Kuponschneider als Rentenklaus?
Es war einmal eine Zeit, in der es nicht darauf ankam, die Welt zu erklären, sondern sie zu verändern. Der erste groß angelegte Versuch, eine grundlegende gesellschaftliche Umwälzung zu bewerkstelligen, ist gescheitert. In dieser Lage kann es zumindest nicht schaden, ganz von vorn zu beginnen und gründlich zu überlegen, wo sinnvolle Ansätze für grundlegende Veränderungen zu finden sind. Derartigen Versuchen muß allerdings die Anstrengung vorangehen, die soziale und wirtschaftliche Realität zu begreifen und sie so darzustellen, wie sie ist.
Es ist unangebracht, sie immer sofort unter Anwendung von traditionellen, mittlerweile falsifizierten dogmatischen Leisten zu interpretieren. Merke: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als die herkömmliche marxistische Schulweisheit (oder was dafür gehalten wird) sich träumen läßt.
Ein Moderator des ORF-Hörfunkprogramms Ö1 hat vor kurzem für sich das Wort Globalisierung zum Begriff des Jahres 1996 erkoren. Das unterstreicht den inflationären Gebrauch dieses Stempels, der in der Tendenz allem und jedem aufgedrückt wird. Es fragt sich daher, ob mit Globalisierung überhaupt noch ein Phänomen bezeichnet wird, das eine relevante Veränderung oder einen bezeichnenden Tatbestand der gesellschaftlichen Wirklichkeit benennt.
Es liegt der Verdacht nahe, daß damit nur eine weitere Verschleierung von Herrschaftsinteressen beabsichtigt ist. Konstruiert wird mit dem Begriff ein zusätzlicher „Sachzwang“, der einen bestimmten „Handlungsbedarf“ auslöst. Etablierter Politik bleibt dabei keine andere Wahl, als der jeweils vermeintlich objektiven Anforderung zu entsprechen. (Ein derartiger Imperativ könnte nach der Implosion des „realen Sozialismus“ etwa darin bestehen, den mangels Systemkonkurrenz entbehrlichen „revolutionären Schutt“, der als Sozial- oder Wohlfahrtsstaat bezeichnet wird, schleunigst wegzuräumen.)
Keine Frage, daß Politik heutzutage nach dem skizzierten Muster funktioniert. Aber damit kommt man nicht unbedingt aus dem Schneider, was die Globalisierung betrifft. Denn es ist genau so einfältig, immer wieder auf denselben Schmäh hereinzufallen, wie signifikante Veränderungen als ohnehin vertraute Gewohnheiten abzutun. Zieht man die Kfz-Wirtschaft (das Konglomerat von Industrie, Import, Groß- und Kleinhandel sowie die beteiligten Gewerbe und alle vor- und nachgelagerten Industrie- und Dienstleistungsbereiche) als Beispiel heran, dann ist die Globalisierung kein leeres Wort. Sie bezeichnet vielmehr die Tatsache, daß sämtliche selbständig agierenden Wirtschaftssubjekte — und das sind in der Regel ausschließlich sogenannte Global Players — nun endgültig vor der Notwendigkeit stehen, ihr Geschäft im weltweiten Maßstab zu betreiben. (Was nichts an der weiteren Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den Produzenten ändert. Sie wird — unabhängig von der Globalisierung — mit kürzeren Zyklen bei der Modellinnovation, steigendem Ausstattungsniveau der Fahrzeuge, längerer Lebensdauer und der Preispolitik ausgetragen. Alle diese Faktoren haben auch Rückwirkungen auf die Quantität und Qualität der Arbeitsplätze.)
Beispiel Automobilwirtschaft
Den steigenden Internationalisierungsgrad in der Automobilwirtschaft illustrieren einige Vorgänge, die in jüngster Zeit gemeldet wurden:
- Nach der Aufstockung der Mazda-Aktienanteile von 25 auf 33 Prozent durch Ford und der Installierung eines britischen Staatsbürgers an der Konzernspitze mit Sitz in Tokyo schreibt der japanische Konzern in der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahres wieder Gewinne.
- Der US-amerikanische Lkw-Konzern Paccar hat vor kurzem mit Zustimmung von Aufsichtsrat und Vorstand der betroffenen Firma das niederländische Unternehmen DAF übernommen und verfügt damit über insgesamt vier selbständige Nutzfahrzeugmarken.
- Der südkoreanische Daewoo-Konzern plant umfangreiche Investitionen in Produktionsniederlassungen in Polen, Rumänien und Usbekistan — unter anderem, um die Märkte in Zentralasien sowie in Ost- und Mitteleuropa aufzurollen.
- Der malaysische Konzern Proton hat vor kurzem die Übernahme des traditionellen britischen Unternehmens Lotus, das auf Automobilengineering und Sportwagenbau spezialisiert ist, bekannt gegeben.
- BMW will rund 1 Milliarde DM in ein neues Motorenwerk in Großbritannien investieren. Etwa gleichzeitig wurde bekannt, daß der Konzern gemeinsam mit Chrysler die Errichtung eines Motorenwerks in Brasilien plant.
- Fiat konzipiert seine neuesten Modelle als sogenannte Weltautos, die auf beinahe allen Kontinenten in elf verschiedenen Standorten — von wenigen etwa klimabedingten Varianten abgesehen — formgleich hergestellt werden.
- Das Prinzip, ein und dasselbe Modell an mehreren zum Teil weit voneinander entfernten Standorten produzieren zu lassen, wird insbesondere auch von Ford (Corsa) und VW (Golf) in zunehmend weltumfassender Weise praktiziert.
Dabei handelt es sich lediglich um eine kleine Auswahl einschlägiger Meldungen aus der Automobilwirtschaft. Die Basisdaten besagen, daß dieser Sektor für rund 10 Prozent der wirtschaftlichen Aktivitäten in der ganzen Welt verantwortlich ist. In den entwickelten Industriestaaten macht der Sektor bis zu einem Sechstel der gesamten Wirtschaftstätigkeit aus. Die Hauptakteure in diesem Business sind die amerikanischen Konzerne General Motors, Ford und Chrysler, die japanischen Hersteller mit Toyota (weltweit bereits Nummer 3 der Branche) an der Spitze sowie die europäischen Traditionsfirmen wie BMW, Mercedes Benz und Volkswagen, Citroën, Peugeot und Renault oder Fiat, Saab und Volvo. Zwischen ihnen wird es in Zukunft zu Kooperationen, Allianzen und Zusammenschlüssen kommen. An Bedeutung werden diese Konzerne in überschaubarer Zeit vermutlich nicht verlieren, weil es bis auf weiters keine brauchbare Alternative zum Automobil gibt, um den sich immer stärker auf den Freizeitbereich verlagernden Mobilitätsdrang der Individuen und die Transporterfordernisse der Wirtschaft zu befriedigen.
Schwellenländer spielen mit
Abgesehen von kleineren selbständigen Firmen wie Porsche oder den Tochterunternehmen einzelner Konzerne (Seat und Skoda von VW oder Rover von BMW), treten unterdessen auch Anbieter aus Schwellenländern (Südkorea und Malaysia) auf dem nordamerikanischen und westeuropäischen Markt in Erscheinung. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß die drei in Österreich präsenten südkoreanischen Pkw-Marken in kurzer Zeit durchwegs jeweils rund ein Prozent Marktanteil erobern konnten. Das ist insofern kein schlechtes Ergebnis, als diese Firmen noch über eine eher geringe Vielfalt beim Modellangebot verfügen. Daewoo verfolgt das Ziel, bis zur Jahrtausendwende weltweit die Nummer 10 unter den Automobilherstellern zu werden.
Die Bedeutung der Märkte von Nordamerika und Westeuropa für die Automobilwirtschaft besteht in ihrem gewaltigen Volumen. Die Nachfrage wird hier allerdings im wesentlichen lediglich vom Erneuerungsbedarf stimuliert. Um zusätzliche Kaufanreize zu bieten, setzen die Automobilhersteller auf eine immer differenziertere und auf verschiedenste Verwendungszwecke abgestellte Produktpalette (Sportwagen, Familienkutsche, Geländewagen usw.). Der nächste Schritt im Pkw-Marketing wird vermutlich in der verstärkten Nutzung der Möglichkeiten flexibler Fertigung bestehen — etwa um die einzelnen Produkte wesentlich weitgehender als bisher auf individuelle Wünsche und Anforderungen der KäuferInnen abzustimmen. Chrysler hat bereits angekündigt, eingespartes Forschungs- und Entwicklungspotential für diesen Zweck aufwenden zu wollen.
Von der Dynamik bzw. vom Wachstum her gewinnen jedoch die Märkte in Südostasien und Lateinamerika zunehmend an Bedeutung. Das macht es insbesondere auch für die europäischen Hersteller erforderlich, in diesen Hoffnungsgebieten mit eigenen Produktionsanlagen (je nach dem vom Zusammenbau bis zur Vollproduktion) präsent zu sein. Wie hoch die strategische Bedeutung der Marktentwicklung in diesem Bereich eingeschätzt wird, geht etwa daraus hervor, daß der VW-Aufsichtsrat vor kurzem beschlossen hat, den erfolgreichen Audi-Chef von dem Tochterunternehmen abzuziehen und mit der Leitung der Niederlassung in Brasilien zu betrauen, von der aus die gesamten Aktivitäten von VW in Lateinamerika gesteuert werden.
Daß die gewissermaßen physische Anwesenheit einer Produktionsfirma im jeweiligen Land ausschlaggebend für ihre Marktchancen ist, bestätigt BMW in der Praxis. Der Konzern läßt Luxusautos in Vietnam zusammenbauen und in den USA produzieren, um das jeweilige Absatzpotential optimal ausschöpfen zu können. Unterdessen ist auch Mercedes Benz diesem Beispiel mit einer Produktionsstätte für die A-Klassen-Fertigung in Brasilien und einem Assemblingwerk in Vietnam gefolgt. Mit derartigen Produktionen werden zwangsläufig auch die dazugehörigen Produktionsprinzipien exportiert, wenn sie nicht ohnehin automatisch weltweit entsprechende Folgen nach sich ziehen. Das trifft etwa auf die Tendenz der Automobilhersteller zu, die Fertigungstiefe der Produktion systematisch zu reduzieren und immer mehr Aktivitäten (auch der Forschung und Entwicklung) auf die Zulieferfirmen zu übertragen.
Breit gestreutes Risiko
Musterbeispiele dafür sind das von der Swatch-Herstellerfirma SHB und Mercedes Benz gemeinsam ausgeheckte Stadtautoprojekt Smart Car (die Markteinführung ist im Frühjahr 1998 vorgesehen) und eine von VW in Brasilien aufgezogene Lkw-Fertigung. In beiden Fällen beschränkt sich die Produktion im engeren Sinn auf den Zusammenbau der von den Zulieferfirmen (zumeist sogenannte Systemzulieferer, die ihrerseits wieder jede Menge Lieferanten benötigen bzw. beschäftigen) „just in time“ bereitgestellten Komponenten, bei denen es sich nicht bloß um einzelne Bestandteile, sondern um ganze Bauteile der Fahrzeuge handelt. Der Vorteil für die Projektbetreiber besteht dabei darin, daß sie Forschung, Investitionen und Risiko für auf diese Weise konzipierte neue Produkte nur zu einem geringen Teil selbst tragen müssen und zum größten Teil auf Kosten der Zulieferer auslagern können. Um eine gewissermaßen globale Methode handelt es sich dabei aus zwei Gründen: Einerseits besteht die Tendenz, diese Systematik weltweit anzuwenden. Anderseits haben einzelne Systemzulieferer die Chance, weltweit zum Zug zu kommen.
Es liegt auf der Hand, daß die Internationalisierung der Automobilherstellung durch die verschärfte Konkurrenz auf dem in den Hauptabsatzgebieten (Nordamerika, Westeuropa und USA) stagnierenden Markt weiter beschleunigt wird. Bisher sind die europäischen Produzenten, was die Präsenz auf anderen Kontinenten betrifft, im Rückstand. Speziell in Europa sind General Motors (unter der Markenbezeichnung Opel) und Ford (mit gewissermaßen „rein“ europäischen Modellen wie dem Escort) sowie die japanischen Konzerne (mit eigenen Produktionsanlagen vor allem in Großbritannien, aber auch in den Niederlanden und Portugal) vertreten. Im Vergleich dazu ist die Anwesenheit der europäischen Marken in Nordamerika oder Ostasien bisher unbedeutend, obwohl vor allem die deutschen Konzerne erhöhte Anstrengungen unternehmen, um ihre Präsenz in diesen Regionen auszubauen. Im Rahmen dieses Aufholprozesses sind Projekte vorgesehen, die von bloßen Montagewerken über Joint Ventures (etwa eine gemeinsame Motorenfabrik von Chrysler und BMW in Brasilien) bis zu eigenen Produktionsstätten reichen.
Auf dem Gebiet der Automobilwirtschaft tut sich übrigens auch in Österreich mehr, als man auf den ersten Blick für möglich halten würde. Das trifft nicht nur auf die vor kurzem durchgesetzte Redimensionierung der Semperit Reifen AG zu, die 1986 von der damals staatseigenen CA für einen Spottpreis und mittlerweile realisierte Subventionszusagen von mehr als einer Milliarde Schilling an die Continental AG abgestoßen und damit zur verlängerten Werkbank des deutschen Konzerns degradiert wurde. Trotz dieses Husarenstücks als „Qualitätssiegel“ der CA bei der Veräußerung von Industriebeteiligungen im Übernehmerinteresse ist es der Bank bisher nicht gelungen, der Steyr Daimler Puch AG als einstigem nicht vollverstaatlichten heimischen Paradekonzern ebenfalls das Licht auszublasen.
Streichers Kunststück
Allerdings hat Generaldirektor Rudolf Streicher — AMAG-Sanierer der achtziger Jahre, Verkehrs- und Verstaatlichtenminister sowie Präsidentschaftskandidat der SPÖ — die Konzernzentrale weitgehend in eine Verwaltung von Minderheitsbeteiligungen umgekrempelt. Die einzelnen Teile des Unternehmens wurden bis auf wenige Ausnahmen nach und nach an diverse ausländische Konzerne der Automobilbranche abgestoßen. Allerdings haben sich die dabei gebildeten Joint Ventures zumindest bisher weitgehend als Kerne positiver industrieller Weiterentwicklungen erwiesen. Beispielsweise hat der deutsche MAN-Konzern, der sich schon vorher die Wiener ÖAF unter den Nagel gerissen hatte, die Lkw-Fertigung von SDP im ehemaligen Hauptwerk in Steyr übernommen. Die Bus-Fertigung von Steyr in Wien ging an den schwedischen Konzern Volvo, die Landmaschinenherstellung in St. Valentin an den US-Konzern Case, die Kugel- und Wälzlagerproduktion in Steyr an den schwedischen Weltkonzern SKF und das einstige Joint Venture zur Pkw-Motorenfertigung in Steyr ist längst zu 100 Prozent im Besitz von BMW.
Obwohl das Zweirad-Know-how von Puch an Piaggo verscherbelt und die Zweirad-Fertigung in Graz ausgerechnet kurz vor dem Zeitpunkt eingestellt wurde, als der jüngste Fahrrad- und Motorradboom ausgebrochen ist, konnte sich der Konzernstandort in der steirischen Landeshauptstadt besonders gut behaupten. Ausschlaggebend dafür war die Kombination von technischem Kompetenzzentrum (z.B. für Allradtechnik und Kfz-Ingenieurleistungen aller Art) und verlängerter Werkbank im Zusammenbau von Fahrzeugen. Die Grazer haben sich unter anderem durch die Montage von VW- Bussen mit Vierradantrieb, Mercedes-Geländewagen (in Österreich unter der Bezeichnung Puch G auf dem Markt) oder neuerdings des Jeep Cherokee sowie das Joint Venture Eurostar, das gemeinsam mit Chrysler zur Produktion der Großraumlimousine Voyager auf die Beine gestellt wurde, einen Namen gemacht.
Die ersehnte „österreichische Lösung“ in der Lkw-Fertigung — zum Beispiel in Form der Konzentration von Steyr Daimler Puch, ÖAF und Gräf & Stift hat es zwar nie gegeben. Dafür hat aber der deutsche Nutzfahrzeugkonzern MAN ziezerlweise die Herrschaft über sämtliche drei Marken übernommen. Auch zur Wiederbelebung einer eigenständigen Pkw-Produktion, die unmittelbar nach der Befreiung vom Faschismus von den USA hintertrieben wurde, ist es trotz der Propagierung des „Austro-Porsche“ in den späten siebziger, frühen achtziger Jahren durch die SPÖ-Alleinregierung nicht gekommen. Dennoch verfügt Österreich, wenn man die Zulieferindustrie mitrechnet — mittlerweile über eine beachtliche Produktionsbasis im Kfz-Bereich.
Neben der Nutzfahrzeugherstellung durch die MAN in Steyr und Wien-Liesing sind zu nennen die Steyr Antriebstechnik und die Steyr Spezialfahzeug- produktion (Panzer), die Entwicklungs- und Engineering-Dienstleistungen von Steyr Daimler Puch und der AVL List, die Busfertigung von Volvo/Steyr und ÖAF, das Opel Motoren- und Getriebewerk in Wien-Aspern und das BMW-Motorenwerk in Steyr, die Produktion von KTM-Motorrädern und von Rotax-Zweiradmotoren. Dazu kommen die verstärkten Aktivitäten von Magna (weltweit einer der größten Zulieferkonzerne der Automobilindustrie und im Besitz des gebürtigen Österreichers Frank Stronach) und das Engagement einer ganzen Reihe von Betrieben, die ebenfalls erfolgreich im Bereich der Zulieferung für die Automobilherstellung (angefangen von Teppichen bis zu Spezialmetallen) tätig sind. Insgesamt übersteigt der Produktionswert der österreichischen Firmen, die im Kfz-Bereich arbeiten, im Durchschnitt (Rekordjahre beim Pkw-Verkauf wie 1996 bilden möglicherweise eine Ausnahme) deutlich den Wert der Automobilimporte. Dabei ist bemerkenswert, daß zu den Kunden der heimischen Zulieferer nicht nur europäische sondern auch nordamerikanische und japanische Konzerne gehören.
Kleine zum Handkuß
Man kann davon ausgehen, daß die Automobilwirtschaft zu den Branchen gehört, die von der Globalisierung am stärksten berührt sind. Am Beispiel Österreich scheint sich zu zeigen, daß dieser Prozeß selbst aus der Perspektive eines Landes, in dem keine Global Players der Branche zu Hause sind, nicht von vornherein und in jeder Hinsicht lediglich negative Aspekte aufweist. Unterscheidet man zwischen der Tendenz der meisten Industriebranchen, stärker zu rationalisieren als zu wachsen, und dem Beschäftigungseffekt, den die Aufnahme neuer Produktionen und/oder die Ansiedlung neuer Betriebe hat, so dürfte insgesamt sogar die Arbeitsplatzbilanz der heimischen Automobilwirtschaft positiv aussehen. Dazu kommt, daß etwa das BMW-Motorenwerk in Steyr sich zum Kompetenzzentrum des Konzerns im Bereich der Dieselmotorentechnologie entwickelt hat und Graz der Europastützpunkt von Chrysler werden könnte.
Auch in dieser Branche kommen freilich die „Kleinen“ zum Handkuß. Dem Kfz-Einzelhandel und den im Kfz-Bereich tätigen Gewerben wird ein beschleunigter Schrumpfungsprozeß vorausgesagt. In der Wirtschaftskammer Österreich rechnet man bis zum Jahre 2001 mit dem Aus für ein Viertel oder gar ein Drittel der Unternehmen. Diese negative Prognose für Einzelhandel und Gewerbe der Kfz-Branche wird jedoch wenn überhaupt, dann nur höchst indirekt von der Globalisierung verursacht. Vielmehr tragen vor allem höhere Lebensdauer der Fahrzeuge und geringerer Wartungsbedarf einerseits und weniger rasch steigende bis sinkende Realeinkommen andererseits dazu bei, daß die Frequenz sinkt, mit der Autohäuser und Reparaturwerkstätten aufgesucht und gebraucht werden.
Bei vorurteilsloser Analyse konkreter wirtschaftlicher Entwicklungen — wie hier der Automobilbranche — dämmert der Verdacht, daß die vermeintliche „Globalisierungsfalle“ vor allem die Funktion hat, von den eigentlichen Ursachen nachhaltiger ökonomischer Veränderungen abzulenken. Tatsächlich ist es äußerst absurd, den in den entwickelten Industriestaaten angesagten Sozialabbau ausgerechnet auf die wachsende geographische Ausdehnung des Verwertungszusammenhangs von Schlüsselbranchen und Schlüsselunternehmen der Weltwirtschaft zurückzuführen. Aufgabe marxistischer Analyse kann es nicht sein, ins allgemeine Geheul über die Globalisierung einzustimmen. Vielmehr geht es um die Entschleierung dessen, was sich hinter dem Getue verbirgt.
Dr. Franz Hahn und Dr. Peter Moslechner vom Wirtschaftsforschungsinstitut haben im Auftrag der Bundesarbeitskammer eine Literaturstudie zu den „Globalisierungstendenzen in der österreichischen Wirtschaft“ verfaßt. Zum Gegenstand der Untersuchung heißt es in einer Kurzfassung: „Die sprunghaft zunehmende internationale Wirtschaftsverflechtung und der damit einhergehende zunehmende Wettbewerb der Standorte — Stichwort Globalisierung — hat zu einer Erosion der traditionellen wirtschaftspolitischen Instrumentarien im Bereich der nachfrageseitigen gesamtwirtschaftlichen Steuerung auf nationalstaatlicher Ebene geführt. Die Globalisierung beschränkt sich nicht nur auf die Produktion und den Handel mit Waren und Dienstleistungen, sondern umfaßt auch die Internationalisierung von Eigentums- und Verfügungsrechten an Unternehmen. Die Auswirkungen dieser zunehmenden Multinationalisierung der Eigentümerstrukturen auf die Wirtschaftsstruktur, die Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten eines Landes sind eine der wesentlichen heutigen Fragestellungen.“
Die Nase vorn
Das Resultat der Analyse ist nicht gerade weltbewegend: „Internationale, ,globalisierte‘ Unternehmen neigen dazu, die wertschöpfungsintensiven Kernbereiche des Unternehmens im Stammland zu halten. Außerdem scheinen jene Unternehmen produktiver zu sein, in denen Großaktionäre strategisches Eigentum mit langfristigem Interesse am Unternehmensbestand halten.“ Weitere Auffälligkeiten, die von den beiden Studienautoren aufgespürt wurden, lassen sich in folgende Punkte zusammenfassen:
- Verflechtungen der österreichischen Wirtschaft sind geringer als in vergleichbaren OECD-Ländern.
- Internationalisierte Unternehmen sind wettbewerbsfähiger.
- Strategische Wertschöpfung bleibt im Stammland.
- Strategische Eigentümer haben langfristige Interessen.
Interessant ist im Zusammenhang mit der Suche nach den Ursachen für die Verschärfung der sozialpolitischen Gangart insbesondere in Europa der Verweis auf die Eigentümerstrukturen. Über sie heißt es in der Kurzfassung der Studie konkret:
Die kritische Wirtschaftstheorie steht insbesondere den behaupteten positiven Wohlfahrtseffekten von modernen Kapitalmärkten, vor allem der Aktienmärkte, kritisch gegenüber. Dies wegen der unzureichenden und ungleichgewichtigen Information der Marktteilnehmer. Insbesondere wird die Effizienz der Unternehmenssteuerung über Kapitalmärkte mit vielen Kleinaktionären — also die Kontrolle über Außenseiter — zunehmend in Frage gestellt, da eine Mehrzahl von — nicht durch einen gemeinsamen Willen verbundenen — Minderheitseigentümern schon bei sich kurzfristig verschlechternder Ertragslage mit Anteilsverkauf reagieren (shareholder value Prinzip). Dies führt üblicherweise zu einer Verlangsamung notwendiger Anpassungsmaßnahmen und/oder im Extremfall zur Vermögensliquidation. Aus diesem Grund ist in den USA und in Großbritannien seit einiger Zeit eine intensive Diskussion über die Vorzüge des kontinentaleuropäischen bzw. japanischen Systems, also über die Vorteile der Unternehmenskontrolle durch informierte Eigentümer wie Großaktionäre und andere stakeholder, im Gange.
Das jeweils andere besticht
Dazu heißt es in der von der Bundesarbeitskammer vermutlich nicht zufällig kurz vor dem Bekanntwerden des Bank Austria-Interesses an einer Übernahme der Creditanstalt veröffentlichten Studie weiter: „In Kontinentaleuropa überwiegt aus diesen Gründen das large shareholder Prinzip — im Sinne von strategischem Eigentum mit langfristigem Interesse am Unternehmensbestand. In Frankreich, Deutschland und Österreich sind mehr als 85 Prozent der großen börsennotierten Unternehmen im Besitz von Aktionären, die mehr als 25 Prozent des Aktienkapitals halten. In Japan sind etwa 25 Prozent des Aktienkapitals von großen Finanz- und Industrieunternehmen im Besitz anderer japanischer Unternehmen. Im Gegensatz dazu sind die large shareholders (in den USA und Großbritannien) überwiegend institutionelle Investoren (Versicherungen, Pensionsfonds), die jedoch nicht nur einen geringeren Anteil am aushaftenden Eigenkapital halten als die Großaktionäre in Kontinentaleuropa und Japan, sondern auch ihre Eigentümerfunktion in einem geringen Ausmaß ausüben (kurzfristige Ertragsorientierung).“
Zur Unterstützung von Großanlegern insbesondere auch aus dem Bereich der öffentlichen Hand, deren Rolle gerade in Österreich (siehe etwa die Energieversorger) äußerst problematisch ist, heißt es wörtlich: „Große Anteilseigner (strategische Eigentümer) sind in der Regel nicht nur besser informiert als Kleinaktionäre. Sie haben üblicherweise auch ein langfristiges Interesse am Unternehmensbestand. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht bedeutet dies eine verstärkte Verpflichtung — im Sinne von langfristig stabilen Beziehungen — von strategischen Eigentümern für den Unternehmensbestand und damit gegenüber den wichtigsten „stakeholdern“ (Beschäftigten, Lieferanten, Kunden, Banken). Die kritiklose Übernahme des shareholder value Prinzips als Maxime der Unternehmenssteuerung ist mehr als problematisch, da es vom Grundsatz her ein sehr kurzfristig angelegtes Gewinnmaximierunsgprinzip zum Schutz von uninformierten Kleinaktionären ist, das mittel- bis langfristige Perspektiven der Unternehmensentwicklung außer acht läßt.“
Die Ergebnisse der WIFO-Studie wurden hier ausführlich dargestellt, um auf eine Auffälligkeit zu verweisen, die wesentlich zur Erhellung der spezifischen Verwertungsbedingungen für das Kapital in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe beitragen kann. Gewissermaßen unter der Hand signalisieren die beiden Autoren, daß es zu einer Wiedergeburt der Kuponschnei- der gekommen ist. In anderen Worten: Der Verlauf des Wirtschaftsprozesses und seine Ergebnisse werden auf betrieblicher Ebene wiederum wesentlich von der Tatsache beeinflußt, daß die rasch steigenden Ansprüche von Aktienbesitzern verschiedenster Größenordnung bedient werden müssen. Ihr einziges Interesse besteht in möglich hohen Revenuen aus dem Kapital, das sie in Aktien (also Besitztiteln von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen) gesteckt haben. Diese Charaktermaske stellt sich unabhängig davon ein, ob es sich bei dem angelegten Geld um Kapital von Unternehmern oder um Abfertigungen und andere Rücklagen von Werktätigen handelt.
Was im Rahmen der ökonomischen Entwicklung gegenwärtig wirklich gespielt wird, hat vor kurzem Wirtschaftswissenschaftler Erich W. Streissler von der WU-Wien in wünschenswerter Offenheit in einem Artikel mit dem Titel „Im Sturmschritt zurück ins 19. Jahrhundert!“ vermutlich nicht zufällig in der »Presse« (14. Dezember 1996) enthüllt. In bezug auf Keynes schreibt der Universitätsprofessor: „Und sein großer gesellschaftspolitischer Fehler war es, an die ,Euthanasie des Rentiers‘, des Zinseinkommensempfängers zu glauben. Heute werden die Zinssätze wieder auf den Weltkapitalmärkten bestimmt. Und die Empfänger von Zinseinkommen sind bedeutender denn je, auch wenn sie eher als große Pensionsfonds auftreten.“
Wiedergeburt des Rentiers
So korrekt Streisslers Analyse sein mag, so fragwürdig erscheint die besondere Hervorhebung der Pensionsfonds als dominanter „Zinseinkommensempfänger“. Tatsächlich verkörpern sie zwar eine neue Qualität in diesem Bereich. Er wird aber weiterhin nicht nur von institutionellen Anlegern, sondern auch vom fungierenden (an sich in der Industrie veranlagten) Kapital dominiert. Die Trennung zwischen produktivem und unproduktivem Kapital (bzw. Investitionen und Geldrücklagen) ergibt in diesem Zusammenhang keinen Sinn, weil im Zuge seines Reproduktionsprozesses ohnehin beide Stadien durchlaufen werden müssen. Es liegt überdies auf der Hand, daß die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals (der zunehmende Anteil des Kapitalvorschusses, der für Produktionsanlagen aufgewendet werden muß) dazu führt, daß ein immer höherer Prozentsatz des vorgeschossenen Kapitals vorübergehend Geldform annimmt und bis zur Reinvestition in neue Maschinerie usw. zwangsläufig zur Veranlagung auf dem Kapitalmarkt zur Verfügung steht.
In Österreich schien der Spezies des Zinseinkommensempfängers mit dem Untergang der Monarchie das letzte Stündlein geschlagen zu haben. Die Totalentwertung der Kriegsanleihen und das Einfrieren der Mietzinse hat den Rentiers für lange Zeit den Garaus gemacht. Erst Jahrzehnte kontinuierlicher wirtschaftlicher Aufwärtsentwicklung seit der Befreiung vom Faschismus haben in Österreich die Voraussetzungen für die Wiedergeburt der sogenannten Kuponschneider geschaffen. Konkret waren dafür mehrere Momente verantwortlich:
Erstens die Akkumulation von Kapital in der Hand von Privatunternehmern, die diesen Überschuß in der Tendenz immer weniger in ihrem eigenen Aktivitätsbereich veranlagen konnten und können.
Zweitens die Rückführung des unter Mieterschutz gestellten Wohnungsbestandes in Altbauten (speziell in Wien) in die Sphäre der Kapitalverwertung und das damit verbundene zum Teil explosive Anwachsen der Hauptmieteinnahmen in der Hand von Hausbesitzern, deren Realitäten sich in der Vergangenheit bereits vielfach rentiert hatten.
Drittens die durch das kontinuierliche Wirtschaftswachstum in der Zweiten Republik begünstigte Bildung von Vermögen (durch Bau- und Versicherungssparen, Abfertigungen und Erbschaften usw.) auch in der Hand von Lohnabhängigen.
Reichtum, der arm macht
Es gehört zu den Absurditäten der kapitalistischen Entwicklung, daß ausgerechnet dieser steigende gesellschaftliche Reichtum die sozialpolitischen Errungenschaften zu zerstören droht, die etwa in Europa im Laufe des 20. Jahrhunderts durchgesetzt wurden. Denn Streissler irrt, wenn er in dem bereits zitierten Gastkommentar in der »Presse« folgende Feststellung macht: „Der Wohlfahrtsstaat aber zerschellt an einem großen humanitären und wissenschaftlichen Fortschritt, den die letzten 150 Jahre brachten, nämlich an der dank der modernen Medizin errungenen Vergreisung der Bevölkerung. Eine staatliche Pension während 30 Jahren inaktiven Alters ist unfinanzierbar und reißt alle anderen sozialen Fürsorgen des Wohlfahrtsstaats mit in den Abgrund.“
Derartige Ammenmärchen glauben vielleicht die LeserInnen der »Presse«. Was den Sozialstaat in Frage stellt, ist nicht der finanzielle Aufwand für die Sozialversicherung. Vielmehr machen seinen Verwaltern die bis vor kurzem kaum ins Gewicht fallenden, nun aber ständig steigenden Ansprüche der Kuponschneider zu schaffen. Freilich gehört dazu die absurde Tatsache, daß die von Streissler zitierten Pensionsfonds, die in Österreich allerdings nur zögerlich ins Kraut zu schießen beginnen, zum Druck auf die bestehenden Sozialsysteme beitragen. Bei ihnen handelt es sich im wesentlichen um Investmentfonds, in die Werktätige vor allem der USA einzahlen, um sich gegen massive Einkommensverluste im Alter zu wappnen, weil sie über keinen ausreichenden Pensionsversicherungsschutz verfügen. Daß die Orientierung dieser Pensionsfonds auf maximale Renditen dazu beiträgt, die soziale Sicherheit in Europa und Japan zu untergraben, ist ein zwar nicht beabsichtigter, aber dennoch damit zusammenhängender Nebeneffekt. Diese Entwicklung wird dazu beitragen, daß auch europäische Lohnabhängige, die es sich leisten können, verstärkt in Pensionsfonds oder entsprechende Äquivalente einzahlen. Womit die negative Wirkung weiter gesteigert und ein Teufelskreis in Gang gesetzt wird.
Um jedoch die Kirche im Dorf zu lassen, muß unterstrichen werden, daß die Erosion des dualen Systems der Verteilung zwischen Kapital und Lohnarbeit nicht von der Erfindung der Pensionsfonds, sondern von der Wiedergeburt des Rentiers als Faktor des Verwertungsprozesses sowohl von Kapital als auch von Grund und Boden verursacht wurde und wird. Sind es in den USA eher die Aktionäre, mit deren Hilfe Unternehmen sich finanzieren und die daher auch Erträge oder Dividenden sehen wollen, so agieren in Europa an ihrer Stelle die Banken, die allerdings kein höheres Interesse verfolgen oder einen besseren Durchblick haben (wie die Rekorde bei Firmenpleiten in Europa und Österreich beweisen), aber ebenfalls auf ihre Rechnung (Kreditzinsen) kommen wollen. Wobei in Europa im allgemeinen und in Österreich im besonderen ein verstärkter Trend zur Unternehmensfinanzierung über Aktienausgabe zu beobachten ist.
Am anschaulichsten lassen sich die Folgen des Auftretens einer dritten Partei bei der Verteilung des Volkseinkommens an der Mietpreisentwicklung in Wien darstellen. Bis zur Mietrechtsänderung durch die ÖVP-Alleinregierung im Jahr 1968 waren Wohnungen in Wien knapp. Man mußte Ablösen zahlen, um an sie heranzukommen. Die Hauptmiete in Altbauten belief sich jedoch lediglich auf einen minimalen Anteil des Einkommens von Lohnabhängigen. Nach zahllosen „Reformen“ des Mietrechts sind Wohnungen weiterhin knapp. Mittlerweile müssen selbst für Gemeindewohnungen geschmalzene Baukostenzuschüsse gezahlt wirden. Und die Kosten für die Hauptmiete sind explodiert (in Altbauten in 30 Jahren von 1 Schilling pro Quadratmeter auf 100 Schilling pro Quadratmeter) und betragen bereits ein Drittel und mehr durchschnittlicher Einkommen. Das früher für Wien typische „soziale Wohnen“ ist längst ein Fremdwort. Im Gegenzug ist zwar das früher im internationalen Vergleich relativ niedrige Lohnniveau in Österreich deutlich gestiegen, aber ein nicht unbedeutender Anteil mußte von den Arbeitern und Angestellten für die explodierenden Wohnungskosten aufgewendet werden, von denen sie allerdings nicht alle in gleicher Weise betroffen sind.
Unprogrammatisch
Auch die Privatisierung der Verstaatlichten kann als Maßnahme gelesen werden, die in Zusammenhang mit der Überakkumulation von privatem Reichtum steht. Um den Abfluß von namhaften Geldbeträgen ins Ausland zu verhindern und die Stabilität der Währung aufrechtzuerhalten, schien es den politisch Verantwortlichen geboten, potentiellen Anlegern im Inland attraktive Alternativen zu bieten. Mit der Privatisierung der gesamten verstaatlichten Industrie und zunehmend auch der öffentlichen Wirtschaft wurde und wird diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen.
Es liegt auf der Hand, daß die Erosion des Sozialstaates damit zusammenhängt, daß ein wachsender Anteil des Volkseinkommens für Zinseinkommen aufgeht — gleichgültig ob er bei Privaten, institutionellen Anlegern oder Banken landet. Deshalb bleibt für die Aufteilung zwischen Kapital und Lohnarbeit weniger übrig. Allerdings handelt es sich auch bei den Zinseinkommensbeziehern in letzter Konsequenz nicht um anonyme Mächte, sondern um lebendige Menschen. Obwohl die Reichen und Superreichen dominieren und am meisten profitieren, gibt es immer mehr Lohnabhängige, die gleichzeitig auf Grund von Erbschaften und anderen Faktoren in mehr oder weniger großem Umfang über Aktien- und/oder Realitätenbesitz verfügen. Daraus erhellt, daß die Grenzen zwischen den Klassen heutzutage in der Praxis längst nicht mehr linear verlaufen, sondern sich äußerst verwickelt erweisen.
Dieser Text ist der Versuch, einen schmalen Ausschnitt der ökonomischen Wirklichkeit und ihrer Entwicklungstendenzen nachzuzeichnen, ohne daraus sofort Bewertungen, Einordnungen und Konsequenzen abzuleiten. Dahinter steht die Überzeugung, daß theoretische Arbeit, die sich auf Marx beruft, bis auf weiteres in erster Linie der Aneignung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Realitäten sowie der Beschreibung ihrer Wirkung dienen sollte. Es geht bis auf weiteres darum, nicht immer sofort Bescheid zu wissen, sondern Material als Grundlage für die systematische Erfassung der Funktionsweise des heutigen Kapitalismus zu sammeln. Ihm kann man zwar mit Instrumenten von Marx, aber nicht mit den in seinem Namen von anderen abgeleiteten Theorien auf die Spur kommen. Dabei helfen weder neue noch alte Zusammenbruchstheorien und auch nicht die Erwartung, daß die Arbeiterklasse die Menschheit von allen Übeln erlösen wird. Es ist überfällig, Marx in diesem Punkt aus der Transzendenz zurück auf den Boden der Tatsachen zu führen.