FORVM, No. 230/231
März
1973

Nicht soviel wie ein Schwanz

Gespräch über Frauen in Vietnam

Das Gespräch fand auf einem Frauenkongreß in Montreal statt.

„Hundert Mädchen sind nicht soviel wert wie ein Schwanz“, sagte ein altes vietnamesisches Sprichwort. Früher zählte die Frau überhaupt nicht.

Das Sklavendasein der Vietnamesin war bestimmt durch die „Drei Schwüre“ (Gehorsam gegen den Vater, den Gatten und den ältesten Sohn) und die „Vier Tugenden“ (Häuslichkeit, Treue, Demut, Sanftmut). Sie hatte nicht das Recht zu studieren. 1945 waren mehr als 90 Prozent der Frauen noch Analphabetinnen. Unser Land war unter der Herrschaft des Feudalismus und des Kolonialismus. Wir wurden somit zweifach ausgebeutet. Erst mit dem Beginn des nationalen Freiheitskampfes begannen die Frauen gegen die Herrschaft der Männer zu kämpfen. Um das Land zu befreien, mußte die Familie befreit werden.

Seit 1930 anerkennt die kommunistische Partei das revolutionäre Potential der Frauen. Der Kampf um die Gleichberechtigung war eine der zehn Thesen der Revolution, ebenso bedeutend wie der Kampf gegen Hunger, Unwissenheit, Epidemien, die ausländische Besatzung.

Für die Vietnamesinnen sind heute Befreiung der Frau, nationale Unabhängigkeit und Aufbau des Sozialismus untrennbar verbunden. Wir haben drei Dinge verstanden:

  • Erstens: das soziale System bestimmt die Situation der Frauen.
  • Zweitens: Gleichheit der Geschlechter heißt ökonomische Gleichheit.
  • Drittens: die Frau kann keine Freiheit verlangen, wenn sie nicht aktiv am allgemeinen Freiheitskampf teilnimmt.

Dank unserer Beteiligung am Kampf konnten wir die Emanzipation erringen. Nur Aktivistinnen im nationalen Befreiungskampf und im Kampf für den Sozialismus dürfen an unserer Frauenbewegung teilnehmen.

Die Rechte der Frauen sind in der Verfassung der Demokratischen Republik Vietnam verankert. Ihre Anwendung wird durch die „Union der Vietnamesischen Frauen“ kontrolliert. Die Frauen haben alle bürgerlichen Rechte. Für gleiche Arbeit erhalten sie gleichen Lohn wie die Männer. Bei gleichem Lernerfolg werden Mädchen den Burschen bei Weiterbildung vorgezogen, um die Ungleichheit von früher zu beseitigen.

Früher spielten wir in der Politik keine Rolle. Heute sind wir sowohl in der Politik wie in der Wirtschaft präsent. Früher gab es zwei oder drei Medizinerinnen, heute haben wir 5000. 37 Prozent der Absolventen der Universität von Hanoi sind Frauen, ebenso mehr als 50 Prozent der höheren Schüler. 60 Prozent des Lehrkörpers sind Frauen. Derselbe Prozentsatz gilt für die medizinischen Berufe. 17 Prozent der Mitglieder der Nationalversammlung sind Frauen. In 4300 Dörfern sind Frauen Bürgermeister.

75 Prozent der Mitglieder der Dorfkomitees im befreiten Süden sind Frauen. Der Außenminister der Provisorischen Revolutionären Regierung, Binh, ist ebenfalls eine Frau.

Wenn eine Frau Fähigkeiten hat, findet sie jede Unterstützung der Regierung. Ho Chi Minh wandte sich immer gegen Funktionäre mit feudalem Führungsstil und zurückgebliebener Auffassung über die Rolle der Frau. Die Wichtigkeit der Frau im politischen und sozialen Leben stieg mit ihren ökonomischen Verpflichtungen, die durch den Krieg angewachsen sind. 60 bis 70 Prozent der Land- und Industriearbeiter sind Frauen.

Le Duan, Generalsekretär der Partei, erklärte: „Wer die Bedeutung des Frauenproblems nicht versteht, vernachlässigt die am meisten ausgebeutete Schicht der Arbeiter.“

In der Guerilla im Süden gibt es die „Armee der langen Haare“, wie sie die Amerikaner nennen, die Frauenarmee. Im allgemeinen tragen die Frauen keine Waffen. Sie helfen bei der Evakuierung der Verwundeten, sie leiten die Informations- und Aufklärungsarbeit. Im Norden sind die Frauen das Rückgrat der Miliz; sie sichern die Verteidigung der Dörfer, sie besorgen die Fliegerabwehr und die Munitionstransporte.

Wir haben so viele Aufgaben, daß wir nicht viele Kinder haben können. Wir ermutigen unsere Frauen, erst etwa mit 25 Jahren zu heiraten. Die Abtreibung ist erlaubt. Sie wird von unserem Gesundheitsdienst kostenlos durchgeführt. Auch wenn der Ehemann mehr Kinder möchte, entscheidet allein die Frau, ob sie abtreiben will oder nicht. Außerdem verteilen unsere Spitäler kostenlos Verhütungsmittel.

Die Verwendung der Pille setzt sich — vor allem bei den älteren Frauen — nur sehr langsam durch. Aber im Süden wie im Norden bemühen sich die Frauenorganisationen die Zahl der Hygiene- und Aufklärungskurse zu steigern. Das ist eine ihrer Hauptaufgaben neben der politischen, kulturellen und sozialen Schulung.

Die Emanzipation der Frau ist für uns nur durch die Industrialisierung der Haushalte zu erreichen. Immer öfter werden Küche, Unterhalt und Kindererziehung von allen Mitgliedern einer Produktionsgemeinschaft oder eines Dorfes kollektiv betrieben. Mehr als die Hälfte aller Kinder über vier Monate sind in Kinderkrippen, wo sie tagsüber oder die ganze Woche bleiben.

Während unseres langen Kampfes haben unsre Männer gelernt, zu kochen, die Kinder zu hüten und die Wäsche zu waschen. Sie helfen uns bei der Hausarbeit. Man muß die Verantwortung teilen, daheim wie draußen.

Allerdings gebe ich zu, daß die Hauptverantwortung für das Heim immer noch bei der Frau liegt. Die Vietnamesen hängen sehr an der Lebensform als Ehepaar im eigenen Heim.

Wenn früher eine Frau heiratete, konnte ihr Mann sich so viele Konkubinen halten, wie er wollte. Heute sagen wir den Männern, sie sollen ihren Frauen treu bleiben und umgekehrt. Da es mehr Frauen als Männer gibt, möchten einige zur Polygamie zurückkehren. Um der Einheit und Solidarität willen sind wir dagegen.

Wir sind sicherlich noch nicht am Ende aller Ungleichheit, wir müssen ohne Unterlaß die feudale Ideologie der Männer bekämpfen. Es handelt sich nicht um einen Kampf zwischen Mann und Frau, sondern um einen ideologischen Kampf: alt gegen neu.

Im Süden werden wir nicht von den Männern, sondern vom Regime unterdrückt. Darum müssen wir die Männer in unseren Kampf einbeziehen.

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