FORVM, No. 325/326
Januar
1981

Reagans Feuerland

Wir haben Witze gemacht über seine Witze. Daß er kleine Länder nicht kenne, Hauptstädte in Asien mit Flüssen in Afrika verwechsle, Berlin nicht buchstabieren könne, Haiti für eine samoanische, Tahiti für eine karibische Inselgruppe hielte. Wir haben ihn nicht gewählt. Ronald Reagan tritt die Regierung über die halbe Welt an, und in den Ländern, von denen er angeblich noch nie gehört hat, haben mehr Leute Angst vor diesem Amtsantritt als vor einem Regierungswechsel im eigenen Land.

Wir wollen keine Witze mehr machen über den Schauspieler. Wir wollen uns vorbereiten, rasch und ohne Sentimentalität.

Die ersten hundert Tage werden im Westerngalopp vorübergehen. Das kulturelle Leben im Weißen Haus soll ja einen Aufschwung nehmen, lange Handschuhe hat Frau Reagan angeordnet und Abendroben. Ach wenn doch nur der Kitsch die Welt regieren könnte, ich würde mir auch lange Abendhandschuhe überstreifen.

[Reagan] herrscht nicht nur über das Weiße Haus: Er will das Prinzip des „Gleichgewichts“ aufheben, will die USA wieder zur „Ersten Militärmacht der Welt“ machen. Ob er uns fragen wird? Und ob die westeuropäischen Natostaaten da mitmachen werden ?

Reagan muß die ersten Tage wie ein Simultanmeister des Schach an verschiedenen Brettern spielen, wo spielt er mit uns, wo gegen uns?

  • In Salvador sind im vergangenen Jahr mehrere Tausend Menschen abgeschlachtet worden. Die linke und demokratische Opposition schickt verzweifelt Emissäre nach Europa und bittet um Hilfe. Die USA unterstützen die Junta und werden dies verstärken.
  • In Bolivien hat eine kriminelle militärische Rauschgifthändlerbande im vergangenen Jahr die Demokratie zerschlagen. Die führenden Demokraten — voran die demokratisch gewählte Präsidentin — werben in Europa um Hilfe für den Widerstand gegen die Gangster. Wo wird die neue Administration der USA im Kampf um die Demokratie in Bolivien stehen?
  • Argentinien stabilisiert sich mit Hilfe amerikanischer und westeuropäischer Wirtschaftsbeziehungen zum etablierten Folterstaat der besseren Kreise. Wie offen wird Reagan dieses Metzelregime zwischen La Plata und Feuerland stützen? Wo doch die UdSSR keineswegs feindliche Beziehungen zu Argentinien unterhält. Die argentinische Opposition schaut (schon seit 1820) nach Westeuropa.
  • Der Musterfolterstaat ist inzwischen Uruguay. Dort haben sie alle Quälmethoden, die in Brasilien in den sechziger und in Chile in den siebziger Jahren praktiziert wurden, zur abscheulichsten Blüte entfaltet. Kein lateinamerikanisches Land ist von einem so hohen Prozentsatz seiner Einwohner verlassen worden wie Uruguay.
  • In Nicaragua bauen siegreiche Freiheitskämpfer (sie beanspruchen zurecht diesen heute oft so fragwürdig gewordenen Titel) aus den Trümmern von Somozas Privatbesitz ein neues Gemeinwesen auf. Werden US-Finanzkreise wiederholen, was sie gegen Allende vor fast zehn Jahren praktiziert haben?

Wenn Reagan vielleicht noch nicht alle Staaten zwischen Mexiko und Feuerland kennt, wir werden uns nicht beirren lassen, die Demokraten Lateinamerikas zu unterstützen, den Gefolterten zu helfen, die Ermordeten zu betrauern. Die NATO ist ein Nordatlantikbündnis. Kein Südatlantikbündnis. Wir haben uns gewehrt, als man von uns verlangte, Berlin am Mekong mitzuverteidigen; wir werden uns wehren, wenn Rechtspropaganda uns zwingen will, Berlin in Feuerland zu verteidigen.

Die hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hat noch vor der Abwahl Carters eine Studie zu den Strategien für die Nichtverbreitung von Kernwaffen und Spaltmaterial veröffentlicht. Scharf geht sie darin mit der problematischen Haltung der Bundesrepublik zu einer „Nonproliferations“-Politik ins Gericht. Aber gar keine Chancen für eine Fortführung sah der Autor, falls Reagan die Wahl gewinnt:

Klar ist, daß Reagan die Entwicklung sowohl des Schnellen Brüters als auch der Wiederaufbereitungstechnologie in den USA stark vorantreiben und die Exportpolitik so flexibel wie möglich durchführen würde; das angekündigte Aufrüstungsprogramm ist für eine wirksame Nonproliferationspolitik von vorneherein konterproduktiv.

An diesem Punkt freuen sich manche Europäer geradezu auf Ronald Reagan: Die französische und die deutsche Regierung haben einen Großteil der Carterschen Nichtverbreitungsmaßnahmen ohnehin unterlaufen. Frankreich in Pakistan, die Bundesrepublik in Argentinien und Brasilien. Heute organisiert Argentinien bereits ein nukleares Lateinamerika, mit Paraguay, Peru, Ecuador, Bolivien und Kolumbien hat es Atomverträge abgeschlossen.

Westeuropa wird sich klar werden müssen über den tödlichen Zusammenhang zwischen ‚friedlicher‘ Nutzung der Kernenergie und dem Streben vor allem der Rechtsaußenstaaten Lateinamerikas nach Atomwaffen. Was nützt es, wenn wir keine Waffen in Spannungsgebiete verkaufen, stattdessen aber kleine Staaten in die Lage versetzen, schon bald mit Atomwaffen zu zündeln? Der Wettlauf der armen Staaten um die atomare Feuerung wird zur Zeit aktiver betrieben als der Kampf gegen den Hunger.

Widerstand gegen Kernanlagen war unter Carter leichter als unter Reagan. Die grandiose Idee eines weltweiten Verzichts auf Kernwaffen — aller Staaten außer den ersten fünf — ist zusammengebrochen. Reagan könnte sie endgültig beseitigen.

1981 riecht nicht nach Frieden. Reagan riecht nicht nach Frieden. Prüfen wir genau, was wir mitmachen und was nicht. In wenigen Wochen werden wir wissen, wie ernst die Wahlkampfsprüche des Galoppreiters sind. Die Zeiten sind zu ernst, als daß wir uns leisten könnten, Reagan rechts liegen zu lassen. Links läßt er uns nicht liegen!

Freimut Duve, Herausgeber der Reihe rororo aktuell im Rowohltverlag und Bundestagsabgeordneter der SPD, wird seine Kommentare von nun an regelmäßig im FORVM schreiben.

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