FORVM, No. 259/260
Juli
1975

Otelo spricht

Ordnung & Arbeit, für einen iberischen sozialistischen Block!

Aus einem Interview, das der Brigadegeneral und COPCON-Kommandant Otelo Saraiva de Carvalho der italienischen Linkszeitung Lotta Continua gab (im Dreigestirn des Direktoriums vom 25. Juli vertritt Carvalho das Prinzip der Unterwerfung der Räte unter ein Militärregime, Gonçalves die KP, Costa Gomes die Rechte).

Das COPCON (Comando Operacional do Continente, Kontinentales Operationskommando) wurde in der Zeit der Krise der ersten provisorischen Regierung geschaffen, im Juli 1974, als der Spinola-Anhänger (Premierminister) Palma Carlos vertrieben und General Vasco Gonçalves Premier wurde. Es befaßt sich mit operativen Aufgaben. Es ist das Hauptquartier, das das Kommando über sämtliche Kräfte des Heeres innerhalb des Landes hat. Darüber hinaus verfügt es direkt über Einsatzkräfte, wie beispielsweise das RAL 1, zwei Kompanien Fallschirmjäger und eine Abteilung Marine-Infanteristen, die dauernd zu unserer Verfügung stehen. Nicht zur ständigen Verfügung stehen uns Flugzeuge und Schiffe.

Wir sind sozusagen der Hauptgarant der öffentlichen Ordnung. Unsere Aufgabe ist es, Gewalttätigkeiten zu verhindern. Die Leute brauchen eine gewisse Ruhe, das ist normal. Die Aktionen, die wir durchgeführt haben, betrafen den Kampf gegen das Rauschgift, gegen die Prostitution, gegen Diebstähle, gegen die organisierte Kriminalität. Dabei arbeiten wir mit der Polizei zusammen. Darüber hinaus versuchen wir stets, Zusammenstöße während der Kundgebungen zu vermeiden. Was direkte Aktionen wie Besetzung von Häusern oder Land angeht, haben wir immer die gerechten Forderungen des Volkes unterstützt.

Wenn wir als MFA uns an den Wahlen beteiligt hätten, hätten wir gewonnen. Die Parteien sind in Wirklichkeit nicht sehr verankert, und außerdem bekämpfen sie sich in einer Weise, die manchmal die Einheit an der Basis behindert. Es gibt Parteien, die kontrollieren — in Wirklichkeit kontrollieren sie nicht, sagen wir: beeinflussen — große Massen, wie die PCP (Kommunistische Partei) und die PS (Sozialistische Partei). Dann gibt es einige Organisationen der extremen Linken, die ein gewisses Gewicht haben. Schließlich gibt es die PPD, die — obwohl sie keine Arbeiter in ihren Reihen hat — mehr als eine Million Stimmen bekam. Wir können nicht einfach die kleinere und mittlere Bourgeoisie zurückweisen, die dieser Partei folgt. Wir müssen die Großbourgeoisie bekämpfen, die die Politik der PPD bestimmt, das allerdings!

Im Prinzip, daß wir in sozialistischer Richtung voranschreiten, sind wir uns im MFA einig. Der eine „zieht“ mehr, ist fähig, weiter voranzuschreiten, hat mehr politische Sensibilität — dann gibt es andere, die weniger mutig sind, um es mal so auszudrücken. Die politischen Parteien rechneten von Anfang an mit der Entpolitisierung der Streitkräfte und glaubten an eine rasche Gewinnung der Militärs. Zuerst näherte sich die PCP den Kasernen, dann kamen die Sozialisten, alle suchten ihren Platz. Im Moment ist es die extreme Linke, die am meisten Gewicht hat, vor allem unter den Soldaten — aber die Mehrheit unterstützt die Vorstellungen der MFA, mehr als sie den Parteien folgt.

Was ich möchte, und was meiner Meinung nach die Hauptaufgabe in den Streitkräften sein soll, das ist die Umwandlung der regulären Streitkräfte in eine Volksarmee. Ich meine, daß die Bedingungen dafür vorhanden sind. Vom Ende der fünfziger Jahre an waren unsere Streitkräfte einem Prozeß der Proletarisierung unterworfen. Zuerst kamen die Offiziere ausschließlich aus den herrschenden Klassen, die ihre Söhne auf eine militärische Karriere schoben. Später, als Folge der Zunahme der Schulbildung, kamen auch Jugendliche aus dem Volk in die Offiziersränge. Der „Putsch“ hatte ein linkes Kennzeichen, es bestand von Anfang an die Möglichkeit, einen großen Teil der durch das alte Regime kompromittierten Dienstgrade zu entfernen. Die Reaktionäre, die Aristokraten, die nicht bereit waren, sich der neuen Demokratie zu unterwerfen, wurden nach und nach rausgeschmissen.

Nach dem 25. April wollten die Leute weniger arbeiten und mehr verdienen, das ist ja ganz natürlich. Das hat ein allgemeines Sinken der Produktion hervorgerufen, deren Folgen sehr ernst sind. Irgendwie muß man dieses Problem lösen. Es ist nötig, daß gearbeitet wird, sonst gehen wir einer Katastrophe entgegen. Es liegt auf der Hand, daß man sich den Arbeitskämpfen nicht entgegenstellen darf. Wir denken sicher nicht daran, die Streiks anzugreifen. Aber notwendig ist eine Propagandakampagne, um allen zu erklären, vor welche Probleme die nationale Wirtschaft gestellt ist.

Der sozialistische Block hat sich uns gegenüber, um die Wahrheit zu sagen, sehr freizügig geöffnet. Aber wir wollen von keiner Supermacht abhängig sein. Sicher, wir wissen, daß unser Land wirtschaftlich noch abhängig ist und das für einige Zeit bleiben wird. Wir sind ein recht armes Land, zurückgeblieben, sehr produktionsschwach. Ein Land, das die Mehrzahl seiner verbrauchten Produkte einführen muß, und das seine Reserven in eindrucksvollem Tempo verbraucht. Die Öffnung, die uns die sozialistischen Länder und die Dritte Welt anbieten, muß grundlegend genutzt werden, um Bedingungen zu schaffen, die uns eine wirkliche Unabhängigkeit garantieren können. Wir können und dürfen uns nicht an einen Block allein binden.

In gewisser Weise ist unser Verbleiben in der NATO eine Sicherheitsfrage, da die USA größere Schwierigkeiten mit einer Invasion unseres Landes hätten, wenn wir ein mit ihnen verbündetes Land sind. Ein Austritt aus der NATO würde uns sicher in größere Gefahr bringen.

Wenn eine sozialistische Linie auch in Spanien siegen würde, das sozusagen ein „Land in Auflösung“ ist, könnte man einen iberischen sozialistischen Block bilden. Das wäre ein sehr wichtiger Ausgangspunkt für Europa. Ein Aufflammen, eine Explosion der Freiheit auf dem ganzen Kontinent in diesem Moment einer schweren weltweiten Krise des Kapitalismus — ich weiß nicht, welche Folgen das haben könnte. Zum ersten Mal nähert sich die Revolution direkt dem Zentrum des kapitalistischen Systems.

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