Grundrisse, Nummer 18
Juni
2006
Bernd Langer:

Operation 1653

Stay rude – stay rebel

Berlin: Plättners Verlag, 2004, 16,80 Euro

Schlachtenbummler – Erinnerungen eines autonomen Antifaschisten

Weiß noch jemand, was eine „Scherbendemo“ oder eine „Hasskappe“ ist? Wenn nicht, können wir uns mit Bernd Langer auf eine Zeitreise durch die Geschichte der Autonomen in Deutschland begeben. In seinem Buch „Operation 1653“ schickt ihn eine dubiose ORGANISATION auf eine Art Schnitzeljagd zu den Hochburgen der autonomen Bewegung. Bernd Langer, Autonomer der ersten Stunde, bettet seine persönlichen Erinnerungen in diese fiktive Rahmenhandlung ein. Er führt durch die Schlachten um die Startbahn-West, über Anti-Nato Riots bis zur legendären Autonomen Antifa (M) in Göttingen, von der 17 Mitglieder 1995 unter dem Vorwurf „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ (§ 129a) vor Gericht gestellt wurden.

Langer, der heute vorwiegend als Künstler tätig ist, versucht in seinen Erinnerungen, politische wie persönliche Niederlagen aufzuarbeiten und stellt sich die Frage, was Straßenschlachten und schwarzer Block gebracht haben. Da ich in der letzten Nummer der „grundrisse“ von der Linken Erinnerungsarbeit eingefordert habe, möchte ich Langer‘s Selbstreflexionen ausführlich besprechen. Außerdem machte auch ich Anfang der 90er Jahre – im Dunstkreis der Autonomen-Szene – in Göttingen Politik, obwohl ich einer kommunistischen Gruppe angehörte.

Aus heutiger Sicht ist die Radikalität der damaligen Auseinandersetzungen kaum mehr verständlich. Der Tod der Autonomen Conny Wessman bei einer Demonstration sowie der Nazi-Mord an Alexander Selchow radikalisierte die Gemüter. So wurde Göttingen – neben Berlin und Hamburg – zu einem weiteren Zentrum der autonomen Szene in Deutschland, wo Demonstrationen mit bis zu 20.000 Menschen stattfanden.

Langer beschreibt ausführlich die gewalttätigen Angriffe auf Nazizentren sowie die Straßenschlachten mit der Polizei. Dabei ist er ganz Sportsmann: Von „Weicheiern“, Pazifisten und „peacenix“ hält er nichts. Er wirft der Polizei nicht – wie sonst oft üblich – vor, angefangen zu haben. Solange keiner stirbt scheint alles in Ordnung zu sein. Gewalt sieht Langer nicht nur als notwendiges Übel, vielmehr beschreibt er eindringlich den „Kick“ dabei. Für die autonome Bewegung scheint sich Langer eher wegen ihrer Militanz als wegen ihrem Anspruch, eine herrschaftsfreie Organisationsform zu schaffen, begeistert zu haben. Inhalte waren ihm zweitrangig. Wie er einräumt, interessierte ihn das Für oder Wider von Atomkraft kaum, wichtig war der militante Kampf der Anti-Atombewegung gegen den Staat. „Ich glaubte an die Kampfgemeinschaft (...) Die Kämpfenden schaffen aus dem Kampf die neue Welt“, fasst er seine damaligen Ansichten zusammen.

Im Unterschied zu vielen seiner studentischen Mitkämpfer kommt Langer aus der ArbeiterInnenklasse. In der Fabrik, wo er schwerste körperliche Arbeit verrichtete, lernte er die Arbeiter eher als Duckmäuser und Sexisten kennen. An das Proletariat glaubte er nicht. Dafür trieben ihn Entschlossenheit, Mut und Organisationstalent an. Etwas selbstironisch berichtet der militante Autonome wie er schon als Kind vom Krieg als große menschliche Prüfung fasziniert war und Jugendschützenkönig wurde. Ironisch fragt er sich, ob er das Konzept der Bündnisdemonstrationen der Antifa (M) schon während der Bandenkriege in der Grundschule entwickelt hatte.

Anfang der 90er Jahre erkannten viele Autonome, dass Militanz allein nicht ausreichte. Unter maßgeblichem Einfluss von Langer organisierte die Antifa (M) mit Gewerkschaften und Grünen bundesweite Bündnisdemonstrationen gegen neofaschistische Zentren in Süd-Niedersachsen: Tausende TeilnehmerInnen demonstrierten unter der Führung eines mit Helmen ausgerüsteten schwarzen Blocks Die Polizei tolerierte zeitweise diese permanenten Verstöße gegen die Demonstrationsordnung und das Vermummungsverbot. Jedes Durchsetzen von Übertretungen wurde als Sieg im Krieg gegen die Polizei gefeiert. Heute frage ich mich, wer außer dem Verfassungsschutz sich sonst noch dafür interessierte.

Die M verband autonome Inhalte mit einigen leninistischen Organisationsprinzipien: Ihre Mitglieder wurden durch Aufnahmegespräche selektiert und nach außen musste man geschlossen auftreten, beschreibt Langer die Organisation. Symbole der „Antifaschistischen Organisation“ der KPD aus den 30er Jahren wurden mit Helm und schwarzem Kampfanzug kombiniert. Das brachte der M den Vorwurf der „Macker-Militanz“ ein, obwohl auch viele Frauen im M-Look auftraten.

Langers Buch zeigt für mich deutlich, dass die Autonomen in den 90er Jahren mit ihrem Anspruch, Organisationsformen ohne Hierarchie zu schaffen, völlig gescheitert sind. Langer selbst beschwert sich über informelle „In-Gruppen“, die faktisch die Entscheidungen trafen. Die diversen autonomen Gruppen waren sich nicht weniger spinnefeind als die K-Gruppen zehn Jahr zuvor. Laut Langer soll die Antifa (M) für eine Gesellschaft nach dem Räte-Modell eingetreten sein. Außenstehende merkten jedoch nichts davon und nahmen die Gruppe eher als theoriefeindlich war. Der große „Organisator“ räumt selbst ein, dass politische Parolen - wie „Kampf dem Faschismus heißt Kampf dem imperialistischen System“ oft in der Gruppe übernommen wurden, ohne genauer hinterfragt zu werden, wenn sie nur von den mutigsten KämpferInnen aufgestellt wurden.

Antifaschismus trat zeitweise hinter die Vergewaltigungsdebatte in der Szene an zweite Stelle, nachdem auch sexistisches Verhalten von linken Männern in der Szene offen thematisiert wurde. Frauen sollten selber bestimmen können, was eine Vergewaltigung ist (egal ob ein lüsterner Blick oder Angrabschen). Die Anschuldigungen der Frauen zu hinterfragen, wurde als zweite Vergewaltigung angesehen. Langer erzählt von „Prozessen“ im autonomen Zentrum, wo hunderte Personen im Kreis um einen Mann standen, der auf einem „heißen Stuhl“ saß und Reue bekennen musste. Manche dieser Männer verließen die Stadt. Seiner Meinung nach arteten Beschuldigungen oft aus, da es auf Grund der autonomen Strukturen keine Definition von Vergewaltigung geben konnte und unklar war, wer überhaupt Beschlüsse fassen und durchsetzen konnte. In dieser Frage seien die Autonomen – wie in allen anderen Bereichen – an ihren Ansprüchen gescheitert, so Langer. Mir persönlich stellt sich die Frage, wie linke Bewegungen über ihre eigenen Mitglieder „Recht“ sprechen können, ohne dabei hinter den bürgerlichen Rechtsstaat zurückzufallen.

Nach Einstellung der Prozesse wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ (§ 129a) hatte die autonome Szene in Deutschland ihren Zenit überschritten. Wie Langer anmerkt, gelang es der Bewegung außerdem nie, Menschen über 30 Jahre zu integrieren. Mit 30 entschieden sich dann doch die meisten für Karriere oder/und Familie.

Eine Antwort, warum die autonome Bewegung gescheitert ist und was man stattdessen machen könnte, bleibt Langer am Ende schuldig. Seine schmerzhafte Reise in die eigene Vergangenheit spiegelt jedoch ein wichtiges Kapitel der Geschichte der Linken in der BRD wider. Langer’s Selbstreflexionen machten einzelne Erfolge beim Kampf gegen neo-faschistische Zentren, aber auch das Scheitern der eigenen Ansprüche einer Organisationsform, die Elemente einer befreiten Gesellschaft schon vorweg nehmen sollte, deutlich. Die fiktive Schnitzeljagd im Buch wirkt etwas aufgesetzt und die Analyse der Rembrandt-Bilder ist wohl eher für KunstliebhaberInnen interessant. Aber auch wenn das Buch kein literarisches Meisterwerk ist, ist es sehr spannend und reißt LeserInnen mit.

Etwas zu kurz kommt der gesamt-gesellschaftliche Hintergrund. Meiner Meinung nach ist der Aufschwung des autonomen Antifaschismus nur vor dem Hintergrund einer Welle von Nationalismus und Rassismus nach der deutschen Wiedervereinigung verständlich: Einige Zeit brannten Nacht für Nacht Asylbewerber-Heime und die CDU-Regierung unter Helmut Kohl unternahm lange nichts dagegen. Damals kannte ich kaum Linke, die nicht irgendwie „Anti-Deutsch“ waren. Die Autonomen waren oft die Ersten, die auf rechtsradikale Strukturen und Netzwerke überhaupt aufmerksam machten.

Mit dem rot-grünen Wechsel 1998 veränderte sich der Politikstil in Deutschland. Schröder rief zum „Aufstand der Anständigen“ gegen den Rechtsradikalismus auf. Die NPD sollte verboten werden. Die neue Regierung nahm deutlich Abstand von den Vertriebenenverbänden. Der Antifaschismus wurde zur Regierungsdoktrin der 68er Generation. Auschwitz musste nun sogar für die Bombardierung von Jugoslawien herhalten. Im Zuge der Globalisierung sahen auch grosse Teile des Kapitals rassistische Gewalt als „Standortnachteil“ an. Die rot-grünen MinisterInnen bedienten den Antifa-Jargon und nahmen der Bewegung damit den Wind aus den Segeln. Eine fundierte Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung hatte die Autonomen nie interessiert. Oft waren Verschwörungstheorien vom bevorstehenden „4.Reich“ der Antrieb, Politik zu machen. Unterschieden sich die autonomen AntifaschistInnen von der Regierung nur noch durch ihre Militanz? Die Ablehnung des Irakkrieges und die anti-amerikanische Rhetorik von Schröder konnte sowohl Teile der Linken als auch der Rechten wieder ans System binden.

Rechtsradikale Netzwerke sind deshalb keineswegs verschwunden und müssen weiter bekämpft werden. Das Buch von Langer wirft für mich einige Fragen auf, die weder theoretisch noch praktisch beantwortet sind: Wie kann eine Bewegung militant sein ohne dem Fetisch Gewalt zu verfallen? Wie können wir uns organisieren ohne formelle und informelle Herrschaft immer wieder zu reproduzieren? Ist es möglich in unseren Organisationen und Netzwerken, Elemente einer befreiten Gesellschaft hier und heute zu verwirklichen?

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