radiX, Nummer 1
Dezember
1998

Helmut Schmidt ist zurück

Jutta Ditfurth von der Ökologischen Linken in der BRD kommentiert in Jungle World das Deutsche Wahlergebnis und die Rosagrüne Koalition.

Für die, die den Kampf um die Emanzipation des Menschen und einen wirklichen Humanismus nicht aufgegeben haben, ist das Ergebnis der Bundestagswahl katastrophal.

Zu viele Menschen binden sich in doppelter Weise an eine Illusion. Die Reformhoffer unterwerfen sich der Lauschangriff-Asylabschaffer-Pro-Kapital-SPD unter den Herren Schröder und Lafontaine. An deren Seite joggt ein modernisierter Genscher mit alternativer Attitüde. Seine Ökonomie-Mehrwertsteuer-Partei vertritt die Interessen des alternativ angehauchten gehobenen Mittelstandes — soziale Schweinereien, aber mit gutem Gewissen, angeblich wg. Natur.

Andere Illusionäre hoffen, daß ihre Partei, die PDS, eine sozialistische Opposition ist. Dabei ist sie nur eine sozialdemokratische Heimatpartei mit nationalen Flügeln: einem national-sozialistischen um Christine Ostrowski und einem nationalbolschewistischen um Ellen Brombacher (Kommunistische Plattform). Die Oppositionswut der PDS entsteht nicht aus ihrem Verlangen, daß alle Menschen (sozial) gleich zu sein haben, sondern sie will die bessere Behandlung der Deutschen im Osten — nicht der dort lebenden Menschen aus Vietnam, Angola oder Moçambique. Der mainstream der PDS ist gekränkt, daß die SPD nicht einfach die Arme ausbreitet.

Der politische Wille des Kapitals hat sich diesmal die fortschrittliche Maske aufgesetzt. Das Kapital hat sein rosagrünes Dreamteam. Kohl & Co. würden die diffuse Opposition gegen kommende Grausamkeiten niemals so erfolgreich einbinden und befrieden. Rosagrün wird gebraucht, weil die Verhältnisse sozial, demokratisch und ökologisch schlechter werden. Für den Burgfrieden im Inneren und die effizientere Durchsetzung deutscher Kalitalinteressen auf dem Weltmarkt — auch via EU.

Illusionen wurden unter Wagner-Klängen neu geschmiedet. Die soziale Realität wird hinter Potemkinschen Kulissen verborgen. Menschen werden künftig, sofern man sie dafür überhaupt noch braucht, noch brutaler verwertet: Ihre Arbeitskraft, mehr und mehr auch ihr biologisches Potential. Die neue „Rassenhygiene“ trägt den Namen „Bioethik“.

Aber keine Entwicklung ohne innere Widersprüche: Das alles kann sich rasant ändern, falls die internationalen Finanzmärkte zusammenbrechen und eine Weltwirtschaftskrise die Zentren des Kapitalismus und die Deutsche Volksgemeinschaft AG erschüttert.

Es wird erst einmal schwerer, gegen die Ausbeutung und Demütigung von Menschen zu kämpfen. Die radikale Linke rnuß den nationalen VolksgemeinschafterInnen die soziale Frage entreißen. Sie muß diese mit der in Teilen der Linken noch so wenig begriffenen ökologischen Frage verbinden, sie muß antinational sein, antipatriachal, antifaschistisch. Es kommen Jahre, in denen z.B. die Gentechnik final durchgesetzt werden soll. In denen die Grünen dem Atomkapital beim Übergang zur Atomfusion helfen. Wo Informations- und Kommunikationstechnologie den Verarmten und Verarmenden vollends den Zugang zu Bildung und Wissen über die Bedingungen ihres Lebens verschließen.

Die sozialdemokratischen Bundesregierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt haben den Polizeistaat ausgebaut, ließen die Ausländerfeindlichkeit explodieren, gaben sich den Kapitalinteressen ungebrochen hin. Linke wurden verfolgt, Berufsverbote weltberühmt, in Krisenstäben liebäugelten Staatsvertreter mit standrechtlichen Erschießungen. Man peitschte die Notstandsgesetze (gemeinsam mit der CDU) durch ... usw. Wer nicht unter Amnesie leider oder jünger als 25 ist und nie liest, müßte sich eigentlich noch erinnern.

Helmut Schmidt ist wieder da. Diesmal heißt er Gerhard Oskar Schröder. Die siebziger Jahre sind als Karikatur zurück. Aber von einer starken radikalen Linken existiert noch nicht einmal eine verzerrte Zeichnung. Wir werden sie gegen neu verschleierte Verhältnisse aufbauen müssen, wir müssen die inneren Widersprüche der Verhältnisse und sich verändernde Rahmenbedingungen einrechnen, inhaltlich begründete Bündnisse schließen, uns von den nationalen „Linken“ scharf abgrenzen. Im Frühsommer 1999 tagen EU-Gipfel und WWG in Köln — beispielsweise.

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