FORVM, No. 430/431
November
1989

Ich kann es auch nicht mehr hören

Der Autor als unzufriedener Leser

Der Antifaschismus hat Konjunktur, Verlagsprospekte und Rezensionsspalten quellen über vor lauter „Der Nationalsozialismus und ...“ (jede erdenkliche Berufsgruppe in jedem entlegensten Weiler), das launige Radioprogramm Ö3 hat den Unterhaltungswert des Widerstandes entdeckt und plaziert zwischen Werbung und Moderatorenfrohsinn Anekdoten aus der „Zeit, als Radiohören noch gefährlich war“, sofern es sich beim Abgehörten um Feindsender handelte.

Wozu?

Wozu immer noch ein neuer Bericht eines Überlebenden aus dem KZ? Alles, was sich von dessen Grauen vermitteln läßt, wissen wir, seit Eugen Kogons „SS-Staat“, erschienen 1946. Alexander Mitscherlichs „Medizin ohne Menschlichkeit“ hat uns 1946 mit dem Unheil der Heilkundigen vertraut gemacht. Andere haben sich länger im Dunkeln gehalten, aber selbst der zählebigste Mythos, der von der braven Wehrmacht mit ihren anständigen Soldaten, ist seit einiger Zeit gefallen. Neuigkeitswert bieten allenfalls gedächtnisschwache Landesväter, ein Marinerichter dort, ein zu Jugendzeiten berittener Staatspräsident hier. Aber was füllt FORVM für FORVM mit der Frage, wann er wo herumgeritten ist?

Wir wissen doch hinlänglich Bescheid, neue Details können das Bild nur ergänzen, nicht ändern.

Und schon gar nicht erklären.

Ist es überhaupt zu erklären, im doppelten Wortsinn, ist ein Begreifen möglich, ist es nötig?

Der Erklärungsbedarf ist offenbar so groß wie unstillbar, auch vierzig Jahre danach hat sich unter der Unzahl der Faschismustheorien keine zufriedenstellende gefunden.

Um so besser, könnte man daraus schließen, wenn man im Zufriedenstellen nichts sonderlich Beruhigendes erblickt. Das Grauen ist durch Theorie nicht domestizierbar, kein Begriff ist dem Unfaßbaren gewachsen, der Stachel sitzt fest und irritiert.

Dreht man die Perspektive derart, dann ginge es darum, die Irritation bei Kräften zu halten. Und umgekehrt, Kräfte für die Selbstreflexion freizusetzen:

Antwort auf den einen Verdrängungsmechanismus, das Totschweigen, der komplementäre, das Totreden? Läßt sich, ganz objektiv gesehen, wenigstens in der Vergangenheit noch Orientierung finden? Hat Marquard recht mit seiner Durchhalteparole, muß man den Leuten möglichst einfache Geschichten erzählen, am besten alte Mären, auf daß sie sich noch zurecht- und abfinden mit und in ihrer Welt?

Oder läßt sich, ganz subjektiv gesehen, dem Geburtsfehler der nicht erkämpften, sondern (1918 und 1945) geschenkten Republiken einfach kein republikanisches Selbstbewußtsein abhandeln, das in und von Auseinandersetzungen mit der eigenen Zeit lebt?

Vielleicht ist es auch nur die ganz banale Bequemlichkeit, die einen liebgewordenen Feind nicht preisgeben will?

Braunau, 20. April 1989, Hitlers hundertster Geburtstag. Die Passanten lachen ihn aus, den Schwarzledernen, der vor den Objektiven der versammelten Weltpresse den Jubilar mit gerecktem Arm hochleben läßt. Stundenlang haben alle Kameraaugen auf ihn gewartet, außer ihm ist schlichtweg niemand erschienen, das Klischee zu bedienen.

Natürlich befriedigt er nicht nur den Bilderhunger der Medien. Und auch nicht nur den Entlastungshunger der Braunauer, die unglücklicherweise den Hitler zum Mitbürger haben. Sondern auch das Ruhebedürfnis von Zeitungsschreibern und -lesern, die beim Betrachten des Fotos mit Befriedigung feststellen dürfen, daß der Faschismus immer noch so aussieht wie einst und man sich keine neuen Sorgen machen muß.

Sind die Signale nicht mehr so eindeutig wie beim Hitlergruß, dann hilft gegen jede Verstörung ein Schönhuber oder Haider auf dem Titelbild von Wochenmagazinen, möglichst in Brauntönen gehalten und für Kurzsichtige mit einem Schatten unter der Nase versehen, der die Hitler-Bürste zum Verwechseln gleicht. Wer sich trotzdem auf die Lektüre einläßt, wird mit den behaglichen Kategorien belohnt, mit denen der approbiert antifaschistische Journalist seine Welt in Ordnung hält. „Mannen“ sind sie zumindest, die Klientel der neuen Rechte, schmückender noch: „Recken“.

Aber über die Qualität der anderen wissen wir doch Bescheid im FORVM, wir haben sogar in der letzten Ausgabe darüber geschrieben.

Und zur Illustration einen Haider an die Wand gemalt und ihm einen Schwanz in Gestalt eines Totenkopffalters (?) umgebunden und mit der miesen Schmiere den Betrachter ratlos darüber gelassen, ob das formale Unvermögen des Zeichners noch von seiner Intoleranz überwogen wird, oder ob uns das listige FORVM vordemonstrieren will, wie leicht eine gut gemeinte antifaschistische Ästhetik in ihr Gegenteil umkippen kann.

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