MOZ, Nummer 52
Mai
1990

Pyrrhus-KriegerInnen in den Grünen

Ein Eroberungskrieg tobt in den bundesdeutschen GRÜNEN. Die Kader vom neuen Bündnis Aufbruch (um Antje Vollmer und Ralf Fücks) und Realos haben endlich offen zugegeben, daß sie DIE GRÜNEN spalten wollen. Auf der GRÜNEN Bundesversammlung in Hagen (30.3.-1.4.90) liefen sie bei der GRÜNEN Basis auf. Nun rüsten sie für den von ihnen so militärisch bezeichneten ‚Endkampf‘ auf der kommenden Bundesversammlung am 9./10. Juni.

Ihre Sprache ist brutal, deutlich, erpresserisch: Die Zeit der Kompromisse sei vorbei (Ralf Fücks, Bundesvorstandssprecher). Es sei zu erwägen, eine neue, rein ökologische Partei zu gründen (Antje Vollmer, Bundestagsfraktionssprecherin). Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen müßten verlorengehen, damit die Basis an die Realität herangeführt würde (Joschka Fischer). Wie in einer gescheiterten Ehe sei es nun sinnvoll ... noch in diesem Jahr ... getrennte Wege zu gehen (Norbert Mann, Bundesvorstand). Die Frage der Trennung müsse auf der nächsten Bundesversammlung geklärt werden (Bernd Ulrich, Berater von Antje Vollmer). Für den Fall, daß man ein (noch nicht einmal erarbeitetes) Realo-Papier und ihr Personalpaket im Juni nicht durchsetze, sei die Spaltung fällig (Udo Knapp, Realo-Berater).

In Hamburg wird offen versucht, mit einer rechten Gegengründung („Grünes Forum“) zum GRÜNEN Landesverband GAL diesen Landesverband kaputt zu machen.
Realo-Kader erwägen ferner, den stramm realpolitischen hessischen Landesverband (die Linken wurden inzwischen aus allen Funktionen verdrängt) als Kern einer bundesdeutschen Spaltungsgründung zu nutzen, wenn die Basis im Juni ‚Fehlverhalten‘ wagt und sich weiter der Loslösung ökologischer von sozialer und radikaldemokratischer Politik widersetzt.

Nach den hysterischen Ausbrüchen des Realo-Aufbruch-Bündnisses in Hagen konnte der Eindruck enstehen, daß die Linken auf voller Breite gewonnen hätten. Dabei verloren wir entscheidende Abstimmungen (die GRÜNE Bundesversammlung stimmte zum Beispiel leider für die Anerkennung der deutschen Wiedervereinigung). Was war wirklich geschehen? Die PyrrhuskriegerInnen von der Spalterfraktion liefen in eine selbstgebaute Falle. Wochenlang hatten sie mit Hilfe gefälschter Zitate und Presseerklärungen den Eindruck zu erwecken versucht, die Parteilinke plane ein Bündnis, gar eine gemeinsame Partei mit der DDR-PDS. Kämpfen wir gegen die partielle Versozialdemokratisierung der GRÜNEN, um uns mit einer traditionellen und hierarchischen Partei mit sozialdemokratischem Programm in ein Bündnis zu begeben? Der aufgeblähte Pappkamerad „Links-Grün und PDS“ sollte helfen, einen Unvereinbarkeitsbeschluß der GRÜNEN mit linker Politik im allgemeinen durchzusetzen. Wie sagt die Ex-Linke Antje Vollmer so deutlich: „DIE GRÜNEN müssen sich entscheiden, ob sie ein linkes Projekt oder eine ökologische Partei sein wollen. Beides zusammen geht nicht mehr.“ Selbst die inzwischen durch viele linke Austritte nach rechts verschobene Basis pfiff solche Sätze aus und entschied, daß Ökologie weiterhin gar nicht anders als sozial und antikapitalistisch sein kann.

Gerade die, die die Ökologie erst spät oder oberflächlich begriffen, gerade die, die oft erst in DIE GRÜNEN kamen, als die ökologische Linke im Bündnis unter anderem mit BewegungsvertreterInnen und Wertkonservativen diese ökologische Partei zu einem erfolgreichen Projekt gemacht hatte, graben heute einen Ökologiebegriff aus, der nur noch Umweltreparatur bei Akzeptanz kapitalistischer Produktionsweise meint und völlig entleert ist von sozialen, demokratischen und antipatriarchalen Bezügen. Sie weichen unsere Position der sofortigen Stilllegung aller Atomanlagen auf, wollen die supergefährliche Müllverbrennung erlauben — was nur der chemischen Industrie nützt und Natur und Gesundheit weiter ruiniert -, und nehmen im Namen einer von den Menschen abgehobenen ‚Ökologie‘ soziales Elend in Kauf.
In ihrer ‚Ökologiepolitik‘ gibt es keinen Konflikt mehr mit der Industrie. Solche Positionen fielen in Hagen durch.

Aufbruch und Realos degradieren ‚Ökologie‘ oder gar ‚Primat der Ökologie‘ zum Kampfbegriff gegen radikalökologische Positionen. Sie wollen alle Positionen zerschlagen, die auf dem Weg zu einer neoliberalen Mitläuferpartei mit grünen Pünktchen stören. Sie führen einen Pyrrhuskrieg für einen Strömungssieg, dem sie das ganze GRÜNE Projekt zu opfern bereit sind. Dabei existieren die Bedingungen für eine rosa-grüne Koalition auf Bundesebene objektiv nicht mehr. Die SPD kann längst wieder mit der FDP, bereitet via DDR sogar das Klima für eine große Koalition mit der CDU vor. Und nicht unwahrscheinlich ist, daß die gegenwärtige CDU/ FDP-Regierung einfach fortgesetzt wird.

RadikalökologInnen, ÖkosozialistInnen und Feministinnen führen nun einen fast paradoxen Kampf: einmal gegen ihre eigene Ausgrenzung und zum zweiten für den Erhalt eines breiten, lebendigen Bündnisses: DIE GRÜNEN. Darin sind sie sich mit einem großen Teil der realpolitischen Basis einig, und eben das brachte die Mehrheit auf der Bundesversammlung. Der politische Einfluß und die gesellschaftliche Gegenmacht der GRÜNEN wuchs immer aus ihrer Radikalität und Konfliktfreudigkeit, ihrer alternativen politischen Kultur und ihrer Bündnisfähigkeit mit den Bewegungen. Für eine Partei der Biedermänner und -frauen besteht in einer Gesellschaft voller ökologischer Dramatik, sozialer Krisen und exportierten Massenelends keinerlei Bedarf. Eine machtvolle Oppositionspartei sind DIE GRÜNEN nur, wenn sie diese Rolle rasch und mit Leidenschaft ausfüllen. Wird sie lustlos übergestreift wie ein übriggebliebener Mantel, bleibt seine Trägerin zur Komparsenrolle verdammt und verspielt alle reale politische (Gegen)Macht.

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