FORVM, No. 469-472
April
1993

Rassismus und das Kraut dagegen

Vor kurzem erreichte mich ein aufgeregter Hilferuf einer Professorin aus Prag. Sie hat mit Freunden, die meisten ehemalige Unterzeichner der »Charta 77«, die Gruppe »Tolerance« gegründet.

Der Anlaß waren extrem romafeindliche Beschlüsse einzelner Gemeinden. Zunächst Jirkov, dann Aussig wollten damit weiteren Zuwachs „unerwünschter Elemente“ verhindern und gestatteten Betreten und Räumung überbelegter Wohnungen ohne richterlichen Befehl. Weitere Städte bereiten ähnliche, bislang aber gesetzwidrige Verlautbarungen vor. Sie wiesen ausdrücklich daraufhin, daß ihnen das geltende Gesetz keine Möglichkeit einräume, sich gegen den steigenden Zuwachs der Romabevölkerung zu wehren.

Der tschechische Generalanwalt Jiří Šetina legte daraufhin einen Gesetzesentwurf vor, der lokale Behörden ermächtigen soll, im Interesse der inneren Sicherheit außerordentliche Maßnahmen zu erlassen.

In dem Entwurf wird ortsfremden Besuchern mit hohen Geldstrafen gedroht, wenn sie sich nicht innerhalb von 24 Stunden gemeldet haben. Aufenthaltsbewilligungen kosten pro Person und Tag 10 Kronen und werden für maximal 5 Tage und nur dann unbescholtenen Bürgern erteilt, wenn jeder Person in der Wohnung immer noch 8 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stehen. Organe der Polizei und Personen, die das Gemeindeamt dazu ermächtigt, können zwischen 6 und 24 Uhr unangemeldet Wohnungen betreten, um die Einhaltung dieser Bestimmungen zu kontrollieren. Für Nichteinhaltung werden Strafen von 5.000 Kronen und sofortige Ausweisung angedroht.

Der Vorsitzende des parlamentarischen Verfassungsausschusses, Miloslav Výborný, bezeichnete diesen Entwurf als „unverhüllt rassistisch“ Auch Vladimír Šuman, Ausschuß für Rechtsschutz und Sicherheit, vertrat die Meinung, man könne die Rechte der Bürger nicht so rigoros einschränken, und die demokratische Bürgerallianz nahm gegen den Entwurf Stellung. Eine Bürgerinitiative der Roma (POI) forderte den Rücktritt des Generalstaatsanwaltes. Sie unterstütze verstärkte polizeiliche Maßnahmen gegen Kriminalität, wehre sich aber gegen jede Diskriminierung der Volksgruppe. Šetinas Vorschlag soll auf ein Gesetz zurückgreifen, das in der Tschechoslowakei nur in den finstersten Jahren des Stalinismus in Kraft war.

Tatsächlich stellt vor allem in Nordböhmen die Roma-Minderheit die Gemeinden vor große Probleme. Die ursprünglich im heutigen Tschechien ansässigen Zigeuner wurden in der Nazizeit umgebracht, in den letzten fünf, zehn, fünfzehn Jahren aber haben Roma aus der Slowakei hier wieder Arbeit gefunden, viele wurden in ehemals deutschen Gebieten angesiedelt. Daß jetzt noch zahlreiche Roma die neue Republik in Richtung Tschechien verlassen, ist ein böses Gerücht. Sie fürchten sich dort zwar vor zunehmendem Nationalismus, wissen aber sehr wohl, daß sie auch im neuen Nachbarland keine Chance mehr auf Wohnung oder Einkommen haben.

In der Slowakei waren sie im Krieg nicht umgebracht, sondern in Lager gesteckt und zu Zwangsarbeit verpflichtet worden. Vor Jahren wanderten sie dann mehr oder minder freiwillig nach Böhmen. Dort wurden damals Arbeiter gebraucht und die Häuser der vertriebenen Deutschen standen leer. Heute würde Tschechien die Roma gerne wieder loswerden. Die ungeliebten Staatsbürger versuchen, innerhalb des Landes irgendwo Fuß zu fassen oder wenigstens Geschäfte zu machen. Diese Geschäfte sind tatsächlich nicht immer legal. Wer sich aber darüber aufregt, gesteht sich nicht ein, was und wer an dieser Entwicklung schuld ist. Die Gadsche (Nichtzigeuner) haben den Roma wenig Anlaß gegeben, ihnen zu trauen. Schon das Wort »Roma«, das einmal den Anspruch auf menschengerechte Behandlung unterstreichen sollte, ist nun in der Tschechei zu einem verächtlicheren Schimpfwort geworden, als es »Zigeuner« je gewesen ist. Daß Václav Havels Präsidentschaftskandidatur nicht mehr so einhellig gewünscht war, dürfte auch auf seine zıgeunerfreundliche Haltung zurückzuführen sein.

Besonderen Anstoß erregte bei der Gruppe »Tolerance« in Prag das Recht von Gendarmen und Gemeindebeauftragten, Wohnungen zwischen 6 und 24 Uhr zu betreten, nachzuschauen, ob sich nicht zu viele oder Menschen ohne ständige Adresse dort aufhalten und solche Personen sofort ins Gefängnis zu stecken, wenn sie die hohen Geldstrafen nicht bezahlen können.

In Österreich ist seit 1. Jänner ein neues Fremdengesetz in Kraft. Mit einer gewissen Selbstzufriedenheit glauben Regierung und Innenministerium damit eine Mittellösung zwischen Haiders Forderungen und denen von Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit gefunden zu haben. Auch danach können nach § 50 Abs 2 „Organe des öffentlichen Dienstes“ ohne richterlichen Befehl Räumlichkeiten betreten, wenn darin mehr als fünf Fremde Unterkunft genommen haben und auf Grund bestimmter Tatsachen der Verdacht besteht, daß sich darunter auch Fremde befinden, die sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Flüchtlinge werden in Haft genommen und abgeschoben, obwohl sie in ihren Heimatländern nachweislich verfolgt werden oder auch „nur“ keine Möglichkeit haben, ihre Familien zu ernähren. Moslemische Roma aus Serbien zum Beispiel müssen auch dann erbarmungslos in ihr „sicheres“ Land zurück, wenn sie glaubhaft versichern, davongelaufen zu sein, um einem Einberufungsbefehl zu entgehen, und beteuern, sie hätten sich nur geweigert, auf ihre Brüder zu schießen.

In Prag beriefen sich die Proteste auf die Charta der Menschenrechte und Grundfreiheiten, auf denen die tschechische Verfassung aufbaue (Justizminister Novak), der Prager Rechtsprofessor Pavlíček vertrat die Meinung, der Gesetzesentwurf bedrohe die Demokratie. Er sei zwar gegen die unkontrolliert migrierenden Roma gerichtet, falle jedoch auf die gesamte Bevölkerung zurück. Der Entwurf wird nun diskutiert und in der vorgeschlagenen Form wohl nicht beschlossen.

In Österreich hielt der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes den Text des Fremdengesetzes gleichfalls für „verfassungsrechtlich bedenklich“, aber auch Proteste von Amnesty International und der Caritas konnten das Inkrafttreten nicht verhindern. Sie haben weit weniger Staub aufgewirbelt als die in Prag. Österreich ist es zufrieden, daß auch (oder vor allem?) Roma-Flüchtlinge nun überhaupt nicht mehr aufgenommen werden, egal woher sie kommen.

Viele Roma ziehen es hierzulande vor, ihre Herkunft zu verschweigen, um irgendwo Arbeit zu finden. An ihrer Vernichtung in der Nazizeit waren Österreicher maßgeblich beteiligt, bis heute wurde das aber erfolgreich verdrängt. Nun sollen die wenigen überlebenden österreichischen Roma und ihre Kinder nicht etwa landesweit als Minderheit, wohl aber wenigstens als Volksgruppe nach einem Gesetz anerkannt werden, das auf die territorial konzentrierten Kärntner Slowenen zugeschnitten ist und ihnen nicht wirklich gerecht wird. Mit der zunehmend bedrohlichen Lage der Roma im Osten Mitteleuropas will Österreich nichts zu tun haben. Wenige Kilometer vor seinen Grenzen werden immer mehr von ihnen wieder erschlagen.

P.S.: Am 5. Februar deponierten Vertreter des »Romani National Kongresses« eine Petition bei Ministerpräsident Václav Klaus, in der sie Bestrafung rassistischer Angriffe und Aktivitäten der Skinheads und Zurückziehung aller Gesetze und Verordnungen verlangten, die der Menschenrechtscharta widersprechen und gegen Roma gerichtet sind.

Am 8. Februar berief Ministerpräsident Klaus darauf eine Sitzung ein, an der 5 Minister teilnahmen. Dort wurden das »Jirkov Gesetz« und alle folgenden lokalen Verordnungen verboten. Der Vorschlag des „Wanderungsgesetzes“ wurde zurückgezogen und positive Maßnahmen zur Lösung der Konflikte zwischen Roma und Nichtroma werden diskutiert.

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