Heft 6/2000
Oktober
2000

Idealfreier Begriffsfetischismus

Eine Kritik an Grigats Kritik „idealistischer Weltmarktkritik“

Markus Kemmerling ärgert es, daß Stephan Grigat in seiner Kritik „idealistischer Weltmarktkritik“ (Context XXI, 5/2000) mit Äpfeln auf Birnen schmeißt.

Mit reichlich Häme bedenkt Stephan Grigat in seinem Beitrag all jene, die — „im wertfetischistischen Bewußtsein verhaftet“ — „gerechten Tausch“ propagieren. Nehmen wir zum Beispiel die EZA, die wohl prototypische österreichische Organisation, die fairen Handel zu betreiben sich bemüht. Grigat argumentiert nicht, daß und warum deren Bestreben nicht zu höheren Preisen und somit besserem Leben für die WarenproduzentInnen führt, er argumentiert dies auch nicht angesichts von ich-weiß-nicht-wieviel täglich umgesetzten Tonnen Kaffebohnen ein paar Schilling mehr für das eine oder andere Kilo ein naives und lächerliches Unterfangen sei, er argumentiert überhaupt nicht auf konkrete Tauschgeschäfte bezogen. Grigat doziert und deduziert: Da Preis immer „Ausdruck ökonomischen Zwangs“ sei, könne es einen fairen qua definitionem nicht geben.

In solch luftiger Höhe abstrakter Begrifflichkeit existiert die EZA ebensowenig wie jede andere entwicklungspolitische Organisation. Ein Durchbrechen kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten ist dort, da nicht verallgemeinerungs- und somit auch nicht theoriefähig, gar nicht denkbar. Die „an der Oberfläche der kapitalistischen Gesellschaft erscheinenden Phänomene“ verlieren jedwede Relevanz, damit aber auch: jede politische Praxis. Politische Theorie, die sich von allem Konkreten derart abgrenzt, kann für sich selbst nur mehr Kritik in Anspruch nehmen. Das Problem daran: Unabhängig davon, ob richtig oder falsch, führt solche Kritik nirgendwo mehr hin.

Grigat ist in guter, will sagen schlechter Gesellschaft. Ich habe in den letzten Jahren mehr als einen Artikel gelesen, der sich diese oder eine vergleichbare Vorgangsweise zu eigen gemacht hat. Zum guten Ton dieser Beiträge scheint es überdies zu gehören, die sich den Mühen der Ebene Stellenden ob ihres niedrigen theoretischen Niveaus zu verspotten („durchgedreht“, „Kirchentagsniveau“, „Paffenmanier“, …). Und spätestens hier wird es ärgerlich — da hätte es gar nicht mehr dessen bedurft, daß Grigat zu guter letzt noch IWF- und Weltbank-KritikerInnen gegen jene ausspielt, deren Engagement sich gegen Rassismus und Antisemitismus richtet. Könnte es sein, daß erst die Abstraktion von jedweder politischen Praxis, die in diesen Texten eingeübt wird, ihre AutorInnen zu solcherart Hohn befähigt? Oder gar umgekehrt: daß erst der Spott ihnen ihre Ignoranz gegenüber dem Konkreten ermöglicht?

Begebe ich mich ungeachtet des Gesagten auf das Grigatsche Niveau hinauf, überzeugt mich die Argumentation seines Beitrags auch nicht. Nach Grigat sind zwei gleich teure Güter auf der Wertebene immer gleich, da sich ihr Wert eben gerade durch ihren Preis definiere. Da es nur mehr einen globalisierten Markt gäbe, gelte dies weltweit. Nicht nur, daß am Weltmarkt trotz oder vielmehr aufgrund aller Globalisierung Protektionismen und Lenkungsmechanismen nur so wuchern, der eine, globalisierte Markt so gleich also nicht ist, erstaunt vor allem die Leichtigkeit, mit der der scharfe Kritiker des „Geredes“ vom gerechten Tausch selbst den Begriff Gerechtigkeit verwendet, nämlich weitgehend synonym mit der qua Begrifflichkeit konstruierten Gleichheit auf Wertebene. Wie immer man Gerechtigkeit definieren mag, so zeichnet sie sich doch sicherlich durch einen Bezug auf Menschen und Gesellschaft aus. Genau jener Bezug aber geht nach Grigat durch den Eintritt in das am Weltmarkt herrschende „andere Bezugssystem“ verloren. Von der „endgültigen Vollstreckung“ der „Gerechtigkeit des Weltmarktes“ zu schreiben, klingt provokant, daß Gerechtigkeit auf der Wertebene keine anwendbare Kategorie darstellt, hingegen schon viel langweiliger. Dann wäre weiters ziemlich banal festzustellen: wer von „gerechtem Tausch“ redet, redet eben nicht von Tausch auf der Ebene des Wertes am Weltmarkt. So ganz ist das auch Stephan Grigat nicht entgangen, wenn er, nicht ganz konsistent, schreibt, auf dem Weltmarkt gelte ein anderes Wertniveau. Da muß es dann wohl auch noch ein nicht anderes geben.

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