FORVM, No. 487-492
Dezember
1994

Günther Anders’ »Mariechen«

oder: Wie man auf dem Kissen philosophiert

1.

Sich mit Günther Anders auseinanderzusetzen, ist so gefahrlos nicht, und das in einem ganz körperlichen Sinne, denn er sagt von sich: »Wenn Kunst-, Musik- oder Literaturwissenschaftler philosophische Floskeln in den Mund nehmen, ziehe ich den Revolver.« [1] Abgesehen einmal davon, daß diese Redewendung — und sollte sie noch so metaphorisch sein — gerade aus seinem Munde befremdet, markiert sie doch deutlich das Unbehagen der Disziplin gegenüber, der ich mich verpflichtet fühle. Ich will daher, um Untiefen zu meiden, mich der Philosophie enthalten und Anders auf dem Terrain begegnen, auf dem er sich auch umgetan hat, und werde sehr wohl nicht umhinkönnen, die Floskeln des Literaturwissenschaftlers zu benützen. Auf denn!

Während du die Kissen feststopfst —
gibts die Welt: In alle Sphären
ausgerollt, und in unendlich
viele Dinge aufgespalten,
die, von unsrem Dasein niemals
Kenntnis nehmend, und einander
unbekannt, ein jedes seine
Frist zu absolvieren haben. [2]

Mit diesen Worten setzt eine seltsame, ja befremdliche, erstaunliche, gewagte und in ihrer Form perfekte Dichtung ein, ein Werk, das in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts sicher als Unikat gelten darf, ein Werk, das, offenkundig nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, vielleicht gerade dadurch für diese reizvoll ist. Ungefragt beginnt da eine männliche Stimme zu dozieren, und sie besorgt dies nicht in der Prosa, die der Alltäglichkeit der Szene angemessen wäre, sondern in vierhebigen Trochäen und hält das einmal gewählte Maß gute fünfhundert Verse durch, ja mehr noch: auch die Anmerkungen zu diesem Gedicht sind in Trochäen gehalten; es scheint, als wäre der Autor der Befähigung zur Prosa verlustig gegangen, als stünde er unter Zwang, denn was er zu sagen hat, führt weit weg von dem Kissen, das sie, die Angeredete, feststopft. Und doch ist plötzlich die ganze Welt in dem kleinen Raum; die häusliche Szene wird zum Tribunal, vor dem sich offenkundig das Universum zu verantworten hat. Denn der Redende fährt, zur Illustration seiner These von der Simultaneität des Kissenstopfens und der in alle Sphären ausgerollten Welt, fort:

So z. B., wenn ich ›jetzt‹ sag,
und um keinen Millimeter
Zeit getrennt von diesem Wörtchen,
ist das Meer.
Fall nicht herunter!
Denn die Küste unsres Bettes
ist sehr steil. Und unten stürmt es
häuserhoch. Ja, rück noch näher. (7)

Und wir ahnen schon: Nun geht es los mit einer Lehre; zwischen den Liebenden scheint sich nicht das zu ereignen, was im Bette zu tun beiden wohlanständig wäre, sondern eine Lektion wird vorbereitet, ein Gegenstand bestimmt, ja es ist fast, als wäre ein Sänger, ein Aoide, am Werk, wenn er fortfährt:

Denn in diesem Augenblicke,
da du deine Kissen fest stopfst,
rudert kalt und schwarz und schäumend
durch den Gischt der Beringstraße
(ungerecht herausgegriffen
aus der Fülle dieser Wesen)
unsre heutige Heroine,
die zwar eben noch wie alle
anonymen Kreaturen
durch die dunklen Vorstadtstraßen
unsrer Welt gelungert hatte —
aber nun ins Schlaglicht unsres
hellren Lebens hergerufen,
rasch den Weg zu unsren Herzen
finden wird als Busenfreundin. (7 f. )

»Unsre heutige Heroine« — das verrät, daß diese Form der Unterhaltung offenkundig nicht etwas Einmaliges ist, sondern sich auch gut und gern allabendlich abspielen kann. Und die Heroine wird benannt, auf daß sie nicht »nackt an Namen« (8) sei: Sie heißt Mariechen, wie die Angeredete und schließlich auch das Buch, in dem diese beiden Wesen die Hauptakteure zu sein scheinen.

Und nun erfährt man auch, daß dieses Mariechen kein Mensch ist, schon gar nichts hat sie gemein mit der »Marzipanfigur« des anwesenden Mariechen, nein, sie ist auch jemand, der kein Bewußtsein hat von sich selbst:

Ach, die Ärmste hat noch niemals
von sich läuten hören. Niemals
-- so befürcht ich — wird Mariechen
sehr viel mehr von sich erfahren ...
bis sie eines kalten Abends
ohne Messe, ohne Kaddisch
auf den schwarzen Beringwellen
treiben wird, ein toter Walfisch —
während du, noch ganz wie heute
deine Kissen feststopfst, oder
warm und liebend und gemütlich
(wie ein Löffel in den andren)
in den Deinen eingelöffelt, wartest,
daß die obligate
Nachtgeschichte dir erzählt wird. — (8)

Mariechen — das eine Mariechen ist ein Mensch, das andre ein Walfisch. Das Diminutiv, das mich zwingt, beide offenkundig weiblichen Wesen zu neutralisieren, ist verräterisch. Das eine Mariechen hat besagte »Marzipanfigur«, ist also zum Fressen süß, das andre ist ein Wal, ein Walfisch. Und auch hier ist die Technik, in der uns der Redende mit der Heroine dieser Gutenachtgeschichte vertraut macht, doch nicht minder erstaunlich: denn bis wir wissen, was das Wesen ist, von dem nun die Rede sein soll, braucht es geschlagene 32 Verse. Der Leser und auch das zuhörende Mariechen werden durch die Rhetorik des Dozierenden unsicher gemacht; ja das unbekannte Wesen, die »anonyme Kreatur« — sie »rudert« durch die Beringstraße, ja, ehe man erfährt, was sie wirklich ist, erhält sie sogar noch einen Namen, und dann ist schon von ihrem aller Voraussicht nach unrühmlichen Ende die Rede: Und da erst wird es offenbar, daß es sich um einen Walfisch handelt — ein toter Walfisch, heißt es. Das heißt nun, daß die für die Gutenachtgeschichte konstruierte Heldin von ihrem Ende her gedacht wird; ein Vorgriff, ein höchst bezeichnender Vorgriff jedoch.

2.

Diese Periphrase des ersten Stückes möge entschuldigt werden: Sie soll hinweisen darauf, daß uns Anders mit dem ersten Stück dieses Textes in eine hochkomplizierte epische Situation versetzt: Wir erwarten eine Geschichte, und aus dem Talon der Natur wird »ungerecht herausgegriffen« ein Wesen, eine Walfischfrau, deren Lebensgeschichte und Lebenspraxis offenkundig der der hier tatsächlich anwesenden Frau konfrontiert werden soll. Klein ist diese Frau, während Mariechen, die Walfischfrau — und da wird die mit dem Diminutiv betriebene Ranküne offenbar — ja zu der Gattung gehört, der die größten je vorhandenen Tiere angehörten. Und damit zeigt sich, daß die Wahl der Walfischfrau als Demonstrationsobjekt doch gar nicht so willkürlich war, daß diese gar nicht so ungerecht herausgegriffen worden war.

Das zweite Stück zeigt uns, fast in der Form eines Hymnus, wie trefflich ausgestattet denn dieses Mariechen ist; ironisch distanziert werden hier die Fähigkeiten des Tieres besungen, die es im Ozean überlebensfähig machen — trivial ausgedrückt: ein Wunder der Natur. Aber dieses Wunder hat einen Defekt, wie wir wissen. Walfische, das weiß jedes Kind, sind keine Fische, aber irgendwie haben sie den Aufstieg in die »höh’re Kosmosklasse« (11) verpaßt: Sie fanden den Anschluß nicht »an die neue, / freundliche und gutgeheizte / Weltenzeit der Trockentiere« (10). Wie dies geschehen — ein Übermittlungsfehler der Natur, böswilliges beamtenhaftes Vorgehen in der Natur, gekränkte Eitelkeit, in jedem Falle wird Mariechen, die Walfischfrau, zum Beweis gegen den Fortschritt, ja ihr Fall zum Gegenbeispiel für eine umfassende Teleologie; hier wäre keine Entwicklung festzustellen, die auf jenes Behagen hinführen könnte, in dem wir jetzund leben. Nicht einmal das Nüsseknacken ist dem Mariechen gewährt, wie dies unter den Säugetieren die Nagetiere machen: Prompt beginnt denn das menschliche Mariechen Nüsse zu knacken, sehr zum Mißbehagen des Erzählers, der sie vor die Alternative: entweder Gutenachtgeschichte oder Nüsseknacken stellt. Das Nüsseknacken geht nun metaphorisch weiter: denn der Redende serviert ein philosophisches Problem nach dem anderen, aber immer wird es in die Privatatmosphäre des Zimmers hereingeholt: Die Theodizee erscheint verkleinert, und bekommt da auf einmal ihre therapeutische Raison, indem Mariechen, die Menschenfrau, aufgefordert wird, sich all die Vorzüge zu versinnlichen, die es dem Mariechen, das eine Walfischfrau ist, voraus hat:

sowas fördert die Verdauung
unsrer Herzen und das, manchmal
fast vergeß’ne, Wohlbehagen. (19)

Und von da weg spüren wir, wie Anders seinen dozierenden Liebhaber zwar beide Erscheinungsformen des Mariechen »philosophiewürdig« sein läßt, wie sehr er aber zugleich jenes Behagen unterstreicht, das die menschliche Form des Daseins gewährt. Das Glück, ja sogar die Identität des einen erwächst aus der Reflexion über das Unglück des anderen:

Und niemals spürst du
süßer, was du bist, als wenn du
traurig nachhängst ihrem Unglück. (19)

Hierin steckt nicht nur eine unerhörte Provokation des Glücks- und Identitätsbegriffs: Einerseits ist es schön, auf der menschlichen Identität und Besonderheit zu beharren, andererseits offenbart sich dies auch als Ergebnis eines problematischen Überlegenheitsgefühls. Der Mensch ist besser als das Tier, in dessen Wesenheit der Lehrende uns immer mehr einzuführen geneigt ist. »Dasein [heißt der erste Paragraph der Weltverfassung] ist Versäumen« — solches wird auf einmal verkündet, und weil dies nicht geglaubt wird, sieht sich der Redende genötigt, sein Glück »trocken ontologisch« zu probieren (19). Zu zeigen ist, »daß noch niemals ein Salatkopf / (auch im Umriß) einen andren / je gesehn hat« (21), und so »schwimmt Mariechen als Monade / [... ] fensterlos durchs Dunkel« (22) — eine Absage auch an Parmenides und sein »Lehrgedicht, in dem er jedem / Einzelding sein Sein bestreitet, / und das Prädikat ausschließlich / nur dem Sein im Ganzen zuspricht« (23). Und Anders verweist auch im Anhang genau auf die Stelle (Diels B 8, 22): οὐδὲ διαιρετόν ἐστιν, ἐπεὶ πᾶν ἐστιν ὁμοῖον (»Auch geteilt ist es nicht, da es als ganzes gleichmäßig ist.«) [3] Hier verrät Anders nun doch einiges mehr: »Die Hypothese« richtet sich gegen Parmenides, in dessen — auch nach dem Urteil des Redenden — »immer noch wie heut geschriebnen« Lehrgedicht eben jedem Einzelding sein Sein bestritten würde. Da wird doch mehr sichtbar als eine Polemik, die sich gegen Parmenides und auch gegen Heidegger richtete; hier wird auch sichtbar, worauf es hinausgeht. Parmenides wird indirekt Reverenz erwiesen: Zwar hat er »ungeheuerlich geirrt«, aber sein Gedicht ist als Gedicht nicht mit der falschen These und schon gar nicht mit der Entstehungszeit zu erledigen.

Hier möchte ich mich nicht auf das heikle Territorium der Ontologie einlassen; daher nur so viel: Wir sind hier bei einem Thema, das Anders offenkundig seit einem Seminar bei Heidegger nicht losgelassen hat und dem er sich literarisch, in der Form der Fabel und Humoreske genähert hat, und der Bamba, so heißt es in den ›Ketzereien‹, »wird also der massiv und rißlos den ganzen Weltraum ausfüllende eleatische Gott sein«. [4] Sprache und Liebe sind es, die dem Leben der Menschen vor dem der Tiere den Vorzug gewähren. Kommunikationslosigkeit macht die monadische Existenz zur unmenschlichen Katastrophe, und Liebe ist etwas, wofür

Dankbarkeit angezeigt wäre, und sie bedeute »(um es keusch und mathematisch, / aber klar zu formulieren), / die Potenz zu potenzieren« (37). Und in einem scheint auch Heideggers Terminologie von der »Geworfenheit« über Bord in die Beringstraße geworfen zu sein, wenn der Redende seinem Mariechen als Antwort auf diese Auffassung empfiehlt:

Welch ein unverdienter Vorzug,
daß der Wurf so gut gezielt war,
und wir wurden, die wir wurden! (36)

Wir halten mit der Entstehungszeit des ›Mariechen‹ etwa in der Zeit, aus der auch die Tagebuchnotizen von ›Lieben gestern‹ stammen, wo gerade mit dem amerikanischen und psychoanalytischen Umgang mit der Liebe ins Gericht gegangen wird. Ironie und Distanz fehlen dem armen Walfischmann, den Anders nun — und die Anspielung ist unüberhörbar — »Eduard nennen würde[.], wenn er hieße« — ein »Kaltwasser-Donjuan« (32). Die Geschichte der Liebe in der See ist trostlos, und die Liebe der Menschen ist bei aller Kritik, die an ihnen zu finden wäre, doch weit erhaben darüber. Aber es werden auch Mariechen und mit ihr das »Tierische« in Schutz genommen. Verdienst der Menschen sei es, »die rohe / Libido in unsren Rhythmus / frei und schlau hineingenommen« (37) zu haben. Die Geschichte Mariechens dient mehr und mehr dazu, die Besonderheit der menschlichen »Kultur« zu behaupten; wie anders das Leben der Tiere ist, geht aus der nun konstruierten Biographie Eduards und Mariechens hervor, die auch noch Mutter wird, eben eine Walmutter. Sie hat keine Zukunft und keine Vergangenheit, sie hat eine, wenngleich in Worte schwer faßbare, animalische Angst, aber sie kennt auch nicht die Angst, die durch das Wissen um den Tod hervorgerufen werden könnte.

Das Marzipan-Mariechen zeigt sich, so geht es zumindest aus den Worten des Redenden hervor, zusehends erschüttert vom Schicksal der Walfischmutter: Es bockt und sitzt auf dem Bettvorleger. Kein Wunder, kein Schlaf, dafür einen Schnellsiedekurs in Philosophie. Aber der Redende hat gute und einschmeichelnde Worte parat. Er weiß um die Liebe, aber auch da, wo er deren Geheimnis aufzudecken meint, bleibt er Philosoph, ja er packt die Sache dialektisch an und läßt es sich angelegen sein, Rilke auszubooten:

Und sich Liebe einzureden,
wenn das Liebesobjekt fort ist,
wie es beispielsweise Rilke
gerne tat, ist etwas wohlfeil. —
Sondern?
Aber Liebste, wahre
Liebe zeigt sich völlig anders.
Wie?
Natürlich dialektisch.
Wenn man nämlich wirklich liebt, dann
sehnt man sich, obwohl der andre
nebenan sitzt (ganz als wär er
schrecklich weit verreist), zu Tode —
während man, auch wenn er fort ist,
dennoch spürt, er ist zu Hause.
Ja, das ist das einzig ernste und solide Barometer.
Auch für dich. (76)

Diese in der Dialektik gründende Ars amandi verspricht zwar philosophisch hohe Befriedigung, als praktische Anweisung scheint sie wenig brauchbar, und Mariechen grollt mit Grund ein wenig weiter: Erst da er ihre Füße, die offenkundig vom Aufenthalt außerhalb des Bettes kalt geworden sind, durch Reiben zu wärmen sich entschließt, wird Mariechen, die Menschenfrau, versöhnlich, und das Walfischweibchen kann entlassen werden, in die »Vorstadtstraßen unsres / Universums« (77). Im letzten Stück nun werden »eintausendundzwölf Gründe für das Glück des kleinen Mariechens angegeben« (78); ein paar davon darf der Leser auch wissen, und zuletzt zerrinnt die ontologische Problematik in das Glück des Beisammenseins:

Tausendzehntens, weil du alle
ontologischen Probleme,
die uns heute nacht umtanzten
(zwar nicht lösen, aber immer)
praktisch durch zusammenkuscheln
stillen kannst in drei Minuten. (80)

Was dann geschieht, bleibt dem Leser überlassen, der ein paar nur aus Punkten bestehende Zeilen zu deuten aufgefordert ist. Der Morgen graut, und die Gutenachtgeschichte ist beendet; wir wissen, daß die beiden ihre ontologischen Probleme durch Zusammenkuscheln gestillt haben.

3.

Gutenachtgeschichte? Überhaupt: Geschichte? Was haben wir gehört? Wenn schon Geschichte, dann Philosophiegeschichte. Und hat da einer erzählt? Wohl kaum. Da hat einer gelehrt, konstruiert. Wozu überhaupt dieses Mariechen, das ein Walfisch ist, dem wir uns da nähern sollen? An der philosophischen Substanz des Textes will ich — ich habe Angst, der Revolver könnte locker sitzen — nicht rühren. Aber die Sache hat ja auch eine literarische Schlagseite und die Art, in der sie etwas vermittelt, ist untrennbar mit dem verbunden, was sie vermittelt. Anders selbst dazu viel später: »Die Sprache und die Sache sind eins. Die Unterscheidung ist höchstens in Variationen gültig, in denen vorgeführt wird, daß sich eine ›res‹ = das Thema, in verschiedenen ›modi dicendi‹ darbieten lassen kann. Aber auch das schreibe ich nur zögernd nieder, da jeder modus dicendi trotz der Konstanz des abgewandelten Themas eine andere ›res‹ zu sein scheint.« [5] Es gälte somit, den »modus dicendi« zu befragen; auf den kommt es ja auch an, und es ist evident, daß die Substanz des Textes sich nicht in der Paraphrase der »res« erschöpfen läßt, ja daß diese erst recht, bleibt man dort stehen, wo wir jetzt halten, mit uns auf der Strecke bleibt.

Denn dieser Text wäre, gemessen an Anders andren gewaltigen Schriften, ja selbst an seinen Studien zur Literatur, z.B. von »Kafka pro und contra‹ leichtgewichtig. Ernstzunehmende Philosophen wie Parmenides, Leibniz, Kant, Duns Scotus, Fichte und Heidegger müssen es sich gefallen lassen, vom Kissen aus in Form einer Causerie behandelt zu werden.

Oder, so können wir fragen, ist es nur unser Vorurteil, das uns diese Form des Philosophierens, während jemand das Kissen zurecht stopft, suspekt macht? Es gibt tatsächlich Bedenken, die sich gegen den Tonfall, in denen diese Rede gehalten ist, vorbringen lassen. Da spricht einer, und seine Regie will es, daß wir die, mit der er spricht, nur aus seinen Reaktionen wahrnehmen. Der hier spricht, ist nicht nur Sokrates, sondern auch sein eigener Platon und, wenn man will, Aristoteles dazu. Er ist aber unfähig zum Dialog, so wie der späte Platon ja auch zusehends die Dialogpartner zu Stichwortgebern machte. Aber hier gibt sich der Redende selbst dauernd das Stichwort: »Ja, ein Weib ist sie, wie du bist« (8), verkündet er gleich zu Beginn, und die Feststellungen ihres Einverständnisses werden nur mit einem herablassenden »Siehst du« quittiert. Es ist durchgehend ein Monolog, der Redende ist dialogunfähig. Jeder Einwand (und dies zieht sich ja auch durch Anders’ theoretische Schriften) dient fürwahr nur dazu, die Überlegenheit des gerade Redenden zu demonstrieren. »Hast du’s?« oder »Du verstehst? « fragt er mehrmals, so als ob er eine Nachhilfestunde gäbe (20, 30, 47). »›Wußt’ ich’s doch« — mit solchen Worten antizipiert er ihre Einwürfe (34, 48, 73). Und dann wieder gibt er gute Noten: »Kommst du mit? Und auch mit allen / Konsequenzen? Ausgezeichnet.« (52) Ähnlich verhält sich ja auch der Tagebuchschreiber Günther Anders in »Lieben gestern«, worin auch alle ihre Lektion abbekommen; am Schluß ist alles klar, vor allem aber, daß die Probleme zwar nicht gelöst sind, die Betroffenen aber doch von ihnen erlöst werden können.

Die Art, in der der Redende mit seinem Mariechen umgeht, muß nicht nur auf feministische Gemüter empörend wirken, denn dieser »modus dicendi« entlarvt sich als geradezu törichte, schulmeisterliche Herablassung, und gerne wollen wir annehmen, daß hier ein Ich sich höchst selbstironisch inszeniert: Daß das Kissen plötzlich zum Katheder in der Privatsphäre wird, sorgt für eine distanzierende Komik, die den Wust an präpotent einherschreitenden Lehrsätzen denn auch zu problematisieren vermag. Schließlich wird die Reaktion dieser zierlichen Person Mariechen eingebracht, und da sie von dem Los des Walfischpaares erfährt, das in dumpfe Schwermut versinkt, beginnt sie zu weinen: »Greift ihr schlimmes / Häftlingslos dir so ans Herze? / Andre Gründe? Bist du einfach / übermüdet, weil’s schon drei ist, / und ich immer noch nicht Schluß mach?« (65) Ja, der Redende ist in einem furor philosophicus befangen, er kennt keine Pause, er setzt sein System, seine Vorstellungen durch. Er lehrt, und in der Darstellung der Lehre liegt nun auch die Problematisierung der Lehrbarkeit überhaupt.

Es wäre nun billig, wollte man diese Form der Lehre als die gültige Form auch der Vermittlung bezeichnen. Gerade aber der literarische Charakter des Textes erlaubt die Erzeugung einer subtilen Ironie, die in die Vertrautheit der sombren Atmosphäre plötzlich die kalten und komplexen Abstrakta eindringen läßt. Plötzlich geht es ontologisch und dialektisch zu; die Philosophie erscheint im Nachthemd, der Philosoph und seine Lehre muß sich auf dem Prüfstand der Intimität bewähren. Und es ist gerade diese Intimität, die den Problemen ihre Schärfe nimmt. Wenn die ontologischen Probleme praktisch durch Zusammenkuscheln zu stillen sind, dann erfahren die bewegendsten Fragen ihre jähe Reduktion, indem sie plötzlich körperlich werden.

Und doch werden die Fragen nicht ironisiert; der Eindruck, daß es dem Redenden unerhört ernst mit den Problemen ist, kann durch die vermittelnde Ironie und decouvrierende Herablassung nicht gemindert werden. Die Probleme haben nichts an Brisanz durch die Art, in der sie vermittelt werden, verloren. Im Gegenteil; gerade indem sie plötzlich in das vertraute Gespräch der beiden eindringen, ja indem sie es zum Monolog gefrieren lassen, wächst ihnen eine Gültigkeit zu, die sie im akademischen Diskurs eingebüßt zu haben scheinen.

4.

Und vom »modus dicendi« des akademischen Diskurses distanziert sich die Gutenachtgeschichte eindeutig durch ihre Form; genauer: vom akademischen Diskurs der Gegenwart, dessen Händen wir die Fragen anvertraut sehen, welche die beiden Liebenden beschäftigen. Wem fiele es schon bei, seine Lehren metrisch vorzubringen? Anders hat bewußt eine literarische Form gewählt, die in unseren Tagen obsolet wirkt: die des Lehrgedichts. »Lehrgedicht« meint mehr als bloße Didaxe in poetischer Form, denn belehrend kann Dichtung ja immer sein, ohne ein Lehrgedicht zu sein: Den deutlichen Unterschied würde etwa Brecht markieren, dessen Gedichte einen lehrhaften Ton anschlagen, die aber sich schon meist in der Form radikal unterscheiden. Sein kantiger Knittelvers mag zwar genauso viel Hebungen haben wie der Trochäus bei Anders, aber bei fast derselben Verslänge entsteht ein höchst unterschiedlicher Eindruck.

Das Lehrgedicht hatte in der deutschen Literatur seine Blütezeit im 18. Jahrhundert, und da waren es vor allem die antiken Muster, auf die zurückgegriffen werden konnte: Und es sind auch die Themen, die im Lehrgedicht der Antike ihren festen Platz haben: Natur und aus der Anschauung der Natur abgeleitete Spekulation; nicht umsonst wird an zentraler Stelle des Textes der Hinweis auf das unverbraucht wirkende Lehrgedicht des Parmenides gegeben.

Die Anschauung der Natur wird an einem Modellfall exemplifiziert; es ist ein Gedicht, das aus der Konstruktion heraus lebt. Der realen Situation im Schlafgemach der Liebenden wird die Gesamtheit der Welt gegenübergestellt. Und dieser Walfisch, dessen Leben nun bei Identität der Namen dem Leben der Menschenfrau kontrastiert wird, ist eben auch eine Konstruktion, ein Denkspiel. Auch wenn der Redende von sich bekennt, daß er an der »Konstruktion« des Walfischs unbeteiligt war, fühle er sich auch unzuständig, die Frage nach dem Wozu zu beantworten, kurzum: Er wolle mit der Teleologie nichts zu tun haben. Es bedarf in dieser Dichtung der Konstruktion, und Günther Anders weiß um die didaktische Notwendigkeit solcher Konstruktionen in der Literatur. Dies geht sehr schön aus seiner Analyse der Keuner-Geschichten Brechts hervor, worin er Herrn Keuner als für Brecht notwendigen Strohmann entlarvt, als Konstrukt, da er des Experiments bedarf. [6] Die Analyse der Keunergeschichten Brechts läßt sich umlegen auf Anders’ Selbstverständnis als Schreibender. Es bedarf des Konstrukts Mariechen, die als das Natürlichste der Natur, als die Idealrepräsentantin der Natur zu fungieren hat.

Anders’ erkenntniskritisches Verfahren ist durchgehend allegorisch, die Allegorien sind zu verstehen als das Instrument des Skeptikers. Und so erscheint Mariechen ja auch wie ein Hochseedampfer bestens ausgestattet, zugleich aber wird dieser Vergleich widerrufen, da die ausgezeichnete technische Herstellung eines Lebewesens noch lange nicht die Funktion erklärt, die es für den philosophisch Fragenden haben kann. Die Natur kann auch nicht durch das Experiment erfahren werden, sondern durch das Gedankenkonstrukt; Anders gegen die experimentelle Naturwissenschaft: »Die experimentelle Naturwissenschaft foltert die Natur so lange, bis sich diese aus Verzweiflung selbst bezichtigt. Von sich aus ›ist‹ Natur gar nicht so, wie sie sich unter der Folter benimmt.« [7] Die Natur wird eben durch dieses Gedankenexperiment erforscht, und der Ort, an dem sich dieses Gedankenexperiment ereignen kann, ist das Gedicht, im besonderen das Lehrgedicht. Und dies trennt Anders’ Lehrgedicht von den meisten Lehrgedichten, die sich die Natur zum Gegenstände nehmen: Es ist spekulativ und geht nicht von der Anschauung aus; die Versinnlichung der Natur ist sekundär und gewinnt ihre Wirkung erst durch den Kontrast zur zusehends sich verstärkenden Idyllik der häuslichen Szene, die in der Kunst der souverän gehandhabten Aposiopese in eine handfeste Liebesszene übergeht, aber: figura praeteritionis das Decorum wahrend.

5.

Es geht nun darum, den literarischen Ort dieses Textes zu bestimmen. Es handelt sich, das steht außer Zweifel, um ein Lehrgedicht, das allmählich in eine Idylle überführt wird. Die Kleinheit, das Vollglück in der Beschränkung steht dem Elend entgegen, das die Entgrenzung durch die Natur für jene Wesen bedeuten würde, die sich ihrer Sprach- und Liebeskompetenz gleichermaßen bewußt sind. Ich will hier nicht die Problematik des Lehrgedichts ins Endlose ausbreiten, aber es sei doch die Bemerkung gestattet, daß Anders im 20. Jahrhundert in der deutschsprachigen Literatur so gut wie allein dasteht. Die Verwendung des Lehrgedichts ist ein gezielter Anachronismus, und dies ist auch eine jener Ketzereien, denen Anders huldigt. Das, was allgemein als obsolet gilt, was der kunstrichterliche Geschmack als demode abtut, gewinnt in der Kostümierung, die er ihm verleiht, seine Gültigkeit. Eine Gattung, die sich im 18. Jahrhundert höchster Beliebtheit erfreute und die mit Hallers ›Alpen‹ Maßstäbe zu setzen schien, ist zum Ende des Jahrhunderts bereits obsolet. Goethes Verdikt, daß zur lyrischen, dramatischen und epischen Dichtung die didaktische nicht hinzutreten solle, denn das Lehrgedicht »ist und bleibt«, schrieb er, »ein Mittelgeschöpf zwischen Poesie und Rhetorik, eine Ab- und Nebenart, die in einer wahren Ästhetik zwischen Dicht- und Redekunst vorgetragen werden sollte.« [8] Daran ändert die Tatsache wenig, daß Goethe Lukrez bewunderte, daß Demokrit und Parmenides eben Lehrgedichte verfaßt hatten, daß selbst Aristoteles offenkundig die Didaktik nicht verurteilt hatte. [9]

Daß Anders diesen Text in der Schatulle höchster Privatheit birgt, scheint einerseits ein Anzeichen dafür, wie sehr er doch um die Obsoletheit der von ihm gewählten Gattung wußte, daß es ihn aber andererseits doch juckte, seine Aufklärungsarbeit just mit dem Medium zu versuchen, das die Aufklärung noch geduldet und sogar gepflegt hatte.

Vielleicht hilft uns ein anderer Zugang, ein Zugang von der Problemstellung her doch noch, die Besonderheit dieses Textes auch entsprechend zu würdigen. Da der Redende keine Antwort auf des Menschenmariechens Frage nach dem Wozu weiß und pointiert bekennt, daß »alles, was die Philosophen / das von ihrem ›Ich‹ gesetzte / ›Nicht-Ich‹ nannten«, ihm ferne sei, wird Mariechen offenkundig unwillig und meint, daß ihm »die ungelöste Frage [...] im Hals »wie eine Gräte / steckenbleibe« (26). Und darauf kommt nun das Credo des Redenden, das, wie ich meine, ein philosophisches wie auch künstlerisches ist:

[...] — Sehr gut möglich.
Schließlich darfst du nicht vergessen,
daß das Pflanzen, nicht das Lösen
von Problemen mein Beruf ist,
und sogar der Feuerschlucker
hängt an seinem Broterwerbe.
Ja, noch mehr: Im Grunde sind es
gerade diese ungelösten
Aporien, die mir lieb sind.
Wenn mich etwas wirklich schreckte,
wär es, umgekehrt die Lösung.
Ich gestehe, gar nicht selten
(wenn ich mich moralisch völlig
gehen lasse) scheint mir jede,
selbst die zweifellose Antwort
ein Gemeinplatz, wenn verglichen
mit der Schönheit der Probleme. (26)

Das ist nun freilich auch wieder ein Gemeinplatz, aber ein sehr schön eingerichteter, und ein Gemeinplatz, auf dem sich anzusiedeln nur gestattet ist, wenn man moralische Probleme beiseite schiebt. Und das Lehrgedicht, das ins Idyllische hinüberspielt, das ist genau der Ort, an dem es möglich ist, die Moral einmal sausen zu lassen; gemeint ist damit vermutlich die Moral des strengen Denkens und eine Haltung, die vor Problemen nicht resigniert. Statt dessen versteigt sich der Redende zur Bewunderung der Probleme, ja zu Bewunderung ihrer Schönheit, dem gegenüber das Resultat mit einem »gorgonenhaften Blick den süßen / Appetit des Weiterfragens / ein für allemal« ertöten würde (27). Das Gedicht ist der Ort, an dem dies möglich ist; das Lehrgedicht erlaubt die Freiheit von dem Zwang zur Lösung und gibt die Möglichkeit, belehrend in einem zu sein. Die Verbindlichkeit, die durch die literarische Form erzeugt wird, kompensiert die mangelnde Verbindlichkeit der philosophischen Praxis. Odo Marquard hat die Philosophie dermaleinst nicht unwitzig »Inkompetenzkompensationskompetenz« genannt; [10] diese Kompetenz, philosophische Inkompetenz zu kompensieren, ist in die Poesie abgewandert. Sie ist das Loch, das der Zimmermann in der Monade des praktischen Philosophierens gelassen hat. Und gerade als Anders 1946 Mariechen zu Papier brachte, scheint ihm an einem anderen Fall das Problem von Philosophie und Literatur an einem prekären Grenzfall heftige Sorgen bereitet zu haben. Er besprach zu dieser Zeit Hermann Brochs ›Der Tod des Vergil‹ und konstatierte, daß der Autor darin in der »Verzweiflung über den Unernst dichterischer Existenz« eben »diese Verzweiflung selbst zum Gedicht« gemacht habe: »Statt der Lösung der Schwierigkeit gibt er uns die Schwierigkeit in lyrischer Form.« Weiter weist Anders auf die Ähnlichkeit zur Heideggerschen Existenzphilosophie hin, der die traditionelle akademische Philosophie zu einer »akademischen Philosophie der Verzweiflung« gemacht habe und schließt:

Beide — Heidegger und Broch — verlassen zwar, scheinbar radikal, ihr bloßes Fach: aber nicht, um auf den rechten Weg der Praxis zu finden, sondern um sich seitwärts ins Gebüsch der Metaphysik zu schlagen. Da warten sie nun und bestimmen den Tod als den Sinn des Lebens. [11]

Man könnte in ›Mariechen‹ nun — und die genaue Chronologie der Broch-Rezension und der Entstehung der ›Gutenachtgeschichte‹ wäre noch zu bestimmen — einen Gegenwurf zu Brochs ›Tod des Vergil‹ sehen, zumindest in einer Hinsicht: Versucht Broch nun die Literatur durch Literatur aufzuheben, so sucht Anders die Literatur durch Literatur zu bestätigen, und überdies sucht er der Philosophie durch — dem Inhalte nach — geradezu schulgerechtes Philosophieren gerecht zu werden.

Die Wahl des Lehrgedichts, der Verserzählung (welcher Dichter deutscher Zunge dachte 1946 ernsthaft daran, mit einer solchen auf dem Markte Fortune zu machen?) ist dabei ein gezielter Affront gegen jegliche Modernität und zugleich auch der Versuch, die Sprache der Philosophie in das Joch der Literatur und damit aber, so paradox es klingt, eben nicht in den Dunstkreis der Lyrismen, sondern der klaren poetischen Aussage zu zwingen: Und wenn es einen Ort für die Schönheit der Probleme gibt, dann ist es das Gedicht. Das Lehrgedicht ist der Ort, an dem sich das Decorum wahren läßt. Hier verfällt der Redende nicht jenem bei Broch eingeklagten Zuviel, er schlägt sich nicht ins abseitige Gebüsch der Metaphysik, weil die gewählte Sprache des Gedichts nicht jenes Wortgewölle der Eigentlichkeit zuläßt. Gleichwohl ist sich Anders der Unzulänglichkeit der Sprache für das »Ontologisieren« bewußt, aber dieses Ontologisieren ist eben nicht die Sprache Heideggers:

Wie unerträglich eng unser Ontologisieren in das Korsett der Sprache eingeschnürt ist! Wenn uns der frühe Heidegger sprachlich Exorbitantes zugemutet hat, so tat er das nicht völlig grundlos. Für ontologische Untersuchungen sind schließlich die plumpen Geräte unserer Alltagssprache nicht gemacht worden (oder nicht entstanden). Gleichen wir Ontologisierenden nicht Physikern, denen es nahegelegt wird oder die sich selbst zwingen, die Atomspaltung mit Taschenmessern zu bewerkstelligen? [12]

Ein Vergleich, der, in seinen Konsequenzen weitergedacht, bei Anders nicht ohne Brisanz ist. Nun wird das Ontologisieren in die Sprache der Poesie verlagert, in ein Medium, das zwischen Dichtung und Rhetorik, zwischen überzeugen und unterhalten steht. Die Legitimation für dieses Vorgehen wiederum holt sich Anders aus einem platonischen Dialog; das Motto des Textes deklariert ein Satz aus Platons ›Philebos‹: ʼAνάπαυλα γα̦ρ, ὧ Πρώταρχε, τῆς σπουδῆς γίγνεται ἐνίοτε ἡ παιδιἀ — »Es gewährt ja eine Erholung von dem Ernst, o Protarchos, bisweilen zu scherzen.« (Philebos 30e) ʼAνάπαυλα ist nun die Pause, die Ruhe, das Moratorium des Alltags, die auch die Befreiung von der Arbeit garantiert, nicht σπουδῆς, sondern das, was die Verzögerung bedingt. Πρώταρχε steht nun im Gegensatz zum Ernst. Damit ist auch dem Gedicht der Ort bestimmt; es nimmt als παιδιἀ zurück, was die σπουδῆ des Alltags fordert; die Aporie ist eingeplant.

Und am Ende sind wir um keine Lösung reicher, dafür reicher um Einsicht in die Schönheit der Probleme. Das Ganze schließt nicht mit einer Lösung, die uns gorgonenhaft anblicken könnte, mit einem Verweis auf jene mythologische Chiffre, die Anders’ Werk durchzieht: Die Menschen gehorchen dem, was der Körper verlangt: Der Schlaf umfängt beide, sie entkommen der Gorgo der Lösung und der Verpflichtung, das Philosophieren zu einer Praxis zu erheben, die uns jegliches Behagen verbieten würde. Die beiden schlafen ein, sie verstummen; sie gehen auseinander wie die Redenden in Platons frühen aporetischen Dialogen: »Für jetzt aber müssen wir auseinandergehen. Ja, das werden wir tun, o Lysimachos, und morgen früh zu dir kommen, so Gott will.« [13]

Vortrag beim Anders-Symposium im Februar 1992 am Österreich-Institut in Paris; auf französisch erschienen als «Petite Marie» ou la philosophie sur l’oreiller, in: Austrica, Décembre 1992 — n° 35, 141.

[1Günther Anders, Ketzereien, München (C. H. Beck) 1982, 139; DM 14,80/öS 116,—

[2Günther Anders, Mariechen. Eine Gutenachtgeschichte für Liebende, Philosophen und Angehörige anderer Berufsgruppen. München (Beck) 1987 (als »Freundesgabe zum 85. Geburtstag des Autors«; offiziell »erste« Auflage 1993, »zweite« Auflage 1994) Seite 7. Die in Klammern gesetzten Ziffern im Text bezeichnen die — in allen Ausgaben identischen — Seiten.

[3Parmenides, Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente, griechisch und deutsch. Hrsg., übersetzt und erläutert von Uvo Hölscher, Frankfurt/M (Suhrkamp) 1986, 23

[4Anders, Ketzereien, 147

[5Anders, Ketzereien, 146

[6Günther Anders, ›Geschichten vom Herrn Keuner‹, in: G. A., Mensch ohne Welt. Schriften zur Kunst und Literatur, München (C. H. Beck) 1984, 160

[7Anders, Ketzereien, 146

[8Zit. nach: Bernhard Fabian, Das Lehrgedicht als Problem der Poetik, in: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg, von H. R. Jauß, München (Fink) 1968, 67

[9Ebda, 68 f.

[10Odo Marquard, Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompentenz der Philosophie, in: O. M., Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart (Reclam) 1981, 23

[11Anders, Mensch ohne Welt, 196 f.

[12Anders, Ketzereien, 235

[13Platon, Laches 201c

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