FORVM, No. 183/II
März
1969

Kann man Bücher managen?

Das Schicksal der deutschen Übersetzungen ist bekannt. Es erscheint ein berühmtes Original in fremder Sprache; alsbald wird der Entschluß gefaßt, es zu übersetzen. Diese Arbeit nun muß so sehr als möglich beschleunigt werden. Auf der einen Seite wünscht sie das neugierige Publikum bald vollendet zu sehen, auf der anderen dringt der Verleger zu seinem Vorteil darauf; und das darf ihm niemand verdenken, denn mehr nichts als Vorteil war seine Absicht. Gesetzt auch, er ist vernüftig genug, einzusehen, daß die Eile der Vollkommenheit des Werkes schadet, so darf er doch nicht nach seiner Einsicht verfahren, denn um ihn her lauern andere gewinnsüchtige Leute.

Allem Anschein nach befaßt sich dieses Zitat mit einem von der lieben Konkurrenz geplagten Bestseller-Verleger unserer Tage. Weit gefehlt: Es stammt aus dem Jahr 1762 und wurde von dem Literaten und Übersetzer Johann Gottfried Gellius niedergeschrieben.

Kaum glaublich ist das, möchte man hier einwerfen: Buch und Management, Geschäft mit dem Geist — also das ist doch ein typischer Zug unserer Zeit. Früher hingegen — nein, damals dachten die Verleger noch an die hohe Mission der Literatur und nicht ans Geldverdienen!

Lassen wir dieses Trugbild von der guten, alten Verlagszeit von einem Kollegen des eben zitierten Gellius, nämlich von Christian Friedrich Weichmann, weiter zerpflücken:

Man sehe nur, wie elend die allermeisten (Übersetzungen) gerathen sind, und wie schlechte Originale merentheils dazu genommen werden! So bald ... ein lustiger Roman, das Leben eines Spitzbuben, oder ein Gemengsel von läppischen Mährlein und safftigen Histörchen auswärtig ans Licht gekommen; hat man Wunder gedacht, wie viel unsern Teutschen daran gelegen sey, den Kram gleichfalls zu lesen und verstehen zu können.

Und ein gewisser Friedrich Nicolai endlich machte im Jahr 1776 seinem Ärger folgendermaßen Luft:

Hat er (der Verleger) einen Übersetzer gefunden ... so handeln sie über den armen Franzosen oder Engländer, wie zwey Schlächter über einen Ochsen oder Hammel, nach dem Ansehen, oder auch nach dem Gewichte. Wer am theuersten verkauft, oder am wohlfeilsten eingekauft hat, glaubt, er habe den besten Handel gemacht.

Auch für die Bücherzunft gilt, wie man sieht, das Sprichwort: Alles schon einmal dagewesen! Bereits im 18. Jahrhundert stürzten sich die Verleger auf fremdsprachige Modetitel — heute grasen sogenannte Literaturscouts die ausländischen Buchweiden ab; schon damals lautete die verlegerische Maxime, sich mit seinen Publikationen nach dem Publikumsgeschmack zu richten — heute treibt man zu diesem Zweck wissenschaftlich fundierte Marktanalysen; bereits vor mehr als zweihundert Jahren jagte man einander erfolgversprechende Titel ab und feilschte dabei wie um Ochs oder Hammel — heute geschieht das zwar in etwas distanzierterer Form, aber durchaus mit der gleichen Zielsetzung, wie die folgende Erlebnisskizze von Rowohlt-Verlagsleiter F. J. Raddatz demonstriert: „Als auf der Frankfurter Buchmesse ein smarter Agent das Kennedy-Buch von William Manchester verauktionierte und ich ein Manuskript von etwa 80 Seiten in seinem Hotelzimmer lesen durfte, sagte er zu mir: ‚Aber bitte, seien Sie bis 23.15 Uhr fertig, dann kommt Herr Harpprecht von Fischer.‘“ Übrigens: nach hartem Kampf der Meistbietenden erschien das Buch dann tatsächlich im Fischer-Verlag.

„Kann man Bücher managen?“: Dieses Thema mit all seinen kommerziellen Schattenseiten hat also auch schon den Zeitgenossen von Kloppstock und Lessing Kopfzerbrechen bereitet. Doch um das Jahr 1750 handelten die Verleger noch nach eigenem Gutdünken, wenn sie für ihre literarischen Erzeugnisse die Werbetrommel rührten. Heute hingegen passen sich zumindest die Fortschrittlichen in der Bücherzunft der ausgeklügelten Absatzstrategie der Markenartikelindustrie an. Dabei ist ihre Ausgangsbasis viel schwieriger als jene der Hersteller von — man verzeihe den Vergleich — Kühlschränken, Zahnpasta oder Markenschokolade. Während sich letztere in ihrer Werbung von höchstens zehn bis zwanzig Konkurrenzprodukten abheben müssen, hat der Verleger gegen eine Unzahl von Titeln anzukämpfen: Im Jahr 1966 zum Beispiel zählte die Verlagsproduktion in der Bundesrepublik Deutschland — nimmt man alle Buchsparten zusammen — genau 23.777 Titel. Außerdem hat der Buchkäufer, und hier sei ein Verlagspraktiker zitiert, gegenüber der Verlagswerbung nicht dasselbe naive Verhältnis wie gegenüber der Werbung für Konsumgüter. Der Buchkäufer, der einmal auf hochtrabende Worte hereingefallen ist, dürfte mißtrauischer geworden sein als der Waschmittelkonsument, der seit geraumer Zeit weiß, daß es weißer einfach nicht mehr geht.

Das Buchmanagement von heute beschränkt sich nicht allein auf ganzseitige Anzeigenserien, auf Fernsehspots, Postwurfsendungen oder Autorenlesungen. Die Werbeagentur ist bedeutend vielseitiger; ihre Aktionen sind vom Publikum kaum noch kontrollierbar. Die begeisterte Rezension eines neuen Romans in Presse oder Rundfunk etwa: Kann sie nicht von einem wohlmeinenden Kollegen des Autors oder einem dem Verleger verpflichtetren Kritiker verfaßt sein? Oder die beliebte Methode, daß Verlage für ihre „Spitzenreiter“ hohe Auflagen beziffern, was sich immer gut ausnimmt: Sind diese Zahlen nicht oft frisiert, indem man einfach die Lizenzausgaben, also Taschenbücher und Buchgemeinschaftsnachdrucke, vielleicht sogar die Übersetzungen, mit einschließt? Und wie steht es mit den überschwenglich lobenden Zitaten aus Buchkritiken, die so gern in Klappentexten und Verlagsankündigungen verarbeitet werden; sind das nicht häufig bloß willkürlich entlehnte Sätze, die im gedachten Zusammenbang ganz anders klingen?

Doch wenden wir uns den Praktikern zu, den Verlegern also, deren Hauptsorge ja darin besteht, die einmal in die Welt gesetzten Geisteskinder ihrer Autoren auch unters Volk zu bringen. Da ist zum Beispiel Fritz P. Molden aus Wien. Er brachte innerhalb weniger Jahre das fertig, was die Fachwelt, bevor Molden mit dem Büchermachen begann, für schier unmöglich hielt: im Nachkriegsösterreich einen Verlag von internationaler Bekanntheit zu schaffen. Sieht man sich das Verlagsprogramm an, so kann man in etwas die Wurzeln des Erfolges erkennen: Molden verließ nach einigen anfänglichen Ausrutschern, sprich: kommerziellen Mißerfolgen, sehr schnell wieder das hochliterarische Glatteis und beschäftigte sich fortan fast ausschließlich mit — wie er selbst sagt — „bestsellerträchtigen‘“ Büchern. Und er macht kein Geheimnis aus den Ingredienzien, die ein Manuskript enthalten muß, damit er es für einen „Bestselleraufbau“ überhaupt berücksichtigt: Literarische Qualität ist nicht ausschlaggebend, doch Autor und Thema müssen populär sein, der Text muß locker und allgemein verständlich geschrieben sein, und nicht zuletzt wirkt ein Schuß Sex immer verkaufsfördernd. Populärer Autor + populäres Thema + leichte Verständlichkeit + Sex = Formel des garantierten Erfolges? Nun, auch das vielversprechende Buch wird nicht zum Bestseller, wenn man das interessierte Publikum nicht zuvor eben an seinen Ingredienzien schnuppern läßt. Dafür braucht man aber Geld, viel Geld, und Molden hat es offensichtlich, denn wie nur wenige andere Verlage im deutschsprachigen Raum betreibt er für seine Neuerscheinungen eine massierte Anzeigenwerbung. Welche Größenordnungen dabei erreicht werden, kann man an dem Paradebeispiel der „Clique“ von Mary MacCarthy ermessen: Droemer ließ sich den Werbefeldzug für die deutsche Ausgabe an die 200.000 DM kosten.

Fritz Molden gibt offen zu, daß sich eine forçierte Werbung für literarisch anspruchsvolle Titel nicht lohne. Auch Heinrich Maria Ledig-Rowohlt aus Hamburg ist der Ansicht, daß es hinausgeworfenes Geld sei, Gedichte der Friedericke Mayröcker zum Beispiel oder von Prof. Max Bense empfohlene zeitgenössische Literatur durch ganzseitige Zeitungsanzeigen anpreisen zu wollen. Die Anzeigenwerbung in der Tagespresse bleibt also auf Unterhaltungsliteratur und populäres Sachbuch beschränkt. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn das Käuferpublikum, auf das abgezielt wird, setzt sich überwiegend aus Zeitgenossen zusammen, die kaum je eine Buchhandlung von innen sehen und die die Literaturbeilagen ihrer Tageszeitungen ungelesen in den Papierkorb werfen. Gerade die geplagten Geschäftsleute und Manager sind es, die sich nach Auskunft eines erfahrenen Buchhändlers durch die schlagwortartig informierende Bestsellerwerbung und durch die berühmt-berüchtigten Bestsellerlisten der Wochenpresse zum Buchkauf verführen lassen.

Es fällt auf, daß bei uns vor allem die Romane und Sachbücher ausländischer Autoren begehrt sind. Das trifft übrigens nicht erst für unsere Zeit zu, denn bereits um das Jahr 1782, so berichtete ein Engländer von der Leipziger Ostermesse, habe man in Deutschland 5000 bis 6000 Werke angeboten, und der Anteil der Übersetzungen habe hierbei „beaucoup plus de la moitié“ ausgemacht. Woran liegt diese Bevorzugung ausländischer Autoren? Zieht man das von Fritz Molden genannte Rezept zu Rate, so wird einem bewußt, daß in Sachen Bestseller heute vor allem die Amerikaner das Schreibhandwerk vorzüglich beherrschen. Der Mehrzahl unserer europäischen Autoren hängt ständig das Damoklesschwert „Du mußt Literatur schaffen“ über den zerquälten Häuptern. Nicht so den amerikanischen Auflagemillionären wie etwa Evan Hunter, Robin Moore, Robert Ruark oder Leon Uris; sie scheren sich wenig um die literarische Verbrämung, ihnen ist allein die Story, das publikumswirksame Thema, wesentlich. Und so kommen aus den USA ständig neue Titel nach Europa, die von unserer hohen Kritik zwar verächtlich totgeschwiegen, vom großen Publikum aber um so lieber gelesen werden. Es sind jene Bücher, die auf dem schmalen Grat zwischen literarischem Kunsthandwerk und Kitsch balançieren, und diese Balançe fertigzubringen, ist gar nicht so einfach. Das demonstrieren unsere deutschsprachigen Autoren: Schreiben sie tatsächlich einmal ohne Rücksicht auf besagtes Damoklesschwert, so wird gleich ein Illustriertenroman daraus.

Bestseller auf Bestellung

In bestimmten amerikanischen Buchfabriken verfolgt man schon seit geraumer Zeit die Taktik, die Hausautoren nach einem festgefügten Schema schreiben zu lassen; nicht der Autor also bietet ein fertiges Manuskript an, sondern er erhält den Auftrag, sein Buch nach größtmögliche Wirkung versprechenden Regeln zu konstruieren. Daraus hat sich nach dem Krieg im internationalen Verlagsgeschäft zwangsläufig die seltsame Praxis des Unseen bidding entwickelt. Der amerikanishe Originalverlag oder sein Agent handelt im In- und Ausland die Presse-, Buchgemeinschafts-, Taschenbuch-, Übersetzungs- oder gar Filmrechte für Bücher aus, von denen oft noch keine einzige Manuskriptzeile existiert. Natürlich kommt es bei solch einer „buchfernen“ Verlagspolitik nicht selten zu argen Enttäuschungen für die Lizenznehmer, wenn nämlich erst einmal die Katze aus dem Sack gelassen wird. So sind heute zum Beispiel mehrere deutsche Verlage heilfroh, daß nicht sie den Zuschlag auf einen Titel erhielten, dessen Lizenzhonorar sie erst einmal durch gegenseitiges Überbieten in schwindelnde Höhen getrieben hatten: William Manchesters schon erwähntes Buch „Der Tod des Präsidenten“ dürfte dem Fischer-Verlag mehr Sorgen als Auflagenhonorar eingebracht haben.

Eines haben unsere Verlage und Autoren inzwischen gut begriffen: was es mit dem von Molden erwähnten „Schuß Sex“ auf sich hat, wie sehr also die literarische Verarbeitung der sogenannten Intimsphäre dem Absatz nützt. Die Schaufenster der Buchhandlungen bersten schier von „Aufklärungsliteratur“, die es — dem Klappentext nach — häufig als selbstlose Mission betrachtet, das Volk aus seiner sexuellen Verklemmung zu befreien. Und das Volk kann je nach geistigem Anspruch wählen: von Oswalt Kolle, dem in Wort und Bild beispiellos erfolgreichen „Ehehygieniker“, bis hin zu Bundesdeutschlands Sexualprofessor Hans Giese (so die Zeitschrift Publik) reicht die Liste der einschlägigen Sachbuchautoren. Die Belletristik steht dem nicht nach, und es ist interessant, an Hand von drei Äußerungen die weite Meinungsskala deutscher Autoren zu diesem Thema zu demonstrieren. Ror Wolf zum Beispiel beantwortete in der Zeitschrift Akzente die Frage „Wie schreibe ich weiter?“ folgendermaßen: „Die Buchwarenindustrie setzt ... blind auf ein unablässig in Büchern blätterndes Publikum; sie vertraut dem literarischen Appetit von Leuten, die es sich längst vor dem Bildschirm bequem gemacht haben. Bücher, die nicht das Glück haben, als Pornographie indiziert zu werden, sind wohl vor allem Futter für die Feuilletonisten und Rezensenten ...“ Und Günter Grass, der sich kürzlich vor Gericht als Kläger zu den Invektiven eines gewissen Kurt Ziesel — der Autor der Blechtrommel sei ein „Oberpornograph“ und „Verfasser übelster pornographischer Ferkelei“ — äußern mußte, dozierte, daß sich die Realität, also das Rohmaterial des Schriftstellers, nicht teilen lasse: „Nur wer sie ganz einfängt und ihre Schattenseiten nicht ausspart, verdient es, Schriftsteller genannt zu werden ... Auch der sexuelle Bereich mit seinen Höhepunkten und Tiefgängen, desgleichen in seiner abgenutzten Alltäglichkeit, ist ein Teil dieser Realität.“ Günter Zwerenz schließlich, Verfasser des recht freizügigen Romans „Casanova oder der kleine Herr in Krieg und Frieden“, bekannte erfrischend offen, daß er das Buch geschrieben habe, weil er auch einmal auf die Bestsellerliste kommen wollte (was ihm dann auch gelang).

Gilt eigentlich heute noch die klassische Faustregel, wonach sich ein literarisch ambitionierter Verlag mit einem konstant kleinbleibenden Käuferkreis begnügen muß? Peter Suhrkamp, einer der großen, alten Verleger, war immer der Meinung gewesen, daß es in Deutschland genau 750 Leute gäbe, die sich für ernsthafte literarische Werke interessierten. Nach den Worten seines Nachfolgers Siegfried Unseld war das für die fünfziger Jahre tatsächlich der Fall, denn in der Regel wurden damals die Bücher bei Suhrkamp nicht besser verkauft. Inzwischen sei das aber doch sehr viel anders geworden. Als Beispiel führt Unseld die edition suhrkamp an, die bei Erscheinen des ersten Bandes eine völlig neue Publikationsform dargestellt habe, durch die völlig neue Leserkreise erschlossen worden seien. Peter Suhrkamp hätte sich hier Auflagen von mehr als 400.000 Exemplaren (bei Brecht) oder von etwa 100.000 Exemplaren (für einen Titel von Peter Weiss) wohl nie träumen lassen. Und Suhrkamps Kursbuch mit seinen überwiegend zeitkritischen Beiträgen erreicht nach Auskunft des Verlegers ständig höhere Verkaufszahlen; Nr. 13 zum Beispiel wurde mit 50.000 Exemplaren aufgelegt. Auch das überrascht, wenn man bedenkt, daß sich der Abonnenten- und Käuferkreis von Kulturzeitschriften, der sich mit jenem der „Kursbücher“ überschneiden dürfte, normalerweise zwischen 5000 bis 8000 bewegt. Siegfried Unseld sieht in diesen Erfolgen einen Beweis dafür, daß sein Verlag schon längst über den Schatten seiner vorgegebenen Möglichkeiten gesprungen ist, und zwar nicht sosehr auf Grund intensiver Werbung, sondern dank der Publikation von Werken, die äußere und innere Aktualität besitzen. Aktualität gab auch den Ausschlag für den Erfolg von Rudi Dutschkes rororo-aktuell-Band, der innerhalb von vier Wochen mit 150.000 Exemplaren verkauft wurde.

Auflage durch junge Generation

Aktualität, wie sie Unseld und Ledig-Rowohlt als Grund für hohe Auflagen nennen, hat bei den erwähnten Titeln nichts mit rein literarischen Kriterien zu tun. Insoweit können diese Beispiele auch nicht als Beweis dafür herangezogen werden, daß ein literarisch ambitionierter Verlag heute dazu in der Lage sei, die Hürde kleiner Auflagen zu überspringen, denn in den angeführten Fällen wurde sie ja nicht mit „schöner Literatur“, sondern mit politisch und zeitkritisch aktuellen Titeln genommen. Bei Suhrkamp und anderen ambitionierten Verlagen, die steigende Verkaufszahlen melden können, hat lediglich eine Schwerpunktverlagerung innerhalb der Buchprogramme stattgefunden, die sich folgerichtig aus einer veränderten Leserstruktur ergab. Es ist heute die junge Generation der Studenten, Schüler, überhaupt der am Zeitgeschehen Interessierten, die hohe Auflagen „macht“, und der Kritiker Joachim Kaiser äußerte kürzlich sehr treffend, daß diese Generation ein politisch engagiertes Publikum sei.

Literatur, deren Postulat Kunstvorbehalt und Kunstvieldeutigkeit ist, verkauft sich auch in unserer Zeit nicht viel besser als in den fünfziger Jahren, als Peter Suhrkamp den konstant kleinbleibenden Kreis der ernsthaft interessierten Literaten bezifferte. Zwar dürften es inzwischen etwas mehr als 750 Idealisten geworden sein, aber wenn man die leidgeprüften Verleger frägt, so erfährt man, daß bei anspruchsvoller Prosa eine Verkaufsauflage von 1500 bis zu höchstens 3000 Exemplaren bereits als Erfolg gebucht wird. Ausgenommen von diesem traurigen Schicksal sind nur jene Bücher, die von der Literaturkritk einer Besprechung in der überregionalen Presse für würdig erachtet werden. Die glücklichen Autoren, auf die sich plötzlich die wärmenden Strahlen der Rezensentengunst richten, haben fürs erste ausgesorgt. Denn jetzt wird die große Schar jener Literaten hellhörig, die das kaufen und manchmal auch lesen, was gerade „im Gespräch“ ist. Leider verfährt auch das Sortiment — aus Bequemlichkeit oder aus Zeitmangel — nach diesem Auswahlprinzip, und so strotzen die Kataloge der Buchhandlungen von Pressezitaten, während man nur ganz vereinzelt noch selbsterlesene Sortimenterurteile findet. Was Boehlich, Leonhardt oder Reich-Ranicki über diese oder jene Neuerscheinung geäußert haben, ist auch dem jüngsten Buchhandelslehrling parat; was in dem Buch wirklich drinsteht, ist Nebensache. Und so entwickeln sich nicht nur Partydiskussionen, sondern auch Verkaufsgespräche à la Boehlich, Leonhardt oder Reich-Ranicki, während die Bücher ungelesen in den Regalen verstauben.

Die Literaturkritik stellt heute einen nicht mehr wegzudenkenden Posten in der Erfolgsrechnung unserer Verlage dar. Das ist kein Wunder, wenn man erfährt, daß etwa zwanzig Prozent der Buchkäufer die Rezension als ausschlaggebend für ihren Kaufentschluß nennen, während sich nur achtzehn Prozent dem Rat des Buchhändlers (der zumeist ebenfalls — siehe oben — von der Literaturkritik beeinflußt ist) anvertrauen. Betrachtet man einmal die Arbeit unserer Rezensenten näher, so wird man den Verdacht nicht mehr los, daß auch sie etwas mit dem Buchmanagement zu tun haben müssen. Denn warum werden gerade die Neuerscheinungen der namhaften Verlage von der gesamten Presse und von allen Rundfunkanstalten schlagartig besprochen, während man die Bücher der kleinen Verlage recht stiefmütterlich behandelt? Erscheint bei Suhrkamp ein neuer Roman von Frisch oder Walser, bringt Luchterhand einen neuen Grass, Kiepenheuer einen neuen Böll oder Piper einen neuen Titel der Bachmann heraus, so tönt aus dem deutschen Blätterwald ein hundertfaches Kritikerecho. Siegfried Unseld, für dessen Haus dieses — man möchte fast sagen — Rezensionsmonopol besonders deutlich zutrifft, meint recht selbstbewußt, daß sich Suhrkamp eben darum bemühe, die wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Literatur zu führen. Dabei sei es doch ganz selbstverständlich, daß sich die Kritik ihrerseits, sozusagen im Bestreben, up to date zu sein, um die Neuerscheinungen dieser Autoren kümmere.

Diesem Argument ist von Verlegerseite her schwerlich etwas entgegenzuhalten. Den Starkritikern möchte man aber raten, sich die Sache nicht so einfach zu machen und allzuoft nur auf ausgetretenen Pfaden zu wandeln. Die Aufgabe der Literaturkritik bedeutet nicht nur den sicheren Griff in die mit Rezensionsexemplaren wohlgefüllten Waschkörbe renommierter Verlage, sondern auch den Eigeninitiative fordernden Fischzug durch die Produktionen der kleineren Verlage. Immerhin handelt es sich bei sechzig Prozent der etwa 1900 Buchverlage in der Bundesrepublik Deutschland um Häuser mit einer jährlichen Produktion von höchstens fünf Büchern. Gute Literatur hat nicht selten ihren Anfang in einem dieser Miniverlage genommen; man denke nur an die inzwischen von der Presse verhätschelte Eremitenpresse im Taunusdörfchen Stierstadt, wo unter anderen Gabriele Wohmann, Günter Bruno Fuchs, Christoph Meckel und Horst Bingel ihre ersten literarischen Gehversuche machten.

Wenn man unseren Kritikern glauben darf, so schützt der literarische Rang eines Verlages ihn nicht vor Verrissen seiner Bücher. Das klingt tröstlich. Allerdings wirkt sich nach Erfahrung vieler Verleger eine negative Rezension nicht so katastrophal aus, daß sie ein Buch etwa makulaturreif machen würde. Dr. Unseld zum Beispiel ist aus seiner ganzen Verlegerpraxis nur ein Fall bekannt, wo Kritik einem von ihm herausgegebenen Werk merklich geschadet hatte, nämlich der vor mehreren Jahren im Insel-Verlag erschienenen Schillerausgabe. Hier hatten sich die Rezensenten, vor allem Marcel Reich-Ranicki, an der sehr einseitigen Lyrikauswahl von Hans Magnus Enzensberger gestoßen und heftig reagiert, wonach sich dann der Buchhandel orientierte: Der negative Erfolg war nach Ansicht Unselds nur eingetreten, weil die Kritik in diesem Fall mit dem Geschmack des Publikums argumentierte; meistens sei es aber doch so, daß avantgardistische Literatur gegen den Publikumsgeschmack gemacht würde und die Kritik hierbei die Funktion des Wegbereiters aufnehme.

Nicht die Literatur war gegen den Publikumsgeschmack, ganz offensichtlich aber die auf der letzten Frankfurter Buchmesse lautgewordene Kritik an der Literatur und ihren Urhebern. Auch in Frankfurt kam es zu Entgleisungen, richtete sich unqualifizierte Kritik in erschreckender Gleichmacherei gegen alles und jedes. Doch man sollte die Proteste nicht als bloße Lust am Radaumachen abtun. Die junge Generation, das Publikum, auf das sich die Verleger werden einstellen müssen, ist mündig geworden. Daß sie keine Alternative bietet, kann man ihr nicht zum Vorwurf machen. Es ist beschämend genug, daß sie allein die wunden Stellen unseres kommerzialisierten Literaturbetriebs erkennt und bloßlegt.

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