Dezember
1989
Melancholia
Das Auge, das sich in dem Graus verliert,Der losgelassen um den Erdball rast,Wird vor Entsetzen irre und gefriert,Wie wenn im Tod es brechend sich verglast.Weh ohne Maass, ins unbegrenzte AllWie ein empörtes Meer hinausgeschnellt,Wo es mit millionenfachem PrallAn starrer Luftschicht wesenlos zerschellt!Das ist der Erbfluch unausrottbar zäh,Der das Geschlecht mit seinem Bann umfing,Als in verworrnem Urtrieb dumpf und jähZum erstenmal sich Blut am Blut verging.Aus euren Träumen wuchs der wilde Geist,Von Höllenlicht umlodert und umqualmt,Den mit verstörten Sinnen ihr umkereist,Und den ihr Gott nennt, weil er euch zermalmt.Fühllos und ohne Ohr für euer FlehnTut er mit Tod und Grauen euch BescheidUnd lässt es ohne Ende blind geschehn,Dass ihr die Opferer und Opfer seid.
Hedwig Lachmanns Gedichte — Aus: Der Sozialist. Organ des Sozialistischen Bundes (Berlin), Nr. 4 vom 1.3.1915 (Melancholia) und Nr. 19 v. 1.12.1914 (Marcia funebre)
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