FORVM, No. 478/479
November
1993

Religionskrieg in St. Pölten?

Sicher, im St. Pöltner Gottesmann Krenn ist eine Deix-Karikatur Fleisch geworden. Das ist aber nicht der Grund seiner Anfeindung durch engagierte Laien, Mitglieder des Klerus und diverse Ungläubige.

Kurt Krenn tut sich schwer, in der Allerweltsmoral vieler Brüder in Christo den Katholizismus wiederzuerkennen. Man hält es zwar für anständig, ein halbwegs »guter Mensch« sein zu wollen, ist nicht übermäßig zerknirscht, wenn man dabei »versagt«, giftet sich wesentlich mehr über andere, die sich nicht so um Nächstenliebe bemühen, vor allem einem selbst gegenüber, und spendet auch einmal für die politisch einwandfreie Aktion »Nachbar in Not« — aber damit hat es sich. Caritas-Präsident Schüller mag qua Funktion als Repräsentant einer »aufgeklärten« Kirche gelten, die sich »sozial engagiert« und ansonsten niemanden mit ihren Dogmen belästigt. Demgegenüber ruft Krenn seinen Schäfchen unermüdlich ins Gedächtnis, daß die katholische Kirche nun einmal eine Sekte ist: Mit strengen Regeln des Glaubens und einem Heilsversprechen für die Anhänger. Keineswegs nur für das Liebesleben ihrer Gläubigen kennt die Kirche einige Richtlinien, nach denen sie zwischen gottgefälligen und anderen Manieren unterscheidet; so z.B. sind die lebenslange Einehe und die Absage an brauchbare Verhütungsmittel Angelegenheiten, bei denen der liebe Gott keinen Spaß versteht.

Natürlich verlangt die Kirche nicht im Ernst, die Gläubigen müßten sich entweder nach ihren Geboten richten oder sonst aus dem Verein austreten — in der Institution der Beichte wird offenkundig, worum es bei allen kirchlichen Geboten geht: Um ein gehöriges Sündenbewußtsein. Auch anläßlich der »leiblichen Hingabe« bzw. der »geschlechtlichen Begegnung«, sofern nicht den kirchlichen Vorgaben entsprechend, soll der Christ seine ihm sowieso prinzipiell anstehende schlechte Meinung von sich pflegen — daß er ein Sünder ist und dem Himmelvater nichts recht machen kann; aber wenn er sich nur gehörig selbsterniedrigt, indem er sich schuldbewußt einen runterheuchelt (»Reue«), wird er vielleicht doch der Gnade des Allerhöchsten teilhaftig.

Innerkirchliche Kontroversen sind für einen Außenstehenden manchmal schwer nachvollziehbar — Fakt ist jedenfalls, daß Leute, die gegen das zentrale Ritual der Katholiken, die »heilige Messe«, noch nie einen Einwand losgeworden sind, ausgerechnet die päpstlichen Anleitungen für die zu einem wahrhaft christlichen Sexualleben passenden Gewissensbisse nicht widerspruchslos hinnehmen wollen. (Und das, wo schon zu Zeiten der Aufklärung darauf hingewiesen wurde, daß es sich beim Kernstück der Messe entweder um Kannibalismus handelt — falls die Gläubigen in der Tat den »Leib Christi« aufessen —, ansonsten um Betrug!) Es ist schon sehr eigenartig, wenn Christenmenschen, die es gewohnt sind, alle ihre Handlungen in ein Verhältnis zu einem eingebildeten Allmächtigen mit totaler Richtlinienkompetenz zu verwandeln, dem sie gefallen wollen, was ihnen selten gelingt, worüber sie dann betrübt sind, bzw. wenn es einmal klappt, dürfen sie erst recht nicht stolz darauf sein — wenn solches Geistes Kinder einmal aufmüpfig werden. Es ist keine gewagte Hypothese, wonach sich diese Aufmüpfigkeit mancher Schäfchen an Berechnungen der heiligen Mutter Kirche aufrichtet, die zu früheren Zeiten in ihrem Bestreben, sich u.a. auch über »Jazzmessen« mit ihrer »Frohbotschaft« an die Jugend anzuschleimen, einige Konzessionen an den damaligen Zeitgeist gemacht hatte. Exemplarisch dafür sicherlich der »Liberalismus« der österreichischen Bischofskonferenz, das kirchliche Nein in der Verhütungsfrage nochmal extra dem Gewissen der Gläubigen anzuvertrauen, wo es andererseits ohnehin immer war — auch bei den Katholiken entscheiden nämlich die Beteiligten und nicht der Papst, wie sie es mit Pille und Kondom halten wollen.

Dagegen stellt Krenn — nicht nur in Sachen »Geschlechtlichkeit« — seine Bereitschaft zur »geistigen Führung« und seine Forderung nach Unterordnung, darin dem Geist der heutigen Zeit entsprechend. Wenn wieder »Werte« gefragt sind, die »Orientierung bieten«, also Gehorsam verlangen, und wenn die Geschichte mit der »Selbstverwirklichung« durch Psycho-Verrenkungen und anderweitiges Manipulieren der eigenen Launen in Mißkredit geraten ist, da ist ein Krenn doch durchaus aktuell und gar nicht so »mittelalterlich«, wie es manchen Kritikern erscheint. Es ist ein Streit um das Image der Kirche, der so erbittert ausgetragen wird, denn die Prätention, ein Katholik mache sich ernstlich in seinem Liebesleben von einem Papstwort abhängig oder ließe sich sonstwo von einem Bischof »bevormunden«, ist eindeutig ein Verstoß gegen das siebte christliche Gebot. Das widerlegen die kessen Schäfchen gerade durch ihr Getöse, schließlich sind sie über Krenns Vorhaltungen weder ungläubig noch demütig geworden, sondern besonders fanatisch. Da beflegeln sich ausschließlich Streiter des Glaubens um die rechte kirchenpolitische Linie. Pharisäer, die keineswegs ihre Anschauungen ändern, bloß weil ein Bischof anderer Meinung ist als sie selber, treten an im Namen fiktiver Gläubiger, denen es angeblich durch eine zu »harte« Linie schwer gemacht würde, zum rechten Glauben zu finden.

Wenn schon, entgegnet darauf der St. Pöltner Bischof, es könne ihm doch nicht darauf ankommen, daß möglichst viele irgendetwas glauben, sondern auf den Sieg des wahren Glaubens. Wenn nach katholischer Lehre das irdische Dasein ohnehin ein Jammertal ist, das der Gläubige unterwürfig und gottergeben zu durchlaufen habe, um Punkte für die große Abrechnung zu sammeln, wieso sollte es ihm dann ausgerechnet die Religion leicht machen? Kurz, aus katholischer Sicht hat Krenn völlig recht. Eine solide Beichte ist nun einmal mehr ein Selbsterniedrigungsritual und weniger ein fast schon therapeutisches »gutes Gespräch« mit einem verständnisvollen Kumpel, der sich den immer fälligen Hinweis auf die menschliche Selbstsucht als Grund für alles und jedes Mißliche gar nicht mehr anzubringen getraut. Es ist schon ein komisches Prozedere, sich zuerst ganz fest einen Allmächtigen einbilden zu wollen, der die irdischen Geschicke lenkt, und sich dann die göttlichen Gebote nach eigenen Gesichtspunkten, und seien es auch nur solche der Popularität des Glaubens, zurechtlegen zu wollen. Verglichen damit ist es doch geradezu sachgerecht, die Unterwerfung unter die Irrationalitäten des Glaubens durch die Unterwerfung unter die kirchliche Hierarchie, die den Unterschied zwischen Profis und Amateuren der göttlichen Mysterien kennt, anschaulich zu machen.

Das ist inzwischen zum weiteren Vorwurf an Krenn geworden: Dieser verläßt bei jeder Gelegenheit das ursprüngliche Thema (Dürfen aufreizende kleine Mädchen beim Gottesdienst assistieren? Schwierig, schwierig!), und versucht, jeden Streit durch den Hinweis auf die mit seinem Amt verbundene kirchliche Autorität zu entscheiden. Da hat er natürlich ebenfalls völlig recht. Die Auslegung der Übersinnlichkeiten des Glaubens ist im Katholizismus notwendigerweise den durch Salbung Geweihten vorbehalten, weil der Menschengeist an die Glaubensgeheimnisse, die uns der liebe Gott geschenkt har, ohnehin nicht heranreicht. Putzigerweise drückt Krenn sein Beharren auf seiner religiösen Weisungsbefugnis aus, indem er Argumente und gar die Wahrheit für sich reklamiert. Keiner seiner Widersacher macht sich den Spaß und beginnt, derartige »Argumente« zu prüfen, wodurch sich herausstellte, daß es sich eben um Glaubenswahrheiten handelt, die ein Christ glauben muß, weil er sie nicht begründen kann — sondern dem Bischof wird der Anspruch auf Wahrheit zugestanden und als solcher übelgenommen, als undemokratische Angewohnheit!

Über diesen innerkirchlichen Fetzereien sind längst Leute hellhörig geworden, die der ganze Streit im Grunde genommen nichts angeht, weil sie ohnehin nicht zu den Gläubigen zählen. Der politische Journalismus mischt sich ein und bezieht Stellung. Die katholische Kirche ist nämlich nicht nur eine Sekte, sondern eine staatlich geförderte Sekte mit einem öffentlichen Auftrag. Staat und Kirche wissen schon, was sie aneinander haben. Christenmenschen, die den Umweg über den lieben Gott wählen, um sich Demut und Bescheidenheit, die Notwendigkeit von Opfern und die Ergebenheit gegenüber der politischen Obrigkeit einleuchten zu lassen, sind bekanntlich erstklassige Untertanen. Wegen des Beitrags zur Staatsbürgergesinnung unterstützt der irdische Nutznießer solcher Tugenden nach Kräften die Kuttenmänner, schließt Verträge mit der Kirche, erledigt für sie das Eintreiben der Mitgliedsbeiträge und subventioniert darüberhinaus ihre Aktivitäten. Im Bildungs- und Sozialwesen der Nation darf sie sich herumtreiben. Die Kirche umgekehrt schätzt die Funktion, die der Staat ihr zuweist. Sie hat längst gelernt, daß ihre Resonanz sowie ihr öffentliches Gewicht nicht von den Aktivitäten der Gläubigen und schon gar nicht von der Plausibilität ihrer Lehren abhängt, sondern von der Anerkennung und Förderung durch die weltliche Macht. Ihre Bedeutung verdankt die Kirche ihrer Funktionalität für den jeweiligen (derzeit demokratischen) Staat, die belohnt wird. Ohne diese wäre sie, was sie ihrer Konkurrenz auf dem Markt für Sinn und Glauben vorwirft: eine Sekte. Die tatsächliche Trennung von Kirche und Staat fürchtet der Katholizismus wie der Teufel das Weihwasser. Man stelle sich Kurt Krenn vor, ohne quasi-öffentliches Amt wie weiland der Jesus auf einem Esel in St. Pölten einziehend und zur »Verleugnung des Fleisches« anımierend; ohne das eine oder andere kleinere Wunder wären moderne Skeptiker wohl kaum für den Glaubensunsinn zu interessieren; und ob Krenns Kreuzestod den entscheidenden Durchbruch brächte, ist nicht einmal sicher. Eine apokalyptische Vision — da schon lieber mit dem Staat im Rücken Kirchenpolitik machen, den Herrgott im engen Umgang mit den politischen Größen repräsentieren und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und auf Pressekonferenzen den widerspenstigen Schäfchen und dem niederen Klerus die Drohbotschaft übermitteln!

Um ihres Daseins als einer massiv privilegierten Sekte willen nimmt die Kirche auch manches Kreuz auf sich und wird gegenüber der weltlichen Macht anbiedernd. Wenn die weltlichen und die kirchlichen Gebote wie bei der Abtreibung auseinanderfallen, kündigt die Kirche noch lange nicht das so zufriedenstellende Verhältnis auf, sondern läßt ihre Gläubigen das Matthäus-Evangelium widerlegen. Natürlich kann der Christ »zwei Herren dienen« — dem Staat und dem Gott. Dem Mammon übrigens auch. Wegen der Funktion der Kirche erregen die internen Sektenquerelen und Personalrochaden öffentliches Interesse. Auch Journalisten, die selber über den Unfug der Glaubenswahrheiten erhaben sind, möchten dem gewöhnlichen Volk nicht die regelmäßige Dosis »Opium« vorenthalten, wenn das zum staatsbürgerlichen Anstand beiträgt. In diesen Kreisen hat Kurt Krenn eine schlechte Presse, ohne daß dafür tiefergehende theologische Erörterungen notwendig wären. Er hat mit seinen Anstrengungen, das speziell Katholische, Bigotte und Obskure des Glaubens in Erinnerung zu rufen, schlicht und einfach Unruhe gestiftet. Das genügt den publizistischen Fundamentalisten der rechten Staatsbürgergesinnung und der kirchlichen Funktionalität, um über den Gesalbten herzuziehen. Es hat den Anschein, als wäre der Presse und einem Gutteil der Schäfchen irgendwie peinlich, wie beherzt und konsequent Krenn den geballten Irrationalismus der katholischen Lehren hochhält — so als könnte, wenn der Schwachsinn gar zu offensichtlich wird, womöglich mancher Gläubige in Zweifel am Herrgott und seinem eingeborenen Sohn gestürzt werden, und das kann doch niemand wollen, der die Kirche wegen ihrer staatsnützlichen Leistungen schätzt. Für diese Leute ist Krenn ein Kamel, weil er das — auch durch das staatsmännische Auftreten von Kardinal König — endlich und Gottseidank über die Dumpfheiten des Katholizismus gewachsene Gras wieder abfrißt. Was ihm sichtlich schmeckt.

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