FORVM, No. 255
März
1975

Italiens Frauen sind erwacht

Nach der Ehescheidung kommt die Abtreibung dran

Nach dem großen Sieg der Linken über die DC bei der Volksabstimmung über die Ehescheidung am 12. Mai 1974 ist nunmehr der Kampf gegen die Abtreibungsparagraphen der neue Hauptkampfplatz. Für die Gruppen links von der KP ist das ein Hebel, mit dem sie den „großen historischen Kompromiß“ der Kommunisten mit den Christdemokraten verhindern können. Angesichts einer christdemokratisch-neofaschistischen Front wird die KPI keine andere Wahl haben, als mit den übrigen Linken zusammenzugehen. Außer Fanfani eröffnet ihr den Kompromißweg einer Indikationenlösung — was freilich ein Danaergeschenk wäre.

Die Kampagne rollt:
Demonstationen, Unterschriftensammlungen in Italien

1975 ist für die UNO das „Jahr der Frau“ — in Italien ist es das „Heilige Jahr“. Die schwere Zerfallskrise der Christdemokratie, die mit dem Klassenkampf nicht mehr fertig wird, treibt auf einen Machtwechsel in Italien hin. Wie kann sich die DC noch halten? Ihr Führer Fanfani und Teile der Partei hoffen, durch eine massive Ordnungskampagne den antikommunistischen Kreuzzugsgeist der fünfziger Jahre wieder beleben zu können. Diese Kampagne ist mit Jahresbeginn angelaufen und zielt darauf ab, (mögliche) vorzeitige Neuwahlen bzw. die anstehenden Regionalwahlen (wahrscheinlich im Juni) im Zeichen des Kampfes gegen Kriminalität, Subversion, soziale Unruhe und Klassenkampf zu führen. — Aber heute kann die DC keinen Felsblock mehr ungestraft aufheben: unweigerlich fällt er ihr auf die Füße.

Am 11. Jänner 1975 brach eine Schar von Carabinieri und Polizeibeamten (die Neofaschisten hatten sich als Spitzel betätigt) in eine kleine Privatklinik in Florenz ein, wo vom Centro sterilizzazione ed aborto (CISA) organisierte Abtreibungen zu relativ erschwinglichen Preisen (2.500 bis 2.800 öS) durch einen Arzt vorgenommen wurden. 50 Frauen, die dort warteten, der Arzt, zwei Krankenpflegerinnen und ein Soziologe wurden festgenommen. Die Frauen wurden zu einer hochnotpeinlichen Untersuchung ihrer Genitalien in die Universitätsklinik geschleift. Der Arzt, das Pflegepersonal, der Soziologe und zwei von den Frauen wurden in Haft genommen. Gegen die anderen Frauen wurde Anzeige erstattet.

Die gesetzliche Handhabe zu dieser Aktion bietet das faschistische Strafgesetzbuch (1931 in Kraft gesetzt), das im § 546 (zwei bis fünf Jahre Haft für Abtreibung an einer Frau mit deren Zustimmung), im § 547 (ein bis vier Jahre für die abtreibende Frau) und im § 548 (sechs Monate bis zwei Jahre für Anstiftung zur Abtreibung) die Abtreibung noch heute mittels „Strafbestimmungen zum Schutze der Rasse“ („reati contro l’integrità della stirpe“) unter Sanktion stellt. Als mildernder Umstand gilt bloß (§ 551), wenn die Abtreibung „zur Rettung der Ehre“ vorgenommen wird!

Diese faschistischen Bestimmungen bekämpft Italiens Linke schon seit Jahren — zuletzt mit dem Versuch, ein Volksbegehren zur ersatzlosen Streichung dieser Paragraphen einzuleiten. Diese Initiative wurde von der Kommunistischen Partei torpediert, die um ihren „historischen Kompromiß“ mit den Christdemokraten besorgt ist. Die Paragraphen werden in der Praxis nur selten angewendet: in: Italien finden nach UNO-Schätzungen jährlich ungefähr zwei Millionen Abtreibungen illegal statt. In der Mehrzahl handelt es sich um proletarische Frauen, denen Verhütungsmittel kaum bekannt sind (Aufklärung war bis vor vier Jahren strafbar!) und die meistens Hebammen und Kurpfuschern zum Opfer fallen. Allein in der Stadt Rom sterben jährlich 3.000 Frauen an den Folgen solcher Abtreibungen. Die Damen aus der Bourgeoisie können es sich leisten, um viel Geld nach London oder Amsterdam zu fliegen und dort unter angemessenen sanitären Bedingungen eine Schwangerschaft abzubrechen. Die Illegalität der Abtreibung hat natürlich ihre Vorteile für die herrschende Klasse: das garantiert die Kontrolle über die Frauen durch Kirche, DC-Apparat (Krankenhäuser, Sozialfürsorge).

Ritter Fanfani
im Kampf gegen die Sittenverderbnis (Rinascità)

Die Polizeiaktion von Florenz hatte eine perfekte Regie: Fanfani versammelte am selben Tag in Rom die DC-Frauenbewegung um sich und erklärte, daß die DC über besondere Härtefälle nachdenke (ein Angebot an die KP, eine Indikationenlösung zu gewähren?), aber natürlich grundsätzlich für Recht und Gesetz und das ungeborene Leben usw. eintrete. Kurz darauf forderte er vor der Spitze seiner Partei energisches Durchgreifen gegen Kriminalität, Pornographie usw., und am Tag nachher ließ der Staatsanwalt von Mailand Tonnen von Pornoheften beschlagnahmen und fünf Zeitungsvertriebsleiter und Herausgeber solcher Hefte verhaften. Fanfani wandte sich gegen den „Sittenverfall in Film und Presse“ — und sofort wurde das letzte Heft des weitverbreiteten und angesehenen linksliberalen Wochenmagazins Espresso beschlagnahmt und wegen „Schmähung der Staatsreligion und obszöner Publikation“ angezeigt (siehe Abbildung auf S. 28). Mittlerweile hat sich der Espresso entschlossen, das Volksbegehren voll zu unterstützen. Schließlich wurde Gianfranco Spadaccia, der Sekretär des Partito radicale — einer kleinen außerparlamentarischen Formation, die sich mit großer Energie um Bürgerrechte schlägt (Kriegsdienstverweigerer u.ä.) und seit Jahren zivile Gehorsamsverweigerung übt —, verhaftet, weil er die politische und rechtliche Verantwortung für die CISA-Abtreibungskliniken übernommen hatte. Verhaftet wurde auch (bei einer öffentlichen Tagung über Abtreibung in Rom am 26. Jänner 1975) die 53jährige Adele Faccio, Präsidentin der CISA und Gründerin dieser „Kliniken des Volkes“, von denen noch weitere eröffnet werden sollen.

Adele Faccio
wird auf einer Kundgebung verhaftet

Obwohl die Initiative zunächst auf der Seite der Reaktion lag, erwies sich Fanfanis Kampagne als Bumerang. Zehntausende von Frauen und Männern gingen auf die Straße: in Florenz, in Rom, in Mailand, in Neapel, in Bologna, in Palermo, in Turin riefen die Organisationen der revolutionären Linken, die Frauengruppen und gelegentlich auch die Jugendorganisationen der offiziellen Linksparteien (vor allem der Sozialisten) zu Demonstrationen auf; die Parolen waren: „Aborto libero e gratuito“ (straffreie und kostenlose Abtreibung), „Contraccettivi per non abortire, aborto libero per non morire“ (Verhütungsmittel, um nicht abtreiben zu müssen, freie Abtreibung, um nicht draufzugehen) und vor allem „Fuori le donne che hanno abortito, dentro Fanfani e tutto il suo partito“ (Freiheit für die Frauen, die abtreiben — Gefängnis für Fanfani und seine ganze Partei).

Frauendemonstration in Florenz

In all den Jahren hatten sich die Parteien der reformistischen Linken immer vor diesem Problem gedrückt, um nicht mit der Christdemokratie in Kollision zu geraten und dadurch „historische Kompromißmöglichkeiten“ zu zerschlagen. Nur isolierte sozialistische Abgeordnete wie Loris Fortuna, der Initiator des Scheidungsgesetzes, hatten einen Gesetzentwurf für eine Fristenlösung eingebracht, welcher aber bisher im Parlament versandete. Nun sind alle gezwungen, Stellung zu nehmen, und selbst die KPI — die bisher nur allgemein von der Überholtheit der faschistischen Bestimmungen sprach und im übrigen damit rechnete, daß sie sowieso wenig angewendet würden — mußte ankündigen, daß sie einen Reformentwurf einbringen wird; allerdings warnt sie bereits vor „kleinbürgerlichem Radikalismus“ und „Religionskrieg gegen die DC“. Die radikalsozialistischen Kräfte starteten eine Unterschriftenaktion; Loris Fortuna kündigte am 26. Jänner einen neuen Gesetzentwurf an, der die völlige Liberalisierung der Abtreibung vorsieht.

Die proletarischen Frauen waren bei den Kämpfen der letzten Zeit stets in der vordersten Reihe zu finden. Vor allem der große Kampf gegen die DC um das Ehescheidungsreferendum konnte nur deshalb gewonnen werden, weil die Frauen (für viele überraschend) politischen Kampfgeist gezeigt haben. Man muß dabei in Rechnung stellen, daß Tausende italienische Frauen in den letzten Jahren durch die Schule der Wohnungskämpfe, der Kampagnen gegen öffentliche Tariferhöhungen und Fabrikskonflikte gegangen sind. Sie haben ihre Lage erkannt — sie werden nicht aufzuhalten sein.

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