ZOOM 4+5/1996
Oktober
1996

„Propagandistische Ausrichtung auf Pazifismus ausgerichtet“

Pressestimmen aus den Anfangstagen des österreichischen Bundesheeres.

„Sensationelle Erklärungen“ vermeldete der „Neue Kurier“ am 18. Mai 1955, drei Tage nach Abschluß des Staatsvertrages: „Raab kündigt Allgemeine Wehrpflicht an.“ Die ÖVP hatte sich auf einem außerordentlichen Parteitag auf die, verglichen mit einem Berufsheer, „unserem Volkscharakter gemäßere Form“ eines Heeres festgelegt. Schon während der Staatsvertragsverhandlungen im April in Moskau hatte der Bundeskanzler klargemacht: „Die vorgesehene Armee dient zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Inneren, aber die österreichische Regierung ist auch bereit, mit dieser Armee die Unabhängigkeit Österreichs zu verteidigen.“

Erneut forderte der Bundeskanzler die Großmächte auf, den Abzug ihrer Besatzungstruppen aus Österreich bis zur Eröffnung der Wiener Staatsoper abzuschließen.

(Neuer Kurier, 18.5.1955)

In einer Umfrage des „Bild-Telegraf“ (21.5.1955) wurde das neu zu errichtende Heer zwar – „für gewisse Repräsentativzwecke“ – begrüßt, die öffentliche Meinung schien aber vor allem noch von den Erfordernissen des Wiederaufbaus bestimmt gewesen zu sein: „Viel wichtiger aber scheint mir zu sein, daß ein Arbeitsdienst geschaffen wird, eine militärische Formation, die auch produktive Arbeit beim Straßenbau, Katastrophenfällen usw. leistet.“ (Anton P., Invalidenrentner von der Landstraße). An der Frage der Disziplin schieden sich die Geister. Helene R., Trafikantin vom Alsergrund: „Bundesheer oder Arbeitsdienst, das ist mir egal. Hauptsache, die jungen Leut’ lernen einmal einen scharfen Wind kennen und Disziplin. Mein Sohn – er war beim Militär und ist gefallen – hatte es auch zu etwas gebracht und ist ein braver Mensch gewesen, weil er Disziplin und Manneszucht gelernt hat.“ Hans L., Student aus Döbling: „Bundesheer, von mir aus ja. Aber ohne mich, das möchte ich betonen. Ich – und eine Unzahl meiner Kameraden – lehnen es ab, sich von jemanden herumkommandieren zu lassen, um ‚Disziplin‘ zu lernen, wie es dann so schön heißt! (...) Nein, nein, dieser Militarismus wird strikt abgelehnt!“

Obwohl man, wie der „Neue Kurier“ bereits am 6. Mai schrieb, in den „maßgebenden Kreisen“ überzeugt gewesen sei, „daß bei kluger Führung der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht in Österreich auf fruchtbaren Boden fallen wird“, war man sich dort der Gefahr einer breiten Ablehnung durch die „heranwachsende Jugend“ durchaus bewußt: „In Regierungskreisen macht man sich keine Illusion darüber, daß die junge Generation seelisch nicht hundertprozentig in der Verfassung ist, das Opfer des Dienens mit der Waffe freudig zu tragen. Waren doch die gesamte propagandistische Beeinflussung und das Erziehungssystem seit 1945 stark auf Pazifismus ausgerichtet.“ Trotzdem – oder gerade deswegen – konnte der „Bild-Telegraf“ drei Wochen später (27.5.) unter den Balkenlettern „Keine Wehrdienstverweigerer“ berichten: „Schon jetzt ist sich die Koalition einig, daß eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, wie von verschiedenen Seiten, vor allem von Teilen der SPÖ, befürwortet, nicht anerkannt werden kann.“

„Die Lust am Soldatenspielen ist wohl jedem Österreicher in den beiden Weltkriegen gründlich vergangen“, räumte auch die „Ö. N. Tageszeitung“ (29.5.) in einem Propagandaartikel „Bundesheer aus dem Nichts“ (!) ein, mit dem Stimmung für die neue Armee gemacht werden sollte. Trotzdem sei die „Verpflichtung zur Schaffung einer bewaffneten Macht“ gerade „deshalb besonders groß, weil sich Österreich ausdrücklich zur Neutralität bekannt hat.“ Diese Verpflichtung, so die Zeitung schon damals in der seitdem immer wieder bemühten Logik, ergebe sich aus dem im Staatsvertrag zugestandenen Recht, wieder eigene Truppen aufzustellen.

Die politische Debatte drehte sich primär um die Form des zukünftigen Heeres – großer Berufskader oder Miliz nach Schweizer Vorbild – und die Länge des künftigen Wehrdienstes. Die KPÖ verlangte, „durch eine Volksabstimmung den Charakter der künftigen österreichischen Armee festzulegen“ (Österreichische Volksstimme, 2.6.1955). Interessant ist, daß offensichtlich auch von vielen SozialistInnen – vor allem aus der ArbeiterInnenschaft, unter den LehrerInnen und in der Jugend – die Forderung nach einer Volksbefragung erhoben wurde. Die Opposition in der eigenen Partei gegen die von den SPÖ-Regierungsmitgliedern verfolgte Wehrpolitik war nach einem Bericht der „Volksstimme“ (22.6.) „so stark, daß – wie das Salzburger Landesorgan der SPOe vom 20. Juni feststellte – Vertreter des Parteivorstandes sich veranlaßt sahen, (...) mit den oppositionellen Gruppen und Organisationen zu verhandeln und den Versuch zu machen, sie von ihrem Standpunkt abzubringen.“ Doch die Partei scheint ihre Basis erfolgreich unter Kontrolle gebracht zu haben, sodaß der Ruf nach einer Volksbefragung recht bald wieder verstummte.

Es war auch von Anfang an öffentlich bekannt, daß sich das neue Heer vorwiegend aus ehemaligen Angehörigen der nationalsozialistischen Wehrmacht rekrutierte. Am 5. Jänner 1956 berichtete beispielsweise die Zeitung „Der Abend“, daß alle acht neu ernannten Offiziere des Generalstabs (Offiziere „im höheren militärischen Dienst“) bereits „Generalstäbler der Hitlerwehrmacht“ gewesen seien. Sie gehörten ausschließlich der ÖVP und dem VdU an, kein einziger der SPÖ. Sechs der acht „waren in ähnlichen Funktionen bereits in der B-Gendarmerie tätig, die seinerzeit als künftiger Bestandteil der NATO-Truppen ins Leben gerufen wurde.“

Aber auch die niedrigeren Ränge stammten, wie der „Neue Kurier“ (2.2.1956) anläßlich des ersten Meldetermins für die „Bewerber um Aufnahme in das österreichische Bundesheer“ meldete, großteils „aus dem Unteroffizierskorps des alten Bundesheeres und der Wehrmacht“: „In den ersten Stunden standen bereits 500 ehemalige Soldaten vor den einfachen Tischen in den zwei kleinen Zimmern: ‚Wir möchten wieder eine Uniform tragen.‘ – ‚Ich war Offizier.‘ – ‚Ich war schon damals freiwillig dabei.‘ (...) Alle möchten wieder Uniform tragen. Viele haben große Hoffnungen, viele wollen Enttäuschungen vergessen.“

Bereits ein Jahr zuvor, am 5. Februar 1955, hatten die kommunistischen Abgeordneten der „Volks-Opposition“ öffentlich an den Präsidenten des Nationalrats appelliert. Anlaß für den Appell waren Pläne, „die die Aushebung von 150.000 Österreichern für Verwendung im Rahmen der NATO-Streitkräfte vorsehen“ – das sogenannte „Aufgebot“: „Ursprünglich war die Unterstellung dieser aus Oesterreichern gebildeten Formationen unter amerikanische Einheiten vorgesehen; gegenwärtig werden Pläne ausgearbeitet, die auch ihren Einbau in die künftige deutsche Wehrmacht als Bestandteil der NATO-Truppen vorsehen. (...) Zur Aufrechterhaltung des militärischen Kontakts mit den NATO-Streitkräften wurde in Salzburg eine eigene Verbindungsstelle eingerichtet. Diese untersteht dem ehemaligen Oberstleutnant im Generalstab der deutschen Wehrmacht Paumgarten, dem als vorläufige Tarnung der Status eines Vertragsbediensteten der Salzburger Landesregierung gegeben wurde.“

Und: „Die Werbung der Mannschaften erfolgt durch die örtlichen Zweigstellen des ‚Kameradschaftsbundes‘. Auf Grund von Empfehlungen dieser Organisationen verfügt das betreffende Landesgendarmeriekommando über die offizielle Aufnahme.“

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