Café Critique, Jahr 2010
Januar
2010

Kritik der Religion

Ein Plädoyer für Islamkritik und gegen abstrakten Atheismus

Im Jahr 2010 über Religionskritik zu sprechen ist schwierig. Man kann schlecht die Gefechte des Mittelalters wieder aufleben lassen. Es stellt sich die Frage, wie Menschen kritisiert werden sollen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts allen Ernstes behaupten, es gebe höhere Wesen, und sich also, ganz freiwillig und ohne Zwang, auf das intellektuelle Niveau von vor ein paar hundert Jahren begeben. Nur zu gern würde man sich auf den Austausch der besten Propheten-, Jesus- und Messiaswitze beschränken. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass das, was heute unter Religion firmiert, zu ernst ist, als dass man es mit den Mitteln der Humorkritik erledigen könnte – auch wenn einige religiöse Dogmen und Vorstellungen tatsächlich erst einmal als schlechter Witz erscheinen. Man denke nur an die Behauptung, Jihadisten, die sich auf israelischen Gemüsemärkten in die Luft sprengen, würden im Paradies mit ein paar Dutzend Jungfrauen belohnt.

Leider geht es beim jihadistischen Suicide Bombing nicht um eine gedankliche Schrulle, sondern um eine blutige gesellschaftliche Praxis. Die Reaktionen auf den sogenannten Karikaturenstreit und vor allem der erneute Mordanschlag auf den dänischen Zeichner Kurt Westergaard verdeutlichen eines: Witze insbesondere über die islamische Religion verharmlosen das Problem eher als es zu erhellen. Lustig machen könnte man sich darüber, wenn es nur das Privatunvergnügen lustfeindlicher Obskuranten wäre, sich irgendwelchen unsinnigen Ernährungs-, Abbildungs- und Sexualvorschriften hinzugeben.

Wenn ein paar harmlose Karikaturen einen mittleren Aufstand am halben Globus auslösen können, wenn Gruppierungen wie die Hamas Wahlen gewinnen, wenn ein esoterischer Spinner mit Vorlieben für feudalistische Herrschaftsstrukturen wie der Dalai Lama als Vorbild ganzer Generationen über alle politischen Grenzen hinweg fungiert, wenn die katholische Homophobie in Polen und die russisch-orthodoxe in Moskau wieder als militanter Mob in Erscheinung tritt, wenn also das schon tausendfach Totgesagte sich heute als ausgesprochen lebendig erweist – im Falle des jihadistischen Islam als dermaßen lebendig, dass es für Ungläubige eine tödliche Bedrohung darstellt –, dann müsste man noch einmal zum Anfang zurück und sich Grundlagen der Religionskritik vergegenwärtigen. Gleichzeitig kann man aber nicht bei solch einer allgemeinen Religionskritik stehen bleiben. Es ginge darum, deutlich zu machen, inwiefern Religionen unterschiedlich weit entfernt sind vom Gedanken materialistischer Aufklärung und Kritik; dass manch religiöse Strömung eine Vermittlung des Glaubens mit der Vernunft anstrebt, während andere die Ratio für reines Teufelszeug halten; dass es, worauf Max Horkheimer nachdrücklich hingewiesen hat, Formen von Religiosität wie etwa den jüdischen Messianismus gibt, die vor allem die Sehnsucht nach dem ganz anderen bewahren, die also auch den Gedanken an eine befreite Gesellschaft in wie auch immer deformierter Form aufrechterhalten, anstatt die gewaltsame Vermittlung im falschen Bestehenden durchzusetzen. Kurz: Man müsste die Unterschiede zwischen den Religionen thematisieren.

Man dachte, über Religion sei alles gesagt. Es ist schwierig, dem, was in den letzten 200 Jahren über den Götter- und Götzenglauben festgestellt wurde, viel Neues hinzuzufügen. Kant brachte Vernunft und Mündigkeit gegen den alten Gottesglauben in Anschlag und Ludwig Feuerbach sah in der Religion die Projektion menschlicher Sehnsüchte. Marx beschrieb die Religion als Opium des Volkes, Freud ortete im Glauben kindliche Wunschvorstellungen und Sartre betrachtete Religion völlig zu Recht als Bedrohung für die menschliche Freiheit.

Schon Marx ging Mitte des 19. Jahrhunderts davon aus, dass die Kritik der Religion bereits geleistet worden sei und man sich nun mit dem gesellschaftlichen Elend beschäftigen müsse, welches das Bedürfnis nach Religion erst hervorbringt. Er sah in der Religion noch einen Doppelcharakter: Sie sei Flucht aus dem Elend, aber auch „Protestation“ gegen dieses Elend. Doch sollte man diese Protestation nicht überschätzen, denn sie vermag kaum zu den wirklichen Ursachen des Elends vorzudringen und bleibt durch ihr Gefangensein in den religiösen Illusionen in der Regel konformistische Rebellion. Angesichts der heutigen Stellung der christlichen Kirchen hat allerdings auch gegenwärtige, sich vornehmlich auf das Christentum konzentrierende Religionskritik im Vergleich zu ihren Vorläufern in früheren Jahrhunderten immer etwas von einer konformistischen Revolte von Leuten, die radikale Gesellschaftskritik scheuen und sich lieber in anklägerische Pose gegenüber schon längst Erledigtem werfen. Während Giordano Bruno und all die anderen Häretiker auf dem Scheiterhaufen landeten, sind Witze über den Papst heute ähnlich subversiv wie die von Regierungsparteien vorgetragene Kritik am Kapitalismus.

Heute geht es unter anderem darum, die vorbürgerlichen Relikte im bürgerlichen Recht endlich zu beseitigen, also die Blasphemieparagraphen aus den Gesetzbüchern zu tilgen und überall dort, wo Religionsausübung jene wie auch immer beschränkten individuellen Freiheiten verletzt, welche die westlichen Gesellschaften nach der partiellen Emanzipation von christlichem Tugendterror und staatlicher Willkürherrschaft zumindest garantieren können, die Mindeststandards bürgerlicher Aufklärung durchzusetzen. Es gilt, die Bedingungen gesellschaftskritischer Reflexion – und Religionskritik wird einer der notwendigen Bestandteile solcher Reflexion bleiben müssen – aufrechtzuerhalten. Angesichts der Reaktionen, mit denen in den letzten Jahren insbesondere Vertreter der islamischen Religion mit kräftiger Unterstützung multikultureller Kulturrelativisten auf Kritik reagiert haben, müssen diese Bedingungen als bedroht bezeichnet werden.

Man vergegenwärtige sich nur nochmals einige der Reaktionen auf die islamistische Mobilmachung im Rahmen des Karikaturenstreits – eines Streits, in dessen Verlauf immerhin öffentlich in europäischen Metropolen nichts Geringeres als ein zweiter Holocaust gefordert wurde. Hannes Swoboda, Europaparlamentarier der SPÖ, verlangte angesichts solcher Ereignisse nicht etwa eine schärfere Verurteilung solcher Vernichtungsfantasien und -drohungen, sondern verlautbarte, der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hätte „klarer Respekt für den Islam zeigen sollen“. Carla Baghajati, die Medienreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, formulierte ganz unumwunden eine Drohung, als sie in einem Standard-Kommentar schrieb: „Es wäre ein fataler Mechanismus, wenn erst Aggressivität ein Nachdenken bewirkt, während friedliche Initiativen ohne Öffentlichkeit bleiben.“ Ganz ähnlich äußerte sich Mohamed Mahmoud, Obmann der Islamischen Jugend Österreich: „Jugendexperten in Österreich haben vor ähnlichen Gewaltausbrüchen, wie sie auch in Paris und Berlin stattfanden, gewarnt. Es liegt in der Hand der Regierung, solche Gewaltausbrüche zu verhindern.“ Damit wird deutlich ausgesprochen: Entweder die staatlichen Institutionen geben den Forderungen unseres Vereins mehr nach, oder es gibt Rabatz. Mit solch einer Strategie hat man nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa Erfolg, wo große Teile der Linken die Kritik am Islam per se für rassistisch halten, während einige Konservative sie zur Wiederbelebung jenes christlichen Glaubens verwenden wollen, der philosophisch bereits seit 200 Jahren erledigt ist.

Die etablierte Linke überlässt die Kritik des Islam den Fremdenhassern von rechts, anstatt eine an Emanzipation, Aufklärung und Humanismus orientierte Kritik an der islamischen Menschenzurichtung zu formulieren. So gesehen ist es auch gar nicht verwunderlich, dass nach dem Mordanschlag auf Kurt Westergaard quer durch Europa die Medien ihren Lesern und Zusehern zwar von den „umstrittenen Karikaturen“ des dänischen Zeichners berichteten, sich aber kaum eine führende Zeitung traute, seine Abbildung Mohammeds samt Bombe im Turban, die nach tausenden jihadistisch motivierten Attentaten in den letzten Jahren ebenso naheliegend wie in ihrer Kritik zurückhaltend ist, nachzudrucken.

Es geht heute darum, die bürgerlichen Freiheiten von Leuten wie Ayaan Hirsi Ali zu verteidigen, die den Propheten einen perversen Tyrannen nennt, von Hip-Hopern, die Jesus als Bastard titulieren, und von israelischen Poplinken, die verkünden, dass der Messias nicht kommen wird. Die Frage, warum die beiden Letztgenannten ähnlich wie Manfred Deix mit Kritik, Empörung und schlimmstenfalls mit aberwitzigen strafrechtlichen Konsequenzen leben müssen, Ayaan Hirsi Ali aber mit Morddrohungen und Kurt Westergaard mit Mordversuchen konfrontiert sind, lässt sich nur erklären, wenn in Zukunft versucht wird, die entscheidenden Unterschiede zwischen den Religionen und ihrer jeweiligen Funktion in den heutigen Gesellschaften zu thematisieren, anstatt in einen abstrakten Wald- und Wiesenatheismus zu verfallen, dem alles eins ist.

in redaktioneller Bearbeitung am 24.1.2010 erschienen in der Presse

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