MOZ, Nummer 41
Mai
1989
„Bio“-Waffen:

Krieg der Gene

Wir haben bei der Entwicklung und dem Einsatz von Atomwaffen erlebt, daß Wissenschafter im Ernstfall keine ethischen Schranken kennen. Sie wußten bei der Zündung der ersten A-Bombe nicht einmal hundertprozentig sicher, ob der gesamte Sauerstoff der Atmosphäre durch Kettenreaktion verbrennen würde oder nicht. Trotzdem spielten sie Gott, ähnlich wie die Gentechniker heute, über die ein Psychiater sagte, sie seien „triebhaft fasziniert“ von den neuen Möglichkeiten.

Anfang der 60er Jahre, als die Atomwaffenproduktion alles andere in den Schatten stellte, startete der B-Waffenflügel eine Werbekampagne unter dem Motto „Humanisierung biologischer Waffen“. Als „menschliche Waffe“ wurden Alphaviren präsentiert, die Erreger der Pferdeenzephalitis. Sie verursachen beim Menschen — so hieß es — „nur“ Übelkeit, Erbrechen, Schüttelfrost, Kopf- und Muskelschmerzen. Daß sie auch Gehirnentzündungen hervorrufen können, hängte man lieber nicht an die große Glocke. Die Amerikaner dürften in Vietnam mit ihnen experimentiert haben, dann war zunächst einmal Schluß. Man sei wieder auf das gleiche Problem gestoßen, so der deutsche Biologe Ruben Scheller: „Die Krankheitserreger wollten einfach nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden.“

Biologische und chemische Waffen — die „Atomwaffen des kleinen Mannes“ — sind billig und relativ einfach herzustellen. Chemische Waffen wurden zuletzt vom Irak gegen die Kurden eingesetzt. Material und Know-how kamen aus westlichen Industriestaaten. Auch bei biologischen Waffen wird schmutzige „Entwicklungshilfe“ geleistet. Bioreaktoren, in denen auch Typhus-, Cholera-, Milzbrand-, Tetanus-, Diphterie- und Pestbakterien leicht gezüchtet und vermehrt werden können, sind im Handel ohne weiteres erhältlich. Man weiß, daß mit ihrer Hilfe B-Waffen hergestellt werden können; in Form von Bomben und Raketen oder von Flugzeugen und Hubschraubern aus versprüht oder durch Aerosolgeneratoren verbreitet, die die Todeskeime als feinste Schwebeteilchen in der Luft verteilen. Unter Anleitung von Gentechnikern kann ein solcher Erreger durch genetische Manipulationen zu einer Horrorwaffe gemacht werden. Neue Erkenntnisse einer schwedischen Arbeitsgruppe haben z.B. gezeigt, daß nur ein einziger Genbaustein einen harmlosen Verwandten des Pesterregers vom furchtbaren, aggressiven Beulenpest-Bazillus unterscheidet.

Durch gentechnische Veränderungen eines Erregers kann auch das Immunsystem ausgeschaltet werden. Baut ein Gen-Ingenieur dann noch ein „Selbstmordgen“ ein — zum Beispiel eines, das nur eine bestimmte Zahl von Zellteilungen erlaubt, oder eines, das die Bakterien bei bestimmten äußeren Bedingungen absterben läßt —, dann ist der „Krieg der Gene“ für die Militärs gelaufen. Man kann nun auch die „etnische Bombe“, die „Rassenbombe“ bauen. R. Scheller: „Rassen und Volksgruppen unterscheiden sich in einer Reihe biologischer Eigenschaften. Sie reagieren deshalb gegenüber verschiedenen Krankheitserregern verschieden empfindlich. So befällt ein Pilz namens Coccidioides immitis, der das gefährliche Talfieber hervorruft, nichtweiße Rassen um ein Vielfaches stärker als weiße. Diese Viren würden dann ihre tödliche Ladung nur in Zellen von Schwarzen einspritzen, die Zellen von Weißen können sie überhaupt nicht erkennen.“ Experimentiert wird natürlich auch mit einer ganzen Reihe von Viren, auch Tierviren. Bei Hasenpest und Kuhfieber ist nur ein einziger Erreger pro Mensch für die tödliche Wirkung notwendig.

Zu den B-Waffen gehören auch Toxine, z.b. giftige Stoffwechselprodukte von Bakterien und Pilzen, Fischgifte und Schlangengifte. Jene Gene in Cholera-, Tetanus- oder Diphteriebakterien, die für die Erzeugung der Toxine verantwortlich sind, haben eine recht einfache Grundlage. Das Gen kann problemlos herausgeschnitten und in Kolibakterien eingesetzt werden, die sich in unserem Darm wohlfühlen. Dann braucht man diese Bakterien nur noch auszusetzen, z.B. in die Wasservorräte. Zur Illustration: beim TetanusToxin führt schon ein Milliardstel Gramm pro Kilo Körpergewicht zum Tod.

Einsatzgebiet Europa

Das amerikanische Verteidigungsministerium hat erstaunlich frühzeitig wieder auf B-Waffen gesetzt, nämlich genau 1968, als Fort Detrick geschlossen wurde. Damals erklärte der damalige stellvertretende Direktor für Forschung und Technologie, Donald MacArthur: „Die Molekularbiologie ist ein Gebiet, das sich sehr schnell entwickelt, und führende Biologen glauben, daß man in fünf bis zehn Jahren synthetische biologische Kampfstoffe herstellen kann, die es in der Natur nicht gibt und für die es keine natürliche Immunität gäbe.“ Die Pentagon-Forscher erklärten damals, sie könnten für etwa 10 Millionen Dollar ein Super-Virus entwickeln, „das sich in wichtigen Punkten von jeglichem bekannten Krankheitserreger unterscheidet“. Das wichtigste an diesem SuperVirus sei, daß es sich als „hart gegen das Immunsystem und therapeutische Maßnahmen erweise“ (C. Sternberg).

Der Krieg der Gene wurde mit Beginn der Reagan-Regierung angeheizt. Seit damals sind die Ausgaben des amerikanischen Verteidigungsministeriums für Erforschung, Entwicklung und Erprobung von B- und C-Waffen von 50 auf 200 Millionen Dollar gestiegen, also auf das Vierfache. Vor allem für die neuen gentechnischen Methoden wird immer mehr Geld ausgegeben.

R. Scheller sieht folgende Zusammenhänge: „In den Jahren 1978-1981 wurde Kuba von vier Seuchen heimgesucht, die erhebliche Schäden verursachten, darunter das Dengue-Fieber, dessen Erreger auf Kuba niemals vorkam. Im Februar 1982 gaben die salvadorianischen Gewerkschafter eine Erklärung ab, in der die USA angeklagt wurden, über den befreiten Gebieten EI Salvadors Erreger der blutigen Bindehautentzündung zu verbreiten.“

Ein internationaler Vertrag von 1972 verbietet zwar die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von biologischen Waffen und von Toxinwaffen, aber man hat es verstanden, diesen Vertrag unter dem Schlagwort „Defensivforschung“ zu umgehen. Außerdem haben 51 Länder — meist der „Dritten Welt“ — die Übereinkunft bis heute nicht ratifiziert. Über C-Waffen verfügen insgesamt 37 Nationen, unter ihnen auch einige Länder in Krisenregionen, u.a. Israel, Ägypten, Syrien, Libyen, Nordkorea, Iran, Irak und Taiwan. Daß der Irak eine Fabrik für B-Waffen unterhält, wurde erst kürzlich bekannt.

Außenminister Tarik Asis hat den Giftgaseinsatz Anfang Juli 1988 erstmals zugegeben; der Iran produzierte zu dieser Zeit im Monat 60 Tonnen Senfgas in einer Fabrik, die mit deutschem Knowhow und Personal gebaut wurde.

1978 lieferte die bayrische Firma Sigma Chemie, eine Tochter des amerikanischen Unternehmens SIGMA, über 200 Milligramm hochgefährliche Pilzgifte an den Irak. Das war also mitten im mörderischen Golfkrieg. Jeder wußte, daß der Iran Giftgas einsetzte.

Dabei ist ein Vertrag zur weltweiten Ächtung und Vernichtung chemischer Waffen seit Monaten unterschriftsreif. Die Initiative geht von der Bundesrepublik aus, aber Washington und Paris legen sich quer. Das kommt nicht von ungefähr: „Denn die amerikanischen Militärs, das Pentagon und die chemische Industrie, die in Wahrheit nie ein C-Verbot wollten, haben sich in Washington durchgesetzt.“

Wir sollten anläßlich der Auseinandersetzungen um B- und C-Waffen nie vergessen, daß es vor allem um das Einsatzgebiet Europa geht, um das „European Theatre“, wie es in den USA heißt. Die Amerikaner haben im Dezember 1987 mit der Erzeugung von Granaten — die Bomben tragen den süßen Namen „Bigeye“ — mit binären Nervengasen begonnen, obwohl ein seriöses Angebot der Russen vorlag, mit der Abrüstung auch auf diesem Gebiet zu beginnen. Diese binären Kampfstoffe bestehen aus zwei Systemen, die erst im Augenblick des Einsatzes miteinander vermischt werden und durch eine chemische Reaktion das tödliche Gift erst entstehen lassen. Der Kriegsschauplatz, schreibt S. Rose, „ist unsere Heimat“. Gemäß einem Beschluß der NATO-Verteidigungsminister vom Mai 1986 wurde amerikanischen Plänen zugestimmt, ab Ende 1987 die Produktion dieser C-Waffen aufzunehmen und diese Waffen im Krisenfall nach Europa zu verlagern.

Wie ernst die Situation ist, zeigen die Kapitalflüsse: bis 1996 bewilligte der amerikanische Kongreß vor zwei Jahren 15 bis 26 Milliarden Dollar für B- und C-Waffen.

Ähnlich wie die Nutzung der Atomenergie untrennbar mit der Atombombe verbunden ist, so ist die Entwicklung der Gentechnik gekoppelt an die B-WaffenTechnik. Wieder einmal bestimmen Militärs das Tempo und die Richtung der Forschung, wieder einmal werden friedliche Nutzungsmöglichkeiten nur vorgeschoben.

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