EuropaKardioGramm, EKG 5-6/1995
Oktober
1995
Staat und Musik

Kommunistisches und nationalsozialistisches Musikdiktat

Verhängnisvoller politischer Einfluß auf Werk und Person: Schnittke, Schostakowitsch, Esphai, Schulhoff, Korngold ...

Totalitäre Systeme vermeinten immer Volksschädliches aus der Musik wegsperren zu müssen. Als Alfred Schnittkes 1. Symphonie in Gorki uraufgeführt wurde, passierte etwas, das es in einer gleichgeschalteten Gesellschaft nicht geben durfte: Ein Kritiker lobte, der andere verriß. In der Sowjetunion ein Ding der Unmöglichkeit, da das Kulturministerium nur zwischen erlaubter (= guter) und verbotener (= böser) Kunst unterschied. Dies kostete den Verantwortlichen ihre Stellung, nicht jedoch Schnittke seine Karriere. Er ist einer der wenigen, der unbeugsam sein Werk am sowjetischen Geschmacksdiktat vorbeischiffte, natürlich erst nach Stalins Tod. Dmitri Schostakowitsch hatte es zu dessen Lebenszeit ungleich schwerer, da er nicht wie Strawinsky auswanderte, sondern als innerlich zerrisssener Staatskomponist schwerst unter Einflußnahme litt. Wiederholt forderte er das Regime heraus, in den dreißiger Jahren und 1945. Der höhnische, subversive Tonfall seiner 9. Symphonie war den Kulturwachhabern aufgefallen, und Schostakowitsch, der einmal mehr um sein Leben fürchtete, war gezwungen, versöhnlichere Werke zu schreiben. Etwa die Parteikantate „Über unsrer Heimat scheint die Sonne“ (1952). Die von Keith Jarrett (ECM) bestens nachempfundene Flucht zu Bach erscheint als selbstauferlegte Disziplinierung nicht verwunderlich. „24 Preludes and Fugues“ (op. 87) zeigt Schostakowitsch als ebensolchen Meister der Fuge, die als Idee des Absoluten fungiert.

Andrei Yakovlevich Eshpai orientiert sich bei seiner 4. und 5. Symphonie weniger am Vorbild Schostakowitsch als am frühen Strawinsky. Die sehr russische wie hymnische, jedoch vertrackte Melodik beweist, daß nicht jeder Komponist dem verordneten Schablonendenken gehorchte. Wie etwa Dmitri Kabalewskij, der wegen seiner Durchschnittlichkeit bei Neuerern wie Alfred Schnittke als verhindernder Bremsklotz wirkte.

Frohe Opportunisten, Genies im Exil

Selbstverständlich gab es auch minderbegabte deutschsprachige Komponisten und/oder Dirigenten, die als opportune Egoisten „froh“ waren, daß fähige Leute wie Kurt Weill oder Klemperer ausgeschaltet wurden. Richard Strauß schrieb andienenderweise den letztklassigen „Friedenstag“, den dankenswerterweise Ende Mai eine Aufführung im Wiener Konzerthaues als nur scheinbaren Pazifismus (den des Führers) entlarvte, war doch hehres gehorsames Heldentum die Hauptbotschaft. Noch näher dem Geist des Nazi-Ethos ist die Neuauflage der Oper „Das Kalte Herz“ von Norbert Schulze. Ein übles Machwerk, das Hauffs Märchen mit dümmlich volkstümelnder Unmusik verunstaltet. Schulze, der heute noch den Nationalsozialismus verharmlost, sollte in Schulen als Anhörungsmaterial bloßgestellt werden im Direktvergleich mit angeblich „entarteten“ Tonsetzern. Salter, Steiner, May, Romberg, Spielman und Korngold hießen jene in Hollywood stilbildend tätigen Vertriebenen, die zumindest das Ensemble Ton.Art ins Odeon heimholte. Sie hatten sich wie Schönberg rechtzeitig absetzen können und mehr Glück gehabt als Adolf Balla, dem Nazischergen die Pianistenfinger zertraten (Buch: „Orpheus im Exil“).

Korngold, Sohn eines Musikwissenschaftlers, lieferte schon mit elf Jahren die ungeheure Talentprobe „Der Schneemann“. Ein bemerkenswert „jazzig“ klingendes Klavierwerk, das sein Mentor Zemlinsky 1910 orchestrierte. Alexander Zemlinsky mußte ebenfalls ins US-Exil, das die meisten zur Emigration gezwungenen mitteleuropäischen Künstler wählten. Im tragischen Gegensatz dazu steht der Prager Erwin Schulhoff, dessen fast vergessenes Genie mehr und mehr wiederentdeckt wird. Ihm wurde 1941 die sowjetische Staatsbürgerschaft zuerkannt, jedoch war er nach Ausbruch des Zweiten Welkrieges noch immer nicht im Besitz eines Ausreisevisums und wurde verhaftet. 1942 starb er im Kriegsgefangenenlager Würzburg an Tuberkulose. Schon der Erste Weltkrieg, in dem der Pianist eine Handverletzung erlitt, war alptraumhafte Zäsur, die er sich mit der den hohlen Patriotismus der Deutschen verhöhnenden „Suite für Kammerorchester“ (1921 in Dresden entstanden) vom Leib schrieb. Eine groteske Burleske, klar von Dada und Jazz beeinflußt. Daher durfte seine 1. Symphonie (1925) weder Pathos noch Heroismus transportieren. Ein äußerst musikantisches Werk, das slawische Tanzrhythmik mit „dem eigenartig Schreienden und Lärmenden, dabei äußerst raffiniert Rhythmischem der Jazzmusik“ (Schulhoff) verbindet.

Tragisch geendeter Bekämpfer Nazideutschlands: Erwin Schulhoff, dem Vergessen entrissen

Schulhoff kehrte 1923 wieder in seine Heimatstadt Prag zurück und bemühte sich um einen Ausgleich zwischen deutscher und tschechischer Seite, doch paßte das weder den Deutschpragern (der Tscheche wird als Intrigant generalisiert) noch den Tschechen. Seine erste Symphonie, auf CD kongenial umgesetzt von der Tschechischen Staatsharmonie Brünn, gelangte deshalb erst 1928 in Berlin zur Uraufführung. Auch die „Kammermusik für Violine, Violoncello und Klavier“ fiel in Schulhoffs beste Schaffensphase 1923-30. Sein unverkennbarer Personalstil geriet jedoch zusehends unter den Einfluß der sowjetischen Ideologie, was in der Vertonung des „Kommunistischen Manifests“ als Massenoratorium — ein monumentaler Klotz wie eine Statue von Marx, Lenin, ... — kulminierte. Die neutönenden „formalistischen Spielereien und Klangtändeleien“ der früheren Jahre hat Schulhoff endgültig hinter sich gelassen, schreibt er im Tagebuch, in dem er seine Musik nunmehr als „hart“, „unerbittlich“, und „kompromißlos“ bezeichnet. Kein Wunder angesichts des sich erneut zur Vernichtung aller Kultur der europäischen Menschheit anschickenden (Nazi)Deutschlands, das wegen der Appeasement-Politik des Westens für Millionen Tote zu spät aufhaltbar war.

Aus viel tragischeren Gründen (Moslems sind auch alten Verbündeten suspekt) nicht aufhaltbar war der auf der über 600 Jahre zurückliegenden Niederlage auf dem Amselfeld (kollektiv im Volk verankert) basierende Aggressionskrieg der serbischen Nationalisten. Scheußlichste Ausgeburt ist der volkstümelnde Turbofolk, der verkappt bis eindeutig wie die serbische Akademie der Wissenschaften das eigene Opfertum als Rechtfertigung nimmt, präventiv Völkermord und/oder Repression an Moslems und Kosovoalbanern (die ihren „Kampf mit dem Schwanz führen“ hohe Geburtenrate) zu begehen. Ganz zu schweigen von kroatischen Kampfliedern aus der Zeit der Ustaschafaschisten. Diese mündet ins Hier und Jetzt, unvergessener Haß gebiert neuen Haß. Bosnische Moslems massakrieren und vertreiben ebenso (oder flüchtet die serbischstämmige Bevölkerung wegen bewußter Greuelpropaganda serbischer Medien?), angesichts eines sich abzeichnenden Großserbiens und -kroatiens auf ihrem schon nicht mehr ethnisch durchmischten Staatsgebiet verständlich, aber nicht gerechtfertigt. Jeder Mord wird mit einem weiteren Mord gesühnt, die Haß und Rache schürenden Machthaber (trotz Kriegsverbrechen bei Friedensverhandlungen geduldet) bleiben ungeschoren. Genug Stoff für ein politisch’ Lied!

Andrei Yakovlevich Eshpai: 4./5. Symphonie (Russian Discs/Koch). Norbert Schulze: Das kalte Herz. Erich Wolfgang Korngold: Der Schneemann/Der Ring des Polykrates. Erwin Schulhoff: Symphonie Nr. 1. Kammermusik für Violine, Cello und Klavier. (alle: Koch)

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