MOZ, Nummer 55
September
1990
Über den unbändigen Willen linker „Hoffnungsträger“, an deutschen Siegen teilzuhaben:

Nichts gelernt?

Grüne und PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) rüsten für die ersten gesamtdeutschen Wahlen. Die Devise lautet: Großdeutschland von links mitgestalten. Für Thomas Ebermann und Rainer Trampert hätte die zukünftige Weltmacht besseres verdient: nämlich, bekämpft zu werden.

Grünes Wort zu Großdeutschland

Der deutsche Imperialismus eilt von Sieg zu Sieg, und je skrupelloser er seine alten Träume von einem großen, mächtigen Deutschland als Machtzentrum der Welt verwirklicht, desto zwanghafter scheint der Wunsch linker ‚Hoffnungsträger‘ an diesen Siegen teilzuhaben. Selbstverständlich bleiben die ‚Hoffnungsträger‘ kritisch. Sie sind gegen eine schnelle Annexion, wollen das deutsche Reich anders gestalten, oder geißeln Helmut Kohl, er sei ein schlechter Vertreter nationaler und deutscher Weltmachtinteressen. So rüsten sich die Grünen, das Bündnis ’90, Vereinigte Linke, PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) mit Linke Liste in der BRD (Kommunistischer Bund, Leute aus dem Linken Forum in den Grünen und DKP-Emeuerer der ersten Stunde) in diversen Huckepackverfahren für die ersten gesamtdeutschen Wahlen.

Unser Traum, viele linke Frauen und Männer hätten aus der sozialdemokratischen Geschichte zumindest die kleine Lehre gezogen, in den ewigen Versprechungen, den Imperialismus in vaterländischer Absicht besser zu gestalten, keine linke Alternative zu sehen, hat sich leider nicht erfüllt. Ob begeistert oder nur deshalb, weil der Mensch etwas wählen muß, wenn Wahlen sind, üben die neuen ‚Hoffnungsträger‘ einen Sog aus, der auch die Reihen der radikalen Linken lichtet. Das ist bedauerlich, weil die Großmacht Deutschland es nicht verdient, von links mitgestaltet, sondern bekämpft zu werden

Mit Ho-Ruck ins deutsche Parlament

Die erste, noch relativ bescheidene Begründung für das politische Angebot, die deutsche Wiedervereinigung und die deutsche Weltpolitik zu gestalten, statt zu bekämpfen, lautet: Beide sind menschlich. „Linke müssen doch menschlich sein“, sagte Gregor Gysi auf einer Veranstaltung, und nicht so wie Thomas Ebermann, der auf ihn wegen seines „zynischen Defätismus“ einfach „unmenschlich“ wirke.

Auf die Politik übertragen heißt das: „Selbst wenn die PDS in einer Koalition mit der SPD nicht mehr durchsetzen könne, als die Straßen Berlins für Rollstuhlfahrer passierbar zu machen, dann dürfe diese Chance nicht vertan werden.“ Charlotte Wiedemann, aus deren GysiPorträt im „Stern“ wir hier zitieren, fügt hinzu: „Ein Pragmatiker, humanistisch radikal“, und beweist damit die Anziehungskraft dieses humanistischen Geistes.

Radikaler Humanismus? Der enthält nach dieser Definition zunächst einmal die Bereitschaft, jede nur denkbare Schweinerei einer sozialdemokratischen Regierung mitzutragen. Nur um anzudeuten, worum es gehen könnte, seien genannt: Asylbegrenzung, Einsatz deutscher Truppen, Konfiszierung des PDS-Vermögens, vaterländische Annexion, Privatisierung genossenschaftlicher Wohnungen, potentiell die Anwendung der Notstandsgesetze ...

Das zweite Element des radikalen Humanismus lautet: „Alles für die Rollstuhlfahrer“, die so, zu Objekten degradiert, auf das Interesse an überquerbaren Straßenkreuzungen reduziert werden. Insoweit wird das zutiefst inhumane Menschenbild der bürgerlichen Gesellschaft übernommen, das ähnlich zwischen den Interessen der gesunden und leistungsfähigen BürgerInnen und den eingeschränkten Interessen jener, die den Normen der „Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft“ nicht entsprechen, unterscheidet. Der Rollstuhlfahrer, hilflos und unpolitisch, wie er nach diesem Bild zu sein hat, wäre einer Regierung, die ihm diese Wohltat zukommen ließe, zu ewigem Dank verpflichtet. In dieser Analogie wäre der Humanismus noch radikaler, würde Gysi einer Regierung angehören wollen, die nur einem einzigen Rollstuhlfahrer einen rollstuhlgerechten Aufzug anböte.

Dieses Beispiel ist aber eher untypisch. Meistens geht es den Trägern der Gestaltungspolitik um die ganz große Politik. Im zurückliegenden Jahr bescherten sie uns eine Orgie von Begründungen, weshalb es falsch und sektiererisch sei, die Wiedervereinigung der deutschen Nation abzulehnen oder gar zu bekämpfen.

Bis in den November 1989 hinein hatten sie selbst noch die Wiedervereinigung abgelehnt. Der grüne Bundesvorsitzende, Ralf Fücks, sagte damals der „taz“: „Wir (die Grünen in Ost und West) waren uns darin einig, daß die Eigenstaatlichkeit der DDR anerkannt werden muß, wir den großdeutschen Wiedervereinigungsträumen eine endgültige Absage erteilen ...“ Es war die Zeit, in der das Neue Forum noch entrüstet von sich wies, für die Wiedervereinigung zu sein, und in der es Sozialdemokraten und sogar Christdemokraten noch für ratsam hielten, ihre Absichten nicht allzu offen zur Schau zu stellen. Erst zwei bis drei Monate später, als die imperialistischen Parteien der BRD offen auf Großdeutschland setzten und beweisen konnten, daß sie über ansehnliche Bataillone in der DDR-Bevölkerung verfügten, setzte der quälende Übergang der linken Hoffnungsträger zur Gestaltung des ‚einig Vaterland‘ ein. Wir greifen aus der schier unerschöpflichen Quelle der Gestaltungswünsche willkürlich einige heraus.

146 : 23 = 0

  • EM Irgendwann wurde Dramatik inszeniert, ob die DDR nun nach Artikel 23 oder 146 Grundgesetz einzuverleiben sei. Die PDS, für die Modrow die Losung „Deutschland, einig Vaterland“ ausgegeben hatte, polemisierte gegen den Anschluß nach Artikel 23: „Ob am Anfang oder am Schluß des Prozesses, in jedem Fall wäre es ein Anschluß, und Anschluß ist Annexion und nicht Vereinigung“, sagte Gysi am Parteitag im Februar 1990. Wiedervereinigung solle schon sein, aber mit einer DDR, die „als souveräner, gleichberechtigter Partner am Einigungsprozeß teilnimmt.“ In der BRD belästigten uns ‚fortschrittliche‘ Staatsrechtler mit Expertisen über die Vorzüge des Artikels 146. Das Ergebnis dieser gestalterischen Mühen ist uns allen bekannt. Die herrschende Klasse in der BRD entschied sich für den Anschluß nach ‚23‘.
  • Viel Wirbel wurde um die angeblich einmalige Chance entfacht, daß uns die deutsche Einheit eine erheblich verbesserte Verfassung bescheren würde, wenn man sie nur mitgestalte. Eine alldeutsche verfassungsgebende Versammlung sollte Resultate vorlegen, die dann in einer Volksabstimmung abzusegnen seien. In dieses neue Grundgesetz sollten die Errungenschaften der DDR ebenso einfließen wie die Rosinen aus dem Verfassungsentwurf des damals noch tagenden runden Tisches. Der einen Strömung war die Stärkung plebiszitärer Elemente, wie Volksentscheid und Bürgerbegehren aller Art, ein Herzenswunsch, anderen ging es mehr um das endlich verfassungsrechtlich abgesicherte Aussperrungsverbot.
  • Auf der Bundesgeschäftsstelle der Grünen waren Flugblätter abzuholen, in denen das neue Grundgesetz schon als „die erste demokratisch legitimierte Verfassung“ auf deutschem Boden angepriesen wurde, nachdem uns die alte leider nur ‚verordnet‘ worden war. Viele Gemüter bewegte auch die Frage, ob der deutsche Anschluß nicht durch eine Volksabstimmung besser zu legitimieren sei. Dieser Gestaltungswunsch war nicht nur ebenso unrealistisch wie die anderen, sondern obendrein falsch, weil er darum warb, deutsche Anschlußpolitik wieder über das völkische Selbstbestimmungsrecht zu popularisieren.
  • Auch friedenspolitisch wurde in der deutschen Einheit nach und nach mancher Vorteil entdeckt. Richtig gestaltet, käme ein entmilitarisiertes Deutschland, ein neutrales, ohne NATO. Zumindest würde es keine NATO-Verbände auf dem Territorium der DDR geben. Ein verlockendes Angebot versprach sogar ein getrenntes Oberkommando in Ost und West.

Realpolitik für ein neutrales Deutschland

Weil der Mensch was wählen muß ...

Solche illusionären Spinnereien hatten Konjunktur, und gäbe es dafür einen Wanderpokal, hätten ihn diesmal die Grünen verdient. Ihr eher links besetzter Bundeshauptausschuß beschloß im September 1989, „was immer die politische Form der künftigen Kooperation zwischen der BRD und der DDR sein“ werde, „Pazifismus und Realpolitik schließen sich für die BRD und die DDR nicht mehr aus. Die Entmilitarisierung der beiden deutschen Staaten ist ein realpolitisches Projekt.“

Wir werden immer auf Mutmaßungen angewiesen sein, ob die Autoren dieses Unfugs illusionäre Trottel sind oder als Politiker kalkulierten, daß im Oktober ’89 der bemerkenswerte Halbsatz, die politische Form eines künftigen Deutschland sei unerheblich, anders als mit dem ‚Pazifismus‘ noch nicht durchsetzbar sei.

Als Faustregel scheint zu gelten: Je offensichtlicher der deutsche Imperialismus konkret formulierte Hoffnungen zerstört — wer wußte nicht, daß ganz Deutschland der NATO angehören werde —, desto blumiger werden die Aussagen, wie er eigentlich sein sollte. Wenn der deutsche Imperialismus sich schon überall durchsetzt, werde es umso notwendiger, sagte die PDS in einer Presseerklärung vom 12. Juli ’90, „daß das künftige Deutschland ... gerade weil es stark sein wird, eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Abrüstung spielt ... sein enormes ökonomisches Potential ... für die Völker der 3. Welt einsetzt ...“, und schließlich werde „ein solches Deutschland niemanden bedrohen und einen geachteten Platz in der Völkerfamilie einnehmen.“

In schwachen Minuten, in denen wir weder zynisch noch defätistisch noch menschenfreundlich sein wollen, neigen wir zu der Forderung, daß dies alles in das Grundgesetz gehört, und zwar als ‚Muß‘- und nicht nur als Kann-Bestimmung.

Bliebe nachzutragen, daß die Grünen der PDS auch in der Frage, wie human und sozial der Imperialismus eingestellt sei, nicht hinterherhinken wollten. Sie sahen in ihm „ungeahnte Möglichkeiten“, weil gerade Großdeutschland „neue Chancen bietet für ein verantwortliches und solidarisches Engagement im Interesse der Länder der Dritten Welt.“

Marktwirtschaft mitgestalten

Eine Fundgrube bietet die Gestaltung der Marktwirtschaft in einem wiedervereinigten Deutschland. Wer sich vehement für die Einführung der Marktwirtschaft in der DDR eingesetzt hatte und schließlich vor dem schnöden Ergebnis stand, wie aus der ehemals zehntstärksten Industrienation der Erde ein um wohlfahrtsstaatliche Hilfe bettelndes Kollektiv gemacht wurde — das geht über 90% der marktwirtschaftlich organisierten Staaten so, und besonders dann, wenn die Währung und andere Schutzfunktionen für Produktivitätsunterschiede zerschlagen werden —, mußte allerlei Dinge erfinden, wie sozial ein von ihm gestalteter Kapitalismus geworden wäre.

Die linken Befürworter der Marktwirtschaft sprachen deshalb beizeiten mahnende Worte. Der PDS-Partner in der BRD, die Linke Liste, mahnte in einem, Papier „zum Arbeitstreffen“: „Die Privatisierung staatlichen Eigentums und die gesetzliche Garantie von Handels- und Gewerbefreiheit darf nicht im Widerspruch stehen zu den Zielen des sozialen und ökologischen Umbaus.“ Umgekehrt antwortet darauf der gewiefte Bourgeois, dürfe der soziale und ökologische Umbau ihn bei seiner immerhin garantierten Handels- und Gewerbefreiheit nicht stören. Der Linke aber belehrt ihn: „Nicht private Profitaneignung, sondern die Befriedigung der individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung muß Ziel der wirtschaftlichen Aktivitäten sein!“ Darauf antwortet der Bourgeois: „In Ordnung, auch mir persönlich war der Profit nie das Wichtigste.“

In dem Papier wird aber nicht nur festgelegt, was nicht sein darf, sondern auch konstruktiv gestaltet. Wir finden die Forderung nach einer Erhöhung des Sonderfonds „Deutsche Einheit“, „um durchgreifende Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsverhältnisse zu erreichen.“

Dies sei nötig wegen der „unzureichenden Investition seitens des Privatkapitals“. Hier begegnet uns der seltsame Dualismus, zugleich den Ausverkauf der DDR und die geringe Investitionsbereitschaft zu beklagen. Für die Speisung des Fonds sollen dann die Reichen in der BRD gewaltig geschröpft werden. Ihnen droht eine Sonderabgabe zur Vermögenssteuer, die. Anpassung der Besteuerung von Grundbesitz, schließlich wird eiskalt die Unternehmenssteuerreform ausgesetzt und — ohne mit der Wimper zu zucken — eine „Ergänzungsabgabe auf höhere Einkommen“ eingeführt, neben der „Umwidmung von Unternehmenssubventionen“ natürlich.

Es ist uns allen kein Geheimnis, daß die konkreten wirtschafts- und sozialpolitischen Vorschläge von den westdeutschen Okkupanten nicht aufgenommen werden. Übrig bleibt das hohe Lied auf die kapitalistische Wirtschaftsform, deren Auswirkungen beklagt werden. Die PDS bejubelt die Marktwirtschaft, „weil sie einen raschen wissenschaftlich-technischen Fortschritt und eine hohe ökonomische Effektivität ermöglicht. Insofern ist sie das entscheidende Mittel, um hohe Leistungen zu stimulieren und auf effektive Weise Bedürfnisse der Produzenten und Konsumenten zu befriedigen und den wachsenden sozialen Ansprüchen zu genügen.“ (PDS-Programm).

Helmut Kohl ist viel zu schnell

... wenn Wahlen sind.

Aus dem übrigen Repertoire der Gestaltungsmöglichkeiten greifen wir nur noch ein letztes Beispiel heraus. Viel geklagt wurde über das zu hohe Tempo auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung, was Helmut Kohl einigermassen erstaunte, weil ihm von dieser Seite bisher immer vorgeworfen worden war, er sitze die Probleme aus. Wir erinnern noch einmal an den Ausgangspunkt. Am Anfang waren sie sich einig in der — bisweilen schroffen Ablehnung der deutschen Einheit, weil ein Großdeutschland allerlei Gefahren heraufbeschwören würde. Deshalb sollte es bei zwei Staaten bleiben. Wir haben gesehen, daß diese vorgegebene Position nicht einfach über Nacht geräumt wurde, um das Gegenteil zu behaupten so etwas riecht in der Politik auch immer nach Unglaubwürdigkeit —, vielmehr erfolgte die allmähliche Aufweichung, indem gleichzeitig behauptet wurde, man besäße die Kraft, die Pläne der Imperialisten durch eine linke oder alternative Gestaltung des künftigen deutschen Reiches zu vereiteln. Diese Methode lebt von einer Bedingung: Die Gestalter dürfen ihre eigene Politik nicht bilanzieren. Würden sie bilanzieren, müßten sie den Bankrott ihrer Bemühungen eingestehen, das Scheitern ihrer Politik, und das würde auf die Konsequenz zulaufen: Feindschaft zu dem System, mit seinen großdeutschen und imperialistischen Zielen, das ihre Gestaltungsvorschläge ausschlägt. Ihre Politik nicht zu bilanzieren, ist eine existentielle Voraussetzung für die Realpolitik, weil sich nur so das Wesen ihrer Politik, die Koexistenz von Illusion und Demagogie, fortwährend reproduzieren läßt. Da aber die reale Gestaltung Illusion ist, andererseits die angesprochenen Menschen mal Erfolge sehen wollen, spielen solche Parteien ihren Wählerpotentialen von Zeit zu Zeit gern vor, das Hauptanliegen ihrer politischen Gegner sei, sie wahlarithmetisch zu schwächen oder sogar aus den Parlamenten zu entfernen, was nunmehr — ohne jeden Inhalt — in gemeinsamen Anstrengungen verhindert werden müsse. Ohne Übertreibung läßt sich registrieren, daß PDS, Linke Liste, Grüne oder Bürgerrechtsgruppen ihre Kritik an der deutschen Einheit in den letzten Wochen auf den kümmerlichen Rest brachten: Der Wahlmodus benachteilige sie. Die Grünen ereiferten sich darüber, daß „ungeachtet ihrer Oppositon gegen eine Politik des kalten Anschlusses, der mit gesamtdeutschen Wahlen besiegelt werden soll“, es jetzt darauf ankäme, „die Initiative für ein neues Wahlgesetz für gesamtdeutsche Wahlen zu ergreifen“, um gemeinsam mit den Freunden im Osten eine erfolgreiche Kandidatur zu ermöglichen.

Das grüne Kalkül läßt die Idee, für eine Wahl nicht zur Verfügung zu stehen, deren ausschließlicher Zweck die Besiegelung des kalten Anschlusses sei, nicht mehr aufkommen, denn „angesichts der faktischen Herausbildung eines gesamtdeutschen Raumes“ und der durchsichtigen wahltaktischen Kalküle des Herrn Kohl „müsse man sich jetzt auf die Wahlen vorbereiten, auch wenn wir sie nicht wollen.“

Es versteht sich von selbst, daß auch das alternative Wahlgesetz der Grünen keine Beachtung fand. Ihnen gelang allerdings der Zusammenschluß mit dem Bündnis ’90, was sie derart zufriedenstellte, daß sie in Großanzeigen bekannt gaben: „Der Plan von CDU/CSU/FDP“, sie und die Bürgerbewegung in die Bedeutungslosigkeit zu drängen, „ist gescheitert.“ Dieser große Erfolg wiege umso schwerer, als die „Blockparteien hüben und drüben in den letzten Wochen an nichts anderes als an die Sicherung ihrer Macht gedacht haben“. Hier geht die Phantasie schon so weit mit ihnen durch, daß allein die Aussicht ins Parlament zu kommen, die Macht der anderen beseitigt. Die PDS wiederum empfand es als Schlag gegen sich, daß die DDR-Bürgerbewegungen nicht mit ihr zusammen kandidieren wollten, und bemühte sich deshalb intensiv um Petra Kelly und den deutschnationalen Franz Alt. Das landauf-landab von Gregor Gysi verkündete Credo, „die Linke muß salonfähig werden“, verlangt parlamentarische Präsenz und erklärt nebenbei, weshalb PDS und Linke Liste sich von vornherein alle Streitereien um parlamentskritische und antikarrieristische Regeln — Diätenabführung, Rotation, imperatives Mandat — ersparten.

Grüne und PDS darauf reduzieren zu wollen, ihnen käme es nur auf Parlamentssitze an, wäre allerdings eine ähnliche Beschönigung, wie die leichtfertige Behauptung der Grünen, die Blockparteien hätten nur an die Sicherung ihrer Macht gedacht.

Verläßliche deutsche Soldaten, aber ...

Es gehört gerade zur hohen Kunst der Realpolitik, fortwährend Widerstreitendes unter einen Hut zu bringen. Sie müssen mit dem Zeitgeist der Massen schwimmen, um nicht der teuflischen Sektiererei anheim zu fallen, und dabei sowohl den kritischen Geistern, die überwiegend das sie tragende Klientel ausmachen, gerecht werden, als auch der Herrschaft im Staat Loyalität beweisen, ob Staatsführung, Wirtschaftsführung oder dominante Medien. Wäre die Loyalität anzweifelbar, stünde der Anspruch in Frage, regierungsfähig zu sein. Egal, ob die realpolitische Illusion vorherrscht, jede Gestaltung beginne eigentlich erst mit einer Regierungsbeteiligung — eine Vorstellung, die allein schon antistaatliche, antinationale oder antiimperialistische Opposition störend finden muß — oder ein hohes Maß an Identifikation mit den Zielen der deutschen Volksgemeinschaft, der Nation, vorherrscht, in besonderen historischen Situationen wird die Gestaltungsillusion als dominierende Größe der Politik von der nationalen Loyalität abgelöst. Schien vorher die deutsche Einheit eher Nebensache zu sein, weil den kritischen Geistern die angeblichen Gestaltungsmöglichkeiten verabreicht werden mußten, wird in der großen historischen Stunde die faktisch eh diskreditierte Gestaltung zur Nebensache.

Alles das, was vorher scheinbar noch bekämpft wurde, danach zumindest anders gestaltet werden mußte, wird jetzt schön. Die politische Dynamik steuerte auf diesen Punkt zu. Dennoch verlangt dieser Sprung neue Töne: Das einig Vaterland ist schön, und die eigene frühere Ablehnung wird schlicht geleugnet, im Gegenteil, die eigenen Verdienste haben das neue Vaterland und seine Weltmachtposition erst möglich gemacht.

Nach der Korrektur der alten Position noch immer der Gegnerschaft zur deutschen Einheit bezichtigt zu werden, löst dann regelrecht Entrüstung aus: „Für Helmut Kohl scheint das ganz einfach. Immer war, wer die Einheit nicht wollte, wie er sie wollte, ein Feind der Einheit. Immer war, wer die Einheit in einem anderen Tempo wollte, ein Gegner der Einheit. Und diese Demagogie hat ja nicht schlecht funktioniert.“ (Antje Vollmer im Bundestag, 9.8.’90)

Eine Weltmacht darf ihren politischen Forderungen auch wieder militärischen Nachdruck verleihen

Schon einige Wochen vorher schilderte Antje Vollmer den Abgeordneten im Bundestag ihre Biographie als immer der deutschen Einheit verpflichtete. Bei den Grabungen der Fluchttunnel in den Ostsektor Anfang der 60er Jahre, „da waren auch Freunde von mir dabei“. Schon immer habe sie den Geist der deutschen Einheit „mit einer gemeinsamen Sprache ... phantasievollen Kultur, mit der Last einer gemeinsamen Geschichte und mit dem unbändigen Wunsch nach Selbstbestimmung: wir sind das Volk“ in sich gespürt. Und deshalb „weisen wir ... auch auf das schärfste die Demagogie zurück, Gegner dieses Staatsvertrages als Gegner der deutschen Einheit zu diskriminieren“, denn „das Gegenteil ist der Fall: Gerade weil wir der ... gewachsenen Einheit treu bleiben wollen ... haben wir stichhaltige Gründe, gegen dieses Staatsvertrag zu sein“. Der Sozialdemokrat hob 1915 gern seine Verläßlichkeit als Soldat hervor, wenn er nicht mehr an die Anti-Kriegsresolutionen seiner Partei vor dem Krieg erinnert werden wollte.

Die PDS verfrühstückte mit der allgemeinen und willkürlichen Abgrenzung von ihrer SED-Vergangenheit auch gleich ihre alte These von der „souveränen DDR als sozialistischer Alternative“ (Gysi am 8.1.’90) als Relikt der SED. Gysi auf der Tagung des Parteivorstandes: „Ich will noch etwas zur nationalen Frage sagen: Die These der SED von den zwei Nationen war sicherlich falsch“ („Neues Deutschland“ 28.6.’90). Vierzehn Tage später, am 12.7.’90, gab der Parteivorstand der PDS in seinem Pressedienst bekannt, „es kann nicht darum gehen, den Prozeß der deutschen Einheit zu bremsen oder gar aufzuhalten“, sondern vielmehr darum, „Ängsten und Unsicherheiten der deutschen Nachbarn, die wegen des hohen Tempos im Prozeß der deutschen Einheit vorhanden sind, glaubhaft begegnen zu können“.

Wer nicht mehr aufhalten oder bremsen will, verliert noch lange nicht seine Kritikfähigkeit. Er kann den CDUen in Ost und West noch vorwerfen, zu überhasten, oder Lothar de Maiziöre daran erinnern, das Versprechen gebrochen zu haben, „die 16 Mio. DDR-Bürger mit Anstand und Würde in das vereinte Deutschland zu führen“ („Neues Deutschland“ 17.8.’90). Apropos Anstand und Würde; die PDS fragt sich: „Wem nützen und wem schaden jetzt Streiks?“ und spricht sich konsequent gegen jeden Streik aus, denn „wirtschaftliche Stärke kommt nicht von Destabilität. In destabilisierte Verhältnisse investiert kein Unternehmer gern.“ ... Das letzte Zitat stammt allerdings aus einer ganz anderen Epoche. Auf diese Anti-Streik-Erklärung einigte sich der Vorstand der SED-PDS Ende Jänner 1990, als die Partei mit Modrow noch den Ministerpräsidenten in der „Regierung der nationalen Verantwortung“ stellte. Dies würde heute in keinem PDS-Programm auftauchen, gibt uns aber eine kleine Vorstellung davon, was wir von einer regierenden PDS zu hören bekämen.

Die Linke soll salonfähig werden

Die Hervorhebung der eigenen Verdienste um das deutsche Vaterland und die Beschönigung seiner Zustände bedingen sich, denn wer möchte schon ein Projekt madig machen, dessen Gelingen er sich selber hoch anrechnet. Dazu Antje Vollmer im Bundestag (9. August ’90): „Die europäische Welt hat keine Angst mehr vor den Deutschen, weil wir 1968 aufgebrochen sind, weil wir das Law-and-Order-Denken herausgeblasen haben aus diesem Land, weil wir, eine andere Generation, diese deutsche Gesellschaft gründlich zivilisiert haben.“ A. Vollmer leugnet wissentlich, daß es in Europa und überall auf der Welt Angst vor einem wiedererstarkten Deutschland gibt. Sogar die bürgerliche Politik räumt diese Angst mit dem geflügelten Wort ein, man müsse Rücksicht auf die Ängste der Nachbarn nehmen. Vollmers Anliegen, wie auch das der etablierten deutschen Politik, ist, der vorhandenen Angst die Berechtigung abzustreiten. Mensch muß nur einmal die Nacht der Fußballweltmeisterschaft erlebt haben, die Selbstverständlichkeit, mit der AusländerInnen im Schutz des deutschen Taumels durch die Straßen gejagt wurden — ermutigt durch regierungsoffiziellen Nationalismus, die Verschärfung der Ausländergesetze, den Wettlauf zwischen CDU und SPD, wie das Asylrecht am effektivsten zu beschneiden sei —, um zu begreifen, daß eher wieder teutonische Verrohung angesagt ist als die Überwindung von law-and-order. Aber um gesellschaftliche Analyse geht es Antje Vollmer gar nicht. Ihr geht es nur um die Behauptung, die Regierenden seien viel weniger die Architekten der deutschen Einheit als sie und ihr Milieu: „Sie, Herr Bundeskanzler, profitieren von Veränderungen der Tiefenstruktur der deutschen Gesellschaften ... Sie haben wirklich mehr Glück als Verstand gehabt.“ Der Kanzler wird wissen, daß zur Unterdrükkung der Artikulation von Ängsten anderer Staatspolitiker manche Drohung und manche Kreditgewährung, die letzten Endes doch nur für Deutschland rentabel angelegt wurde, nötig war. Vereinigung, aber wirklich Während Antje Vollmer dem Kanzler zwar Glück bescheinigte, zugleich aber feststellte, „die herrschende politische Klasse sei der Vereinigung nicht gewachsen“ („taz“ 10.8.’90), sah Gregor Gysi die deutsche Sache durch Kohl direkt gefährdet: „Es ist ganz eindeutig: Bundeskanzler Kohl ist die Mitgliedschaft der BRD in der NATO wichtiger als die Einheit Deutschlands. Deshalb seine Forderung nach Mitgliedschaft des geeinten Deutschland in der NATO. Wenn das jedoch nicht geht, so wird es mit ihm keine Vereinigung der beiden deutschen Staaten geben. Bisher ist der Kanzler zu keiner einzigen politischen und militärischen Konzession um der deutschen Einheit willen bereit ... und das ist antinational“ (Gysi auf dem PDS-Parteitag, 24/25. Februar 1990), Wie weit die Konsequenzen gehen können, wenn erst die nationale Sache zur eigenen Pflicht gemacht wurde, ist unkalkulierbar. Ein Beispiel: „Versuche, die deutsche Einheit gegen die Interessen anderer durchzusetzen, können nur Gegenreaktionen zum Nachteil der Deutschen hervorrufen (wären sie sonst in Ordnung? Anm. d.Verf.). Eine Neuauflage des Versailler Vertrages bzw. gravierender Einschränkungen der Souveränität eines zukünftigen Deutschland wären jedoch erneut eine Quelle für neue Spannungen auf unserem Kontinent“, verkündet der Pressedienst der PDS am 12.7.’90, herausgegeben vom Parteivorstand.

Droht der europäischen Hegemonialmacht Deutschland eine Neuauflage des Versailler Vertrages? Von wem? Und wer könnte „gravierende Einschränkungen der Souveränität des künftigen Deutschland“ durchsetzen?

Sind hier Hemmnisse gemeint, die glücklicherweise der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg auferlegt wurden, etwa der erzwungene Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag? Oder die Beschränkung des Einsatzes deutschen Militärs auf der Welt? Gibt es irgend eine Einschränkung deutscher Souveränität, die beseitigt gehört? Würde Deutschland bei einer Einschränkung seiner Souveränität die besagten „gefährlichen Spannungen“ zurecht inszenieren? Hat der Versailler Vertrag Deutschland in Faschismus und Krieg getrieben, wie Legionen von reaktionären Historikern entschuldigend behaupten? Soll Deutschland ungebremste Weltmacht sein? Diese Frage wiederum stellen sich die Grünen. „Ohne das übliche grüne Lamentieren, daß das vereinte Deutschland eine Weltmacht ist“ („taz“ 10.8.’90), fragte sich Antje Vollmer öffentlich im Bundestag: „Wie gehen wir (!!!) mit der neuen Rolle Deutschlands als Weltmacht um?“ Somit hätte sich das Betätigungsfeld des Gestaltens, statt zu verhindern (was bekanntlich zutiefst inhuman wäre und zynischer Defätismus dazu), auf die ganze Welt erstreckt.

Endlich: Wir sind Weltmacht

Sonderfond „Deutsche Einheit“ zur durchgreifenden Verbesserung der Lebensverhältnisse

Atemberaubend schnell wird bei den Grünen aus der Akzeptanz Deutschlands als Weltmacht eine konkrete Debatte über taktischen Nutzen und Schaden einer militärischen Intervention deutscher Truppen am Golf.

Die öffentlich Streitenden sind sich in den Prämissen einig: „Die alte Arbeitsteilung zwischen den USA und der BRD geht nicht mehr — ‚die Amis fürs gröbste‘ und wir als ökonomische Bewährungshelfer. Jetzt aber sind die Deutschen erstens eine Weltmacht, wie die USA auch, und zweitens durch 40 Jahre Demokratie und die demokratische Revolution in der DDR vor der Geschichte und gegenüber der Weltöffentlichkeit normalisiert. Es gibt also von der internationalen Rolle her keine Gründe mehr für eine US-amerikanische Intervention, die nicht gleichzeitig auch für eine deutsche Beteiligung sprächen.“

Daraus spricht zunächst einmal eine rückblickende Zufriedenheit mit der US-amerikanischen Weltpolitik der letzten Jahrzehnte — selbstverständlich bei Kritik einzelner Fehler — und dem Einsatz ökonomischer Potenzen der BRD weltweit. Nur die Arbeitsteilung ist heute tradiert. Pazifismus in der BRD hatte nur eine Existenzberechtigung im Rahmen dieser überholten Arbeitsteilung: „Es reicht auch für die pazifistische Opposition in der BRD nicht mehr, mit bloß hehren Argumenten pazifistischer Unschuld über die Anforderungen an eine Weltmacht hinwegzugehen.“ Noch präziser wäre dieser Gedanke formuliert, forderte er die pazifistische Opposition auf, sich endlich an militärischer Planung und Intervention zu beteiligen!

Bleibt die Frage der Opportunität prinzipiell befürworteter militärischer Interventionen. Genauer: Ob sie eine ärgerliche Solidarisierung im arabischen Lager auslösen könnte, ob also der „Konflikt zwischen Islam und Aufklärung“ der Aufklärung unnötige Opfer abverlangt. (Wir erinnern uns: Die deutschen Sozialdemokraten bewilligten 1914 die Kriegskredite, weil es sich um einen Konflikt zwischen „freiheitlicher Zukunft und russischem Despotismus“ handle).

„Genau aus diesem Grund ist eine westliche militärische Intervention kurzfristig zweifelhaft, mittelfristig fatal.“ Darum plädiert der Autor (es ist Bernd Ulrich, bekannt als politischer Freund und Chefberater Antje Vollmers, Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion) zunächst für einen Wirtschaftsboykott gegen den Irak — „der wird uns weh tun! Das müssen wir in Kauf nehmen.“

Die ‚Gegenposition‘ vertritt Udo Knapp, ebenfalls ein sehr wichtiger Mitarbeiter der Bundestags-Grünen. Im jetzigen Augenblick bestehe „die Gelegenheit, eine internationale ‚Weltpolizei‘ zu etablieren, die in Zukunft wirksam in den Weltfrieden gefährdende Konflikte eingreifen kann.“ Dabei darf „Zweifel nicht aufkommen, daß den politischen Forderungen militärisch Nachdruck verliehen wird.“ Darum befürwortet Knapp eine militärische Intervention unter Beteiligung deutscher Truppen, sein bevorzugtes Modell sieht den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als politisches Legitimationsorgan. „Die Befürchtung, der militärische Eingriff der internationalen Truppen bringe nun alle Fundamentalisten Arabiens in einen Schützengraben gegen den Rest der Welt, ist ... im Kern ein Hilfsargument, um der neuen Weltfriedensverantwortung Deutschlands am Ende doch auszuweichen.“ (Alle Zitate „taz“ 11. August 1990) Man kann nicht nur Kriege führen, die leicht zu gewinnen sind, meint Knapp, und wir können feststellen, daß die Spannbreite der Debatte in und zwischen SPD, FDP und CDU über die rationalste Gestaltung imperialistischer Politik am Golf von der Grünen Bundestagsfraktion (mit Ausnahme ihres linken Minderheitenflügels) naturgetreu kopiert ist. Und niemand sollte wagen, den Befürwortern bloßen Wirtschaftsboykotts vorzuwerfen, sie seien die schlechteren Patrioten.

Gestern Opfer, morgen ...

Die heute sichtbare Überidentifikation vieler ehemaliger Linker mit dem starken Deutschland ist keineswegs nur dem Wunsch nach Anpassung an aktuelle Massenstimmungen geschuldet. Dieser Nationalismus hat eine lange Tradition, und es ist wohl auch unsere Schuld, seine ideologische Bekämpfung bisweilen vernachlässigt zu haben. Gerade in den Hochzeiten der Friedensbewegung, als manch’ gekränkte deutsche Seele Deutschland als Opfer amerikanischer Strategien darstellen durfte, wenn nur die Ablehnung der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen dabei herauskam.

„Wer es mit deutscher Wiedervereinigung ernst meint ..., muß alles (!!!) unterstützen, was die Emanzipation beider deutscher Staaten von ihrer jeweiligen Supermacht fördert ... Erst eine Befreiung aus der atomaren Geiselnahme der Supermächte bringt die deutsche Frage wieder auf die Tagesordnung der Geschichte“ — ein typisches Zitat Franz Alts, des beliebtesten ‚Wert-Konservativen‘ der Friedensbewegung, meist kombiniert mit dem Beklagen der Unterwürfigkeit führender BRD-Politiker gegenüber der westlichen Führungsmacht in Washington. Ob letzteres vehementer von Sozialdemokraten um Lafontaine, den grünen Generälen Bastian und Kelly oder den Rednern der DKP verkündet wurde, entzieht sich unserer Erinnerung. Die Karikatur des devoten Befehlsempfängers Kohl, der dem gebieterischen Reagan nichts entgegensetzt, war allgegenwärtig. Und die Grünen vertrieben einen Aufkleber, auf dem die Buchstaben BRD aus Bananen zusammengesetzt waren. Bananenrepublik = ohne staatliche Souveränität, war die Botschaft; und wir — damals noch recht wichtig bei den Grünen — sind nicht Amok dagegen gelaufen.

Normierte Emanzipation

Ganz zum Schluß noch einmal Antje Vollmer, die Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion: „Die parlamentarische Debatte ist per se auf Gewaltfreiheit verpflichtet und nötigt zum Konsens. Die außerparlamentarische Diskusssion hat eine eigene — möglicherweise gefährliche und gewaltsame — Dynamik. Und ich habe große Sorge, wenn das, was in der DDR jetzt außerhalb des Parlaments passiert, wenn die Wut, die Ohnmacht, der Identitätsverlust überhaupt nicht mehr im Parlament erscheinen können. Wo landet dann diese Wut? Aus diesem Grunde (!!!) sind wird historisch klug geworden und ganz entschiedene Gegner der Fünf-Prozent-Klausel!“ (Rede im Bundestag, 9.8.’90). Leicht erkennbar ist, daß A. Vollmer hier ohne jeden radikaldemokratischen Akzent auskommt, wenn sie ihre Ablehnung der Fünf-Prozent-Klausel mit Konfliktbewältigung und Herrschaftssicherung begründet. Auch mag eingewendet werden, eine nicht dem Konsens verpflichtete Parlamentsarbeit sei durchhaltbar, was wir für unsere Zeit im Parlament ja schließlich auch in Anspruch nehmen.

Aber es gibt einen wichtigen wahren Kern an Vollmers Grundgedanken, den Agnoli von links formuliert: „Eine mögliche und intendierte politische Kontrolle der Krisen- und Bruchsituation in kapitalistischen Gesellschaften setzt zunächst und simpel voraus, daß die Ausdrucksfähigkeit von Emanzipationstendenzen eingebracht wird in bestimmte, institutionell vorgesehene Kanäle, sodaß ... ihre Folgeerscheinungen unter Kontrolle gebracht werden können.“ ... „Oppositionelle Artikulationsmöglichkeiten sollen also keineswegs eliminiert, vielmehr ihre Ungebundenheit und Unvorhersehbarkeit blockiert werden, um sie in genau bestimmte, rechtlich festgelegte, im optimalen Fall verfassungsrechtlich normierte Formen und Grenzen zurückzuholen.“ Diese Überlegungen Agnolis (Caira-Verlag 1990) sind nicht nötig, um die Wahlprojekte Grün und PDS/Linke Liste abzulehnen. Sie werden sehr wichtig sein, wenn es um die Aufarbeitung eher linksradikaler Konzepte des (auch) parlamentarischen Weges geht, für die Leute wie wir lange gestanden haben.

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