natürlich jedes industrielle Produkt und findet statt, wenn ein Objekt nur aus Gründen des Absatzes mit größerem dekorativem und optisch auffälligem Effekt neu gezeichnet wird; das heißt, wenn das Objekt einer besonderen ‚Kosmetik‘ unterzogen wird, die seine Linie, seine Aerodynamik betont, ohne daß dieser ‚kosmetischen‘ Operation irgendein echt funktioneller Sinn zugrunde liegt. Im Falle einiger amerikanischer Automodelle, die mit besonders auffälligen Details, Chromverzierungen, glänzenden Teilen überladen sind, stehen wir vor einem typischen Kitschphänomen. Aber wo beginnt und wo endet es in diesem Fall?

Dagegen der Chronist des „New Brutalism“, Reyner Bahnham:

Der Anblick eines solchen Gegenstandes (Cadillac) konnte damals aus mehr als einem Grunde erregend wirken. Er war, wie gesagt, das zuverlässige Zeugnis einer ‚anderen Welt‘, er war aber auch ein Affront gegen den ‚guten Geschmack‘ und die anerkannt fortschrittliche Gesinnung ...; seit der Zeit von Siegfried Giedions ‚Mechanization takes Command‘ oder noch früher wurde die Formgebung der amerikanischen Industrieprodukte als besonders ‚schlechter Design‘ angesehen, so daß sie öffentlich zu bewundern einer antikonformistischen oder ‚Zornigen jungen Männer‘-Haltung gleichkam. Diejenigen jedoch, deren Urteil nicht durch die Politik des kalten Krieges (oder der Politik der Modernen Architektur) bestimmt wurde, konnten den Cadillac oder den Plymouth aus unpolemischen Gründen bewundern. Im Gegensatz zur europäischen Architektur schien die Formgebung der amerikanischen Wagen einen unerschöpflichen Vorrat neuer Formen und Symbole für Schnelligkeit und Kraft erschlossen zu haben. Die absolut ästhetische Erfindungsgabe, die von den Designern in Detroit Mitte der fünfziger Jahre entfaltet wurde, stellte einen fortwährenden Vorwurf gegen die schwankenden Vorstellungen der europäischen Architekten und der von ihnen geschätzten Formgestalter in der Industrie dar. Aber in noch größerem Gegensatz zu den englischen Designern und besonders zu den Architekten entwickelten die amerikanischen Gestalter eine verblüffende Beherrschung des Details, der Verbindungen und Anschlüsse, der dreidimensionalen Koordinierung verschiedener Materialien und Geschicklichkeit in der Einfügung von Zubehör und Teilen in den gesamten Entwurf — anstatt sie, wie bei englischen Wagen und Bauten, als nachträgliche Einfälle anzukleben.

Während Dorfles die orthodoxe funktionalistische Position nicht verläßt und gewissermaßen vom Thron des guten Geschmacks aus sein Urteil spricht, kann sich Banham sogar als Chronist noch eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen, um dem abgewirtschafteten Funktionalismus eines auszuwischen. Während im fixen ästhetischen Weltbild von Dorfles das Phänomen Styling einen ebenso unverrückbaren Platz einnimmt, wird das gleiche Phänomen bei Banham zum Symbol einer Veränderung. Seine Bewunderung bleibt oberflächlich mit dem Wissen, daß seine bewunderten Objekte etwas anderes bewirken, als ihnen (von Amerika aus) eigentlich zugedacht ist. Damit kommen wir zu einem weiteren Phänomen, das wir uns noch etwas genauer beim Thema Kitsch ansehen werden, nämlich das Verhalten gegenüber einer Form, als eine Möglichkeit des Bewußtseins.

Soviel können wir jedoch den Zitaten entnehmen, daß Styling ein Bereich innerhalb des Design ist, daß es genaugenommen in jedem Entwurfsvorgang enthalten ist, wo Form als selbständiges oder teilunabhängiges Element auftritt und sich auf bereits vorhandene Muster bezieht. Design ist also nicht Styling, wenn es sich um die Verwirklichung nichtästhetischer (oder nicht bewußt, kalkuliert ästhetischer) Formen dreht oder um die Erfindung ästhetischer. Jede Wiederholung einer Form ohne Formzwang oder jede assoziative Bezugnahme auf bekannte Muster ist also Styling.

Wenn diese Feststellung stimmen sollte, dann ist das Wiener Vorurteil gegen das allgemeine, marktbeherrschende Design kein Vorurteil, sondern eine richtige Einschätzung dieses Entwurfsbereiches.

Ich möchte zuerst behaupten, daß dieses Phänomen in der Architektur eine liebevollere theoretische Behandlung verdiente, als es ihm unser Gewährsmann Gillo Dorfles angedeihen ließ. „Der Kitsch in der Architektur“, sagt er, „zeigt zwei grundlegende Aspekte: Wiederholung und Neugestaltung vergangener Stile — wie in vielen ‚revivals‘ des vergangenen Jahrhunderts — oder Neugestaltung und Verfälschung neuerer ‚Stileme‘ (der falsche Le Corbusier, der falsche Wright, der falsche Aalto): beides Aspekte, die zu verurteilen sind und die man mit gutem Recht als Beispiele echten Kitsches hinstellen kann.“

Ist es wirklich so einfach? Wie wäre es zum Beispiel mit der Frage nach der Leistung des Kitsches? Seine Funktion im religiösen, sexuellen oder politischen Bereich wird langsam (zwangsläufig) anerkannt, als eine „Sublimierung im Unechten“ (Kellerer). Selbstverständlich ist es eine Frage, wenn ganze Generationen, wie etwa die bürgerliche der Gründerzeit, durch ein Repetieren aller Stilformen eine solche „Sublimierung im Unechten“ vornimmt. Hier sind offensichtlich künstlerische Kriterien falsch am Platz. Vielleicht sollten wir heute, angesichts einer ungeheuren Kitschproduktion (auch auf dem Sektor der Gebrauchswaren), darüber nachdenken, warum die Sublimierung im Echten so vielen nicht möglich ist. Vielleicht ist auch ein wenig die ästhetische Intoleranz, die beängstigende Enge und Verkrampftheit der sogenannten „guten Form“ schuld. Vielleicht widersprachen die Dogmen eines ethischen Funktionalismus elementaren Funktionen des Lebens. Seitdem wir wissen, daß Kitsch weniger an Gegenstände gebunden als von einem Kitschverhalten abhängig ist und man auch Kunstwerke durch die Art des Gebrauches verkitschen kann (oder Landschaften und Städte, wie es der Tourismus tut), und umgekehrt, man auch mit Kitschgegenständen Kunst machen kann, also alles ausschließlich vom Bewußtseinsgrad der Betrachtung abhängig ist, seitdem müßten in der Bewertung und Erkennung dieses Phänomens humanere, das heißt einsichtsvollere Maßstäbe angewandt werden.

Wir kommen jetzt langsam von der Form weg, das heißt, wir gewinnen Distanz, sie erscheint in anderen Zusammenhängen, wir kommen auch langsam zum Konsumenten, wir kommen dorthin, wo sich Form unmittelbar in Geld umsetzt, so sie ein Werbe- und Konsumgut ist, wo sie Wirtschaft treibt, Gewinn bringt und Brot gibt.

Informationsfunktion der Form

Im Herbst vorigen Jahres hat in Stuttgart, anläßlich einer Ausstellung „Schwedische Forum 69“ ein Symposium über „Design und Markt“ stattgefunden. An diesem Symposium hielt Theodor Ellinger einen ausgezeichneten Vortrag (veröffentlicht im werk 4/1970), der mir Respekt und Gruseln gleichzeitig beigebracht hat.

Zunächst drei kurze Zitate:

Das Produkt als Ergebnis aller technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Maßnahmen zur betrieblichen Leistungserstellung repräsentiert das Unternehmen am Markt. Das unternehmerische Ziel, beim Verkauf des Produktes einen möglichst hohen Erlös beziehungsweise Gewinn zu erzielen, wird dann erreicht, wenn die angebotenen Erzeugnisse den spezifischen Bedürfnissen der Nachfragenden entsprechen. Bei einer nach wachsendem Wohlstand strebenden Industriegesellschaft verlieren die Primärbedürfnisse (Sich-Nähren, Kleiden und Wohnen) zugunsten sozialmotivierter Sekundärbedürfnisse an Gewicht; unter letztere fallen unter anderem das Prestigemotiv, der Drang nach sozialer Anerkennung.

An anderer Stelle:

Als Ergebnis einer psychologisch fundierten Marktprognose erhält man den idealen Umriß eines werbekräftigen Erzeugnisses, das sämtliche Kaufmotive als evidente Kaufmotive widerspiegelt, aber alle kaufhinderlichen Informationen verbirgt.

Zuletzt:

Die Abstimmung der Produktinformation als Wirkungslinien des Erzeugnissess zum potentiellen Käufer ist Aufgabe des Design.

Ich darf die wichtigsten Begriffe des Artikels aufzählen: Nachfragebeeinflussung, Produktstrategie, Surrogatinformation, Produktinformation (vom Produkt ausstrahlende Information), Informationspotential, Produktsprache, Entscheidungshilfen, dynamischer Kreislauf Markt—Produkt, Latenz (Anteil der vorübergehenden oder dauernden Nichtausschaltung einer Produktinformation), Ermessungsspielraum (bestimmte Teile und Eigenschaften eines zusammengesetzten Erzeugnisses mehr oder weniger durchdringen zu lassen oder zu verhüllen), Evidenz (wahrnehmbarer Anteil der Produktinformation).

Wir haben uns jetzt wohl am weitesten von der keuschen Leistungsform eines Loos oder Häring entfernt, wir sind dort, wo sich die Form vom Gegenstand völlig gelöst hat oder imstande ist, sich völlig zu lösen, wo sie als Vermittler bestimmter kommerzieller Interessen auftritt, als manipulierbarer Informationsträger, der dem Gegenstand nur insofern dient, als er den Weg von der Produktionsstätte über den Handel zum Verbraucher ermöglicht oder beschleunigt. Von diesem Punkt aus noch vom Design oder Styling etwas zu erwarten, etwa Impulse für eine Humanisierung unseres Lebensraumes, ist sinnlos.

Unsere Umwelt beherrschen Probleme, deren Lösung nur zu einem kleinen Teil auch visuell evident wird. Ich glaube, wenn heute die einen sagen, alles ist Architektur, und die in einer anderen Ecke, alles ist Design, daß hier vielleicht die Tatsache kompensiert wird, daß in den entscheidenden Fragen, die über Leben und Tod, über Hunger, Krankheit, Verpestung der Luft und Verseuchung des Wassers und so weiter, der Architekt, der Designer, nichts zu sagen hat. Sicher sind diese Berufe oder Tätigkeiten historisch belastet, was sich im Verhältnis Bauherr—Architekt durch alle Zeiten leicht belegen läßt. Der Entwerfer ist heute immer noch der Behübscher von gesellschaftlichen Zuständen, Machtverhältnissen und Interessen ...

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