Heft 1-2/2006
Mai
2006

„Haut’s die Juden eini’!“

Zum Verhältnis von Antisemitismus und Fußball in Österreich

Dass ein Fußballspiel seit jeher mehr als nur ein Spiel gewesen ist und auch länger als 90 Minuten dauert, haben verschiedene SportforscherInnen und SporttheoretikerInnen bereits beleuchtet und dabei nicht nur auf die Tätigkeiten von Fußballvereinen und Clubs sowie deren AnhängerInnen verwiesen, sondern auch auf die politischen Auswüchse des instrumentalisierten und kommerzialisierten Fußballs. Oftmals als kulturlos geltend, macht Fußball dennoch einen bedeutenden Teil der europäischen Kultur- und Sozialgeschichte aus, und so spiegeln sich auch gesellschaftliche Missstände und Phänomene wie Antisemitismus und Rassismus in dieser sportlichen Betätigung wider. Ausgehend von der Annahme, dass Fußballmatches „die zentralen Werte unserer Gesellschaft in komprimierter Form sichtbar“ [1] machen, kann gesagt werden, dass Sportstadien lediglich einen örtlich eingegrenzten und zeitlich definierten Raum mit einem bestimmten Publikum darstellen, an welchem die konfliktreichen Auswüchse des gesamtgesellschaftlichen Geschehen ausgetragen werden. Sie können weder davon losgelöst betrachtet noch analysiert werden. Moderner Sport wie der Profitfußball ist einerseits durch die Kommerzialisierung von Stadien, Spielen und auch FußballerInnen unweigerlich in die Marktwirtschaft eingebunden, andererseits stellt er jenen Teil der gesellschaftlichen Strukturierung dar, der, wie Adorno meint, versucht,„dem Leib einen Teil der Funktionen (...) zurückgibt, welche ihm die Maschine entzogen hat. … Darum gehört er ins Reich der Unfreiheit, wo immer man ihn auch organisiert.“ [2] Diese Unfreiheit meint nicht nur die durch materielle Zwänge und Unterwerfung unter das hegemoniale System des Kapitalismus verursachte, sondern auch die Unfreiheit von ideologischen Bestimmungen und Ausrichtungen. Sport stellt demzufolge „keinen gesellschaftlichen Freiraum dar, sondern ist als Teilbereich des sozio-kulturellen Systems in gesamtgesellschaftliche Bedingungen und Wertvorstellungen eingebettet.“ [3] In seinen modernen Ausprägungen stellt der Sport ein Feld dar, an dem gesellschaftliche Ideologien verbreitet werden, die sich in ihren Massenveranstaltungen manifestieren. Da Fußball ursprünglich kein österreichisches bzw. deutsches Spiel gewesen war, wurde sein gesellschaftspolitischer Inhalt erst im Laufe seiner Etablierung vom ideologischen Ballast des als deutsch geltenden Turnens unterwandert. Der antisemitische Nährboden im Sport, den die Nazis für sich vereinnahmten, konnte schließlich, wie auch gesamtgesellschaftlich, auf der florierenden Ablehnung der Juden und Jüdinnen rund um die Jahrhundertwende aufbauen und stellte somit keine grundlegende Neuheit dar. So scheint es auch kaum verwunderlich, dass sich diverse antisemitische Stereotype und Feindbilder im Fußball nach 1945 unmittelbar fortsetzten und bis zum heutigen Tage nicht an Popularität eingebüßt haben. So zeigt sich nicht zuletzt, dass die antisemitischen Kontinuitäten im österreichischen Sport nach dem Zweiten Weltkrieg in einer unleugbaren Parallelität zu den gesamtgesellschaftlichen Fortsetzungen des Antisemitismus in Österreich stehen.

Antisemitismus im Fußball vor der Shoah

Der florierende Antisemitismus, auf welchen die Nazis ihre Vernichtungsideologie aufbauten, greift in Österreich sowie in Deutschland auf eine lange Tradition zurück. Bereits in der Habsburgermonarchie traten antisemitisch orientierte Denkmuster und Stereotype vermehrt zu Tage, die sich nach dem Zusammenbruch der österreichisch- ungarischen Monarchie und den damit verbundenen Fragen nach nationaler Identität noch verstärkten und auf diese Art und Weise auch den Sportbetrieb in Österreich beeinflussten.

Während die in Österreich neuen Ballsportarten und insbesondere der Fußball anfänglich als „Engländerei“ diffamiert wurden und diese mehr in proletarischen als in bürgerlichen Kreisen an Popularität gewannen, begannen auch sportlich aktive Deutschnationale rund um die Jahrhundertwende dieser Betätigung „staatstragende Rollen zuzuweisen“. Zuvor war in Österreich die im Sport dominierende TurnerInnenschaft im Mittelpunkt der deutschnational organisierten Verbände, die sich durch völkische und antisemitische Werte auszeichneten, gestanden. Auch die deutschen nationalvölkisch orientierten TurnerInnenschaften [4] lehnten das Fußballspiel vorerst weitgehend ab. Die ideologische Integration des Deutschnationalismus in den Fußball erfolgte einerseits, indem das „deutsche Fußballspiel“ als „eine zuchtvolle Schule männlicher Charakterbildung und kämpferischen Siegeswillens“ eingestuft wurde, andererseits beispielsweise durch die Unterstützung des Militärs seitens des Deutschen Fußballbundes. Somit gewann Fußball den Charakter eines „Volkserziehungsmittels“, welches „deutsche Wesensinhalte“ stärken sollte. Die Entwicklung zu einem Massensport, insbesondere in proletarischen Kreisen, erfolgte allerdings erst nach dem 1. Weltkrieg. Die Arbeitszeitverkürzung auf acht Stunden sowie die finanzielle Unterstützung des Sports durch die öffentliche Hand gelten in diesem Zusammenhang als wichtigste Indikatoren für die Ausbreitung des Fußballs. Auch in Verbindung mit dem freien Nachmittag der ArbeiterInnenschaft wurde die Bedeutung des Sports als Erziehungsmittel betont. Der Antisemitismus als integrativer Bestandteil des Bewusstseins und Massenphänomen verdeutlichte sich in Österreich insbesondere im Zusammenhang mit den Teams des Hakoah-Clubs, einem zionistischen Sportverein, der 1909 in Österreich gegründet worden war. Spieler des besagten Vereins hatten sich durch die anfängliche Ablehnung der neuen Sportarten von deutschnationaler Seite insbesondere im Bereich von Fußball und Wasserball gut entwickeln können. Die deutschnationale Propaganda hatte aber auf Grund der oben genannten Entwicklungen schon bald auch die neuen Ballspielarten unterwandert und war somit zu einer Leitideologie geworden, die antisemitische Denkmuster und Ausschreitungen forcierte. So veranschaulichten sich, insbesondere durch die sportliche Betätigung von Hakoah, gleichzeitig die Aktualität der antijüdischen Hetze und Propaganda vor Beginn des Zweiten Weltkriegs sowie auch die antisemitisch orientierten Ausschreitungen gegen Juden und Jüdinnen im Sport. In der Wiener Morgenzeitung vom 8. November 1923 war beispielsweise folgendes zu lesen: „Menschen, die im gewöhnlichen Leben die Regeln des Anstandes und der guten Sitten befolgen, werden bei den Spielen der Hakoah zu brutalen Terroristen. Andere wieder, die sich zu einer politischen Partei bekennen, welche die Duldsamkeit zu ihrem Grundsatz aufgestellt hat, gebärden sich wie die ärgsten Radau- Antisemiten. (…) Schimpforgien, in denen das Wort ‚Saujud’ immer wiederkehrte und wilde Drohungen konnte man von allen Seiten vernehmen… (…) Es vergeht fast kein Wettbewerb, bei dem die Hakoahner nicht auf die niedrigste Weise beschimpft und bedroht werden.“ [5] Darauf folgten weitere antisemitisch orientierte Agitationen wie beispielsweise die Ablehnung jüdischer Schiedsrichter, der tätliche Angriff eines gegnerischen Spielers auf den Hakoah-Präsidenten Körner, die Weigerung einiger Vereine, gegen jüdische Mannschaften zu spielen, sowie Verletzungen und Beschimpfungen von jüdischen Spielern bei Matches. Auch die österreichische Sportpresse war von derartigen antisemitischen Haltungen nicht ausgenommen, und so gehörten antijüdische Aussagen und Witze zum Alltagsprogramm von Zeitungen wie dem Wiener Sportblatt. Antisemitische Stereotype wie die Betonung, dass es den „jüdischen Spielern nur ums Geld ginge“, sowie die Diffamierung des Fußballklubs Austria, dem auch Juden als Spieler und Spitzenfunktionäre angehörten, machten einen Großteil der Berichterstattung aus.

Fußball und Antisemitismus während der Shoah

Die ideologische Verwertung des Sports zum Zwecke der nationalsozialistischen Propaganda während des Zweiten Weltkrieges war vielschichtig. Indem die „massenintegrative und disziplinierende Funktion des Sports“ weiterentwickelt wurde, diente er den Nazis nicht nur als „Mittel nationaler Selbstdarstellung und Überhöhung“, sondern auch zur „totalen Durchmilitarisierung der Gesellschaft“. [6] So wurden einerseits „arische“ Fußballspieler „instrumentalisiert als Aushängeschild für das Nazi-Regime“ eingesetzt, „Länderspiele der deutschen Nationalmannschaft (…) unter dem Deckmantel sportiver Imagepflege als friedliebend präsentiert“ und Übungen missbraucht „zu paramilitärischer Ausbildung“, die sich am „Leitbild des ‚sportlichen Soldaten’“ [7] orientierten. Nach der Machtübernahme der NationalsozialistInnen in Österreich und Deutschland wurden, ähnlich wie in anderen gesellschaftlichen Institutionen, „nicht-arische und undeutsche Elemente“ aus dem österreichischen Sportwesen durch Verbot ausgeschlossen. Sämtliche Verträge von jüdischen BerufssportlerInnen wurden gekündigt, jüdische SpielerInnen von der laufenden MeisterInnenschaft ausgeschlossen und der österreichische Fußballverband als Gau XVII Ostmark in den Nationalsozialistischen Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) integriert. Auch kommunistische und sozialistische ArbeiterInnensportbewegungen wurden gesetzlich verboten, und die gesamte Jugenderziehung sämtlicher Sportvereine wurde der Sportjugend der Hitlerjugend angegliedert.

Der Umgang mit der staatlichen, körperlichen Erziehung des Volkes wurde von den NationalsozialistInnen bereits 1920 in ihrem Parteiprogramm angekündigt, in welchem zu lesen war, dass „durch die Herbeiführung der körperlichen Ertüchtigung mittels gesetzlicher Festlegung einer Turn- und Sportpflicht“ der Staat für die „Hebung der Volksgesundheit“ [8] zu sorgen hätte. Diese Ankündigungen wurden von Adolf Hitler in seinem Werk „Mein Kampf“ ideologisch untermauert und weiter ausgeführt, indem er meinte, dass über den Sport erzieherische (nationalsozialistische) Werte vermittelt werden könnten. Im Mittelpunkt dieser menschenverachtenden Annschauungen standen unter anderem „die männliche Kraft als Menschheitsideal“, die Volksgesundheit durch sportliche Betätigung, der „reinrassische“ Körper als „Organ völkisch-staatlicher Machtentfaltung“ sowie seine Einsatzmöglichkeiten im Kampf. Sport und Leibeserziehung wurden somit von den NationalsozialistInnen ideologisch funktionalisiert und propagiert. Österreichische und deutsche Sportverbände, FunktionärInnen sowie SpielerInnen wurden zu den Exekutionsorganen dieser Ideologie. Angesichts der ohnehin schon vor der Machtergreifung der NationalsozialistInnen gefestigten antisemitischen, deutschnationalen Ausrichtung diverser Verbände wie den TurnerInnenschaften, aber auch der Fußballklubs, blieb nicht nur Widerstand gegen die Verordnungen weitgehend ausgespart, sondern wurden diese auch willentlich durchgeführt. In Österreich war der als jüdisch geltende Fußballklub Austria unmittelbar von den „Umstrukturierungen“ der NationalsozialistInnen betroffen. So wurde nicht nur sein Name auf Grund der großdeutschen Sprachregelung, in der Österreich namentlich nicht vorkommen sollte, in „SC Ostmark“ geändert, als auch der jüdische Klubpräsident Dr. Emmanuel Schwarz vom Verein Austria durch einen Nazi ersetzt. Während die Austria fortbestehen konnte, wurde der Sportklub Hakoah gänzlich aufgelöst, sein Vereinsvermögen beschlagnahmt, der Hakoah-Platz in der Krieau der SA-Standarte 90 zugeordnet und die Ergebnisse der laufenden Meisterschaften annulliert. Damit fand nicht nur der jüdische Fußball in Österreich ein Ende, sondern auch viele der ehemaligen Mitglieder in der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie ihren Tod, den meisten gelang jedoch die Flucht ins Ausland. Zu den bekanntesten Opfern zählen unter anderen Fritz Löhner, Autor zahlreicher Gedichtbände sowie Textdichter des Buchenwaldlieds und Max Scheuer, einer der berühmtesten Fußballspieler der früheren Hakoah.

Dass es in diversen Konzentrationslagern Fußballspiele gegeben haben soll, zeigt nicht nur der 1944 gedrehte nationalsozialistische Propagandafilm über das Ghetto in Theresienstadt „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“, sondern wurde auch von Auschwitz-Überlebenden wie dem österreichischen Trainer und Spieler Igor Fischer berichtet. Während in dem oben genannten Film, der dazu diente, die reale Funktion der Konzentrations- und Vernichtungslager zu verschleiern, zwei jüdische Mannschaften gegeneinander spielen, kam es in Auschwitz sowohl zu Spielen zwischen „Häftlingsmannschaften“ als auch zwischen „Häftlingen“ und ihren Peinigern. Dass ein Sieg gegen die Wachmannschaften direkt in den Tod führen konnte, zeigt nicht nur der ungarische Film „Zwei Halbzeiten in der Hölle“, sondern wird auch von Zeitzeugen berichtet. Es gab aber auch Spiele zwischen „ostmärkischen“ und den „Altreichsmannschaften“, die dazu dienen sollten, „versteckte Österreichtendenzen“ ausfindig zu machen.

Die Kontinuitäten des Antisemitismus im Fußball nach 1945

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges musste in Österreich wiederum eine neue kollektive Identität gebildet werden, bei der auch dem Sport eine entscheidende Rolle zugekommen ist. Schon unmittelbar nach der Befreiung bzw. Beendigung des Zweiten Weltkrieges durch die Alliierten wurde in den verschiedenen Besatzungszonen Fußball gespielt. In seiner gesellschaftlich funktionalisierten Version sollte er auch in den darauf folgenden Jahren wieder identitätsstiftend wirken. Insbesondere die Abgrenzung gegenüber Deutschland in der zweiten Republik forcierte in den ersten Jahren nach dem Krieg ein Aufleben des österreichischen Patriotismus. Phänomene des Rassismus, Sexismus, Nationalismus und natürlich auch Antisemitismus, die im Fußball wie durch ein Brennglas an Schärfe gewinnen, sind demnach auch nach 1945 in erster Linie gesellschaftliche, die aus deren „Mitte“ stammen und sich so als Änderungen gesellschaftlicher Strukturen, sozialer Verhaltensregeln auch im Bereich des Sports auswirken. Der Sport ist so gesehen eine Manifestation spezifischer gesellschaftlicher Entwicklungen schlechthin, und so lassen sich Argumentationsmuster und Herangehensweisen sowie der Umgang mit dem industriell betriebenen Massenmord an über sechs Millionen Juden und Jüdinnen auch im Sport finden.

Antisemitismus ohne Juden und Jüdinnen

Dass Antisemitismus, sowohl im gesellschaftlichen Alltag als auch im Sport, nicht auf real existierende Juden und Jüdinnen angewiesen ist, zeigt sich beispielsweise in den Auseinandersetzungen der beiden österreichischen Fußballclubs Austria und Rapid. Da sich ersterer, historisch gesehen, aus bürgerlichen und jüdischen Gesellschaftsschichten zusammensetzte, sehen sich hunderte Rapid-Fans trotz der Tatsache, dass es in Österreich kaum noch SpitzensportlerInnen jüdischer Herkunft gibt und sich die beiden Clubs in Bezug auf Spielerreservoir, Publikum und politisches Umfeld kaum voneinander unterscheiden, veranlasst, mit Parolen wie „Haut’s die Juden eini’!“ gegen die Austria anzutreten.

Dieses Phänomen, judenfeindliche, antisemitische Ausdrucksformen gegen den jeweiligen spielerischen Gegner zu gebrauchen, setzt sich im österreichischen Fußball nicht nur am Beispiel des Fußballklubs Austria fort, sondern zielt durch die mit antisemitischen Stereotypen verbundenen Konnotationen auf die prinzipielle Abwertung der feindlichen Mannschaft oder der Schiedsrichter ab. Der Antisemitismus ist also auch als ein System von Welterklärungsmustern zu verstehen, in welchem Juden und Jüdinnen zur Projektionsfläche der eigenen Paranoia dienen. Indem Juden und Jüdinnen allgegenwärtig gesichtet werden, bietet ihr Feindbild zugleich die Erklärung für soziale Missstände, Wünsche und Probleme. So zeigt sich an diesem Beispiel also auch im Fußball die tiefgehende gesellschaftliche Verankerung der Ablehnung und Abwertung von allem als „jüdisch“ geltendem bzw. all jenem, was sich als „jüdisch“ instrumentalisieren lässt.

Verschiebung der Opferthesen

Die allseits (noch immer) verbreitete These, Österreich als Opfer des nationalsozialistischen Deutschland zu betrachten, spiegelt sich auch in der Welt des Fußballs wider. Durch die gängige identitäre Abgrenzung gegenüber den Deutschen machte sich auch im Fußball ein „Antigermanismus“ breit, der sich insbesondere durch die unzähligen Niederlagen, die Österreich gegenüber den deutschen Fußballspielern einzubüßen hatte, verstärkte. Dies ging sogar soweit, dass rechtsextreme ÖsterreicherInnen in einem Länderspiel gegen Deutschland 1986 in einem Flugblatt den deutschen rechtsextremen Fans den Tod wünschten. [9] Auch in Bezug auf Vereine und Verbände, die während des Zweiten Weltkrieges nationalsozialistisch organisiert und funktionalisiert worden waren, lässt sich die Tendenz erkennen, diese Vereine als „Opfer des nationalsozialistische Regimes“ zu verharmlosen und die zur besagten Zeit tätigen SportlerInnen als „ideologisch verblendet“ von ihrer Mitschuld freizusprechen. Diese Argumentation knüpft unmittelbar an die Behauptung, dass „der Staat Österreich zwischen 1938 und 1945 gar nicht existiert“ habe und daher auch keine Schuld tragen könne an. Die Verstrickungen dieser Fußballverbände in den nationalsozialistischen Terror- und Vernichtungsapparat sind nicht nur weitgehend unaufgearbeitet, sondern werden auch gerne verschwiegen.

Antisemitismus trotz Auschwitz

Im Antisemitismus trotz Auschwitz manifestiert sich das österreichische sowie deutsche Bedürfnis nach nationaler Identität nach 1945 und wird mit den altbekannten Formeln des klassischen Antisemitismus verbunden. Grundlegend für diese Form des Antisemitismus in Deutschland und auch Österreich ist also, dass durch die „deutsch-österreichische Tat Auschwitz“ das verloren ging, worauf jedes Bedürfnis nach „nationaler Identität“ konstitutiv angewiesen ist, nämlich die fraglose Gewissheit, einer „guten Nation“ anzugehören.

Dieser Zugang zeigte sich beispielsweise in einem der ersten Spiele, die der wieder gegründete jüdische Sportklub Hakoah gegen Wien austrug. Die separat zum Stammverein geführte Fußballmannschaft der Hakoah, die aus Halbprofessionellen bestand und in der 2. und 3. Liga spielte, wurde bereits 1946 in einem Spiel gegen Polizei Wien mit massiven antisemitischen Auswüchsen konfrontiert. Ein verordneter Strafschuss gegen die Hakoah-Mannschaft führte zu einer Schlägerei, die von Ausrufen wie „Saujuden“ und „ins Gas mit ihnen“ begleitet wurde. Zu weiteren Ausschreitung kam es bei einem Spiel zwischen dem Brigittenauer Verein AC Sparta und Hakoah im Jahr 1948, bei welchem es zu physischen Übergriffen auf jüdische Spieler kam und ein parteiischer Schiedsrichter dafür sorgte, dass Hakoah in einem Kommentar darauf hinweisen musste, dass es unter derartigen Umständen unmöglich wäre, von einem geregelten Sportbetrieb zu sprechen.

Sportjournalismus nach 1945

Den etablierten österreichischen Tageszeitungen zufolge bzw. ihrer Berichterstattung über antisemitische Übergriffe insbesondere bei Fußballspielen in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg würden antisemitische Vorfälle ein Österreich kein Thema darstellen. Zumindest wurde darüber nicht bis kaum berichtet, und so lassen sich Ausführungen über die erwähnten antisemitischen Ausschreitungen bei Fußballspielen eher in jüdischen, kommunistischen und ausländischen Zeitung wie der New York Times finden. Heute kommt es zwar zu Aufregung, wenn in Holland Spiele abgebrochen werden müssen, weil sich Ajax Amsterdam mit antisemitisch motivierten Ausschreitungen konfrontiert sieht, und ein italienischer Fußballprofi von Lazio Rom mit dem „Faschistengruß“ auftritt. In Österreich selbst bzw. in seinen Sportstadien wird jedoch kaum danach gesucht. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, dass Antisemitismus nicht einmal medial als Problem der österreichischen Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen, sondern im Gegenteil weitgehend in den Hintergrund gesellschaftlicher Verdrängung abgeschoben wird. Dadurch manifestiert sich eine Form der Abwehrstrategie, die durch Tabuisierung und Marginalisierung gesellschaftlicher Probleme im eigenen Land bzw. Phänomenen wie Antisemitismus an den Tag tritt.

Antizionismus: Länderspiele Österreich – Israel

Von modernem Antisemitismus wird heute insbesondere in Zusammenhang mit Antizionismus gesprochen. Im Schein der angeblich legitimen Kritik am Staat Israel sowie seinen VertreterInnen ist es möglich geworden, antisemitische Äußerungen im politisch „einwandfreien Gewand“ zu tätigen. Für Aufsehen sorgten in der österreichischen Fußballgeschichte bis heute auch diverse Ländermatches zwischen Österreich und Israel. So traten beispielsweise im Vorfeld des geplantes Spiels am 7.10.2001, das im Ramat Gan-Stadion in Israel stattfinden sollte, antisemitische Haltungen nicht nur bei den Fußballern selber, da sich einige weigerten, nach Israel zu fahren, zu Tage, als auch insbesondere beim Fußballkolumnisten der Tageszeitung Kurier, Wolfgang Winheim. Er beantwortete die Frage, warum das Spiel angesichts der drohenden Gefahr durch mögliche Terroranschläge nicht anderswo, wie es beispielsweise beim letzten Damen-Volleyball-Turnier der Fall gewesen war, ausgetragen werden könnte, mit der „Geldgier“ der Israelis: „Bei Volleyball-Damen schauen freilich nur ein paar hundert Leute zu. Beim entscheidenden Qualifikationsspiel der Kicker können die Israelis hingegen Millionen kassieren. Und wenn sie Österreich schlagen, prasselt der Geldregen nochmals über sie herein. Es geht halt bei allen sportlichen Aspekten auch ums Geschäftemachen. Eine Disziplin, in der unsere Fußballgegner längst schon WM-Reife haben.“ [10] Auch die Kritik an Winheim verfolgte ein ebenso bekanntes Argumentationsmuster: Er wehrte sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus, da er „sehr oft schon positive Berichte über Menschen aus Israel verfasst hat.“

Hooligans als neue Neonazis?

Die Affinität und Nähe des Fußballs zu rechtsextremen Gruppierungen stellen in der Fanszene aufgrund der Ähnlichkeit ihrer Wertvorstellungen wie beispielsweise der Betonung von Kameradschaft unter den Fans sowie ihren nationalistisch, fremdenfeindlich, rassistisch und antisemitisch motivierten Orientierungen keine Neuheit mehr da. Im Gegenteil gewinnen ebendiese Gruppen zunehmend an Popularität, und so sind Fußballfans immer wieder Anwerbeversuchen durch Neonazis ausgesetzt, die Fußballstadien dazu nutzen, ihre Parolen zu platzieren. So meinen auch die Fußballexperten Horak, Reiter und Stocker, [11] dass „die Agitationen neofaschistischer Gruppierungen, der NDP, der ‚Aktion Neue Rechte’, der ‚Ausländer Raus!’ Bewegungen (…) nicht zufällig auf fruchtbaren Boden gestoßen sind.“ Die Zugehörigkeit zu rechten Gruppen macht sich nicht nur an rechtem Lifestyle, neonazistischen Codes, Streetwear und (Un)kultur fest, sondern greift auch in die Freizeitgestaltung, Konzerten neonazistischer Bands, Sport und eben auch Fußball ein, die dazu dienen soll, die AnhängerInnen an die Gruppen zu binden und über die gemeinsam verbrachte Zeit eine feste Gemeinschaft zu schaffen. Dies wurde aber nicht nur inhaltlich begünstigt, sondern auch durch andere gemeinsame Vorlieben von Skinheads und Hooligans sowie Alkohol, Randale und eben Fußball forciert. Auch was den Musikgeschmack anbelangt, scheint es ähnliche Vorlieben zu geben, wie sich beispielsweise bei der Band „Gestapo“ insbesondere an folgendem Lied verdeutlicht: „Alle Juden sind mir gleich. / Ich mag Skinheads und SA, Türken klatschen ist doch klar. / Ich mag Fußball auf dem Rasen, die SS, wenn sie gasen. / All das mag ich, und ganz doll NSDAP.“ Als weiteres Beispiel wäre in diesem Zusammenhang neben unzähligen anderen die neonazistische Band „Knock Out“ anzuführen, die während der letzten Fußball-Europameisterschaft versuchte, über Hooligan-Versandvertriebe Fußballfans für ihre Musik als auch ihr Gedankengut zu gewinnen. Weiters werden beispielsweise in Deutschland Schals und anderes Fanzubehör vor den Stadien verkauft bzw. in den Stadien offen zur Schau getragen, die mit Parolen wie „Deutschland den Deutschen“, „Deutsche Frauen, Deutsches Bier“, „Deutschland erwache“, „Meine Ehre heißt Treue“, „Arbeit zuerst für Deutsche“, „Deutsches Vaterland“ , „Deutschland – Blut, Ehre, Vaterland“ oder „Ich bin stolz eine Deutscher zu sein; Deutsches Reich, Deutschland mein Vaterland“ versehen sind. Als Krönung des damit transportierten antisemitischen Gedankenguts lässt sich jedoch der Aufnäher mit der Aufschrift „Stauffenberg und die ganzen linken Schweine, ab nach Auschwitz“ erkennen. Auch in Österreich machten zuletzt im März dieses Jahres Fußballfans des Club Bad Boys bei einem Spiel zwischen SKN St. Pölten gegen den Wiener Sportklub mit einer Reichkriegsfahne, welche unter Neo-Nazis zu einem beliebten Ersatzsymbol für verbotene NS-Kennzeichen geworden ist, auf sich aufmerksam. Kurz zuvor hatten auch die Braunauer Bulldogs auf den österreichischen Umgang mit der Shoah unter Fußballfans verwiesen, indem sie auf der vereinseigenen Homepage über einen längeren Zeitraum ein Foto zur Schau stellten, auf welchem die Bulldogs mit ihrem Transparent und dem Hitlergruß vor dem Lagereingang des KZ Mauthausen posierten.

Trotz vieler Überschneidungen und Anknüpfungspunkte können Neonazis und Hooligans nicht gleichgesetzt werden, da es teilweise sowohl ideologische Unterschiede gibt als auch Differenzen in ihrer Agitation und Organisation. Dennoch muss verdeutlicht werden, dass Hooligans eine starke Affinität zu antisemitischen Denkmustern aufweisen, und ein gravierender Anstieg von offen geäußertem Rassismus, Antisemitismus und steigender Fremdenfeindlichkeit in der Hooligan-Szene erkennbar ist. Inzwischen lassen sich aber auch Bewegungen wie Hooligans gegen Rechts in diesen gewaltbereiten Fußballfangemeinden finden, die versuchen, sich gegen die Vereinnahmung durch neonazistische Gruppierungen zur Wehr zu setzen. Problematisch an der Wahrnehmung dieser Fangruppen bleibt jedoch, dass der alltägliche Rassismus, Sexismus, Antisemitismus etc. alleinig auf Hooligans projiziert und somit verdrängt wird.

Jüdischer Sport nach der Shoah in Österreich

Dass der Sport- und insbesondere Fußballbetrieb in Österreich nach 1945 nicht problemlos fortgesetzt werden konnte, hatte einerseits damit zu tun, dass viele ehemalige SpielerInnen infolge ihrer „soldatischen“ Beteiligung am Zweiten Weltkrieg körperliche Schäden erlitten hatten oder gestorben waren. Andererseits hatte auch eine Vielzahl jüdischer SpielerInnen in der Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus den Tod gefunden. So war auch der jüdische Sportbetrieb durch den nationalsozialistischen Terrorapparat massiv verändert worden. Durch die unzähligen Vertreibungen und Ermordungen lebten nur mehr wenige tausend Juden und Jüdinnen nach 1945 in Wien. Dennoch wurde der jüdische Sportklub Hakoah nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges durch die Alliierten wieder gegründet. Seit diesem Zeitpunkt regelmäßig mit antisemitischen Ausschreitungen konfrontiert, musste der Fußballklub Hakoah auf Grund von diversen Problemen, wie jene rund um Nachwuchs, Geld und auch Trainings- und Spielmöglichkeiten bereits 1950 aufgelöst werden. Bela Guttmann, der als Spieler bei MTK Budapest, Hakoah Wien und den New York Giants, sowie als Trainer bei AC Milan, Sao Paulo, und Benfica Lissabon tätig gewesen war, gilt als letzter jüdischer Fußballer im österreichischen Spitzensport. Er war bis 1964 als österreichischer Nationaltrainer bekannt geworden, jedoch nicht zuletzt auf Grund der antisemitischen Übergriffe auf seine Person zurückgetreten. Jüdischer Sport ist demzufolge in Österreich nicht mehr existent, jüdische SpielerInnen eine Rarität. Lediglich Auseinandersetzungen mit der Geschichte des österreichischen Sportwesens gedenken seiner einstigen Bedeutung und rühmen beispielsweise den einstigen Schwimmbetrieb der Hakoah mit Dokumentarfilmen wie „Hakoah Lischot – Watermarks“, der 2004 bei der Viennale zu sehen war.

[1Bromberger, Christian, in Horak, Roman/ Reiter Wolfgang 1991, S 23

[2Adorno, Theodor W. 1997, S 43

[3John, Michael, in Schulze-Marmeling, Dietrich 1992, S 257

[4Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die Kampfschrift des prominenten deutschen Turnerführers Karl Planck, die unter dem Titel „Fußlümmelei – über Stauchballspiel und englische Krankheit“ erschienen war. Vgl. Schulze- Marmeling 1992, S 67

[5nach John 1992, S 260

[6Schulze-Marmeling 1992, S 108

[7Fischer, Gerd/ Lindner, Ulrich 1999, S 9

[8Feder, Gottfried, zitiert nach Pfeiffer, Lorenz 1987, S 21

[9nach John 1992, S 267

[11Horak, Reiter, Stocker 1988, S 104

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