Streifzüge, Heft 4/1997
Oktober
1997

Kommunikation als Denunziation

Skizzen über Logik und Folgen linker Umgänglichkeiten

Folgender Artikel wurde ursprünglich für die Berliner Tageszeitung „Neues Deutschland“ geschrieben. Die Probleme sind in Österreich zwar nicht so krass, aber sie sind ähnlich gelagert.

Ausgangspunkt sei der Konflikt in der jungen welt. Das von außen völlig unverständliche und unerträgliche Gezeter rund um den Kurs der Zeitung offenbarte einmal mehr, wie wenig Linke miteinander umzugehen verstehen. Natürlich ist das von Wien aus leicht zu sagen, gesagt werden muß es trotzdem: Streit und Spaltung, Besetzung und Rauswurf demonstrierten, daß viele Sozialisten der K2L (Kampf zweier Linien)-Mentalität nicht entwachsen sind. Das „Wir oder ihr?“, so notwendig es gewesen sein mag, kann schlußendlich auch im „Weder-Noch“ enden. Was für beide Konfliktparteien schade wäre. Und auch um.

Es ist manchmal schon der Ton. Wer unentwegt behauptet „PDS = SED minus Sozialismus“ (Gremliza), will nicht diskutieren, sondern zumindest ideell liquidieren, wer über „das Kriminelle am Schweriner Parteitag“ (Elsässer) sinniert, will eigentlich niemanden ansprechen, sondern abstrafen. Solche Beurteilungen sind Verurteilungen, sie haben einen inquisitorischen Zug. Solche Formeln sind Totschlagformeln. Auch wenn sie die PDS nicht totschlagen, die Debatte schlagen sie allemal tot.

Wer die abstrakte Negation der Nation nicht teilen will, ist dieser linksradikalen Sichtweise nach schon ein verkappter Nationalist. Wer aber alle, die nicht dem vorgeschriebenen Antideutschtum huldigen, sofort ins nationalistische Lager drängt, verhindert über nationale Motive und Momente auch nur zu diskutieren. Wer meint, Analyse durch das Aufzählen nationalistischer Aussagen einiger PDS-Funktionäre ersetzen zu können — und frage nicht, da sind einige inakzeptable darunter — erstickt die Diskussion, anstatt sie zu führen. So konnte es bisher zu keiner ernsthaften und wirklich weiterführenden Auseinandersetzung über die nationale Frage kommen. Was zwischen solch Extremen wie nie „Nie wieder Deutschland“ und „Deutschland, einig Vaterland“ ohnedies schwierig ist.

„Freund oder Feind?“, so einfach sind die Dinge eben nicht. „Bist Du für oder gegen die PDS?“ sollte man in dieser Form nicht durchgehen lassen. Diese Entscheidungsfrage ist in eine Ergänzungsfrage umzuwandeln. — Ich finde gut, daß es die PDS gibt. Ich bin solidarisch gegen antikommunistische Übergriffe. Ich will von ihr lesen und ich will, daß man mich dort liest. Insgesamt halte ich die PDS in Programm und Praxis allerdings für antiquiert und für nicht zukunftsträchtig. Das ist aber kein Grund, die PDS zum Teufel zu wünschen. Für Linke ist aktuell aber auch schon gar nichts zu gewinnen, wenn die PDS geschwächt wird oder untergeht. Als Partei mit ihrer spezifischen Geschichte muß man sie vorerst einmal an ihren Möglichkeiten messen, nicht an ihren Unmöglichkeiten. Sonst entstehen vorschnell Fronten, die unproduktiver nicht sein könnten.

Also, raus aus den Schützengräben! Bewegen wir uns. Nicht die Kritik hat zu schweigen, aber ihre Form ist zu transformieren. Von der verbalen Totschlägerei hat sie sich jedenfalls zu erlösen. Etwas mehr (gegenseitige) Gelassenheit wäre angezeigt. Die gesamtdeutsche Linke hingegen wirkt wie ein aufgeregter Idiotenstadel, indes die meisten doch gar keine Idioten sind. Das gilt übrigens auch explizit für Gremliza oder Elsässer, die vor allem wegen ihrer antinationalistischen Ausrichtung (nicht aber aufgrund ihrer proamerikanischen Zurichtung!) durchaus ihre Meriten haben. Sie zerstören diesen Ansatz freilich durch die Maßlosigkeit ihres Vortrags.

Selbstverständlich ist es prinzipiell sinnvoll und in mancherlei Hinsicht anregend, daß es links von PDS und ND eine Tageszeitung wie die junge welt oder ein Monatsmagazin wie konkret gibt. Die Aufrechterhaltung dieser Äußerungsmöglichkeiten sollten daher ein gemeinsames Anliegen sein, kein bloß spezielles irgendwelcher Kleingruppen.

Nehmen wir ein anderes Beispiel, eines, wo es um einen selbst geht. Nachdem dem österreichischen Schriftsteller Michael Scharang eine auch von mir unterzeichnete Erklärung betreffend Zustand und Aussicht der österreichischen Linken mißfallen hat, verfaßte er eine Replik mit dem bezeichnenden Titel „Das Heil, diesmal von links außen“ (konkret 2/96) Ohne sich auch nur annähernd mit unserem Text zu befassen, wurden wir in nur wenigen Zeilen alles Unmögliche geheißen: „Fanatiker“, „religiöse Sekte“, „Spießer, die nirgendwo zum Zug kamen“. „In diesem Führerton“ „bellen“ wir einen „hysterischen Kauderwelsch“, der sich „rückwärtsgewandt an eine romantische Volksgemeinschaft“ wendet. „Faschistische Hunde“ hat er sich wohl nicht zu schreiben getraut, obwohl es deutlich herauszulesen ist. Der Versuch der Stigmatisierung ist eindeutig. Zumindest wußten wir Bescheid, daß die Stalinorgel noch in Betrieb ist.

Dort, wo sich Linke als Faschisten oder Antisemiten bezichtigen oder auch bloß ein solcher Vorwurf im Raum schwebt, wird jede Zusammenarbeit, ja jedes Gespräch unmöglich. Damit soll keineswegs gesagt werden, daß es keine Affinitäten zu rechtspopulistischen und rassistischen Ideologemen gibt, allzuoft geht es hier aber um die bloße Diskreditierung, ganz profan um eine üble Nachrede, frei nach dem Motto: Irgendetwas wird schon hängenbleiben.

Aus dem Miteinander-Reden wird so ein Übereinander-Schimpfen. Man verfolgt sich. Der Gegenüber ist zu vernichten. Die spezifische Unart der Kommunikation verunmöglicht jede Öffnung der Denunzierten, sie müssen zumachen. Was sie zumeist nun prophylaktisch tun. Derweil wäre das Öffnen (nicht: das Aufmachen!) doch ein Ziel seriöser Kritik. Sollte man zumindest meinen. Denunziatorische Angriffe verfestigen meist nur die angegriffenen Standpunkte. Wenn diese nun tatsächlich falsch oder gar gefährlich sind, dann trägt die Attacke — welch Paradoxon! — in ihrer maßlosen Form selbst zum Bestand des eigentlich Überwindbaren bei. Sie immunisiert es geradezu.

Selbst wenn es gegen eine offensichtliche Dummheit geht, geht es nicht gegen die „Dummen“. Das ist natürlich nicht strikt auseinanderzuhalten, vor allem weil erstere durch die letzteren in Erscheinung tritt. Und doch sind sie nicht substantiell identisch. Der „Dumme“ soll ja gerade nicht mit seiner Dummheit untergehen, sondern ein Licht soll ihm aufgehen. Das Ziel konstruktiver Kritik ist: Jener hat zu gewinnen, nicht zu verlieren. Es ist nicht immer leicht, in diese Richtung zu agieren, aber Anspruch und Anforderung sind zu stellen. Das polemische Verarschen ist bloß eine Sondervariante emanzipatorischer Kommunikation, nicht Leitlinie des Umgangs.

Die Debatten sollen hart im Inhalt, aber zart imTon sein. Kurzum verbindlich und somit: verbinden. Nicht wie heute üblich, die Getrennten getrennt halten. So ist es intolerabel, nur die eigenen Publikationen zu lesen, die eigenen Standpunkte zu hören, auf die eigenen Veranstaltungen zu gehen und mit den eigenen Leuten zu verkehren. Diese selbstzufriedene Exklusivität führt in die Enge. Zum Auseinandersetzen gehört selbstredend auch das Zusammensetzen. Das Verbindliche schließt unterschiedliche Auffassungen und Zugänge nicht aus, sondern ein.

Der Mangel an Kritikfähigkeit äußert sich auch im Unvermögen an Selbstkritik. So gibt es drei Arten der Korrektur einer Position: erstens die kritische und ausgewiesene Zurücknahme; zweitens die stillschweigende Veränderung (so tun als wäre es nie anders gewesen); drittens das Abschwören. Die beiden letztgenannten sind Unarten sondergleichen, wenngleich in der Politik gang und gäbe. Erstere indes wird als Schwäche wahrgenommen, ihr sind somit strukturelle wie psychische Schranken gesetzt. Eine nachvollziehbare Änderung einer Meinung oder Einschätzung ist vor diesem Hintergrund oft schwer möglich. Wer äußert sich schon in etwa: „Ich habe mich geirrt, der Kontrahent hat recht.“ Das geht kaum, wird jede Selbstkritik als Geständnis, ja sogar als Kapitulation empfunden.

Verdächtigung und Verachtung prägen die deutsche Linke, die westdeutsche noch mehr als die ostdeutsche. Allzuoft geht es um Erwischen, Niedermachen, Ausschalten, Eliminieren. Der Gegenüber soll nicht begriffen, sondern angeflogen werden. Es gilt, sich an ihm abzuputzen. Die Konflikte tragen nicht selten pathologische Züge. Der Gegenüber ist ein Gegner, ja ein Feind. So nahe er einem auch stehen mag, er muß verlieren, untergehen. Es geht darum, schmerzhafte Niederlagen zu bereiten. Indes ist etwa der Streit der Sektierer gegen die Opportunisten (wie umgekehrt) heute doch abgeschmackt und substanzlos. Vor allem: er bringt in dieser Form niemanden etwas. Auf dieser Ebene gibt es kein Weiterkommen.

Die Kämpfer für Emanzipation und Sozialismus haben ein maßloses Verhältnis zu den Mitteln ihrer Kommunikation. Sie vertragen sich nicht nur nicht, sie mögen sich auch nicht. Nur so ist es verständlich, daß sie sich gern an ihresähnlichen vergreifen. Keine Verdächtigung, die nicht zugelassen werden soll. Verdacht und Verdächtigung sind übrigens nicht dasselbe. Bei ersterem handelt es sich um eine konkrete Vermutung, die wohl auch als solche auszusprechen ist, bei zweiterer um eine Haltung, die a priori Verachtenswertes unterstellt, es stets zu erschnüffeln trachtet. (Da gibt es unübersehbar Parallelen zum ungustiösen Aufdeckungsjournalismus und seinen Skandalinszenierungen.) Es mag ja durchaus legitim sein, jemanden zu verachten, es ist aber eine fürchterliche Unsitte, a priori eine verächtliche Haltung an den Tag zu legen, vergiftet dies doch die notwendige gegenseitige Akzeptanz.

Diese elenden Verhältnisse zehren an der Substanz, verschleudern die Kräfte, beanspruchen, ja verbrauchen Menschen über Gebühr. Viele tun sich daher die Draufgabe bürgerlicher Konfliktmuster gar nicht mehr an. Denn darum handelt es sich, um die bewußtlose Reproduktion und zwanghafte Übersteigerung der allgegenwärtigen Konkurrenzprinzipien. Nicht daß man davon frei sein kann (und wahrscheinlich heute auch gar nicht ganz frei sein soll!), wird hier behauptet, doch diese unreflektierte Anwendung kapitalistischerVerhaltensregeln bei den Kritikern der Kapitalherrschaft ist schon interessant. In deren Kommunikation wird also das Konkurrenzprinzip nicht tendenziell durchbrochen — etwa indem Synergieeffekte und Solidaritätsleistungen in größerem Ausmaße eingelöst werden — sondern geradezu aufgelegt und konfrontativ zugespitzt. Selbst die langweiligen Rituale bürgerlicher Politik sind da oft professioneller als die linken Kopien.

Die Linke ist vom Kapitalismus mehr geprägt und geschädigt als sie wahrhaben will. Sie verdrängt das konsequent, spricht nicht gern darüber. In ihrer Repulsion gegen die gesellschaftliche Ordnung ist sie dieser (in freilich unterschiedlichem Ausmaße) ideell nicht kompatibel, muß ihr reell aber doch immer wieder entsprechen. Das ist ein ungesunder Zustand. Ihr Vorzug ist gleichzeitig auch ihre Behinderung: die Linke hat eben keinen grundsätzlich affirmativen Bezug zur Gesellschaft, will in ihr nicht restlos aufgehen, ist ihr aber doch restlos ausgeliefert. Das erzeugt Zynismus. Im schlimmsten Fall schlägt dann dieser Ohnmachtszynismus in Herrschaftszynismus um. Wer hinter den ärgsten Herrschaftszynikern gewendete Linke vermutet, dürfte selten irren.

Gewiß handelt es sich insgesamt auch um einen Auflösungsprozeß der alten alten und der alten neuen Linken, möglicherweise steht überhaupt der Verlust der eingespielten „Links- Rechts-Achse“ ins Haus. Das wäre an sich nicht schlimm, doch ist ein kritisches Vermögen, in dieser Entwicklung eine selbstbewußte und selbstbestimmte Rolle einzunehmen bisher kaum zu erkennen. Es herrscht allgemeine Rat- und Hilflosigkeit, die sich oft in maßloser Aufgeregtheit äußert. So gestaltet sich der Prozeß weniger als Transformation denn als Regression emanzipatorischen Potentials. Wie ein unendlicher Abgesang, den niemand mehr hören will.

Zwischen Kritisieren und Denunzieren besteht ein wesensmäßiger Unterschied. Mit ersterem will man ins Gespräch kommen, mit letzterem nicht. Folge der Denunziation ist die Verweigerung der Denunzierten, d.h. die Nichtanhörung und Nichtannahme der vorgebrachten Einwände unabhängig von deren Inhalt, sind üblich. So schimpfen die einen, wie man nicht schimpfen soll, und es schweigen die anderen, wo man nicht schweigen darf. Unerträglichkeit einerseits und Bequemlichkeit andererseits beherrschen die Szene. Die gegenseitige Akzeptanz tendiert gegen Null. Penetranz und Ignoranz vereinigen sich sodann in gemeinsamer Arroganz.

Ein einfaches Gebot unter Sozialisten resp. Kommunisten müßte lauten: Denunziert euch nicht! Und das ist kein Dogma, denn ein Gebot ist kein Verbot, sondern eine Regel, die auch Ausnahmen kennt. In der deutschen Linken herrscht nun aber schon zu lange der Ausnahmezustand. Diese Selbstdestruktion ist schlichtweg und schleunigst zu beenden.

Radikal hat die Linke zu sein, nicht rabiat. Kompromißlosigkeit und Zuspitzung sind in der Theorie gefragt, nicht jedoch in der Praxis. So wird hier bewußt einer notwendigen Auseinananderhaltung — eben nicht der stets geforderten Einheit — von Theorie und Praxis das Wort geredet. Dieses Spannungsfeld gilt es behutsam auszutarieren. Als Richtschnur mag gelten: Am Ziel festzuhalten, ohne das Maß aus den Augen zu verlieren, das den Weg ermöglicht: Unumgänglich in der Theorie, umgänglich in der Praxis.

Das anzustrebende Ziel ist jedenfalls ein relativ banales, wenn auch kein leichtes: Wir sollen uns mögen können. Nicht anders würde ich übrigens den alten (heute leider stark abgegriffenen) Terminus des Genossen verstehen: Wir sollen genießbar sein und genießen und alle zum Genuß anregen und aufstacheln. — Aber ja.