MOZ, Nummer 57
November
1990
Abtreibung

Östmarkige Sprüche zur Fristenlösung

Proteste gegen die Verteufelung der ‚Pille danach‘

Die besondere Form des üblen Gewissens, welche sich in der Art der Beredsamkeit, zu der sich jene Seichtigkeit aufspreizt, kundtut, kann hierbei bemerklich gemacht werden; und zwar zunächst, daß sie da, wo sie am geistlosesten ist, am meistem vom Geiste spricht, wo sie am totesten und ledernsten redet, das Wort Leben und ins Leben einführen, wo sie die größte Selbstsucht des leeren Hochmuts kundtut, am meisten das Wort Volk im Munde führt. Das eigentümliche Wahrzeichen aber, das sie an der Stirne trägt, ist der Haß gegen das Gesetz.

(G.W.F. Hegel)

Treffender läßt sich die gegenwärtige — an der Debatte um die ‚Pille danach‘ (RU 486) — wieder aufgebrochene Antifristenlösungskampagne kaum beschreiben: Volk(s)-Geist-ins-Leben einführen; oder kein geistiges Volk ohne Verlebendigte; oder usw. usf. In einem Land (A), das seit 15 Jahren eine der fortschrittlichsten Abtreibungsregelungen (allgemeine dreimonatige Fristenlösung) hat, beispielsweise gegenüber der BRD (B) mit der Indikationslösung, wehen neue alte unerhörte Töne, die Gott sei’s gedankt und gepfiffen wider die Pfaffen, nicht ungehört geblieben sind, den Frauen (denn um die geht es ja eigentlich) in die Ohren: „Ärzte, die Abtreibungen durchführen, sind Mörder und müssen strafrechtlich verfolgt werden. Wie auch abtreibende Mütter, sie sind ebenfalls Mörderinnen. Abtreibungskliniken sind Todes-Kliniken wie KZs.“ (Vinzenz Liechtenstein, ÖVP-Bundesrat, Chef des vom Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie geförderten Vereins „Familienkongreß“. Wer A sagt muß dann doch noch mal B sagen? Und die Ministerin desselben Ressorts, Dr. M. Flemming, entflammt sich: „Wenn auch die Frau von einer ungeplanten Schwangerschaft am stärksten betroffen ist, so muß dafür der Mann umso verantwortlicher mitdenken und mitentscheiden. (hvg. B.K.) Es herrscht bei allen verantwortungsvollen Menschen Übereinstimmung darin, daß die Abtreibung auf keinen Fall eine Form der Empfängnisregelung ist. Abtreibung ist Tötung menschlichen Lebens. Der Schutz des menschlichen Lebens ist die vornehmste und dringlichste Aufgabe der Politik“ — na so was — „Die Ehrfurcht vor dem Leben muß uns bei allen grundlegenden Entscheidungen leiten.“ Offensichtlich liegt die Verwechslung darin, daß die ehrliche Furcht tatsächlich vor dem Leben besteht. Die Worte, entnommen der Broschüre „Glückliche Paare — Wunschkinder“ muten zynisch an in Hinblick auf die Realität: jährlich steigende Scheidungsraten (jede 4. Ehe), wobei zwei Drittel von Frauen eingereicht werden. Obwohl die Familienministerin sich zur Straffreiheit von Abtreibungen bekannte und das Empfängisverhütungsverbot seitens der Kirche ungeheuerlich findet, steht sie in der für Frauen allgemein gültigen schizophrenen Situation des weiblichen Status des fundamentalen Selbstopfers für ‚das Andere‘: „Weil ich auch die Frau als ein Opfer betrachte. Eine Frau, die tatsächlich ihr Kind in ihrem eigenen Körper töten läßt, in was für einer verzweifelten Situation muß diese Frau sein? Wissen Sie, der Körper einer Frau ist so toll eingerichtet: Nie wieder — vorher oder nachher — ist das Kind so beschützt wie in diesem Körper. Die Frau kann schon tot sein, das Kind lebt noch, die Frau wird gestoßen, geschlagen — das Kind ist geschützt. Dort, wie das Kind so sehr geschützt ist wie nie wieder in seinem Leben, wo ich es ganz eng bei mir hab, in mir drinnen — da läßt eine Frau ihr Kind töten. Was muß man dieser Frau angetan haben, wie sehr muß die Gesellschaft sie alleine lassen, daß eine Mutter, eine Frau, bereit ist, ihr Kind in ihrem Körper töten zu lassen. Ich finde, das ist das ärgste, was man einer Frau antun kann ...“ (Interview aus: ANSCHLÄGE 10/90) So muß man wohl, wie eine „Presse“-Leserin meint, „den Gegnern der Abtreibung und des RU 486 ehrliche, unpolitische Motive zubilligen ... Ich kenne viele Leute, die gegen die Abtreibung sind. Einfach aus Gewissensgründen. Diese Leute haben überhaupt keine politischen Interessen und Motive.“ Nein, überhaupt nicht, denn wie der Präsident der „Aktion Leben“ Dr. W. Schaffelhofer schreibt, ist es wichtig, „einen Einstellungswandel herbeizuführen, der Wert und Würde des geborenen wie des ungeborenen Lebens respektiert in allen Phasen seiner Existenz.“ Angesichts der Verdoppelung der Menschheit in nur 39 Jahren („Global 2000“, Report 1980), die die Gattung Mensch entsichert und die Biosphäre gefährdet, und angesichts des Faktums, daß Abtreibungsverbote nie das ‚ob‘, sondern immer nur das ‚wie‘ beeinflußten, ist der neuerliche Versuch der Deprivatisierung des Selbstbestimmungsrechtes der Frauen (noch) natürlich ein Politikum.

Schutz dem ungespritzten Leben

Umso mehr, als die Abtreibungsfrage vor bald zwanzig Jahren den Auslöser für die neue Frauenbewegung bildete, die nun dieses existenzielle Recht der Selbstverfügung über den eigenen Körper gegen die gleichen Argumente verteidigen muß. So als wäre nichts gewesen, argumentieren Vertreter der katholischen Kirche, die sich in Österreich noch und wieder einen überdimensionalen öffentlichen Sprachraum herausnehmen. Wer das Ungeborene tötet, befindet der Wiener Erzbischof Kardinal Groer, durchkreuzt die Pläne Gottes. Doch da die ‚Pläne Gottes‘ auch theologisch bekanntlich unerforschbar sind und sich als solche lediglich als Pläne von ledigen Männern geprägter Moralvorstellungen entlarven lassen, ist kirchliche Herrschaftssicherung in Zeiten realschwindender Einflußmöglichkeiten evident. Nämlich, man höre und staune: Der Nutzen anderer dürfe niemals einer menschlichen Person das Lebensrecht absprechen, auch nicht der jüngsten. Wer nun zu wessen Nutzen wem was abspricht, steht ja gerade zur Frage. Der Kardinal begeht offenkundig den Kardinalsfehler, Naturrecht mit dem Gesellschaftsrecht zu verwechseln, wobei schon ersteres nichts an und für sich Seiendes darstellt, sondern als zwar außer uns Existierendes, doch nur durch uns bestimmt werden kann, indem er den Fötus schon zur Person deklariert. Obsolet, sich vorzustellen, daß ein Embryone bereits eine namentliche Maske trägt, d.h. ein bürgerliches Rechtssubjekt repräsentiert. Wie der Vorarlberger Bischof K. Küng reaktionär feststellt, verurteilte die Kirche von Anfang an die Fristenlösung und habe diese Haltung auch nie verändert. Untröstlich ist Mutter Kirche über die vielen Ungeborenen, „die sterben ohne Namen und unbeachtet, obwohl vielleicht gerade unter ihnen jene Menschen sind, die unsere Welt verbessern, die Krankheiten besiegen, das Wissen mehren könnten ...“ (O-Ton Groer). Es ist banal, den Sarkasmus dieser Aussage angesichts täglich weltweit 40.000 verhungernder Kinder und jährlich 200.000 an Abortus sterbender Frauen zu erwähnen. Doch „in einem für eine Demokratie völlig normalen Vorgang“ werde es möglich sein ein neues Gesetz anzustreben, „das nicht die Frauen bestraft, sondern Sanktionen gegen die wirklich Schuldigen vorsieht.“ Wie, doch eine Veränderung? Schuldig gesprochen werden die Familien der unglücklichen Frauen, die Väter der Ungeborenen, die Ärzte und die Kliniken. Verbot ja, aber keine Bestrafung. „Irgendwie paßt das nicht zusammen. Den Frauen wird hier ganz offensichtlich abgesprochen, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen. Reduziert auf einen Kleinkindstatus, dürfen sie zwar Verbotenes tun, sollen dafür aber nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die Frau, die Unmündige, die MAN nicht für voll nehmen kann, denn sie weiß ja gar nicht, was sie tut.“ Dieser Feststellung einer Vertreterin des Bundes Demokratischer Frauen auf einer ersten Frauenkundgebung im Zentrum von Wien Anfang Oktober ist zuzustimmen. Immer noch scheint der Philosoph Fichte unangefochten zu sein. Er schrieb vor etwa 200 Jahren: „Man bemerke wohl, das Weib ist nicht unterworfen, sodaß der Mann ein Zwangsrecht auf sie hätte, sie ist unterworfen durch ihren eigenen fortdauernden notwendigen und ihre Moralität bedingenden Wunsch, unterworfen zu sein. Sie dürfte wohl ihre Freiheit zurücknehmen, wenn sie wollte: aber gerade hier liegt es; sie kann es vernünftigerweise nicht wollen ... also ist der Mann der Verwalter aller ihrer Rechte; sie will, daß dieselben behauptet und ausgeübt werden, nur inwiefern er es will. Er ist ihr natürlicher Repräsentant im Staate und in der ganzen Gesellschaft.“ Ein alter Hut? Ja eben. Hätten Frauen Bärte anstelle ihrer Befürchtungen und Forderungen, müßten sie permanent darüber stolpern — so lang wären diese schon: Gründliche Sexual- und Verhütungsaufklärung; kostenlose Vergabe der letzeren; Erforschung unschädlicher Verhütungsmittel — auch für Männer (nur — wer weiß dann, ob sie diese auch nehmen?); Schwangerschaftsabbruch in allen öffentlichen Krankenhäusern auf Krankenschein — auch durch die Einnahme von RU 486. Noch gibt es dieses Präparat in Österreich nicht, denn der Hoechstkonzern weigert sich, auszuliefern, solange keine nationale Einstimmigkeit besteht, denn alle Seiten drohen mit Boykott. In einer witzigen Verkehrung unterstellen gerade die konservativen Kreise den Pillenvertreibern Profitgier. Traditionell bekannte argumentative Polarisierungen scheinen sich überhaupt umzudrehen.

In einer Presseaussendung der Gruppe „Junge Frauen und Männer“, die freitäglich vor dem Wiener Ambulatorium für Schwangerenhilfe Kerzen für die Ungeborenen aufstellt und die die Klinik verlassenden Frauen lauthals diffamiert (beschimpfen, bespucken), heißt es zum Thema ‚Todespille‘ „Durch Vereinfachung der Tötung wächst der gesellschaftliche Druck auf die Mutter, sich gegen das Leben ihres Kindes zu entscheiden. Es ist ein weiteres Werkzeug für eine von Männern dominierte Gesellschaft.“

Vielleicht gilt es, alles noch einmal von vorne zu diskutieren. Anarchisch sozusagen — ohne Anfang. Ohne Ende? Einige Fragen bedürfen einer differenzierten Klärung. Was hat es auf sich mit der doppelten ‚Leibeigenschaft‘ der Frau? Was kann Selbstbestimmungsrecht jenseits von Selbstinstrumentalisierung („Mein Bauch ‚gehört‘ mir“) und Fremdinstrumentalisierung (Gentechnologie) heißen? Wie geht frau vorsichtig mit neuen ‚extraweiblichen‘ Präparaten um? Und last not least, wie steht es um den heißdiskutierten Begriff der sogenannten Zwangsheterosexualität, die ja im Grunde der Hut über all diesen Verhütungen ist.

Doch was in keinem Fall zur Falle werden darf, ist der folgende Fall: In der Pressemappe vom 2.10. der „Geborene für Ungeborene“ war folgendes prägnantes Schriftstück beigelegt, das zur ‚heiteren‘ Imprägnierung in Gänze wiedergegeben werden soll:

Spätfolgen einer Abtreibung — eine Betroffene berichtet

Als Betroffene möchte ich zur seelischen Belastung und den psychischen Spätfolgen einer Abtreibung Stellung nehmen.

Als ich mit knapp 16 Jahren schwanger wurde, fand ich keine Unterstützung, das Kind zu bekommen, weder durch die Familie meines Freundes noch durch meine Eltern oder Freunde. Alle verstanden unter Unterstützung, mir zu helfen, dieses ‚Problem‘ aus der Welt zu schaffen.

Da ich selbst unter Angstzuständen und starker Übelkeit durch die Schwangerschaft litt, war ich zunächst fast erleichtert über die Möglichkeit einer Abtreibung.

Als ich jedoch im Spital auf den Operationstisch gelegt wurde, setzten schlimme Zweifel und erste intensive Schuldgefühle anstelle des bisher vorherrschenden Selbstmitleids ein.

Nach dem Erwachen aus der Narkose war dann das Bewußtsein von Schuld klar vorhanden. Da es für mich damals keine Autorität gab, die mich für diese Schuld bestraft hätte, fürchtete ich fortan Schicksalsschläge und litt unter permanenten Angstzuständen. Schuld und Angst wirkten sich in weiterer Folge in Form von Existenzängsten, Eifersucht und Intrigen in der Ehe aus. Nicht zuletzt auf Grund dieser Last brach meine Ehe schließlich zusammen.

Völlig überfordert durch die Tatsache, nun auch alleinverantwortlich für zwei Kinder zu sein, brachen Hemmschwellen gegenüber neuen sexuellen Beziehungen. Ich erhoffte mir dadurch seelischen Halt. Die aus der Schuld hervorgegangenen Verhaltensweisen wie Selbstbetrug, Angst, Manipulation und Lüge hatten mich jedoch in der Zwischenzeit völlig beziehungsunfähig gemacht.

Ich konnte Befreiung von meiner Schuld nur durch eine persönliche Beziehung mit Jesus Christus erfahren. Dies bedurfte allerdings einer freien persönlichen Entscheidung, die die meisten von Abtreibung betroffenen Frauen nicht in Anspruch nehmen. Aus zahlreichen Gesprächen mit Leidensgenossinnen weiß ich, daß meine Geschichte kein Einzelschicksal darstellt.

In Zukunft sind weitere Aktionen seitens verschiedenster Gruppen der Frauenbewegung geplant, um das rollback längst überwunden geglaubter Moralitäten wenigstens aufzuhalten.