FORVM, No. 331/332
Juli
1981

Kiegsamis und Friedensruskis

Freimut Duve

Das ist nicht neu. Beflissene Redner und Schreiber unterstellen denjenigen, die zunehmend Skepsis, ja Angst vor der atomaren Nachrüstung haben, Moskaublindheit. Und umgekehrt wird denjenigen, die die Stationierung von Mittelstreckenraketen und weitere Drehung der Rüstungsspirale durch Verhandlungen verhindern wollen, unterstellt, sie seien amerikahörig. Alle miteinander sind in eine — hoffentlich zeitlich begrenzte — Zwickmühle geraten. Mal sehen, wie da raus kommen.

  1. Da, wo die Friedensbewegung sich zurzeit gegen den Nachrüstungsbeschluß konzentriert, wird sie selbst Teil eines diplomatischen Pokerspiels und kann zum Objekt der Handelnden umfunktioniert werden: Die Amerikaner werfen den Nachrüstungsgegnern vor, sie betrieben das Spiel des Gegners und begünstigten die Sowjets (mit der schändlichen Unterstellung, die Parole „Lieber rot als tot“ sei von den Pazifisten ersonnen worden, während sie in Wahrheit stets ein Slogan der Pazifistengegner gewesen ist). Die Sowjets wiederum rechnen — fälschlicherweise — die Friedensbewegung zu ihren Verbündeten, so daß Breschnew selbst den „wachsenden Widerstand gegen die Nachrüstung“ in sein Verhandlungskalkül einbezieht.
  2. Verkürzt gesagt, konkurrieren in Westeuropa zwei Ängste miteinander: die alte Angst vor den Russen und die neue Angst vor den Waffen.
    Carl Friedrich von Weizsäcker, die Konferenzteilnehmer des Treffens von Groningen, die Friedensforscher wollen das Bewußtsein und damit die Furcht vor den Atomwaffen und ihrem Selbstauslöse-Risiko schärfen. Die Union in der Bundesrepublik, Reagan und Weinberger in den USA wollen mehr Waffen, indem sie die Angst vor und den Zorn auf die Russen schüren. Wer in einer solchen Situation seine Position auch gegenüber der Sowjetunion nicht kristallklar erklärt, hat im Weltkrieg der Propaganda verloren.
  3. Die Sowjetunion ist keine Friedensmacht. Sie hat ihre Interessen, deretwegen sie in Europa, das ist meine Überzeugung, in jedem Fall Krieg vermeiden muß. Sie hat aber auch Raketen, sie hat ihren eigenen spezifischen Militarismus. Pazifisten sind im ganzen Warschauer Pakt verpönt. Die Stationierung von westlichen Mittelstreckenraketen in den europäischen Staaten verhindert nicht, wer die SS 20 und die geplanten SS 21 zu mit Zuckerwatte gefüllten Friedensraketen erklärt.
  4. Die NATO hat heute mehr Atomwaffen, als der Frieden erlaubt. Es ist unredlich, den Europäern einreden zu wollen, wir seien schutzlos den sowijetischen Raketen ausgesetzt und hätten ohne Nachrüstung nur die Wahl zwischen Atomtod oder „Finnlandisierung“. Es ist meine Überzeugung, daß wir die neuen Mittelstreckenraketen auf europäischem Boden nicht stationieren dürfen, und daß wir den Amerikanern auch nicht erlauben dürfen, sie zu stationieren. Wenn es aber nicht gelingt, in Verhandlungen einzutreten und die Aufstellung der SS 20 zu stoppen, dann ist in der Bundesrepublik keine Mehrheit gegen die Aufstellung der Pershings zu mobilisieren. Das aber heißt, auch die Friedensbewegung — auch diejenigen, die die Stationierung um jeden Preis verhindern wollen, müssen jetzt für Verhandlungen sein. Nicht wir verhandeln, Du nicht, lieber Leser, und ich nicht, der liebe Duve, sondern die Amerikaner.
    Wenn der Doppelbeschluß — dieses einzige Zipfelchen Realverpflichtung — zu Verhandlungen führt, dann hätte er seine Funktion erfüllt. Wir alle wären übers Jahr aus der Zwickmühle heraus. Wenn er aber nur zu Scheingesprächen führt, dann hätte er nicht nur seine Funktion nicht erfüllt, sondern uns ein Stückchen näher an die Aufstellung der Mittelstreckengeschosse gebracht.
  5. Darum sagen wir hier in Europa den Amerikanern schon jetzt: Kein Staat, auch die Bundesrepublik Deutschland nicht, hat seine Souveränitätsrechte so eingeschränkt, daß Raketen völlig ohne dessen Zustimmung eingegraben oder aufgestellt werden könnten.
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