Streifzüge, Heft 54
März
2012

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Kein Umgang nicht

Den ersten erinnerlichen Umgang damit hatte ich in zartem Kindesalter: Zwei Sumsi-Mitarbeiter nahmen die Entleerung eines jeden Büchslein vor und der jeweilige Auswurf am Tisch wurde allseits aufmerksam gemustert und taxiert. Da war es feierlich still. Dass ich nun hingeben musste, was doch als überaus wichtig galt, ging mir nur schwer ein. „Sparen“ heißt das, und irgendwann lernten wir die Lektion alle: Das Weniger heute ist das Mehr von morgen.

Demgemäß machte ich mir, so mit 19, Gedanken über die bevorstehende Pensionierung. Eines Freundes Bekannte hatte scheinbar hilfreiche Interessen: sie vermittelte Lebensversicherungen. Nach dem dritten Beitragsjahr schwächelte mein Sparwillen jedoch – 25 Jahre Laufzeit!?, da sträubte sich der Wirklichkeitssinn: Totalverlust. Der Ruhestand sollte doch schon vorher zu haben sein, nicht erst wenn körperlich eh nichts anderes mehr drin ist!

Die ehebaldige Verrentung im Anschlag, kamen mir sog. Finanzprodukte mit kürzeren Laufzeiten unter, wie sie auch der gut gewandete Bekannte meiner gutgläubigen Mutter im Portfolio hatte. Goldgruber hieß er und sein Name war Programm; allerdings in einem ruinösen Sinne. Nachdem gut die Hälfte in die Grube versenkt war, beschloss ich mit dem verbliebenen ethisch zu investieren; vielleicht, dass die Verluste dann weniger schmerzten! Die 2000er-Krise dezimierte auch diesen Bestand, ethisch korrekt.

Irgendwie war ich der Sache überdrüssig. Ich hatte aufs falsche Pferd gesetzt. Oder viel wahrscheinlicher war ich überhaupt beim falschen Rennen! Einer recht fraglichen Zukunft die Gegenwart so schamlos zu opfern, erschien mir denn zunehmend obszön. Arbeiten wollte ich gern, arbeiten gehen aber nicht. Ich hatte zwar einiges probiert, doch es gefiel nicht recht. Ich mied folglich die Lohnarbeit und sie mich. Wir sind nicht füreinander geschaffen, das war klar. So besann ich mich wieder meiner vorzüglichen Interessen und finde seitdem innerfamiliär Verwendung, auch sonst wo; als so eine Art Hausarchitekt ungefähr; eine Lebensstellung. Der bescheidene Lebensunterhalt speist sich derweil aus der großmütterlichen Privatschatulle, was ihr nicht billig und nur so einigermaßen recht ist.

Die Schmach meiner monetären Unselbstständigkeit tritt zu Tage, sowie die allerorten beliebte Frage ergeht, wovon man denn eigentlich lebe? Na, vom Essen und Trinken, und auch was zum Anziehen braucht der Mensch! Das ist den meisten zu hoch, es wird nachgebohrt. Ich kann auf keine Erwerbstätigkeit verweisen und komme nicht selten in Erklärungsnotstand. Will ich aber erklären – das mit dem Geld, der Arbeit und so – hab ich prompt ein Legitimationsproblem: Man könne leicht herumkritteln, im Elfenbeinturm eines leistungslosen Hinfristens.

Pfiffiger Schluss: Nachdem man mich zum Schwerpunktverantwortlichenstellvertreter der sog. Lustnummer (Streifzüge Nr. 55) berief, beschloss ich nach 35 Jahren strenger Enthaltsamkeit, ein viel versprechendes Feld zu bestellen, namentlich jenes der sexuellen Leidenschaften, um mich doch auch praktisch hierin kundig zu machen. Ein hübsches und kluges Mädchen ward alsdann gefunden und alles ließ sich zunächst recht gut an. Zunächst … denn aus heiterem Himmel wurde mir das Verhältnis aufgekündigt. Ich war bestürzt, wollte wissen, warum um alles in der Welt? Die Antwort ließ warten, war aber von verblüffender Folgerichtigkeit: Ich hätte keinen Job, könne also kein Geld verdienen, wäre also im Falle einer allfälligen Fortpflanzung nicht in der Lage, für den Spross angemessen (monetär) zu sorgen und wäre also kein guter Umgang, ja, auch ein Versager gar. Drum besser gleich einen Schlussstrich ziehen. Seltsam, es ging hier ja überhaupt nicht ums Nicht-Geld-Haben, sondern ums Nicht-Geld-Verdienen-Können, wozu ich tatsächlich, aufgrund meiner hierzu mehrfach geäußerten Ansichten nicht sonderlich befähigt schien. Beherzter Rettungsversuch meinerseits: „Die Prinzen im Märchen haben doch auch allesamt keinen Job.“ Blieb freilich erfolglos … zunächst.

Severin Heilmann

Me and the Money

Zwei hingeworfene Zahlen: 2.675,76 die eine, 2.176,04 die andere. Erstere summiert meine an VISA gezahlten Zinsen, zweitere meine an den Kritischen Kreis überwiesenen Mitgliedsbeiträge. Man glaubt es kaum, aber es ist tatsächlich so. Ich habe in den letzten 15 Jahren (1997–2011) „mein“ Kreditkartenunternehmen mehr gesponsert als meine Streifzüge. Ich muss schon ein Verrückter sein. Zweifellos. Auch wenn es nicht Absicht gewesen ist, ist es passiert und passiert noch, obwohl Aussicht besteht, dass heuer erstmals meine Mitgliedsbeiträge die VISA-Zinsen übertrumpfen. Ein Fortschritt. Mühsam erkämpft.

Der Kritiker ist also praktizierender Affirmatiker. Mehr als er das System mit seiner Schreibe schädigen kann, arbeitet er ihm durch Alimentierung zu. Wahrscheinlich ist er da kein Einzel-, sondern der Regelfall. Im gewöhnlichen Leben, diesem existenziellen Einerlei, bin ich ja ein braver Mitmacher: ich arbeite für Geld – wenn auch widerwillig, treibe es ein – wenn auch inkonsequent, mache meine Steuererklärung – wenn auch unlustig, überwache das Konto – wenn auch enttäuscht, überfliege die Angebote – wenn auch oberflächlich; vor allem lasse ich mich von diversen Waren recht einfach verführen – wenn auch dann die Ernüchterung folgt. Man kann mir mehr an, als ich dagegenhalten kann.

Ich und das Geld, das war nie eine Liebesgeschichte. Es flog mir nicht zu und ich rannte ihm nicht nach, wenngleich ich dann doch immer wieder laufen musste und auch gehörig ins Schwitzen geriet, um flüssig zu bleiben. Ich und das Geld, das war immer eine blöde Geschichte. So richtig zu Geld gekommen bin ich nie. Etwas muss ich immer falsch gemacht haben. Vielleicht weiß ich sogar, was, was aber wiederum nicht heißt, dass ich es mit der gehörigen Anstrengung hingekriegt hätte. Nein, zweifellos nicht. Anders als in anderen Dingen vermochte ich in Gelddingen nie rücksichtslos zu sein. Wenn schon Arschloch, dann muss man doch einen driftigen Grund dafür haben, meine ich. Geschäftstüchtigkeit ist keine Tugend.

Herr über meine finanziellen Verhältnisse war ich nie. Außer in den zweieinhalb Jahren (1992–94), als das Ministerium ein Forschungsprojekt bezahlte und ich sozusagen mein eigener Angestellter gewesen bin, war ich meist in Geldnöten. Ich könnte noch mit bizarreren Summen auffahren, etwa mit 3.376,92. So viel zahlte ich alleine zwischen 1997–1999 an Bankzinsen. Euro wohlgemerkt! Vorausgegangen war dem ein mündlich zugesagtes Forschungsprojekt, das sich dann aber nicht bewahrheitete. Ich allerdings hatte bereits so getan, als wäre es fix. Ich war dieser Tage ständig um die 10.000 Euro im Minus. In diese schwindelnden Höhen habe ich mich katapultiert, weil ich „meiner“ Bank von meinem erhofften Projekt erzählte und sie den Überziehungsrahmen bereitwillig ausweitete. Ich glaubte es, sie glaubten es, aber zu schlechter Letzt musste ich allein daran glauben. Nix war fix, aber ich war fertig. Zumindest finanziell.

Leben war in diesen Jahren (Theresa und ich waren erst zusammengezogen und schenkten uns auch noch zwei Kinder) überhaupt nur möglich durch trottelhafte Verwendung der Kreditkarte, d.h. Geld damit direkt beheben, nur 10 Prozent des offenen Betrages pro Monat zurückzahlen. Darüber bin ich noch nicht ganz hinweg. Natürlich hätte ich auch jemanden um Hilfe ersuchen können (was möglich gewesen wäre), aber da regierte dieser falsche Stolz, der lieber anonym Zinsen zahlt, als offen um Unterstützung bittet. Die musste es schließlich aber doch geben, denn sonst würde ich noch immer in diesem hohen Schuldenturm sitzen. So sitze ich immerhin in einem niedrigeren.
Man traut es sich kaum zu schreiben, es ist entblößend, daher soll es auch im Kämmerlein bleiben, niemanden etwas angehen, wie es einem damit geht. Über Geld zu reden ist obszön. Wie ein Geständnis wider Willen. Über Geld spricht man nicht, schon gar nicht über das eigene, von dem man sowieso zu wenig hat wie alle anderen auch. Denn selbst die, die mehr als genug haben, können ja nicht genug kriegen. Es ist unser Auftrag, mehr zu wollen, und ich versuche dem auf meiner bescheidenen Etage nachzukommen.

Ökonomisch bin ich zweifellos ein Versager und werde das aller Voraussicht nach auch bleiben. Ich habe finanziell nichts auf der Kante und werde da auch nichts draufkriegen. Außerdem ist mir die Sparmentalität zuwider. Banken, Versicherungen, gar Fonds oder Aktienmärkte mit Geld zu füttern erscheint mir noch irrer als irgendwelche Gebrauchswerte zu erstehen. Auch wenn ich die Lebenslust nie mit Geldgier substituierte, so erliege ich des Öfteren der Konsumsucht. So lebe ich stets über meine finanziellen Verhältnisse, aber unter meinen persönlichen Möglichkeiten.

Es ist oft knapp, aber es ist noch nie zu knapp geworden. Wir pfeifen meist aus dem vorletzten Loch, gelegentlich aus dem letzten, manchmal spielen wir aber auch in höheren Lagen. (Über die Geldbeziehungen meiner Frau schreibe ich aber nichts, weil da wird es ultra.) So gfretten wir uns durchs Leben und es geht uns im Vergleich damit nicht schlecht. Aber womit wird da verglichen? Die Frage, wie es einem geht, könnte ich mit „gut“ als auch mit „schlecht“ beantworten. Das hängt allein vom Kriterium ab.

Bankrottieren kann ich wiederum auch nicht. Sobald ich ganz abstürze, nehmen sie mir meinen Acker, für den ich Keuschlererbe satte 170 Euro Jahrespacht einhebe, auch noch weg. Verloren wäre dann auch die Zugabe von ein paar hundert Kilo Erdäpfel. Kartoffelnot hat es daher bei uns noch nie gegeben, im Gegenteil: Kartoffeln gibt es ziemlich oft. Was ist schon Geld gegen Kartoffeln?

Geld stiehlt Leben, relativ und absolut. Nicht nur die Zeit, die man durch diverse Geldangelegenheiten verliert, sondern auch die Zeit, die man durch den damit geschaffenen psychischen Stress und der physischen Anstrengung insgesamt an Lebensdauer verlieren muss, weil dies alles am Organismus nicht spurlos vorbeigehen kann. Wir tragen den Schaden. Wenn ich daran denke, wird mir gleich übel, so verdränge ich es. Das ist aber auch keine Lösung. Schon allein damit es mir besser geht, ist der Sturz des Geldsystems unumgänglich.

Franz Schandl
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