ZOOM 3/1997
Juni
1997

Im Herzen der Finsternis

Der paraphrasierte Titel von Joseph Conrads Roman „Das Herz der Finsternis“ ist nicht zufällig gewählt, denn der Roman spielt sich um Kisangani in Zaire ab, damals Stanley Falls in Belgisch-Kongo. Ende des vorigen Jahrhunderts klagten Joseph Conrad und Arthur Conan Doyle in ihren Publikationen die Verbrechen der belgischen Kolonialmacht an. Bis zu zehn Millionen Menschen sollen damals durch die Force Publique (die belgische Kolonialtruppe) und durch Abenteurer, die sich Offiziere und Firmenagenten nannten, in der Zwangsarbeit für den Kautschukboom umgekommen sein, im Namen eines zivilisatorischen Rassismus.

Heute ist Kisangani von der AFDL, der Allianz der Demokratischen Kräfte zur Befreiung von Kongo, unter Laurent-Désiré Kabila befreit, die das lokale Terrorregime eines sich so nennenden Oberst Yugo, ein modernisierter Kurtz (Titelheld aus dem Conrad-Roman), und seiner serbischen Söldner, gemietet von Zaire, beendete. Die AFDL hat sich zu einer allgemeinen Aufstandsbewegung gegen Mobutu Sésé Séko und seine Diktatur durch die Armee (FAZ) und den Geheimdienst (SARM) entwickelt. Kabila, der offizielle Vertreter der AFDL, war schon zu Zeiten Patrice Lumumbas in den sechziger Jahren aktiv, bei ihm tauchte Ernesto Che Guevara 1965 unter, in dem Jahr, in dem er nirgendwo war. Damals waren die USA auf der gegnerischen Seite, heute aber beraten „Geschäftsleute“ aus den USA den AFDL-Kommissar für Sicherheit Paul Kabongo.

Heute steht eine breite Koalition von Staaten und Befreiungsbewegungen, unterstützt mit Ausrüstung aus den USA, von Äthiopien und Eritrea über den Südsudan und Uganda bis Ruanda im Zentrum von Afrika. Sudan, heute ein „rogue state“, früher heimlicher US-Verbündeter gegen das damals marxistische Äthiopien, steht auf der Abschußliste der USA; Mobutu detto. Der ugandische Präsident Yoweri Museweni unterstützt John Garang, Führer der Befreiungsarmee der Völker des Sudans (SPLA) und auch die Batutsi-Regierungen in Ruanda und Burundi, denn die Exilorganisation der Batutsi in Uganda (RPF) haben ihn im Bürgerkrieg unterstützt. Der Sudan und auch Zaire wiederum unterstützten die Reste der moslemischen Idi-Amin-Dada-Truppen, die Tablik-Sekte und eine „Allianz der Demokratischen Kräfte“ in Nordzaire gegen Uganda. In Äthiopien versucht der Sudan über das Volk der Somali und deren islamische Organisationen Einfluß zu gewinnen. Nicht nur dadurch herrscht in Äthiopien weiter Bürgerkrieg. Auch die christliche Oromo-Befreiungsfront (OLF) kämpft gegen das mehr islamisch ausgerichtete Regime in Addis Abbeba. Die islamische Regierung in Asmara (Eritrea) unterstützt mittlerweile die nordsudanesische Opposition gegen die Fundamentalisten in Khartum. Diese setzen angeblich immer mehr auf Frankreich, ob es umgekehrt auch so ist, werden erst amerikanische Indiskretionen enthüllen können.

Für die USA ist der Sudan nicht erst seit dem Anschlag auf das World Trade Center ein „rogue state“ geworden. Vielmehr sind die mit dem Ende des Afghanistan-Krieges freigewordenen fundamentalistischen Legionäre und Organisationen – wie etwa die Tablik-Sekte – aber auch Staaten schon seit diesem Zeitpunkt, der gleichzeitig die Einstellung von militärischer und finanzieller US-Unterstützung markiert, zu einem Problem geworden. Dieses wird leider oft genug auf eine terroristische Wahrnehmung verengt, auch wenn die häufigen Attentate dazu Anlaß genug bieten. In Afrika stützt sich die USA seither mehr auf das geopolitisch zentral gelegene Uganda, das militärische Güter bekommt, die es anscheinend an die AFDL in Zaire weiterleitet.

Leopold II.

Die Verbindung zu Zaire ist auch eine historische: Die USA hatten als erstes Land der persönlichen Kontrolle des belgischen Königs Leopold II. über den Kongo politische Rückendeckung durch ihre diplomatische Anerkennung verliehen. Die anderen Kolonialmächte mußten dies wider Willlen nachvollziehen. Heute aber nehmen die USA Positionen der alten britischen Herren ein (so ist vom berühmt berüchtigten britischen Rohstoffkonzern Lonrho so gut wie nichts zu hören) und bedrohen die der französischen.

Frankreich ist der größte Handelspartner und Entwicklungshilfegeber Afrikas. Es importiert jede Menge an strategischen Rohstoffen aus Afrika wie Erdöl, Uran und Edelmetalle. Sein ökonomisch-strategischer Arm in Afrika ist der staatliche Konzern ELF-Aquitaine. Frankreich unterhält militärische Eingreifgarnisonen quer durch den frankophonen Teil Afrikas, rechtlich abgesichert durch bilaterale Interventionsabkommen – von Gabun über Tschad und der Zentralafrikanischen Republik bis Djibouti. Auch in dem scheinbar so undurchsichtigen Konflikt in Liberia – ein traditionell schon durch seine Gründung den USA nahestehendes Land mit interessanten Rohstoffen, die vom US-Konzern Firestone ausgebeutet werden – ist Frankreich hinter den Kulissen engagiert. Frankreich nutzte die Ost-West-Konfrontation, um auch Zaire, Ruanda und Burundi in seine Einflußzone zu integrieren (so hat Frankreich in Ruanda schon dreimal auf seiten der Bahutu eingegriffen).

Diese Länder hat es wieder verloren. Die von Frankreich unterstützten Bahutu-Organisationen, die im Rahmen der „Operation Türkis“, der Evakuierung von EuropäerInnen aus Ruanda 1994, auch noch nachgerüstet worden waren, sind zerschlagen. Die im Exil von Kenia und Uganda anglophon gewordenen Batutsi Ruandas, organisiert in der Ruandischen Patriotischen Front (FPR), sind mit der AFDL verbündet. Schon vor der Flucht der Bahutu, ihrer Extremistenmiliz „Interhahamwe“ und ihrer Armee nach Zaire kam es zu Interventionen von Zaire, denn in der Kivu-Region an der Grenze zu Ruanda dominieren den Batutsi verwandte Völker, Nachkommen früherer Flüchtlinge und Wanderbewegungen. Die Regierung Zaires versuchte, diese systematisch als NichtzairerInnen auszugrenzen. 1994 gab es dazu noch zwei Parlamente und zwei Regierungen. Schon vor der Massenflucht der Bahutu 1994 war hier also ein Bürgerkrieg im Gange, vor allem in der Region der Großen Seen. In Folge bildeten verschiedene im Osten Zaires ansässige Völker eine breite Koalition, die AFDL – sowohl gegen die Bahutu als auch gegen die herrschende Regierung gerichtet. Träger dieser Bewegung sind vor allem die Banyamulenge. Dazu kommen zairische Deserteure, das Volk der Hunde und andere. Mit Unterstützung der RPF und der ruandischen Armee wurden die Bahutu-Milizen und die Reste der zairischen Armee zerschlagen. Gegen eine befürchtete Batutsi-Vorherrschaft an den Großen Seen organisieren sich aber bereits das Volk der Bembe, dem Kabila entstammt, und andere zu den „Bewaffneten Widerstandskräften von Kivu“ (FRAK). Gemeinsam mit Bahutu-Guerillas aus Burundi wie etwa der CNDD, der „Frolinat“ und der „Palipehutu“ sind sie in Südkivu eine Macht. Die AFDL bot den Bembe zuletzt die Position eines Sicherheitschefes an, jene Paul Kabongos.

Die Interessen der USA werden meist nur als politische gedeutet, als Stabilitätssehnsucht verharmlost, und tatsächlich ist eine „Balkanisierung“ Zaires nicht von der Hand zu weisen. Denn der Zerfall Zaires hängt sehr wohl mit den nichtbezahlten staatlichen Angestellten, der damit einhergehenden allgemeinen Korruption, einem zunehmenden Bevölkerungsdruck und dem wirtschaftlichen Niedergang zusammen. Zwar hoffte Mobutu durch die Massenflucht der Bahutu sein Regime durch die internationale Hilfe wieder zu legitimieren und zu stabilisieren, doch das einzige, was bis zu ihrer Niederlage stabilisiert wurde, war die Herrschaft der Interhahamwe über die Flüchtlingscamps durch das Monopol der Güterverteilung. Doch nicht nur der staatliche Zerfall Zaires bewegt die USA, die einzige Weltmacht fühlt sich zunehmend für alles allein zuständig („one world“), und unter diesem Schutz breiten sich die US-Konzerne auf der Suche nach Rohstoff- und Absatzmärkten weiter aus. Der amerikanische Konzern American Mineral Fields zum Beispiel soll mit den Rebellen der AFDL einen Vertrag im Wert von einer Milliarde Dollar geschlossen haben, um Kupfer, Kobalt und Zink zu fördern. Paul Kabongo hält sehr viel von den USA, sie seien die einzigen, die sich in Afrika richtig verhalten würden, weil sie wissen, daß sie nichts verstehen. Sie wollen Rohstoffe kaufen und dafür bezahlen, so der Sicherheitschef der AFDL. Deshalb bekommen die Rebellen auch verhaltenen Beifall von Wirtschaftszeitungen und werden von ihnen als realistisch und pragmatisch beschrieben. Wohl kein Zufall. Andererseits stehen schnelle Eingreiftruppen der USA, Frankreichs und Belgiens (fehlt nur mehr die schnelle Eingreiftruppe Eurofor und ein österreichisches Kontingent in humanitärer Mission) jenseits des Flusses Kongo in Brazzaville, der Hauptstadt der Republik Kongo, bereit. Da gilt es, nur nicht zu vorlaut werden.

Mobutu Sésé Séko

Ein neuer Konkurrent ist mit Südafrika auf den Plan getreten. Sowohl politisch als auch ökonomisch stellt es den Führungsanspruch in Afrika. Und De Beers, der weltweit agierende Diamantkonzern Südafrikas hat im Kielwasser von Präsident Nelson Mandela seine jahrzehntelang einseitig auf Mobutu ausgerichtete Politik modifiziert und verhandelt ganz realistisch mit den Rebellen, die gedroht haben, mit der Konkurrenzfirma, American Mineral Fields zu verhandeln. Da flog dann der Vertreter von De Beers in Kinshasa (früher Leopoldville nach dem größten Ausbeuter des Kongo, Leopold II., Schwiegervater Kronprinz Rudolfs) schnell nach Goma, dem Hauptquartier der AFDL. Kein Wunder, stehen doch die Rebellen bereits in Mbuji Mayi, der Diamantenhauptstadt und haben die staatliche Minengesellschaft Miba übernommen. Allerdings erwartet De Beers gröbere Schwierigkeiten, da der Konzern jahrzehntelang auf Diamanten ein Abnahmemonopol hatte und mit seinen Steuern etc. Mobutu finanzierte (eher etc.).

All das vorbedacht, ist eine Berlin-II-Konferenz wahrscheinlicher als ein Faschodah-Abkommen, das damals die Aufteilung Afrikas zwischen Frankreich und Grobritannien festschrieb und damit die spätere Entente erst ermöglichte. Die erste Berlin-Konferenz fand 1884/85 statt, bei der die damaligen Großmächte ihre Interessengebiete weltweit absteckten.

Ursprünglich wollte Frankreich ein UN-Mandat unter seiner Führung für Zaire, aber die USA legten sich quer. Dann wollten die USA ein UN-Mandat unter seiner Führung mit der Beteiligung von anglophonen afrikanischen Ländern, aber auch von frankophonen. Da entdeckte Paris schnell die imperialistische Absicht dahinter und riet den frankophonen Staaten von einer Beteiligung ab. So sitzt jetzt ein kanadischer Major als Kompromiß in Kampala. Ein UNO-Kontingent unter kanadischem Kommando liegt in Entebbe, es hätte ins östliche Zaire einmarschieren sollen, das Gebiet politisch und militärisch in humanitärer Mission stabilisieren sollen, doch mit der Rückkehr der Bahutu-Flüchtlinge nach Ruanda entfiel ihr Auftrag, und so ziehen nur US-amerikanische Überwachungsflugzeuge ihre Kreise über Zaire.

Und Mobutu Sésé Séko? Noch pokert er in Kinshasa, beschützt von seiner Leibgarde, der Division Spéciale Présidentielle (DSP). Aber wahrscheinlich wird er den letzten Flug an die Cote d’Azur nehmen. Dort steht seine „Villa del Mare“ in Roquebrune-Cap-Martin, keine zwanzig Minuten von der ehemaligen „Villa des Cèdres“ von Leopold II. am Cap Ferrat entfernt und nicht weit von seinen Konten. Derzeit wird von der Schweiz bestritten, daß Mobutu sein Fluchtgeld in der Schweiz angelegt haben soll.

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