Heft 8/2003 — 1/2004
Dezember
2003

Internationalismus und Bellizismus

Die Denunziation von Befürwortern der Mi­litärintervention im Irak als Kriegshetzer interessiert sich nicht für die irakische Oppo­sition.

Was herauskommt, wenn internationalistische Be­wegungslinke sich zusam­mensetzen um ihr Tun zu re­flektieren, nur um dann wie­der in den alten Trott verfal­len zu können, zeigt ein von der Bundeskoordination In­ternationalismus (BUKO), ei­ner der wichtigsten Dachor­ganisationen der deutschen Linken, herausgegebener Sammelband. Das meiste dar­in kennt man bereits aus den diversen linken Zeitschriften. Einige der Beiträge können durchaus etwas zur Analyse der gegenwärtigen internatio­nalen Entwicklungen beitra­gen. Die meisten Artikel sind jedoch ausgesprochen bewe­gungszentriert und ergehen sich in Selbstbeweihräucherungen. Beispielhaft sei hier nur das Zapatismus-apologetische Gespräch von mehre­ren AutorInnen, Theoretiker­Innen und AktivistInnen ge­nannt. Dieses Gespräch wird nur dort interessant, wo es die Entwicklung der letzten Jah­re und die Reaktionen auf das Scheitern der Verhandlungs­strategien der mexikanischen EZLN thematisiert. Andrea Jung etwa erklärt, dass sich „innerhalb der zapatistischen Kreise immer wieder Perso­nen" fanden, „die auf die Sackgasse des Verhandlungs­prozesses damit reagierten, dass sie sich der EPR (Revo­lutionäres Volksheer) an­schlossen“, und dass aus den Vorbereitungskomitees für die „Marcha“ 2001 eine Vielzahl von Gemeinschaften der „Sociedad Civil en Resistencia“ entstanden sind, „die über die Betonung ihres zivilen Cha­rakters versuchen, der zuneh­menden Militarisierung der Region nicht zum Opfer zu fallen und auch gegenüber der EZLN größere Autonomie wahren.“ Jung ist es auch, die von der problematischen Ver­engung des Projektes EZLN auf die Probleme der Indigenas spricht, welche sie als Re­sultat der „Enttäuschungen mit der so hoffnungsvoll angerufenen Zivilgesellschaft“ sieht. Interessant ist dabei auch die Diskussion um die beschlossene Autonomiege­setzgebung, welche die Zapatisten nicht erwartet hätten, und die von den Diskussionsteilnehmerinnen durchaus unterschiedlich ein­geschätzt wird.

Ernst Lohoff von der Nürnberger KmA-Gruppe versucht die Unterschiede zwi­schen modernen nationalisti­schen Zerfallskriegen wie im ehemaligen Jugoslawien und den ebenfalls gewaltförmigen historischen Nationsbildungen in Europa herauszuarbeiten. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass es irrelevant wä­re „unter welcher Fahne wo das große Modernisierungs­werk und die Inwertsetzung vonstatten geht“. Vielmehr komme es darauf an, „wer sich welches Claim bei der Aus­schlachtung der Modernisie­rungsruinen sichern kann.“ Solche Überlegungen könnten der Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion sein. Die­se findet in dem BUKO-Band jedoch nicht statt. Zu wenig beziehen sich die Beiträge auf­einander. Zu oft geht es nur um Selbstvergewisserung oder Abgrenzungen. Besonders deutlich wird das dort, wo auch durchaus lesenswerte Beiträge, wie jener von An­drea Nachtigall und Anette Dietrich, nicht umhinkönnen, sich neben der fundierten Kri­tik an einer feministischen Les­art des 11. Septembers, die in den Twintowers nur die „phal­lischen Symbole des westli­chen Finanzkapitals“ erken­nen will, auch noch an der identitätstiftenden Abscheu vor der antideutschen Berliner Zeitschrift Bahamas beteiligen. Nicht, dass es da nichts zu kri­tisieren gäbe. Problematisch wird diese Kritik aber, wenn sich AutorInnen nicht einmal mehr die Mühe machen, die kritisierten Stellen zu zitieren und die Bahamas nur mehr eine Projektionsfläche für die eigene linke Selbstvergewisse­rung darstellt.

Der diesbezügliche Tief­punkt des Bandes stellt der Beitrag von Josef „Moe“ Hierlmeier dar, der schlichtweg alle, die leise Zweifel an der unbedingten GegnerIn­nenschaft zu einem militäri­schen Sturz des ba’thistischen Regimes im Irak anmeldeten und über mögliche positive Effekte eines Irakkrieges für die irakische Bevölkerung oder für die Existenzsiche­rung Israels zumindest nach­dachten, unter dem Begriff „Bellizisten“, also Kriegstrei­ber, zusammenfasst. Er un­terscheidet zwar zwischen ei­nem „.humanitären Völker­rechts- und Menschenrechtsbellizismus“ im Umfeld von Rot-Grün“ und einem „antideutschen Bellizismus, zunächst um die Hamburger Monatszeitschrift ‚Konkret‘“, aber nur, um gleich wieder vermeintliche Gemeinsam­keiten zu finden: „Beide Bellizismen verfolgten völlig un­terschiedliche politische Pro­jekte, überschnitten sich aber argumentativ: Verhinderung eines Völkermords, eines Ge­nozids oder eines neuen Au­schwitz, Bekämpfung faschis­tischer Diktaturen, Verteidi­gung Israels, Verteidigung der Zivilisation und der Freiheit wurden als ‚gute Gründe‘ für die Zustimmung zum Krieg genannt.“ Er weigert sich aber, jene Stellen, die den Bellizismus von Bahamas- oder Konkret-AutorInnen belegen sollen, korrekt zu zitieren. Sein Beitrag kommt ohne ei­ne einzige Quellenangabe aus. Für Hierlmeier ist einfach jede und jeder, der oder die im Zusammenhang mit dem Irak darüber nachdachte, ob es auch positive Effekte haben könnte, das Ba’th-Regime mit einer US-Militärintervention zu stürzen, ein Kriegshetzer. Implizit stellt er damit auch einen großen Teil der iraki­schen Opposition, von den kurdischen Parteien PUK und KDP über einige islamische Parteien, die Assyrische De­mokratische Bewegung bis hin zur Kommunistischen Partei Kurdistans, die der US-Intervention wesentlich posi­tiver gegenüberstand als die Irakische Kommunistische Partei, ebenfalls als Kriegs­hetzer dar. Das geschieht je­doch nicht explizit, denn die Irakis selbst kommen bei Hierlmeier, wie bei so vielen deutschen KommentatorIn­nen, überhaupt nicht vor. Jene Menschen, wegen denen man sich angeblich gegen den Krieg aussprach, sind ledig­lich Objekte am Rand des Ge­schehens und keine handeln­den Subjekte, die ernst zu nehmen wären. Im Gegensatz zu lateinamerikanischen Lin­ken scheinen sie auch dem BUKO keine Auseinander­setzung wert zu sein. Kann das daran liegen, dass sie sich durch ihre Zusammenarbeit mit den Besatzern — schließ­lich ist auch die Irakische Kommunistische Partei trotz ihrer Ablehnung des Krieges im neuen Übergangsrat ver­treten — nicht als Projektions­fläche für versteckten Anti­amerikanismus eignen?
Hierlmeier ignoriert die simple Tatsache, dass es zu­mindest ein historisches Bei­spiel gibt, in dem ein Krieg das Massenmorden beenden konnte. Den Verweis auf das militärisch herbeigeführte En­de der deutschen Vernich­tungsmaschinerie sieht er nur als Relativierung der Shoah und nicht als eben jenes Bei­spiel, das einen dogmatischen Pazifismus diskreditiert, weil faschistische Diktaturen nun einmal nicht mit guten Wün­schen wegzubitten sind. Wen wundert es da noch, wenn Hierlmeier ganz im Sinne von Martin Walsers „Auschwitzkeule“ meint, es ginge der antideutschen Kritik nicht mehr um Begründungen, sondern nur mehr „um einschlägige Assoziationsketten (...): ‚Wer als erster Auschwitz sagt, hat gewonnen.‘“ Wäre Hierlmei­er nicht einer der Mitheraus­geber des Buches könnte noch gefragt werden, ob die Herausgeber nicht wenigstens hier die Notbremse hätten zie­hen können. Solche verbalen Entgleisungen scheinen aber der Intention des gesamten Buches zu entsprechen.

Schade, dass sich auch der durchaus lesenswerten Auf­satz von Jörg Später über die Rezeption des Nahostkon­flikts in der deutschen Linken oder der Beitrag von Manuela Bojadzijev, Serhat Karakayali und Vassilis Tsianos über Mi­gration in dieser Gesellschaft wiederfinden.

BUKO (Hg.): radikal global. Bausteine für eine internatio­nalistische Linke. Assoziation A, Berlin 2003, 272 Seiten, 16,— Euro

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