Grundrisse, Nummer 52
Dezember
2014
Reflexionen über die Entwicklung der Grundrisse (2001 – 2014)

Nachruf & Vorschein

Angesichts dessen, dass die grundrisse vor fast 15 Jahren angetreten sind, um in den traurigen Theorie-Zustand der hiesigen Linken zu intervenieren, muss das Ergebnis heute wohl als ernüchternd eingeschätzt werden. Die Wirkung der grundrisse dürfte noch am ehesten in Deutschland sowie an den Universitäten zu finden sein. Die (radikale) Linke in Österreich und hier vor allem in Wien zeichnet sich nach wie vor entweder durch relative Theorielosigkeit (die sympathischste Fraktion), sturem wie antiquiertem Festhalten an diversen ML-Anachronismen, dem so postmodernen wie gesellschaftlich unwirksamen Sich-Einzementieren auf Szene- und/oder Mikropolitik oder gar den antideutschen Stumpfsinn aus. Erfolge unserer Theorieproduktion lassen sich bestenfalls daran festmachen, dass es ohne die grundrisse noch schlimmer bestellt wäre. Ein schwacher Trost, aber immerhin. In dieser Hinsicht wäre allerdings auch die Frage zu stellen, ob wir die Rolle der Theorie hinsichtlich sozialer Bewegungen und gesellschaftlicher Veränderungen nicht als etwas zu hoch veranschlagt haben. An der nahezu völligen Bedeutungslosigkeit der Linken in Österreich jedenfalls haben die vielfältigen theoretischen Interventionen und Initiativen – auch jenseits der grundrisse – wenig bis nichts geändert. Und wäre die wichtigere Diskussion in Sachen Publikationsstrategien heute, wie wir eine viel stärker breitenwirksame Medienproduktion in Österreich entwickeln können. Es ist kein Zufall, dass einige (Ex)grundrisslerInnen bei den Freund*innen der analyse & kritik wien (akw) aktiv sind. Die, bis auf den in Wien erhältlichen Augustin, weitgehende publizistische Leere auf Seiten der antikapitalistischen Linken (spätestens seit dem Ende von TATblatt, die Linke und der Volksstimme als Wochenzeitung) wäre dringend anzugehen. Meiner Meinung nach in Richtung einer strömungsübergreifenden, breitenwirksameren und auch nicht vor linkspopulistischen Interventionen zurückschreckende Publizistik ...

Die Krise der grundrisse, die stets im Rahmen der allgemeinen Krise der österreichischen Linken gesehen werden muss, hat wohl auch damit zu tun, dass strategische Debatten oder gar die Organisationsfrage jenseits der eigenen Szeneklientel (wenn überhaupt!) verpönt sind und nur allzu gerne auf dem Altar der reinen Lehre geopfert werden. Mit ganz wenigen Ausnahmen ist die radikale Linke nicht bereit, dies überhaupt als Problem zu akzeptieren. Nicht zuletzt deshalb gilt es meines Erachtens, sich von dieser Szene und ihrer -politik zu verabschieden und die oben genannten Aspekte in anderen Zusammenhängen zu diskutieren: Mit progressiven NGOs, religiösen Initiativen und alternativ(ökonomisch)en Basisinitiativen zum Beispiel, aber auch mit abtrünnigen SozialdemokratInnen, GewerkschafterInnen und offenen ParteikommunistInnen. Aus dieser Neu-Re-Organisation der Linken könnten neue Zusammenhänge entstehen, die vor eben diesem Hintergrund der Re-Organisierung sich auch wieder der Re-Formulierung linker Theorie widmen. Diese müsste sich in praktisch-kritischer Absicht auch mit den heiligen Kühen linksradikaler Theorie und Praxis auseinandersetzen: der Repräsentationskritik und der Ablehnung jeglicher Institutionen. Auf diese Umorientierungen weist nicht zuletzt das Naheverhältnis einiger grundrisslerInnen zum EU-Wahlprojekt „Europa Anders“ und seinen Nachfolgeprojekten hin.

Zum Schluss noch einmal zurück zu den grundrissen: Unser Redaktionszusammenhang war für zehn Jahre meine politische Heimat (ja, ich weiß!), die Diskussionen zumindest in den ersten fünf, sechs Jahren waren enorm wichtig für unsere gemeinsame politische und theoretische Entwicklung. Dafür, und vor allem für die daraus entstandenen Freundschaften und die gemeinsam beschrittenen und noch zu beschreitenden politischen Wege danke ich allen, die jemals mit dem Projekt grundrisse verbunden waren. Es was alles andere als eine vergeudete Zeit, als die homogene und leere Zeit des Kapitalismus, um mit Benjamin zu sprechen.

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