FŒHN, Heft 22
 
1996

Nichts von dem, was ist, ist ohne Grund, warum es sei

In den Leuten, die Haider nachlaufen, haben wir Leute zu sehen, denen’s nicht gut geht, denen etwas fehlt. Und zwar alles eher als Haider. Seine Wahlerfolge sagen mehr über die Zustände aus als über ihn. Politikwissenschaft, die man sich kaufen kann, verhöhnt den Großteil der FPÖ-Wähler als ‚Systemverdrossene‘ (F. Plasser/P. Ulram, November 1994). Dabei läge die Wahrheit mit ‚Systemverdroschene‘ so nahe! Natürlich sind die Haider-Wähler zum Teil bösartig, widerlich, niederträchtig, fies, gehässig, aber diese Eigenschaften sind ehrliche Produkte ihrer Lebensverhältnisse. Bevor wir uns ereifern wollen darüber, was die Leute anstellen, bitt’ ich, sollten wir uns doch ereifern darüber, was mit den Leuten angestellt wird. Beim Mann mit dem Schremmhammer grrrr!-grrr!-grrrr!, der nun schon seit zwei Stunden grrrr!­grrr!-grrrr! entsetzlichen Lärm grrrr!-grrr!-grrrr! macht vor meinem Fenster grrrr!-grrr!-grrrr! und mich nervt grrrr!-grrrr!-grrrr!, denke ich: wie muß das ihn nerven! Der Arbeiter, der nach einem Hitler schreit, hat in dem, wovon er dabei ausgeht (!), noch allemal mehr recht als der Fünfzig- oder Hunderttausend-Schilling-Krawattinger, der ihn dafür als Faschisten ins Eck stellt. Die Zustände drängen massiv auf Veränderung. Die Menschen drängen massiv auf Veränderung. Sie haben keine Ahnung: wohin. Daß diese Leute Haider wählen ist erst das zweite. Das erste ist, daß sich Haider diese ausgewählt hat.

Das Reservoir, das er anzapft, wird in dieser Gesellschaftsordnung der alles bestimmenden Fremdarbeit (in der Fabrik, im Büro, im Hotel, in der Werkstatt, im Kaufhaus) im 3-Schichtbetrieb sozusagen ständig aufgefüllt durch erzwungenes zirkusreifes Männchenmachen am Lohngängelband.

Originalton:

Wie oft hab ich schon gedacht. Heute läuft das Band schneller! Das merkst du mit der Zeit! Wenn du jeden Trag am Fließband stehst und auf einmal dann - ! Du hast das irgendwie im Gefühl. Heute läuft das Band schneller.

(Doris)

Meine jetzige Arbeit tue ich nur, weil ich so mein Brot verdienen Muß. Stolz oder Befriedigung gibts da nicht. Entscheidend ist nur die Stückzahl. Ich muß ehrlich sagen: Wenn ich im Lotto gewinnen würde und entsprechend Geld hätte, würde ich keinen Tag länger arbeiten. Diese Arbeit befriedigt mich nicht. Man freut sich nur jeden Tag, wenns wieder vorbei ist. Wenn einer nicht eine ganz bestimmte Tätigkeit hat, kann keiner auf seine Arbeit stolz sein. Keiner arbeitet da freiwillig. Aber man muß eben leben.

(Albin)

Die Bandpausen sind normalerweise nur dazu da, um zur Toilette zu gehen. Und in der letzten Bandpause sollst du auch noch saubermachen.

(Petra)

Und dann sollst du immer sagen: schön ja und Amen, und schaust immer nur runter und beobachtest deine Platte und machst alles schön. Wenn’s geht, sollst du keine Widerworte sagen, nicht mit deinen Nachbarn quatschen. Im Moment stinkt’s mir unheimlich. Ich möchte meine Arbeit hinschmeißen. Also ich krieg morgens den Horror, wenn ich die Bude sehe. Die seh ich schon von der Autobahn aus .

(Doris)

Irgendeine innere Befriedigung oder sowas gibt mir die Arbeit nicht. Nach der Schicht ist es nicht etwa so, daß man denkt: Nun habe ich wirklich etwas geschafft, darauf kann ich stolz sein. Alle denken nur eines. Gott sei Dank ist der Tag auch wieder um! Wenn man schnell und sauber arbeitet und keinen Murks macht, dann kann es schon sein, daß der Meister dich einmal lobt. Aber wofür soll er sonst loben? Diese Arbeit ist doch ein Idiotengeschäft!

(Otto)

Man sitzt unmittelbar unter der Neonröhre. Und da sitz einmal ein Jahr! Morgens geht das noch, aber wenn ein paar Stunden vorbei sind, kannst du die Leute in weiter Entfernung nicht mehr erkennen. Da kriegst du solche ohnmächtige Wut!

(Petra)

Dumme Frage, warum Haider soviel Unmut kanalisieren kann. Ja, weil soviel da ist! Die Gewöhnung an den Irrsinn, zu anderen Leuten für diese arbeiten zu gehen, ist auch in der fünften Generation erst äußerlich. Das Herz des Menschen wird das nie akzeptieren! Statt als Mensch als Kellnerin zu leben! Als Fernfahrer! Als Schreibmaschinenschreiberin! Sein Leben als Gewindeschneider hinzugeben! Als Supermarktkassa! Als Schremmhammer! Das Leben der Milliardäre Swarovski, Liebherr oder Wlaschek schöner zu machen — statt das eigene.

Diese Beispiele machen hoffentlich schon deutlich, um welche überwiegende Mehrheit unter den Haiderwählern es in diesem Heft geht. Und um welche Sorte nicht, nämlich jene, deren Geschäft Haider politisch in Wirklichkeit betreibt (z.B. Industrielle, Rechtsanwälte, Hoteliers, Zahnärzte, UnternehmerInnen, Steuerberater, FP-Funktionäre ...).

Abspülen für andere erzeugt Bitterkeit. Baggerfahren für andere erzeugt Groll. Wurstabschneiden für andere erzeugt Widerwillen. Am Malergerüst entsteht Mißmut. An der Knopflochmaschine bildet sich Ingrimm. Am Dateneingabegerät wächst Frust.

Die Stechuhr sticht. Der Lohndruck drückt. Der Leistungszwang zwingt.

Und nirgends ein Ufer zu sehen, das rettet.

Nicht vom Kapitalismus geschändete Menschen würden sich über Haiders Kraftmeiereien halb tot lachen - - -, die heutigen steckt er fast mühelos in den Sack. Ist Haider dran schuld? Sind die Haiderwähler schuld? Kruzitürkn!, nein!, nicht die Getretenen, Geschlagenen, Gedemütigten sind schuld! Soweit ist es schon, daß man das ausdrücklich sagen muß!

In Haiders Reden an die Unfreien, Schikanierten, Gegängelten wimmelt es nur so von Klagen über Gängelung, Schikanen, Unfreiheit. Das tut der gequälten Kreatur so wohl. Die Wut der Leute über ihr eingekasteltes Leben ist echt. Endlich wird wo, bei Haider eben, der sie niederzwingende Zwang beim Namen genannt, das ihre Wünsche niederdiktierende Diktat, der Druck, dem sie ausgesetzt sind, die Abhängigkeit, unter der sie stehen!

Wirklich, wir leben in finsteren, durch noch so viele über die Mattscheibe flimmernde Gameshows nur unwesentlich erhellten Zeiten: Welches Mittelalter! Gezwungen, dem fremden Lebensherrn C&A Etiketten in Sweatshirts einzunähen oder dem Potentaten Porr AG Tiefgaragen zu betonieren! 

Wenn Haider in einem System voller Schikanen, in dem niemand von Schikanen spricht, von Schikanen spricht, ist die Wiese für ihn so gut wie gemäht. Das Wort als Signal reicht aus, um den Blutdruck anzutreiben. Was bedeutet es da noch, daß die Schikanen, über die Haider wettert, dann nicht die des freien Arbeitsmarktes sind, sondern irgendwelche Verwaltungsschikanen, das Diktat, das er anprangert, gar nicht das des bezahlten Preises für eine Arbeitsstunde ist, sondern ein angebliches Gewerkschaftsdiktat, und die Kommandogewalt, die er zertrümmern will, doch nicht die reale des Finanzkapitals ist, sondern die von ihm entdeckte Kommandogewalt der 68er Bewegung! Haider holt die Leute am richtigen Ort ab, aber er fährt sie an den verkehrten hin. Er beutet die wirklichen Martyrien der Leute schamlos aus, um die Dinge zu belassen, wie sie sind. Vom Zwang zur Nachtarbeit für den Hotelier und vom Zwang, siebzig Kilometer zu pendeln für den Profit des Siemenskonzerns nimmt er kein Alzerl weg, wenn er noch so oft von Kammerzwang und Beitragszwang redet. Er führt die Menschen, die ganz nahe dran sind am Richtigen, in die Irre und instrumentalisiert ihre Nöte für seine Karriere. Der Gängelung durch den Wohnungsmarkt, die sie wirklich belastet, und der Gängelung durch den Stellenmarkt, die sie wirklich peinigt, macht er die Mauer, indem er den Gegängelten dafür eine parteipolitische Gängelung andreht. So als litte ein Eingesperrter unter dem schlechten TV-Programm! Politik machen, das weiß Haider, kann man nur mit echten Gefühlen. Was man tun kann (und was er tut), ist, man kann sie auf den Kopf stellen.

Es ist reaktionär den Menschen daraus einen Strick zu drehen, daß sie ihm auf Losungsworte wie Gefügigkeit, Ohnmacht und totale Vormundschaft nachlaufen — und nicht vielmehr jenen einen, die sie durch wirkliche totale Vormundschaft in wirklicher Ohnmacht und wirklicher Gefügigkeit halten. Die sie ihm damit mustergültig präparieren. Die Nichthaiderwähler haltens noch aus, das lange schon Unaushaltbare. Die Haiderwähler haltens nicht mehr aus. Unter dem Kapitalismus sind die Leute fast ohne Chance, auf Pseudosozialismus nicht hereinzufallen. Leopold Figl fing die Österreicherinnen und Österreicher nach dem Krieg mit seinem Versprechen: „Das Österreich von morgen wird ein neues, ein revolutionäres Österreich sein.“ (21.4.45),und Karl Renner köderte mit dem Versprechen: „Daß die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist unfraglich und bedarf keiner Betonung.“ (15.4.45) Selbst die reaktionäre CDU mußte in ihrem ersten Nachkriegsprogramm festhalten; „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“ Die niederdrückendsten Erfahrungen, die die Menschen in diesem System machen, drängen klar auf Befreiung und sind alles eher als die Wurzel von Faschismus, aber sie können gekapert, entführt und in ein Mittel der Vervollkommnung ihrer Knechtschaft verwandelt werden. Haider, z.B., bringt mit seinen falschen Worten von Macht, Machtblock, Machtkartell die Leute dazu, die reale Macht, den tatsächlichen Machtblock, das leibhaftige Machtkartell zu akzeptieren. Damit festigt er nicht nur die unausstehlichen herrschenden Zustände, sondern führt damit jenem Frust ständig neue Nahrung zu, den er für seine politische Karriere so notwendig braucht. Doppelmühle.

Vielleicht wollen die Geprügelten, die sich dort nicht wehren (können?), wo sie wirklich als Untertan behandelt, eingeschüchtert und Gewissensdruck ausgesetzt werden, von Haider vorgelegen bekommen, daß sie vom Staat, von der Regierung, von der SPÖ, von den Kammern mundtot gemacht werden. Vielleicht sind sie ihm sogar dankbar, daß er den Konflikt, dem sie sich dort nicht stellen, wo er tagtäglich stattfindet, wo man wirklich ruiniert wird, wenn man nicht das Knie beugt, nicht anspricht und ihn noch größer und noch schöner auf der Ebene des Parteienproporzes und der Zwangskammern, der Regierungsallmacht und der Staatsbürokratie in Szene setzt. Gegen den Mietherrn ist’s nicht leicht. Der Immobilienkaiser scheint, wie der Name nahelegt, nicht absetzbar. (Es gilt Erbfolge.) Da ist’s einfacher, einen blonden Landesrat durch einen brünetten zu ersetzen, einen einmeterdreiundsiebzig langen Wirtschaftsminister durch einen einmeterneunundsiebzig langen. Haider hat diese Ablenkung von den existentiellen Konflikten durch ein Riesentheater auf der politischen Vorderbühne nicht erfunden. Er hat aber neuen Schwung in dieses Schauspiel hineingebracht. Nicht, obwohl es Wahlen gibt, bleibt der Marmeladenkönig Marmeladenkönig, sondern weil es Wahlen gibt. Sonst würden die Menschen auf die unerträglichen Verhältnisse selber losgehen. Hinter einem riesigen Paravant aus zig Wahlen, Doppelwahlen, Stichwahlen, Superwahljahrwahlen, Schicksalswahlen usw. hat sich, z.B., der Handwerksbetrieb der Swarovskis zum Milliardenkonzern herausgefressen. Die herrschende Ideologie, genauer: die Ideologie der Herrschenden, wonach die Politiker die Machthaber seien und damit schuld an unserer mißlichen Lage, wird uns ja bereits mit Milupa eingelöffelt. Eine ideale Voraussetzung für Haider, die Unzufriedenheit der Menschen auf den Funktionärscliquen abzuladen.

Was Haider gegenüber seinen politischen Konkurrenten betreibt, ist nichts anderes als Mobbing. Er möchte einen besseren Job haben.

Der Kapitalismus produziert mancherlei, aber nichts in allen Branchen und in solch rauhen Mengen wie Angst. Angst ist normale Reaktion auf Abhängigkeit: vom Mietherrn, vom Dienstherrn, vom Warenmarkt, vom Arbeitsmarkt, von der Konjunktur, von der Börse usw. Das Kapital, als Auslöser der alles niederdrückenden Existenzangst, versteht es, sie in hundert handhabbare Ängste umzulegen, die grandios ausbeutbar sind. So gibts für die vielbeworbene Angst vor dem Unfall die Unfallversicherung und für die vor dem Einbruch die Einbruchsversicherung. (Eine gegen Ausbeutung wird meines Wissens nirgendwo angeboten.) Es geht darum, den im Kapitalismus nie versiegenden Quell der Lebensangst gewinnbringend zu kanalisieren. Möglich wird dies dadurch, daß die Menschen dieser Angst dort, wo sie herkommt, aus dem Wege gehen. Ein Glück für die Unterhaltungsindustrie, die daraus z.B. eine Angst vor dem Weißen Hai machen kann, und ein Glück für die Politik, die eine vor der Umweltkatastrophe, eine vor Gewaltverbrechen oder vor Menschen vom „Stamme“ der Nichtösterreicher machen kann. Das kapitalistische Regime macht Angst, und diese kann nutzbringend angewendet werden zur Festigung dieses Regimes. Doppelmühle. (Der Gleichklang der politischen Forderungen Haiders mit denen der großen Unternehmer-Lobbys wurde im vorigen Heft dokumentiert.) Viele Polizisten im Stadtbild heißt nicht, daß viel Gefahr herrscht, nur, daß viel Angst herrscht. je mehr die gefürchteten Nichtösterreicher gejagt werden, desto größer wird die Angst vor den Nichtösterreichern. Je mehr Angst, desto besser. Angst ist Rohstoff für die herrschende Politik.

Bevor man frägt, ob die Leute, die Haider wählen, der bestehenden Ordnung Probleme machen, muß die Feststellung erlaubt sein, daß die bestehende Ordnung den Leuten Probleme macht. Haider wagt es, die Menschen als das zu nehmen, was sie sind: durch Frondienst gedruckte, um Willensfreiheit und Initiative gebrachte Wesen. Das ist das Rezept seines Erfolges. Er packt die Leute dort, wo sie wund sind. Übrigens genau der Ort, auf den die Warenwerbung schon lange abzielt. Iglo will für den Absatz seiner Mohnnudeln die Leute genauso kurzgehalten, wie sie sind: „Man gönnt sich ja sonst nichts!“. Audi braucht, um viel Geld zu machen, die Leute genauso deklassiert, wie sie sind: „Der A4 von Audi. Der attraktivste Einstieg in die Oberklasse.“ Auch Haider wünscht sich, um viele Stimmen zu bekommen, die Leute grad so demoliert, wie sie sind. Er braucht den sich selbst entfremdeten, „ganz normalen, fleißigen Österreicher, der im Leben was schaffen will“ (News, 17.8.95). Er will ihn ganz unter den kapitalistischen Leistungsterror zwingen, damit dieser ihn dann ihm als fette Beute vor die Füße wirft. Haider: „Was wir brauchen, ist eine klare Rückbesinnung auf Werte wie Fleiß, Leistungswille, Arbeitsmoral, Disziplin und Ordnung.“ (Österreich-Erklärung, Wien 1994)

Dafür, daß er ausgenommen werden kann wie eine Weihnachts­gans, präpariert die Lohnarbeit den Menschen schlechtweg ideal. Mein Gott, vielleicht könnte er ein größeres Maul haben, eine belastbarere Leber, vielleicht ein paar Gliedmaßen mehr zum Anbringen von ein paar Modefetzen mehr aber von der psychischen Zurichtung her, muß man sagen, ist er optimal gelungen.

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