Wurzelwerk, Wurzelwerk 40
Juni
1985

Liebe Leser

Man kann wirklich nur staunen, wie sich immer mehr Zeitungen und Zeitschriften an eine immer höher werdende Reizschwelle herantasten, um ihre Verkaufszahlen zu erhöhen. Ich meine jetzt die mediale Fleischbeschau, die bildhafte Gratwanderung zwischen Erotik und Geilheit, den Sex in Bild (und Wort).

Einerseits wird eine Pseudo-Moral vertreten, die an Morbidität kaum mehr zu überbieten ist, andrerseits wird nun bereits der nackte Affe (pardon: Mann) in „grün-alternativen“ Blättern herumgereicht. Motto: die Frauen kennen wir allmählich schon zur Genüge, da wird die erwähnte Reizschwelle schon zur Traverse, also muß der Schwanz ran bzw. raus. Sehr alternativ!

Die Rede ist, wie auch in einer der nachstehenden Zuschriften, partout wieder von der „Moz“. Wir sind keineswegs „heiß“ auf die Mozler, denn wenn man jemand oder etwas kommentiert, immer wieder darauf eingeht, sich also dialektisch damit auseinandersetzt, so sehe ich darin zumindest einen Grundkonsens: Fairness.

Fair war es auch von diesen Kreisen, uns ein Austausch-Abonnement anzubieten. Wir nahmen an.

Wir weigern uns jedenfalls entschieden, mit Sexismus Furore machen zu wollen. Erstens sind dazu offensichtlich hinreichend andere berufen (verdammt?), und zweitens versteht sich das WURZELWERK als möglichst direktes Mittel zum Zweck, und der ist für uns nun einmal: der Ökologie zu dienen. Es mag pathetisch klingen, doch es ist wahr: wollten wir ein „herkömmliches“ Blatt auf einen beinharten „Markt“ bringen, so würden wir sicher vieles anders machen.

Opportunismus war nie unsere Stärke.

Und noch etwas: immer deutlicher kristallisiert sich heraus, das wir viel mehr Leser haben, als wir dachten.

Aber, und das ist wohl auch darin begründet, daß wir bisher sehr großzügig mit Zusendungen vorgegangen sind: verkaufen würden, ja müssen wir doch noch mehr. Daher die Konsequenz, in Zukunft nur noch echte Abonnenten und gewisse „Pflicht-Adressen“ zu beschicken. Wir hoffen sehr auf Verständnis, noch mehr hoffen wir aber, daß sich all jene, die das WURZELWERK gerne lesen, endlich auch dazu aufraffen, es zu bestellen. Die „alternative Caritas“, die „grüne Fundgrube“, die, die alles bringen sollen, selbstverständlich freiwillig und unentgeltlich, waren wir jetzt lange genug. Ich meine hier vor allem die Gruppe „Greenpeace“. Erst stellen uns die Herrschaften Druckkostenbeiträge in Aussicht, stornieren ihre Absichten nach Redaktionsschluß der Weihnachtsausgabe, ich lieg’ grad im Spital, ganz in Gips, 2 Frauen rennen sich die Beine wund, um das Blatt trotzdem halbwegs hinzukriegen, trotz Groll bringt man weiterhin, was Platz hat (und im Postkasten zeitweise schon einen Stau verursacht), dann macht man einen vierseitigen Innenteil von und für Greenpeace, freiwillig und unentgeltlich — und hört bis heute nicht einmal ein einfaches Danke. Was soll das, Freunde?

Eure Organisation ist weltumspannend, wir produzieren mit der Hand im Mund, und dann sowas?

Zu guter letzt: vielen Dank all jenen, die zum Teil jetzt schon seit Jahren unentgeltlich für uns schreiben, zeichnen, fotografieren oder sonst irgendwie helfen. Wir würden es gerne honorieren, aber es geht sich immer noch nicht aus. Gewinne machen wir bis dato nicht. Mehr möchte ich dazu nicht mehr bemerken.

Liebe Grüße
R.W.
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