MOZ, Nummer 40
April
1989

„Protestieren ist keine Arbeit“ — Ein Lehrstück

Zur Theatralik der „Gegenkonzepte“ der Konfliktkommission Theater

In der Reihe „Autorensolidarität“ ist die „Dokumentation eines Symposiums der Konfliktkommission Theater“ (Hrsg.: E. Kisser, G.Ruiss, J. Vyoral) erschienen. Diese Veranstaltung fand im Vorjahr im April statt und gibt die laufende Problematik der Nicht-/Subventionierung freier Theatergruppen (und Autoren) in Wien wieder. Daß das Debakel noch kein Ende gefunden hat, ist nicht zuletzt in MOZ 2/83 („Eher wie ein Exekutionskommando ...“) vorzulesen.

Die Auseinandersetzung um das Was und Woher und Wohin der Kulturunsummen dürfte hinlänglich bekannt sein, und es erscheint wenig sinnvoll — obwohl immerwährend nötig —, dies noch einmal zu rezitieren. Dagegen könnte bei der Lektüre der Dokumentation zweierlei interessant sein: das Wie der Rede und Gegenrede und das Warum bzw. welcher Diskurs worum geführt wird. Wenn die Form dem Inhalt inhärent ist und umgekehrt, wird die Frage nach der Rhetorik und der damit transportierten Inhalte spannend. Es ist also die Sprache von der Rede des Politischen und des Politischen der Rede, die dieses jenseits besserer und bester Absichten seitens alternativer Szenen unterläuft. Oder anders gesagt: Was ist das Hinterläufige in moralischer Hinsicht? Diese Problematik ist eine allgemeine, doch hier insofern ex actu auf den Punkt zu bringen, als das Klagen und das Fordern von den Rändern des Gesellschaftlichen zur Mitte hin in dieser Szene, die die Kunst und die Kultur selbst zum Thema hat, den Zusammenhang von Ästhetik und Ethik prekär verdeutlicht.

Protest ist ...

Insofern ist, bei aller zusprechbaren politisch-moralischen Inkompetenz, die Aussage U. Pasterks: „Protestieren ist keine Arbeit“ so falsch nicht. Protest als „Einspruch, Verwahrung, Widerspruch“ heißt a priori noch nicht, sich in agitatorischen Mustern zu gefallen und dem Mythos eines öffentlichen Interesses zu verfallen, das es so gar nicht gibt. „Und ist es für mich als Vertreterin einer Förderungsstelle in den letzten Wochen sehr unbefriedigend gewesen, mich von Aufführung zu Aufführung oft nur mit sieben oder sechs weiteren Besucherinnen und Besuchern im Zuschauerraum zu finden“ (Kaufmann).

Protest als Einspruch ist nicht bloß (sprachlicher) Agitprop, sondern ein Aufmerken-lassen — wozu ja wohl auch diese Broschüre dienen soll — auf einen Prozeß, der alle Gegenströme inhaliert (Bsp.: „Heftiger Herbst“) oder ausstößt (Bsp.: Komödianten/Künstlerhaus). Und als Verwahrung soll er das bewahren, was eine werteorientierte Kulturpolitik tun sollte: nicht nur konsumorientierte Stücke zu präsentieren, sondern den sogenannten „Wildwuchs“ nicht zu stutzen.

Nun — und das ist bereits einer der Widersprüche — ist geförderter Wildwuchs noch dieser? Oder besteht nicht vielmehr die Gefahr, dann auch der bürgerlich kulturellen Hegemonie (Birbaumer) zu unter-liegen in dem Moment der Subventionierung? Das „Her mit der Marie“ (Ruiss) könnte sich so leicht zur Falle eines der unter die Rockschöße von Marias fürstlichen Gnaden gerät, entpuppen — egal, ob diese nun Ursula oder sonstwie heißt. Und abgesehen davon, kann man unter der Prämisse der Ablehnung der Sozialpartnerschaft schwerlich ungebrochen auf partnerschaftliches Verhalten der öffentlichen Hand rekurrieren. Dies ist in sich eine Antagonie, selbst wenn man durch die Agonie von Kulturämtern außer sich geraten kann. Jegliche gegenkulturelle Bewegung steht in diesem Dilemma von Identitätsbewahrung und -verrat. Verlustig dabei geht allemal — wie in einigen Beiträgen (Tomek) schön nachgezeichnet — die Solidarität der Betroffenen selbst, wobei diese immer wiederkehrende Blamage nicht nur einer Sabotage von oben zuzuschreiben ist. Es ist — semper et ubique — die Problematik des Delegationsprinzips. Die Personen der öffentlichen Hand repräsentieren tatsächlich öffentliche Hände und sind Zwängen verpflichtet, die sie bis hin zum Zynismus erschöpfen können. Die Repräsentanten der „Szene“ hingegen haben immer das Problem, wen oder was — außer sich und der Sache selber — sie eigentlich vertreten. Das führt zu permanenten Zerstreitungen, so wie Ab- und Zuschreibungen von Kompetenzen und Verratsverdächtigungen und -phantasien. Dieser tragische und manchmal auch komische Verlauf wird in einem generellen Prozeß hier zutrefflich dokumentiert.

(Kultur-)Politik ist ...

Hat das Bürgertum angesichts der Unmöglichkeit, seine Ideale vom Handeln in seinem tatsächlichen Handeln — dieser Geschichte der Ausbeutung und Vernichtung — wiederzuerkennen, die Trennung von Sein und Bewußtsein abgeschlossen, wogegen die Sozialdemokratie früher noch Sturm lief, so hat die Sozialdemokratie im Rahmen ihrer Sozialpartnerschaftspolitik ihrerseits diese Trennung begünstigt angesichts der Möglichkeit, dadurch ohne Revolution an der Macht teilzunehmen. Das Kuschen über die Differenz von Anspruch und Wirklichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft — als Bedingung für jene Teilnahme — erfordert das Kuschen über die Differenz von Anspruch und Wirklichkeit auch in der Sozialdemokratie selber. Wie im Parlament die Wahrnehmung der Radikalität von aktuellen gesellschaftlichen Widersprüchen diesem Schweigen zuliebe ersetzt und verdrängt werden muß durch — beispielsweise — eine radikale Verbalität, mit der ein Abgeordneter vor laufender Kamera Widerspruch simuliert zum andern, so im Theater durch die radikale Ästhetik, mit der ein Regisseur Widerspruch simuliert zum andern vor den Augen der Kritiker. So wenig der ‚bürgerliche‘ und ‚sozialistische‘ Abgeordnete in der bürgerlichen Demokratie unterscheidbar sein darf im Prinzip, so wenig im Prinzip auch das ‚bürgerliche‘ und ‚sozialistische‘ Theater.

(Ernst)

„Was echte Arglosigkeit ist, sieht man an den Sozialisten und Humanisten aller Schattierungen, die verlangen, daß der ganze Reichtum verteilt wird, daß es keine unnütze Ausgabe gibt etc. Der Sozialismus, der Verfechter des Gebrauchswerts, der Verfechter des Gebrauchswerts des Sozialen, offenbart einen totalen Widersinn hinsichtlich des Sozialen. Er glaubt, das Soziale könne eines Tages die optimale kollektive Verwaltung des Gebrauchswerts von Menschen und Dingen sein.

Doch das ist das Soziale nie. Es ist, allen sozialistischen Hoffnungen zum Hohn, etwas unsinniges, unkontrollierbares, ein monströser Auswuchs, der verschwindet und zerstört, ohne sich auch nur im geringsten um eine optimale Verwaltung zu kümmern. Und genau auf diese Weise ist es funktional, auf diese Weise (und auch auf die Gefahr hin, daß die Idealisten in lautes Geschrei ausbrechen) erfüllt es genau seine Rolle, die darin besteht, das Prinzip des Gebrauchswerts über den objektiven Umweg der Verschwendung a contrario aufrechtzuerhalten, das Realitätsprinzip zu retten. Das Soziale fabriziert jene Verknappung, die notwendig ist für die Unterscheidung von Gut und Böse und für jede moralische Ordnung im allgemeinen.

(Baudrillard)

Und wer als Autor keine Kritiken hat und weniger interessante, der wird auf dem Markt eben gehandelt als kleiner und weniger interessanter Autor — und dann eben auch kleiner und weniger aufgeführt. Es geht also — eine Platitüde! — um Tauschwert und nicht um Gebrauchswert. Wurscht, was Gustav Ernst schreibt, wie wichtig oder unwichtig für die Erkenntnis unserer Welt das auch sein mag — wichtig ist an Wirklichkeit einzig, und bedeutend, was in der Zeitung steht.

(Ernst)

Ja, das ist der Ernst des Lebens — „the medium is the message.“ Wozu sonst auch diese Dokumentation — noch mitfinanziert vom Kulturamt der Stadt Wien! In einer Gesellschaft, in der „in den letzten 10 Jahren Dispositionsverschiebungen vom Wohlfahrtsstaat zur Kulturgesellschaft“ (Harauer) hin erfolgten und in der sich Massenkultur, Hochkultur und Kleinbzw. Gegenkultur abzugrenzen wünschen (müssen), wird es zunehmend fragwürdig, da noch Differenzierungen bemerkbar zu machen. Denn ist nicht auch der Kampf für und gegen „Heftige Herbste“ der politiischen Logik inhärent? Was nicht heißt, die Hände in den Schoß zu legen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen — oder vielleicht doch? Wo sind noch Abgrenzungen setzbar, wenn beispielsweise ein Peymann nach Einschätzung Heiner Müllers Kindertheater für Erwachsene macht?

Der Gebrauchswert ist halt auch eine Frage des Geschmacks bzw. läßt sich Ästhetik nicht auf ihren Gebrauchswert reduzieren, auch nicht auf denjenigen eines politischen Lehrtheaters. Die Ökonomie des Begehrens läßt sich nicht auf bestimmte Lüste reduzieren, auch wenn die Leidenschaften in währende Wertform geronnen sind. Dem ist Rechnung zu tragen, sonst geriert das, was als Kritik gemeint ist, zur Meinung der politischen Ökonomie selber.
„Diese Reduzierung auf die äußerste, dreckigste Bescheidenheit — genau dorthin will man uns bringen. Als Beispiel das österreichische Kunstförderungsgesetz. Darin steht die so wichtige Präambel: „‚Im Bewußtsein der wertvollen Leistungen, die die Kunst vollbringt, und in Anerkennung ihres Beitrages zur Verbesserung der Lebensqualität, hat der Bund die Aufgabe‘ etc. Man ersetzt das Wort ‚Kunst‘ durch das Wort ‚Klomuschelerzeugung‘ ... die Regierung kann dasselbe Attest irgend jemandem ausstellen“ (West).

Theater ist ...

Wir wissen auch, daß, seitdem die Geschichte nicht mehr bloß Chronik ist, sondern auch in der Kategorie der Aktion gedacht wird, das Politische der Ort der größten Aphorie ist, ein Ort ohne Ort, wo die Herausforderung des Aktuellen eine Herausforderung der Einbildungskraft ist. Wenn ich ‚das Politische‘ sage, dann denke ich nicht an die lächerlichen Szenarien, die sich auf der Bühne ereignen, ich denke an die ganze Dimension des Politischen, und an die Problematische Gemeinschaft.

(J.P. Dubost)

Das ist es — sozusagen alles. Wenn die politische Bühne bereits — lächerlich oder nicht — eine Inszenierung ist, was ist dann ein „wirklichkeitsnahes Theater“ mehr als ihre Wiederholung? Was klagt man sich ein, indem man das anklagt? Was sind die „tatsächlichen kulturellen Notwendigkeiten“ jenseits der „Selbstinszenierung der Politik“, die sich der Kultur bedient? (Forester.) Oder was heißt dies umgekehrt dann, wenn man Politik auf die Bühne bringt? Wo ist das Surplus, das über eine Reduplizierung derselben in den moralischen Anstalten hinausgeht? Was passiert, wenn man sich in actu auf die Ebene der Verhandelbarkeiten stellt? Ist dies nicht eher eine Reproduktion jener Strukturen, denen man sich solcherart preisgibt, um Preise zu erhalten? Welcher Form von Ästhetik ist man da anheimgefallen, wenn dies alles mit Rülpsern quittiert wird und der Ärger sich buchstäblich in fäkalienbehafteten Ausdrücken Luft macht? (...) Was ist diese Ethik einer Ästhetik, der es an (Diskussions-)Stil mangelt? Daß der Ton die Musik macht, ließe sich doch zumindest ein wenig von künstlerischen Menschen erwarten — ohne zugleich in obsolete bürgerliche Lager verwiesen zu werden. Das Andere (sehr wohl als Überschreitung und Entgrenzung zu verstehen) zu wünschen, würde wohl auch ein anderes an Umgang implizieren — ohne in yuppiehafte Imitationen zu geraten. „Form folgt nicht der Funktion. Form folgt der Vision. Vision folgt der Wirklichkeit“ (F. Kiesler). Wenn jede Gesellschaft das Theater hat, das sie verdient, so fragt sich, was dem hinzu- bzw. abzufügen sei — außer der Wille zum Leben, und das ist ja allemal legitim.

Frauen sind ...

... anscheinend weder in Theater noch Politik noch Protest — außer, daß sie in drei Zeilen (Tomek) ihre FITness beweisen (Frauen im Theater) — vorhanden, um auf eine weitere strukturelle Ähnlichkeit mit den allgemeinen Umständen hinzuweisen. Das ansonsten kritisierte „interessenlose Wohlgefallen“ künstlerischen Eigentums feiert — umstandslos dokumentiert — im Auslassen der störenden Geschlechterdifferenz weiterhin fröhliche Urstände.

In dieser Hinsicht ist nach wie vor die Artaud’sche Aufforderung uneingelöst:

Das wahre Theater ist mir immer wie die Übung einer gefährlichen und schrecklichen Handlung erschienen. Wo übrigens die Idee des Theaters und des Schauspielers ebenso verschwindet wie die jeder Wissenschaft, jeder Religion und jeder Kunst. Die Handlung, von der ich spreche, zielt ab auf die wahre organische und physische Transformierung des menschlichen Körpers.

Eine so verstandene Arbeit ist immer Protest. An dieser Vision des Protests muß noch gearbeitet werden.

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