Heft 1-2/2006
Mai
2006

Linke auf St. Pauli

Der Hamburger FC St. Pauli hat sich einen antifaschistischen Nischenplatz im sonst eher unpolitischen Fußball erobert. Was steckt hinter diesem Verständnis, und gibt es tatsächlich einen „linken“ Fußball?

„Wir bauen eine U-Bahn - von St. Pauli bis nach Auschwitz“ grölt der besoffene Mob aus AnhängerInnen des Chemnitzer FC im April dieses Jahres beim Spiel in Hamburg. Leuchtraketen und Rauchbomben fliegen auf das Spielfeld, das Spiel muss unterbrochen werden. Nach dem Spiel werden die Busse der Chemnitzer von AntifaschistInnen attackiert. Die Polizei kommt mit Wasserwerfern und spritzt den Neonazis den Weg frei — raus aus St. Pauli.

Szenen wie diese sind zwar nicht die Regel bei Spielen des FC St. Pauli gegen ostdeutsche Vereine, kamen aber durchaus schon häufiger — und auch schon heftiger vor. Der FC St. Pauli hat sich seit den späten 1980ern zum Lieblingsfeindbild rechtsextremer „Fußballfans,“ wie auch zum erklärten Lieblingsverein von Linken und AntifaschistInnen entwickelt. St. Pauli hat einen höheren ZuschauerInnenschnitt als jeder Zweitligaverein und verkauft mehr Dauerkarten als manche Vereine der ersten Liga. Seine Popularität hat der 1910 gegründete FC St. Pauli in erster Linie seinen Fans und deren Aktivitäten zu verdanken. Aber auch sportlich erreichte St. Pauli einige Achtungserfolge: 1995 stand St. Pauli an erster Stelle der Deutsche Bundesliga — wenn auch die Führung nur bis zum zweiten Spieltag hielt. 2002 besiegte St. Pauli den damaligen Weltpokalsieger Bayern München mit 2:1. Im diesjährigen Pokalbewerb erreichte St. Pauli nach Siegen gegen Burghausen, Bochum, Herta BSC und Bremen das Halbfinale und scheiterte nur knapp am späteren Pokalsieger Bayern München. Das beste Bundesligaergebnis in der fast hundertjährigen Vereinsgeschichte war der 10. Rang in der Ersten Liga Ende der 1980er.

Bekannt und beliebt ist der FC St. Pauli aber nicht aufgrund fußballerischerer Glanztaten, sondern vor allem wegen seiner Vorreiterrolle in einer antifaschistischen, kritischen und aktiven Fankultur. Just als in der Hafenstraße auf St. Pauli Ende der 1980er Jahre der Häuserkampf tobte und der FC St. Pauli in die erste Liga aufstieg, solidarisierten sich einige Spieler des FC mit den HausbesetzerInnen. Als erster Verein führte St. Pauli eine Stadionordnung ein, die rassistische, antisemitische, sexistische und homophobe Parolen untersagte. Eine sexistische Bandenwerbung der Zeitschrift maxim musste auf Druck der Fans korrigiert werden. Mit Corny Littmann, im Brotberuf Theaterdirektor, hat der FC St. Pauli seit 2003 einen schwulen Präsidenten. Nicht unbedingt die Regel in der homophoben Machowelt des Fußballs (vgl. dazu den Artikel von Jaschar Randjbar in dieser Ausgabe).

Hinzu kommt das soziales Engagement des Vereins und der Fans, nicht nur im Stadtteil selbst, sondern mittlerweile auch international: Im Frühjahr 2005 wurde die Aktion „Viva con aqua St. Pauli“ ins Leben gerufen, die im Rahmen der „Welthungerhilfe“ die Wasserversorgung von 100 Kindergärten in Havanna, Kuba sicherstellt. Betreut wird das Projekt von St. Pauli-Spieler Benjamin Adrion. Der FC St. Pauli ist unter anderem mit derartigen Initiativen deutlich mehr als ein Fußballverein, er ist eine kulturelle Institution geworden. In seinem Clubheim finden laufend Lesungen und Konzerte statt, zahlreiche Hamburger MusikerInnen sind „St. Paulianer“, und auch sportlich hat er mehr zu bieten: das Frauen-Rugby-Team etwa hat mehrere Meisterinnentitel geholt, was der Herren-Fußballsektion stets verwehrt blieb.

Aber gibt es tatsächlich einen „linken“ Fußball? Gibt es eine Fankultur, die sich von der Stupidität eines kollektiven Berauschens abhebt? Joachim Frisch schrieb in der Jungle World, dass St. Pauli mit „pubertärer Heldenverehrung, miefender Bierseligkeit, schleimiger Verbrüderung und spießiger Selbstzufriedenheit“ Fußball und Revolution unter einen Hut gebracht hat. Viele FreundInnen unterstützen den Club, weil er „authentisch“ und „antikapitalistisch“ ist und nicht von großen („multinationalen“) Konzernen gesponsert wird. Als 2003 zur Rettung des FC St. Pauli T-Shirts auch in McDonalds-Filialen verkauft wurden, war von „Ausverkauf“ die Rede. Eine besondere Feindschaft pflegten die Fans zu den „reichen“ Vereinen wie dem Lokalrivalen Hamburger SV (auch gerne als H$V geschrieben) oder den viel gehassten Bayern. Vor Spielen gegen die Bayern wurde gern der „Klassenkampf“ ausgerufen. Wobei für den FC St. Pauli dieser Kampf meist eine Klasse weiter unten endete.

Gründlich ins Wanken geriet das Image als „linker“ Fußballverein allerdings 1997, als bekannt wurde, dass der langjährige Präsident Wilhelm Koch Mitglied der NSDAP und Naziprofiteur war. Koch rettete den FC St. Pauli mehrmals vor dem finanziellen Ende. Das dafür aufgewendete Geld stammte allerdings aus einer Firma, die Koch 1933 nach der „Arisierung“ von seinen beiden jüdischen Besitzern übernommen hatte. 1970 wurde das St. Pauli-Stadion am Heiligengeistfeld noch dazu in Wilhelm-Koch-Stadion benannt. Aber auch als die Vergangenheit des ehemaligen Präsidenten publik wurde und 1998 der Antrag gestellt wurde, das Stadion wieder in Millerntor-Stadion umzubenennen, weigerte sich die Mehrheit des St. Pauli Vorstands, diesem Antrag geradewegs zuzustimmen. Der Vorstand einigte sich lediglich auf die Einsetzung einer Kommission, die die Rolle Kochs im Dritten Reichs untersuchen sollte. So latschten die linken St. Pauli Fans auch dann noch ins Stadion, als sie schon wussten, dass ihr Stadion nach einem Nazi benannt worden war.

Erst spät reagierte der Club und benannte endlich das Stadion um. Schuldbewusst wurde St. Pauli der einzige Verein, der in den Entschädigungsfond für NS-ZwangsarbeiterInnen einzahlte. Am 9. November 2004 wurde im Stadion eine Gedenktafel für die Opfer des Faschismus enthüllt, und auf den Stadionbanden ist in Riesenlettern „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ zu lesen. Wenn schon der Vorstand aus alten „Traditionalisten“ bestand, sorgte wenigstens die Mehrheit der Fans dafür, dass der FC St. Pauli aus dem Dunstkreis alter Nazis kam.

Der Status des FC St. Pauli beruht auf einem Teil der AnhängerInnen, die Fußball nicht den sexistischen und rassistischen Massen überlassen, sondern in einer kritischen Fankultur die Schönheit dieses Sportes zelebrieren wollen. Der Ambivalenz zwischen „emanzipatorischem Humanismus“ und den, wie Adorno es formulierte, „tolerierten Exzessen“ von modellhaften Massenveranstaltungen entkommen sie dabei nicht (vgl. den Artikel von Kreisky/Spitaler in dieser Ausgabe). Nicht dass der FC. St. Pauli eine Besonderheit unter den Fußballvereinen wäre. Dass im Millerntor-Stadion allerdings nicht die Glatzen hegemonial den Diskurs bestimmen, dass aktiv gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus vorgegangen wird, dass nicht die Leistungen die allein bedeutende Bewertungskategorie des Handelns ist, dass der Klub somit eine erfrischende Alternative zum ansonsten oft tristen Klubfußball bietet, dafür sind wir dem FC St. Pauli — trotz berechtigter Kritik, die insbesondere in dieser Zeitschrift nicht ausgespart werden darf — so richtig dankbar.

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