Wurzelwerk, Wurzelwerk 6
Dezember
1981

Phänomen Drogen

Information statt „Aufklärung“

Vergessen wir wenigstens für kurze Zeit die Massenmedien, denn hier wird die Diskussion in eine völlig falsche Richtung gelenkt. Das Ludwig-Boltzmann-Institut/Abt. für Suchtgiftforschung konstatiert in den letzten Jahren eine auffällige Zunahme der Berichterstattung. Tenor: mehr Drogen, mehr Festnahmen, mehr Polizisten ... Erfolg. Forderungen: mehr Kontrolle, höhere Strafen ... die „Drogenwelle“. Differenziert wird überhaupt nicht.

Federführend in der Hetzkampagne, in der Schaffung einer neuen gesellschaftlichen Unterschicht, in der Züchtung von Außenseitern (braucht die ach so weiße Weste staatlich ordentlicher Rechtschafffenheit immer schwarze Schafe?) sind die Nationalratsabgeordneten Lichal und Ofner. In ihrem Schatten tummelt sich eine wachsende Riege von „Drogenexperten“, die den Ruf nach Recht und Ordnung, nach Kontrolle, in letzter Zeit vor allem auch nach mehr Behandlung erschallen läßt. Differenziert wird kaum.

Kräuter, pur oder aufbereitet als Drogen verwendet, gibt es länger als den Menschen. Sie enthalten Heilkraft, sind Wegbereiter der Magie und Mystik, gehören zum religiösen Ritus — und verändern das Bewußtsein. Es gibt ja auch nicht nur eines.

Sie können aber auch schaden, ablenken, verzerren, zerstören. Es ist eine Frage der Wahl des Mittels, insbesondere auch der Dosierung. R. Kraus gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die gebräuchlichsten Substanzen, den ich hier mit einigen Anmerkungen ergänzen möchte.

Müßig, über den Alkohol viele Worte zu verlieren. Trotz Glorifizierung und geradezu standardisierter Ritualisierung sind seine Auswirkungen auf die Volksgesundheit, auf die Sicherheit im Straßenverkehr, auf Klinikkosten, auf Eheglück und gute Beziehungen, auf Steuereinkommen und Anbauflächen etc. irgendwie publik.

Opiate, vor allem das Heroin entspringen der medizinisch-pharmazeutischen „Heilkunst“. Ähnlich heutigen Tranquilizern, Downern oder Muntermachern wurde auch die tödlichste aller Drogen noch Anfang dieses Jahrhunderts von großen Pharma-Konzernen in Inseraten weltweit beworben (siehe obenst. Abb.) Hans-Georg Behr beschreibt in seinem Bestseller „Weltmacht Droge“ eindringlich die Verflechtung von (il)legalem Waffen- und Heroinhandel. Heroin macht ein paar Leute schnell reich und sehr viele unglücklich, leidend, krank, tot.

Anders liegt die Situation bei den sogenannten Halluzinogenen, obzwar auch hier teilweise gravierende Unterschiede festzuhalten sind. Kokain etwa kann die Fantasie eines Künstlers, aber auch die Ausdauer eines Schwerarbeiters wesentlich erweitern, ist es jedoch rasch greifbar, kommt es immens schnell zu psychischer und physischer Abhängigkeit. Vom Zahn- oder Schleimhautverfall zur manischen Depressivität ist es nicht weit. Vom Pleitegeier umschwärmt, verschwindest du, oft auf Nimmerwiedersehen in einem Anbaugebiet. Coca-Cola hält Jung ... LSD ist ein synthetisches Produkt, das in deinem Kopf alle Wunder und Schrecken dieser Welt hervorzuzaubern weiß. Du kannst viel gewinnen, du kannst aber auch alles verlieren — den Kopf nämlich. Gesellschaft und Milieu spielen gerade bei dieser übersensibilisierenden Droge eine große Rolle. Diskotheken, Hochfrequenzstraßen, Industrieviertel und gespannte Beziehungen sind garantiert ein Risikorahmen.

Die Giftigkeit ıst Immer eine Frage der Dosierung, sagt Paracelsus. Er meinte damit natürlich die Kräuter und Drogen, die auch heimischer Wald und Flur zu bieten haben. Ich verweise auf S. Golowin: „Die Magie der verbotenen Märchen“ — von Hexendrogen und Feenkräutern (Merlin Verlag /Hamburg).

Zu ihnen zählt zweifellos der Hanf, heute weitaus bekannter als Marihuana und Haschisch. Er wächst außer in ausgesprochenen Kältezonen auf dem ganzen Erdenrund, und das seit Jahrtausenden. In vielen Ländern ebensolange Kultdroge wie Heilkraut wurde er auch bei uns bis vor wenigen Jahrzehnten in ländlichen Gebieten ganz profan in der Knasterpfeife benutzt. Hanfhecken dienten zu Abschreckung gegen böse Geister. Positiver Nebeneffekt war der binnen kurzer Zeit herzustellende hervorragende Windschutz. Teile der Pflanze finden Verwendung für Stricke und Stroh. Die medizinischen Indikationen reichen von einer Pflege der Atemwege und -organe bis hin zur Verdauungsförderung. In einigen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten bedient sich schon die Krankenkasse dieses Wissens. (Möglicherweise stehen im Nachbarstaat hohe Strafen auf den Genuß von ein paar Joints. Das U.S.-Recht ist markant förderalistisch). In unsere Breiten kam in den Sechzigerjahren auch die Hippie-Bewegung. Und mit ihr fernöstliche Kult- und Drogenpraktiken. Das aus der Hanfpflanze gewonnene Harz, Cannabis, Haschisch wurde von Morgenland- und Afrikafahrten mit nach Hause gebracht. Heroin gab es auch damals schon, jedoch in ziemlich geringem Umfang.

Amerikas Militärpolitik, insbesondere im „goldenen Dreieck“, ließ viele G.I.s eine lukrative Einkommensquelle erschließen. „Brown Sugar“, thailändisches Heroin, begann den europäischen Markt zu erobern — im Umfeld der U.S.-Basen. Die Vorräte von Haschisch-Dealern wurden unter Morddrohungen aufgekauft, und plötzlich gab es monatelang an allen Ecken billigstes und bestes „H“, aber kaum mehr ein Stäubchen „Shit“. Konsequenzen: viele „steigen um“, der Gesetzgeber verschärfte die Sanktionen — für alle Drogen —, die Groß- und „white collar“-Kriminalität besann sich darauf, daß Glücksspiel und Prostiution „psychologisch“ erweiterungsfähig wären. Eine Branche war geboren. In einer Zeit, in der verfehlte Wirtschafts- und Umweltpolitik den Menschen immer mehr in die Ecke drängten, immer mehr Fluchtmechanismen wirksam werden mußten, war der Injektionsnadel solides Wachstum beschieden. Natürlich war der Hanf daran schuld. „Einstiegsdroge“, die bald nach „stärkerem“ verlangt. Eine fürchterlich unqualifizierte „Aufklärungskampagne“ begann, Statistiken wuchsen sich aus, selbsternannte „Experten“ bemänteln ihre Profilierungsneurosen.

In den Gefängnisse lernten Kleinhändler und Konsumenten aus der Drogenszene, was sie bisher noch nicht konnten: kriminell sein.

Haftentlassene bekamen das neue Brandzeichen der Gesellschaft zu spüren. Bis sie wieder nur im permanenten Rausch ein abwegiges Entkommen fanden, für kurze Zeit.

Dann kamen die Psychologen und Psychiater. Sie wollten behandeln. Und verlegten sich auf die Bekämpfung von Auswirkungen, von Symptomen. Drogensucht, im heute gegebenen Ausmaß (incl. Alkohol und Pharmazeutika!) signalisiert eine Krankheit der Gesellschaft, ein schweres Leiden an der Umwelt, den Arbeitsbedingungen, am Leben.

Doch der Hebel wurde in Anstalten und Sonderabteilungen, in Kliniken und Labors angesetzt. Reparaturen! Bewußtseinskosmetik, ohne die Wurzeln, die Ursachen zu beseitigen. Erst zögernd und meist in Form von Privatinitiativen setzt sich die Erkenntnis durch, daß man das Pferd nicht vom Schwanz her aufzäumen kann.

Als ich im Februar 1979 das zweifelhafte Vergnügen hatte, an einem monatelang proponierten Club 2 zu dieser Thematik teilzunehmen, verwies ich neben den o.a. Überlegungen auch darauf, daß einhellige Verbote eher zum Schmuggel von „H“ verleiten, da das weitaus voluminösere Haschisch doch ein weit gröBeres Risiko für Profitgeier darstelle. These: der Gesetzgeber schafft die Heroinschwemme selbst. Heftig dementiert hat dies u.a. Österreichs „oberster Drogenjäger“, Min.Rat Fuchs vom Innenministerium. Er verwies auch auf WHO (Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen)-Richtlinien, die dem Hanf latente Gefährlichkeit nachsagen. Vor wenigen Monaten fand wieder ein Club 2 zu diesem Thema statt. Moderator DDr. Nenning sprach von „so einer These“, die da eben behauptete ... Schließlich war H.G. Behr auch zu Gast. Und der behauptete schon lange , daß „an dieser These“ etwas dran sei. Min.Rat Fuchs war auch wieder da: „Es gibt ja diesbezügliche Überlegungen erst seit ein paar Monaten“. Er hat also „Weltmacht Droge“ zumindest gelesen. Was er allerdings nicht sagte, war die Tatsache, daß die WHO den Hanf inzwischen unter die weniger gefährlichen Drogen eingereiht hat. Wie überhaupt immer mehr Fachleute bescheinigen, daß bei mäßigem Umgang (!) weder psychische noch physische Abhängigkeit auftritt.

Im Frühsommer 1979 fand auch eine „Drogen-Enquete“ der ÖVP statt. Schauplatz war deren Politische Akademie. Gesundheitssprecher Wiesinger in bewährter Manier ...

Als ich auch hier meine Erfahrungen und Überlegungen darlegte (und mit einem Hinauswurf rechnete), fand sich im von Lehrern, Eltern und Jugendlichen dominierten Forum sogar eine relative Mehrheit für diese Meinung.

Im folgenden setzten die konservativen Medien ihre „Aufklärungskampagne“ fort.

Dr. Liese Prokop, ehemalige Hochleistungs-Sportlerin und nunmehrige Landesrätin von Niederösterreich, weiß es noch besser: „charakteristisch ist, daß Drogengefährdete den gegenwärtigen Alternativbewegungen positiv gegenüberstehen“. No na net!

Wer vor 10, 12 Jahren „give peace a chance“ oder „stoppt die Rohstoffverschwendung und Umweltverschmutzung“ gerufen hat, wird auch heute, so er nicht irgendwo am „langen Marsch“ hängengeblieben ist, gegen den status quo eintreten. Und wer damals wie heute gelegentlich am Joirıt zieht, ohne zu „Härterem“ zu greifen, weiß immer noch, was er will und was nicht stimmt.

Als die FPÖ vor nicht einmal einem Jahr auch in Wr. Neustadt zur „Drogendiskussion“ rief, eilte auch ich herbei, um vor allem Dr. Prosenz zum Thema zu hören. Echt liberal, gut informiert und differenziert unterschied sich seine Diktion sehr von der jenes Mannes, der auch hier wieder seine diesbezüglichen demagogischen Qualitäten unter Beweis stellte: Dr. Harald Ofner, „freiheitlicher“ Landes-Capo erging sich wiederum im „Einsperren und dunsten lassen“. Mehr „Aufklärung“, mehr „Anstalten“, längere „Verweildauer“. Freiheit?

Die Massenmedien klären weiter auf. „Die Kinder von Bahnhof Zoo“ sind der schlagende Beweis dafür, welche Resonanz das Thema bei entsprechender Aufbereitung findet. Daß damit wenige abgeschreckt, aber wiederum etliche mehr neugierig gemacht wurden, ist auch nur eine These. Daß die Heroinsucht um sich greift, mittlerweile einen Milliarden-Dollar-Markt repräsentiert, ist eine Tatsache. Traurig, daß den meisten Massenmedien immer noch nicht mehr dazu einfällt.

Bottom-Buchtip

Hans-Georg Behr: Weltmacht Droge (Econ-Verlag ISBN 3430112834)
Über die „Entwicklungshilfe“ der Pharma-Multis, die Verflechtungen von Waffen- und Drogenhandel, die globalen Hintergründe der „Drogenszene“. Ein Muß-Buch für alle, die mitreden wollen.

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