FORVM, No. 301/302
Januar
1979

KPÖ verkriecht sich

Ein oppositioneller Brief an die Genossen

Das NEUE FORVM versteht sich als Forum des demokratischen Sozialismus im breitesten Wortsinn. Also ist uns auch der Parteikommunismus interessant, wenn und sobald sich in ihm demokratische Tendenzen entwickeln. Daher drucken wir unverändert und unverkürzt den nachfolgenden anonymen Zirkularbrief („60 Jahre Partei — und was nun“ steht drüber), der gegenwärtig in der KPÖ umgeht — bereits der 16. und ein besonders bemerkenswerter. G.N.

Liebe Genossin!
Lieber Genosse!

Unsere Partei hat den sechzigsten Jahrestag ihrer Gründung und in Verbindung damit ihre Kampftraditionen gefeiert; eine berechtigte Feier, wenn man an die vielen Kämpfe, an die vielen Opfer zurückdenkt. Und doch wäre es notwendig gewesen, mit dem Blick auf das letzte Jahrzehnt der Entwicklung der Partei und auf die Situation, wie sie bei den Wahlen vom 8. Oktober [1978] zum Ausdruck kam, nachdenklicher und selbstkritischer zu untersuchen, warum wir nach sechzig Jahren einer oft sehr widerspruchsvollen Entwicklung vor einem solchen Rückschlag stehen, wie ihn diese Wahlen signalisiert haben.

Gewiß gibt es bei einigen Betriebsratswahlen auch Erfolge. So erfreulich sie sind, zeigt die Erfahrung, daß ihre Bedeutung für den Einfluß der Gesamtpartei nicht überschätzt werden darf. Sie sind vielfach Anerkennung guter Arbeit angesehener Betriebsräte und einer konkreten betrieblichen Situation. Mehr Einfluß der Partei bedeuten sie nicht, nicht einmal im erfolgreichen Betrieb.

Es hat nach den Wahlen vom 8. Oktober ein ZK-Plenum gegeben, auf dem ebenso wie in der Funktionärskonferenz der Wiener Organisation nach der Wahl vom 8. Oktober Kritik und Besorgnis zum Ausdruck kamen; doch in der Parteipresse, der wichtigsten Informationsquelle für Parteimitglieder, wurde darüber nichts berichtet, und auch die Mitgliederversammlungen in Wien, in denen das Wahlergebnis zur Debatte stand, waren schlecht besucht!

Die Parteiführung hat sich nur zu gern von den nachfolgenden Ereignissen wie der Volksabstimmung vom 5. November und von den Feiern zur 60-Jahr-Feier der Partei von einer gründlichen Behandlung der Ursachen der Rückschläge ablenken lassen.

I. Die Wahl vom 8. Oktober

Es wäre ein schwerer Fehler, das Wahlergebnis vom 8. Oktober, vor allem in Wien, aus dem Bewußtsein zu verdrängen. Doch jetzt, da die Feiern vorbei sind, sollten wir uns wieder den harten und bitteren Tatsachen zuwenden.

Tatsache aber ist:

Unsere Partei bekam bei den Wiener Gemeinderatswahlen

1974 22.093 Stimmen
1978 14.771 Stimmen

Der Verlust von einer Wahl zur anderen beträgt somit 7.322 Stimmen.

Das ist ziemlich genau ein Drittel.

Es ist nicht nur das schlechteste Ergebnis seit 1945, sondern liegt um ca. 2.000 Stimmen unter dem Ergebnis von 1932, der letzten Wahl vor der Errichtung der austrofaschistischen Diktatur. Und in einigen Bezirken sogar unter dem Ergebnis der Wahl von 1927, das für die Partei besonders schlecht war. Dabei zeigt das Wahlergebnis, daß sich diesmal, zum Unterschied von den vorangegangenen Wahlen, eine erhebliche Unzufriedenheit mit der Politik der SPÖ und ihrer Führung angesammelt hat, die auch sichtbar auf das Wahlergebnis durchgeschlagen hat.

Eine große Zahl von sonstigen SP-Wählern, ja sogar von eingeschriebenen SP-Mitgliedern war mit der Situation in ihrer Partei so unzufrieden, daß fast 100.000 zum Zeichen ihres Protests und als Denkzettel der Wahl fernblieben. Es ist also offensichtlich, daß das Argument von den „verlorenen Stimmen“ (das ja bei Wiener Gemeindewahlen ohnehin keine Bedeutung hat) überhaupt keine Rolle gespielt hat.

Und doch hat unsere Partei kaum jemand von den 100.000 unzufriedenen SP-Wählern dazu motivieren können, statt nicht zu wählen, als Denkzettel für die SP einen KP-Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen und so dem Protest eine stärkere Profilierung zu geben.

Das besagt — und darin liegt die politische Bedeutung für uns —, daß auch für unzufriedene SP-Wähler, die bereit sind, ihrer bisherigen Partei einen Denkzettel zu geben, unsere Partei nicht wählbar erscheint. Dabei sind es doch Wähler, die offensichtlich keine übertriebenen Illusionen über die SP mehr haben, die nicht mehr bereit sind, durch dick und dünn mit der SP zu gehen.

Und trotzdem findet unsere Partei bei diesen fast 100.000 sozusagen in den Wählerstreik getretenen SP-Mitgliedern und Anhängern keinen Anklang. Ja, unsere Partei hat nicht nur nichts gewonnen, sie war, nach Prozenten gerechnet, sogar der Hauptverlierer der Wahl.

Seit Genossen am Ruder sind, die sich rühmen, die Partei „gerettet“ und „auf den rechten Pfad zurückgeführt zu haben“, seitdem in Wien die Genossen Karger und Schätzl den seither verstorbenen Genossen Josef Lauscher und sein Team hinausgedrängt und sich selbst hinaufgedrängt haben, ist unsere Stimmenzahl in Wien auf die Hälfte gesunken.

So großartig haben sie die wichtigste Landesorganisation der Partei saniert.

II. Ein klares Urteil

Wir haben mit Recht — und nicht nur wir — die Stimmenverluste der SP durch die massenhafte Stimmenenthaltung ihrer Wähler als Symptom der Unzufriedenheit mit der SP-Politik gewertet.

Doch ebenso muß ohne jede Illusion und Beschönigung, ohne jede Ausrede und Ausflucht, der Verlust von einem Drittel unserer Stimmen in Wien als ein klares Urteil, als eine Absage an die Politik unserer Partei gewertet werden.

Man hat die Genossen mit dem Hinweis auf das Ergebnis in der Steiermark vertröstet. Genosse Scharf schrieb in der Novembernummer von Weg und Ziel von einem „befriedigenden Ergebnis in dem einen Bundesland und weniger befriedigend in dem anderen“. Der Verlust von einem Drittel der Stimmen in Wien ist also für Gen. Scharf nur „weniger befriedigend“. Immerhin, so meint er, steht „beträchtlichen Verlusten in Wien — pauschal gesehen — ein Halten der Positionen in der Steiermark gegenüber“. Aber eben nur „pauschal gesehen“. Denn auch er muß zugeben, daß wir auch in der Steiermark in Industriestädten Verluste haben hinnehmen müssen. Das gilt vor allem für die Obersteiermark, wo unsere Stimmenzahl von 5.360 um 809 auf 4.551 zurückgegangen ist.

Und Gen. Scharf kommt zu dem Ergebnis: „Trotz unserer Verluste in Wien glauben wir nicht, daß wir Grund zum Skeptizismus haben.“ Für ihn geht es nur „um die Verbesserung unserer Agitation, unseres Organisationslebens, unserer Aktivität“, damit es wieder aufwärtsgeht. Als ob man das nicht schon bis zum Überdruß gehört hätte.

Selbst die SP, die auch bei ihrem schlechten Abschneiden prozentmäßig immer noch das zweitbeste Ergebnis seit 1945 in Wien erzielt hat, wollte sich diesmal nicht mit so billigen Phrasen aus der Affäre ziehen und hat eine gründliche allgemeine Analyse, eine selbstkritische Überprüfung des Wahlergebnisses und seiner Ursachen eingeleitet. Ob es wirklich zu einer solchen kommt, wie tief die Analyse und die Selbstkritik gehen werden, wollen wir nicht vorwegnehmen. Immerhin hat man sich wenigstens zu einer Geste aufgeschwungen.

Aber unsere Partei, die sich doch sozusagen jeden Tag, früh, mittags und abends, zu den „unverrückbaren Prinzipien des Marxismus-Leninismus bekennt“, hält offenbar nichts von der Leninschen Selbstkritik. Denn von einer selbstkritischen Überprüfung des Wahlergebnisses ist keine Rede.

III. Die ganze Politik der Partei steht zur Debatte

Eine selbstkritische Überprüfung wäre selbst dann notwendig, wenn der 8. Oktober nur ein Rückschlag nach einer Periode von Erfolgen gewesen wäre. Doch es ist ja nicht einfach ein Rückschlag, sondern die Fortsetzung eines rapiden Niedergangs bis zum bisherigen Tiefpunkt.

Und wenn wir in der Steiermark diesmal keine weiteren Verluste erlitten haben, darf man doch nicht vergessen, daß wir uns dort nur auf einem schon vorher erreichten „Tiefpunkt“ gehalten und im wichtigsten Arbeiterwahlkreis Steiermarks sogar einen neuerlichen Verlust von 15 Prozent erlitten haben.

Es steht somit nicht dieser oder jener Fehler zur Debatte, es geht nicht, wie Gen. Scharf meint, um Mängel der Agitation, der Organisation, der Aktivität. Diese sind ja nicht unabhängig von der Gesamtpolitik der Partei. Und diese steht, wie wir glauben, nach einem Jahrzehnt ständiger schwerer Rückschläge und Niederlagen zur Debatte.

Es geht nicht um eine „Fehlerdiskussion“, sondern um das kritische Überdenken der Gesamtorientierung der Partei in diesem Zeitraum, die vollkommen Schiffbruch erlitten hat, die nicht nur keine neuen Menschen gewinnen konnte, sondern bisherige Anhänger abgestoßen hat.

In unserer Partei gibt es, bis hinauf zu höchsten Spitzen, eine Auffassung, wonach derzeit und für eine noch nicht überschaubare lange Zeit für uns „nichts drin“ ist, daß aufgrund „objektiver Tatsachen“ unsere Partei sich in ihrem derzeitigen Zustand befindet und daß ihre Funktion deshalb im wesentlichen nur darin bestehen könne, einen Kern von Genossen zu erhalten und für jenen fernen Zeitpunkt, für jenen kommenden „Tag X“ in Reserve zu halten, an dem das große Wunder eintritt und der „große Bruder“ kommt, um eine Wendung herbeizuführen.

Wir lehnen diese Auffassung ab. Sie verurteilt unsere Partei zum Niedergang, reduziert sie zu einer Sekte. Sie führt zu einem völlig weltfremden Kurs, lähmt die in der Partei noch vorhandenen aktiven Kräfte. Nur so ist die groteske Linie zu begreifen, daß die Partei, die auf einem Tiefpunkt ihres politischen Einflusses angelangt ist, sich dennoch Tag für Tag als die „einzige Alternative“ gegen alle anderen vorstellt.

Wir sind der Meinung, daß zunächst die Partei selbst eine Alternative zu jener Orientierung erarbeiten muß, mit der sie totalen Schiffbruch erlitten hat. Und wir wiederholen, was wir in unseren letzten Briefen bereits von verschiedenen Seiten her dargelegt haben: Die Alternative heißt — Orientierung auf eine österreichische Variante des Eurokommunismus.

Gespenst in der KPÖ:
Antonio Gramsci, Vater des Eurokommunismus

IV. Für eine österreichische Variante des Eurokommunismus

Natürlich meinen wir damit nicht jene Mißdeutungen, die die Genossen Muhri, Scharf und Wimmer in ihrer im Auftrag des Polbüros herausgegebenen Broschüre gegen den Eurokommunismus zusammengebastelt haben. So behauptet Scharf, nur Carrillo hätte die Bezeichnung Eurokommunismus akzeptiert, während „selbst Berlinguer und Marchais immer wieder darauf hinwiesen, daß der Begriff eine Erfindung des westlichen Journalismus ist, der der Realität nicht entspricht“.

In Wirklichkeit haben erst vor kurzem in einen Dokument Berlinguer und Marchais die Bezeichnung akzeptiert. In ihrer gemeinsamen Erklärung vom 5. Oktober nach ihrem Treffen in Paris bezeichnen sie die Madrider Dreiparteienerklärung der kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs und Spaniens vom März 1977 als „Grundlage dessen, was man Eurokommunismus nennt“.

Gen. Scharf, der mit allen Mitteln gegen den Eurokommunismus loszieht, findet schließlich, daß es einen solchen überhaupt gar nicht gibt, denn die eurokommunistischen Parteien hätten ja gar kein gemeinsames Modell ausgearbeitet. In Wahrheit gehört es geradezu zum Wesen des Eurokommunismus, keine „allgemeingültigen Modelle“ zu konstruieren, aber auch keine verpflichtenden „allgemeinen Gesetzmäßigkeiten“ gelten zu lassen, die angeblich in dem real existierenden Sozialismus schon durchgespielt worden seien und mit gewissen „Anpassungen“ an die nationalen Besonderheiten für alle Länder und Zeiten Gültigkeit haben sollen, wie dies in vollem Einklang mit den sowjetischen Ideologen auch von unseren „Orthodoxen“ behauptet wird.

Bekanntlich haben Marx, Engels und Lenin solche immer und überall gültigen Gesetzmäßigkeiten für unmarxistisch gehalten. Denn jeder Versuch, den realen Verlauf der Revolution, des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus, in das Korsett „allgemeiner Gesetzmäßigkeiten“ zu pressen, führt unvermeidlich zu jenem weltfremden Sektierertum, das auch unsere Partei heute charakterisiert und das eine Hauptwurzel ihres Niedergangs ist.

V. Sozialismus in Freiheit

Gen. Wimmer richtet seine Spitze gegen die Vision eines Sozialismus in Freiheit, gegen die Strategie eines demokratischen Weges zu einem „Sozialismus auf Basis der Demokratie und des Pluralismus“, die die kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs in ihrer Erklärung vom 5. Oktober als Basis ihrer Politik bezeichnen. Dies sei, schreibt Wimmer, „eine Proklamation von Wünschen, die einen unverkennbar utopischen Charakter trägt“.

Diese Behauptung Wimmers steht sogar in Widerspruch zu den Dokumenten unserer eigenen Partei, in denen sie sich zur Existenz auch mehrerer politischer Parteien, also zum Parteienpluralismus bekennt.

„Die Fragestellung“ eines Sozialismus in Freiheit, so schreibt Scharf, „übersieht, daß es miteinander nicht vereinbare Freiheitsrechte gibt. So kann es im Sozialismus nicht gleichzeitig die Freiheit der Menschen von Ausbeutung und die Freiheit, andere Menschen auszubeuten, geben.“

Doch nie hat eine eurokommunistische Partei das Recht auf Ausbeutung in ihr Sozialismusmodell eingeschlossen; es hat aber auch noch nie jemand das Recht auf Ausbeutung als ein Freiheitsrecht bezeichnet. Es geht also überhaupt nicht um irgendein „Freiheitsrecht auf Ausbeutung“, und keine eurokommunistische Partei hat je solchen Unsinn vertreten. Worum es geht, ist die Erkenntnis,

  • daß die Demokratie, wie sie — in verschiedener Form und in verschiedenem Ausmaß — im heute noch kapitalistischen Europa existiert, kein Geschenk oder „Manöver“ des Monopolkapitals ist, sondern hauptsächlich von der Arbeiterklasse in einem hundertjährigen schweren Kampf dem Kapitalismus abgerungen worden ist;
  • daß diese Demokratie für die Arbeiterklasse lebenswichtig, dem Monopolkapital aber ein Dorn im Auge ist;
  • daß der Sozialismus in diesen Ländern daher nicht einhergehen kann mit einem Abbau, sondern nur mit einem weiteren Ausbau der Demokratie;
  • daß die Demokratie nicht nur ein günstiger Kampfboden für die Arbeiterklasse ist, sondern etwas, was sie als „Mitgift“ in den Sozialismus einbringt, was z.B. für die Bolschewiki nicht möglich war, weil es eine solche „Mitgift“ damals noch nicht gegeben hätte.

VI. Genosse Berlinguer über den Eurokommunismus

Lassen wir gegenüber den Mißdeutungen von Scharf und Wimmer einen Eurokommunisten wie Gen. Enrico Berlinguer selbst das Wesen des Eurokommunismus definieren. Auf dem zentralen Pressefest der Unità im September 1977 sagte er:

Wir beziehen uns auf die revolutionäre Bewegung die von der großen russischen Oktoberrevolution ausgegangen ist. Dadurch wurde die Struktur gesprengt, die die Menschen, obwohl vor dem Gesetz gleich, zur tatsächlichen Ungleichheit verurteilte. Damals wurde die große Revolution der Gleichheit vollzogen, die ungeheure Menschenmassen befreit und große Energien freigesetzt und es ermöglicht hat, große Errungenschaften wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Natur zu verwirklichen. Die geschichtlichen Gegebenheiten und die begangenen (zum Teil vermeidlichen und zum Teil unvermeidlichen) Fehler haben einer vollständigen Verwirklichung Grenzen gesetzt. Das Problem ist offen und wird von uns im Geist der Wahrheit und deshalb revolutionär angegangen, da wir ja auf der Seite derjenigen stehen, die die Gerechtigkeit, die Freiheit und die Gleichheit aller wollen.

Aber uns, der PCI und den revolutionären Parteien Westeuropas, kommt vor allem eine andere Aufgabe zu: den Sozialismus in den Ländern des hochentwickelten Kapitalismus zu verwirklichen, die „Revolution im Westen“ zu machen und zu zeigen, daß der Sozialismus untrennbar mit allen sozialen, kulturellen und religiösen Freiheiten verbunden sein kann und sein muß. Das ist kein regionales Sichabschließen, sondern eine weltweite geschichtliche Vision; ein echter Internationalismus inspiriert jene Ideenbewegung, die heute als „Eurokommunismus“ bezeichnet wird.

Übrigens sei angemerkt, daß sich der Eurokommunismus nicht auf die drei kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs und Spaniens beschränkt. „Eurokommunistische“ Standpunkte vertritt seit langem z.B. die KP Großbritanniens (ihr Programm „Der Weg Britanniens zum Sozialismus“ kann in gewissem Sinn sogar als erstes eurokommunistisches Dokument bezeichnet werden), die Partei der Arbeit der Schweiz, die KP Schwedens, die Mehrheit der KP Finnlands, um einige zu nennen.

Oder kann man sich vorstellen, daß unsere Partei so etwas tun würde wie die KP Griechenlands, die die Kandidatur des Eurokommunisten Mikis Theodorakis, der lange Zeit in Opposition gegen die damalige Sektiererpolitiik der KP Griechenlands stand, bei der Bürgermeisterwahl in Athen unterstützte?

Oder gibt es ein Dokument, in dem etwa die KP Portugals, obwohl ein wichtiger politischer Faktor, sich als „einzige Alternative“ zu allen anderen bezeichnet und die SP, bei aller Kritik, die sie an ihr mit Recht übt, als „bessere Partei für das Monopolkapital“ abqualifiziert?

Solche sektiererische Redensarten sind derzeit nur unserer Partei vorbehalten, die dafür heute leider zu den einflußlosesten in Europa zählt.

Doch gerade darin sieht Gen. Wimmer die Gewähr für den richtigen Weg unserer Partei. Warnte er doch in der Eurokommunismus-Broschüre der Partei vor den Gefahren des Eurokommunismus und seiner breiten Bündhnispolitik: „Ja, die Breite der Bewegung selbst, die Fortschritte, welche die Partei in den nichtproletarischen Massen macht, können ihren Klassencharakter, den proletarischen Charakter beeinträchtigen und bei ernsten subjektiven Fehlern sogar in Frage stellen.“

Also je isolierter, desto ausgeprägter der proletarische Klassencharakter der Partei! Kann man sich eine Überwindung des Sektierertums unserer Partei vorstellen, wenn an ihrer Spitze solche Auffassungen vertreten werden?

VII. Zwei Auffassungen von der Funktion der Partei

Zu der eurokommunistischen Auffassung von der Funktion der kommunistischen Parteien im noch kapitalistischen Teil Europas stehen in einem drastischen Gegensatz die in unserer Partei verbreiteten Auffassungen. In unserer Partei wurde die Idee entwickelt, vor allem von Gen. Scharf, der Klassenkampf werde heute nicht im nationalen Rahmen ausgetragen, sondern sei zu einem „internationalen Klassenkampf“ geworden.

Wegen ihrer militärischen Stärke und ihrem politischen Gewicht in der internationalen Arena komme daher der Sowjetunion und ihren Verbündeten im Warschauer Pakt die Hauptrolle zu, während die anderen kommunistischen Parteien vor allem die Aufgabe hätten, die Sowjetunion hiebei nach besten Kräften zu unterstützen und Hilfsdienste zu leisten (...).

VIII. Umdenken tut not

Keine Partei ist vor Rückschlägen sicher. In jedem solchen Fall ist die Partei zu einer selbstkritischen Überprüfung verpflichtet. Erst recht aber im Fall unserer Partei, wo es nicht um einen Rückschlag geht, sondern um einen ständig fortdauernden und fortschreitenden Prozeß des Rückgangs und Niedergangs.

Da geht es schon nicht mehr um Verbesserungen der Organisation, der Agitation und der Aktivität, wie Gen. Scharf meint. Da geht es um eine selbstkritische Überprüfung der Gesamtpolitik der Partei.

Auch die ständige Klage darüber, wie stark der Antikommunismus ist und sich gegen unsere Partei auswirkt, hilft ja nicht. Können wir denn erwarten, daß der Antikommunismus aufhören wird oder daß es genügt, ihn zu „entlarven“ und anzuklagen?

Vielmehr müssen wir überprüfen, ob wir nicht selbst dem Antikommunismus neuen Stoff liefern, ob wir nicht selbst dazu beitragen, daß der Antikommunismus günstigen Nährboden findet, um in den Hirnen der Menschen seine Wirkung zu tun.

Jeder Genosse weiß doch aus eigener bitterer Erfahrung, daß unsere Partei — nach dem kurzen Zwischenspiel vor und nach unserem 19. Parteitag, als auch wir einen „eurokommunistischen“ Weg betraten — noch immer oder schon wieder als eine „Russenpartei“ und nicht als eine autonome österreichische Partei gilt, die nur so lange für die Demokratie ist, als sie auch ihr zugute kommt, wenn sie aber einmal das Sagen hätte wie in den Ländern des real existierenden Sozialismus, die Demokratie nur in engen Grenzen gelten läßt.

Es hat keinen Sinn, davor die Augen zu verschließen. Es nützt auch nichts, darüber zu klagen, daß dieses Bild von unserer Partei ein Zerrbild ist, das nicht der Realität entspricht, wenn unsere Partei selbst nicht in allem, was sie tut und sagt, im kleinen wie im großen, eindeutig und sichtbar beweist, wie unrecht der Antikommunismus hat.

Das ist nach all dem, was an der Spitze unserer Partei in den letzten zehn Jahren geschehen ist und gesagt worden ist, keine leichte Sache. Es erfordert ein resolutes Umdenken in unseren eigenen Reihen, um einen Prozeß des Umdenkens in unserer Partei und in der Arbeiterklasse in Gang zu bringen.

Was wir halt brauchen, ist eine Art Wiederholung der seinerzeitigen „Thesendiskussion“ über die Grundorientierung unserer Partei. Wenn das ZK seiner Verantwortung gerecht werden sollte, müßte es die Initiative dazu ergreifen.

Jedenfalls aber sollten alle Kommunisten, denen die Entwicklung der Partei Sorge macht, denen das künftige Schicksal der Partei Herzenssache ist, selbst die Diskussion eröffnen, wo immer sie zusammenkommen, wo immer es zum Gespräch zwischen Genossen kommt.

Wir haben in unseren letzten Briefen hiezu Denkanstöße gegeben. Wir glauben, damit einen positiven Beitrag zu leisten, um aus der schweren Krise herauszukommen.

Mit Parteigruß —


Ende November 1978

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