FORVM, No. 107
November
1962

Neuland österreichischer Geschichte

Notizen zu zwei Büchern von Denis Silagi*

Es gibt, nach dem Ende der im engeren Sinne Josephinischen Zeit, zwei Jahre österreichischer Geschichte, bei deren Betrachtung man den Atem anhalten möchte, als könnte noch immer alles werden und sich wenden; paradox genug, da man ja wohl weiß, wie’s dann gekommen ist. Und wie alles stecken blieb und erstickte in der franziszäischen Ära. Aber die leider nur zwei Jahre der Regierung des grundgescheiten und humorvollen Leopold II. — le prince le plus rusé de l’Europe hat ein französischer Diplomat gesagt — sind vom Herrscher aus durchweht von Hoffnung, sind auf gesunden Verstand, auf Einsicht, Wohlwollen und Menschlichkeit gegründet, also eigentlich schon auf mehr als Hoffnung: heute noch möchte man glauben, es hätte doch alles gut gehen müssen, hätt’ er nur länger gelebt.

Sein Reformwerk in Toscana ist bekannt. Die italienische Geschichtsschreibung hat ihm manches Denkmal errichtet für sein Meisterwerk des aufgeklärten Absolutismus, das allein dasteht. Ohne Druck, Nötigung oder Zwang durch ernsthafte Revolte hat er Florenz, der alten Stadtrepublik, und dem toscanischen Land eine freiheitliche Verfassung gegeben, welche, um es in Kürze zu sagen, die konstitutionelle Monarchie des späten 19. Jahrhunderts so gut wie vorweg nimmt. 1790 ist er nach dem Tode Josephs II. nach Wien und in seine Erblande gekommen, weiterhin in Frankfurt zum römischen Kaiser gekrönt worden. Und viel zu früh — 1792, am 1. März — verschieden.

Dies nur, um zwei meisterliche Darstellungen zeitlich zu orten, die wir dem österreichisch-ungarischen Historiker Denis Silagi verdanken, deren eigentlicher Gegenstand zwar nicht der Kaiser ist: doch tritt sein liebenswertes Bild an vielen Stellen aus dem kunstvollen Gewebe des Autors hervor. Adam Wandruszka, derzeit Professor in Köln, hervorgegangen aus dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung, verdanken wir das erste gerundete Bild Leopolds II. (Historische Zeitschrift CXCII). Ihm und Fritz Valjavec, dem großen Darsteller des Josephinismus (im weitesten Sinne), bleibt unser Autor verpflichtet. Sein besonderes Thema in beiden Werken sind die „Jakobiner“ in der Habsburger-Monarchie. Zu seinem jüngst erschienenen Buche gleichen Titels tritt, jetzt erst in seinen rechten Rahmen gelangend und die umfänglichere Arbeit ergänzend, die Studie über Ungarn und den geheimen Mitarbeiterkreis Kaiser Leopolds II.

Die zuletzt erwähnten Affären, so ernst sie immer waren, streifen doch oft hart an den Rand der Operette. Der Kaiser hatte bei seinen Reformbestrebungen im Sinne eines philosophischen Absolutismus, die er aus Toscana hoffnungsvoll mitbrachte, vor allem mit der Gegnerschaft des landständischen Adels zu rechnen, in den Erblanden besonders in Steiermark, schon gar aber im Königreiche Ungarn. Den Herren heizte er auf eine denkwürdige Art ein. Man muß sich vor Augen halten, daß ein Jahr vor seinem Regierungsantritte die große Revolution in Frankreich ausgebrochen ist. Der Kaiser, in seinem Geheimkabinette, zog mit großer Vorsicht eine Reihe von Mitarbeitern publizistischer Art an sich, unter welchen der Professor Leopold Alois Hoffmann (1760-1806) wohl der wichtigste war. Es entstanden revolutionäre und geradezu als staatsgefährlich zu bezeichnende Pamphlete, die auf Kosten des Kaisers gedruckt und in Umlauf gesetzt wurden. Die Zensurhofstelle schritt ein und eine Broschüre wurde verboten. Man kann sich darüber nicht wundern. Es hieß dort zum Beispiel: „In Frankreich sind mehrere der herrschgierigsten Volkstyrannen von dem Pöbel geköpft, zerrissen und an Laternpfählen aufgehängt worden. In Ungarn ...“ und nun wurden die Zustände Ungarns mit aufreizenden Worten geschildert: es hieß etwa, der Adel halte „den Bürger für seinen Bedienten, und den Bauern für seinen Sklaven“.

Die Zensur wäre freilich auch bei einer zweiten derartigen Publikation, die bald danach erfolgte, eingeschritten, hätte der Kaiser nicht das Prävenire gespielt und einen Wink erteilt. Was sich der Leiter der Zensurhofstelle, ein Baron van Swieten, gedacht haben mag, wäre interessant zu erfahren.

Doch ist dies nur ein Ausschnitt. Das ganze Panorama entrollt sich erst im eben erschienenen neuen Werke „Jakobiner in der Habsburger-Monarchie“ (als Band VI der Wiener Historischen Studien, denen der Verlag Herold ein bibliographisch wahrhaft vorbildliches Gewand mitgibt). Jener Spalt von nur zwei Jahren zwischen der im engeren Sinne josephinischen Periode und dem bald nach Durchführung der Jakobiner-Prozesse von 1794/95 völlig erstarrenden franziszäisch-metternich’schen System füllt sich hier mit detailliertem Leben, das entscheidende Ansätze zeigt, die auf durchaus persönliche Weise abgetötet wurden. Der neue Kaiser, Franz II. (später als österreichischer Kaiser Franz I.), war nicht in der Lage, Leopolds Konzept zu erkennen und weiterzuführen. Es hat dies zwar nicht gehindert, daß leopoldinischer Geist eine Zeit lang noch nachwirkte — man könnte sagen bis zum Januar 1793. Um diese Zeit wurde eine nach josephinischem Vorbild eingerichtete Polizeihofstelle wieder neu begründet: also eine richtige Geheimpolizei. Unter Leopold II. hat es derartige Einrichtungen nicht gegeben. Er war ein Feind geheimer Polizeimethoden. Silagi hebt gerade diesen Punkt, entgegen allgemein verbreiteten Annahmen, scharf hervor (Seite 53).

Es gibt zwischen den zwei Jahren Leopolds II. und der dann folgenden franziszäischen Periode einen intensiven Unterschied der Atmosphäre, auf welchen Silagi zweimal nachdrücklich hinweist (Seite 56 und 195). Damit verschoben sich auch die Wertungen bis zu dem Grade, daß 1794/95 bereits als Majestätsverbrechen und Hochverrat galt, was man in leopoldinischer Zeit dafür noch keineswegs angesehen hätte. Das Schicksal eines der Mitarbeiter Leopolds II., des ehemaligen Franziskaners und späteren Professors Ignaz von Martinovics — der übrigens keineswegs das wirkliche Vertrauen Kaiser Leopolds genossen hatte —, läßt jenen Wandel der Atmosphäre in größter Anschaulichkeit nacherleben. Martinovics, als geheimer Mitarbeiter Kaiser Leopolds freiheitlich gestimmt im Sinne seines Herrn, hat auch unter Kaiser Franz noch als Konfident gedient. Er fand jetzt wenig Schätzung. Die Geltungssucht trieb ihn zuletzt zur Konspiration mit umstürzlerischen Personenkreisen — die in der leopoldinischen Zeit wohl nur als reformfreundlich gegolten hätten. Er ist eines der Todesopfer des Jakobiner-Prozesses von 1794/95 geworden. Gerade an dieser Biographie zeigt Denis Silagi in meisterhafter Weise den Wandel der Zeit im Konkreten eines einzelnen Lebens.

*) Denis Silagi: Jakobiner in der Habsburger-Monarchie; Herold, Wien 1962. / Denis Silagi: Ungarn und der geheime Mitarbeiterkreis Kaiser Leopolds II; Südost-Institut, München 1960.

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