FORVM, No. 256
April
1975

Scharfe und arme Hunde

Schleiferprozeß in Krems/Donau, 10./14. März 1975

Der Fisch stinkt vom Kopf. Nicht die Unteroffiziere sind das größte Übel im Bundesheer, so hart sie den Mann angehen mögen, sondern die Kommandanten, so urban sie mit Journalisten reden mögen. Die Scheinliberalisierung der Dienstzeitverkürzung (acht Monate Gesamtdienstzeit) wird mehr als kompensiert durch die Formierung von „Eliteeinheiten“, die als politische Eingreifreserve dienen sollen. Die Spannung zwischen beiden Tendenzen führt zum Tod von Soldaten (Wandl ist nur ein Fall von mehreren). Der Ausbilder-Ehrgeiz des Oberst Ernst Maerker, im Zweiten Weltkrieg Kommandant eines U-Bootes, ließ Unteroffiziere wie Wallechner und Sandhacker ans Werk. Der Graf (Spannocchi) und der Freiherr (Lütgendorf) halten ihre Hand drüber. M. S.

Krems, du bist nicht die geringste unter den Städten Österreichs.

Erster Staatsanwalt Hofrat Dr. Hans Dobner

Humanität hin, Humanität her, das is ja alles recht schön, aber wie reimt sich das mit dem Patriotismus?

Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit

Am Mariä-Himmelfahrts-Tag 1974 erlöste der Tod den 18jährigen Maturanten Kurt Wandl, der freiwillig zur Panzertruppe nach Mautern bei Krems an der Donau (in Niederösterreich) eingerückt war, vom österreichischen Bundesheer. Der ehrgeizige, diensteifrige und „gute Soldat“ (diese Zensuren erfuhr man nicht aus Zeugenaussagen, sondern in privaten Gesprächen mit informierten Unteroffizieren) war tags zuvor von seinem Ausbilder, dem 32jährigen ehemaligen Anstreicher Horst Wallechner, bei glühender Hitze so gründlich geschliffen worden, daß er am folgenden Morgen, ohne sich in militärischer Form abmelden zu können, ins Jenseits abtrat.

OberstdG Ernst Maerker,
Kommandant der 3. Panzergrenadierbrigade, höchster Vorgesetzter des Soldaten Kurt Wandl in Krems. „In der dritten Panzergrenadierbrigade werden (seit Herbst 1970) Ausbilder, die Jungmänner drillen sollen, einer zusätzlichen Spezialausbildung unterworfen. Die Bataillons- und Kompaniekommandanten drückten noch einmal die Schulbank und mußten Regeln des modernen Managements pauken.“ (profil, 29. August 1974)

Sanfte Mahnung bis ins dritte Glied

Bei der Obduktion des jungen Mannes wurde ein Hirnödem, verursacht durch Hitzschlag und Schock, konstatiert. Teile des Kleinhirns hatten sich in das Hinterhauptsloch hineingepreßt. Auf den Tag genau sieben Monate nach der tödlichen Gefechtsübung wurden Stabswachtmeister Wallechner („mit zwei ‚l‘ wie Hölle“, und nach eigenen Angaben ein „fanatischer Soldat mit Leib und Seele“ anderer) sowie zwei seiner Vorgesetzten milde verurteilt. Ein Kremser Schöffensenat verordnete dem „Menschenführer“ sechs Monate Freiheitsentzug, dem 34jährigen Offizierstellvertreter Josef („Hackl“) Sandhacker (verleumderisch ihm zugeschriebene Selbstbeurteilung: „Ihr werdet den Namen eures Vaters vergessen, ihr werdet den Namen eurer Mutter vergessen, aber der Name Sandhacker wird in eurem Gedächtnis eingebrannt sein“) vier Monate und dem 27jährigen Hans Hansen, der inzwischen — am 1. Oktober 1974 — zum Oberleutnant der Bereitschaftstruppe (Farbe der Waffengattung Protz-Goldgelb, Schwert im rotweißroten Wappen am linken Ärmel) avançiert war, sechs Wochen. Der Gutschein auf Staatslogis wird jedoch nicht eingelöst, die Strafen bleiben platonisch: bedingt auf zwei Jahre. Dadurch ist die Gewähr gegeben, daß die verdienten Kaderleute (ohne Vorstrafen, beste Dienstbeschreibungen) dem Heer weiterhin als Beamte erhalten bleiben.

Das Bundesheer leidet bekanntlich an Personalmangel, was in Krems darin zum Ausdruck kam, daß die Freunde Wallechners aus der Kaserne Mautern in Uniform den Gerichtssaal bevölkerten eine ganze Woche lang. Ihr infantiles Lachen, ihre patzigen Kommentare, ihr Applaus zum unrechten Zeitpunkt verschafften auch dem ungedienten Beobachter tiefe Einblicke in die edle Seele des österreichischen Berufssoldaten.

Wandls seinerzeitiger Bataillonskommandant schließlich, der 39jährige Friedrich Schrötter, ging mit einem Freispruch leer aus. Angesichts eines Hauptmanns stockt die Hand, die in den Schmalzhäfen greift. „Schrötter ist das vierte Glied, bis in welches Glied soll gestraft werden, wo ist da die Grenze?“ hatte Schrötters Verteidiger Dr. Majer, Luftwaffenoffizier des Zweiten Weltkrieges und Bundesheer-Systemkritiker mit deutschnationalem Akzent, die gesellschaftspolitische Gewissensfrage gestellt. Nicht ohne Grund, waren doch die Mißstände in Mautern schon vor dem 14. August den oberen Bundesheerkommanden zur Kenntnis gebracht worden (von Ex-Offizier Dipl.-Ing. Ernest, dessen Sohn auch einmal zusammengeklappt war), leider ohne Erfolg, hatte doch Armeekommandant General Spannocchi am 16. Juli einen Befehlsbrief herausgegeben, der später in den Strafakt rutschte und in dem es heißt: „Ich habe Einheiten feststellen müssen, die seit Jahren den Brigadekommandanten nicht gesehen haben, ich habe bei einem Bataillon festgestellt, daß seit mehr als vier Jahren kein höherer Vorgesetzter dem Dienst beigewohnt hat, ich weiß eine Kompanie, bei der sich niemand mehr erinnern kann, daß je ein Vorgesetzter bei einer Nachtübung dabei war ... Bitte, meine Herren, so geht das nicht weiter!“

Das sind Enthüllungen, die unserer Landesverteidigung höchst gefährlich werden können (denn nicht Mißstände, sondern Diskussionen sind schädlich); deshalb konnte Dr. Majer auch nicht umhin, gegen jenen Beamten, den er für den Weitergeber des Papiers („Verschluß! Offizierssache“) hält, Strafanzeige wegen „Verrates eines Staatsgeheimnisses“ zu erstatten ...

A Hitler müßt’ her!

Wahrlich nicht leicht gestaltet sich fürs Gericht die Güterabwägung. Die Kremser, Wachauer und Waldviertler Gesellschaft gehört zum nationalsten, patriotischsten, traditionsbewußtesten und militärisch opferfreudigsten Österreichertum. Schweigen wir über die Vergangenheit. Der Österreichische Turnerbund führt heutzutage gutbesuchte Gau-Feste durch, die ersten Preise (ein Schwein, ein Kühlschrank) der vom Österreichischen Kameradschaftsbund veranstalteten Meisterschaften im Gesellschaftsschnapsen sind allseits beliebt. Vollbartträger wie ich werden in Krems von älteren Leuten auf der Straße mit den Worten angesprochen: „A klaner Hitler müßt’ her!“ Richter des Kreisgerichtes und Offiziere von Mautern treffen einander in erlauchten Zirkeln wie dem CV, der Staatsanwalt bleibt mit dem Bundesheer gerne nach Abschluß des „Tages der offenen Tür“ im kleinen Kreis gesellig und arbeitet ansonsten mit Brigadiers und niedrigeren Rängen in Verfolgung von Drückebergern eifrig zusammen. Von Amts wegen.

Aber auch Wandl war ein Kind dieser Stadt. Da hört sich der Spaß auf. Nichts gegen das Bundesheer, nichts gegen Härte, aber Auswüchse (individuelle versteht sich, man generalisiere nicht!) darf es nicht geben, für alle Zukunft. Sagt doch auch der Bundespräsident, einst Richter in Krems: „Sorgen Sie, meine Herren, für ein Urteil, damit sich solche Zustände, wie es im Fall Wandl war, nicht wiederholen“ (berichtet der Staatsanwalt). „Zehntausend junge Menschen schauen heute nach Krems auf Sie, zehntausend Mütter, die ihre Kinder in Schmerzen geboren, zehntausend Väter“ — ermahnt der Staatsanwalt den Senat. „Staatspoölitisch von Bedeutung ist das Militär — ob notwendig oder nicht ist freilich Anschauungssache“ (Fernsehen, Presse, Rundfunk hören und sehen zu, das Justizministerium ist interessiert und das Oberlandesgericht Wien durch seinen Präsidenten im Saale vertreten — das stärkt den vorhandenen demokratischen Geist). „Von Ihrem Urteil wird es abhängen, ob nicht nur das Bundesheer, sondern letztlich dieser Staat bejaht oder verneint wird.“

Auf den Einzelfall beschränkt will auch der Vorsitzende von Anfang an den Prozeß wissen, nicht den Tenor der Presse übernehmen, die sich damit nicht zufriedengibt, gerecht und gütig zugleich sein, wie er sagt. Es ist der Vizepräsident des Kreisgerichtes, Hofrat Dr. Herbert Schlinger — zwei andere Richter hatten ihre Befangenheit erklärt und die Akten übergeben. Was herauskommt, ist Nervosität, sind cholerische Ausbrüche. Staatsanwalt, Vorsitzender, Beisitzer, schließlich auch die Verteidiger argumentieren a homine ad hominem mit langjähriger Berufserfahrung, stürmen zuweilen protestierend aus dem Saal oder drohen mit Exodus. Als Übersprungshandlung bietet sich Kampf mit der Lautsprecheranlage an. Der Prozeßkalender wird nicht eingehalten, Verhöre, Kreuzverhöre, Zeugeneinvernahmen, Sachverständigenvorträge und Streit über Verfahrensfragen geraten durcheinander, der Angeklagte Sandhacker wird erst am Schluß des Beweisverfahrens zu Ende vernommen. An Zeugen, die der Wahrheitsfindung dienen könnten (Truppenärzte, die für die Behandlung und Wiederindienststellung Wandls vor dem 14. August verantwortlich sind, sowie Ärzte der Wiener Psychiatrischen Klinik, in der Wandl am 15. August gestorben ist), wird nicht gedacht, bis die Verteidigung, die Schwäche erkennend, das Gericht mit Beweisanträgen überschwemmt, die schon aus Zeitmangel abgewiesen werden müssen (zum letztmöglichen Zeitpunkt kurz vor der Urteilsverkündung).

Aus dieser prozessualen Konfusion mit Rücksichtnahme auf diesen und jenen (und Überhören, Mißverstehen und Umformulieren von Aussagen) wächst der Vorsitzende zuweilen zu menschlicher Größe, läßt unvermutet Weisheit erkennen. Vorsitzender: „Man spricht doch immer von Kameradschaft beim Militär, ich hatt’ einen Kameraden und so. Warum werden die jungen Soldaten nicht als Kameraden angesehen? Warum ist diese Gesinnung nicht da? Wie ein roter Faden geht das durch die ganze Verhandlung. Muß denn alles mit Drill gehen, ist das so modern? Muß man immer gleich das Schlechteste annehmen, Simulanten alle, wenn sie zusammenbrechen?“ Wallechner: „Herr Präsident, uns ist immer eingeschärft worden, uns nicht privat einzulassen ...“

Vorsitzender: „Das machen wir heute ja nicht einmal mehr mit den Strafgefangenen so. Und das beim Militär. Das sind alte Barrasmethoden.“

Der Dialog findet an jenem Verhandlungstag statt, an dem der Staatsanwalt dem Wallechner zweimal seine Hochachtung ausdrückt, erstaunlicherweise. Weil der Schleifer W., ohne sich zu einem Geständnis zu bequemen, im Rückblick einräumt, den Soldaten vielleicht „doch zuviel zugemutet“ zu haben. Staatsanwalt: „Das erste männliche Wort, alle Hochachtung vor Ihnen!“

„Mann eingegangen!“

Kurz darauf gibt Wallechner zu, die ihm unterstellten Präsenzdiener gefragt zu haben, ob sie ihre Matura etwa beim Schnapsen gewonnen haben. Schmunzeln und Heiterkeit im Auditorium. Und weil wir alle unhamlich fesch sind, machen wir aus unserem Herzen keine Mördergrube. So spricht das anwesende Militär: „Er is scho a scharfer Hund, der Wallechner, hat si gfrotzelt gfühlt, hat eahna zeigen wolln, wo Gott wohnt. Da soll ma in sechs Monat’ die Ziele erreichen ... Sei Pech war halt, daß es ausgerechnet den Besten von der Gruppen darwischt hat. Des war sei Fehler!“

Als Wandl zusammengebrochen war und Wallechner „Zigarettenpause“ machte (nur er selbst rauchte), kam Vorgesetzter Sandhacker hinzu. Meldung Wallechners an Sandhacker: „Ein Mann ist eingegangen!“

Menschlichkeit ist auch noch in der Urteilsbegründung dominant, die vom Vorsitzenden nach mehrstündiger Beratung um 22 Uhr 35 (erschöpft) mehr improvisiert als verlesen wird. Ein ausgewogenes Urteil: Gröbliche Verletzung der Obsorgepflicht, aber nicht mit Todesfolge, weil diese für die Angeklagten nicht erkennbar war (damit fallen die weiteren Beweisanträge der Verteidigung automatisch fort), mildernde Umstände, „weil die Angeklagten geständig waren“. Weder das eine noch das andere trifft in Wahrheit zu. Von Geständnissen war bis zuletzt keine Rede (nicht einmal von sogenannten „Tatgeständnissen“), und die Freisprüche wegen Nichtwissens um die Tödlichkeit des seltenen und schwer diagnostizierbaren Hitzschlags kollidieren mit den Erklärungen des Sachverständigen Professor DDDDr. Fellinger, der konstatierte, daß bei einem Überschreiten der Grenze der Leistungsfähigkeit nicht nur mit schweren körperlichen Schädigungen, sondern in Extremfällen (abgesehen vom Hitzschlag) selbstverständliich auch mit dem Tod gerechnet werden muß.

Die Kollegen der Verurteilten kündigen für die Zukunft passive Resistenz an. Offizierstellvertreter Monihart: „Das Urteil hat jedwede Ausbildung in Frage gestellt, und das bedeutet die Auflösung des Militärs. Jeder wird es jetzt rennen lassen, wie es rennt. Einem Gruppenkommandanten ist es nicht mehr zuzumuten, daß er vorschriftsmäßig ausbildet. Ich fürchte, daß jetzt die Zeit der Tachinierer und Simulanten kommt.“ Der Stabschef des Militärkommandos Niederösterreich Marius Dadak, Oberst des Generalstabs, der den letzten Tag des Prozesses auf der ersten Bank sitzend verfolgt hatte, trifft die Sprachregelung stellvertretend für das Kaderpersonal: „Mit diesen Urteilen wird das österreichische Bundesheer keine Ausbilder mehr bekommen. Denn unter diesen Voraussetzungen wird keiner mehr die Verantwortung dafür übernehmen, die Jungmänner größeren Strapazen auszusetzen.“ Ein neuer Job für gescheiterte Existenzen mit Minderwertigkeitsgefühlen, für sadistisch Kompensierende wird dringend gesucht ...

Die Angeklagten von Krems
(v.l.n.r.): Stabswachtmeister Horst Wallechner, Offizierstellvertreter Josef Sandhacker, Oberleutnant Hans Hansen, Hauptmann Friedrich Schrötter

100.000 Schilling für den Schleifer

Stolz brauchen die Herren Militärs nicht zu sein auf ihre Strategie und Taktik, mit der sie den Kremser Prozeß (und nicht die böse Presse) zum Bundesheer-Schauprozeß aufgeblasen haben. Er sollte zu einer Demonstration der harten Linie werden, die von den „Praktikern“ gegen die Intentionen der SPÖ vorangetrieben wird.

Begonnen hatte es schon mit dem stillen Wirken der Disziplinarkommission, die einen Leutnant Hansen freisprach (woraufhin er zum Oberleutnant vorrücken konnte), obwohl dies vor dem Urteil des zuständigen Gerichts rechtlich nicht möglich war, und der Aufhebung der Dienstenthebungen.

Dann kam die Unterstützungsaktion der Offiziere und Unteroffiziere, um den armen Opfern der „Hexenjagd wie im Mittelalter“, den Wallechner & Co., die besten Anwälte zu engagieren, die sich ein Kleinbürgerhirn erträumen kann: den zweieinigen Gott der Gerichtssäle Michael & Peter Stern. Das Honorar betrug 100.000 Schilling. Solcher Aufwand ruft Anrufer auf den Plan, von denen die Staranwälte Morddrohungen erhalten, worauf das Gericht in dramatischer Weise informiert wird und Boulevardjournalisten ihren Teil zur Vermehrung der Publicity beitragen. Um einen billigen Trick handelt es sich nicht. Das haben die Teuren nicht nötig.

Dr. Majer, der Verteidiger Schrötters, betreute die nationale Flanke. Dr. Zimmermann, der Verteidiger Hansens, versuchte mit der Andeutung von Latrinengerüchten Stimmung zu machen: der zu Tod Geschliffene soll vor der mörderischen Ausbildung — nach einer Feuerwehrübung, einem Viertausend-Meter-Lauf, einer Nachtlehrvorführung mit Acht km-Marsch — noch zwischen null Uhr dreißig und 6 Uhr früh saufen gegangen sein! (Was nach meinen sofortigen Recherchen in Mautern in höchstem Maße unglaubwürdig ist.) Die Plädoyers der Sterns hatten mehr programmatischen Charakter.

Hinter den in Uniform (!) auf der Anklagebank Parade Sitzenden (mit kleinem Klimbim auf der Ordensbrust) ließ der Pazifist Peter Stern seine „uuunfaßbar“ und „uuungeheuerlich“ (gemeint war die Anklage) guttural rollen, zeigte sich in patriarchaler Ethik beschlagen („Der gute, untadelige Ruf ist das Beste, was ein Mann hat“), attackierte die „Wohlstandsjugend“ als „willensschwache Leute, die nie gelernt haben, Notsituationen zu bewältigen“, was ihn zum rhetorischen Klimax trieb: „Dann hören wir mit dem Bundesheer auf!“

Schon während des Beweisverfahrens hatte Maximalist Stern den Erlaß 304.627 des weiland Generaltruppeninspekteurs Fussenegger zitiert, in dem „individueller Drill“ vorgeschrieben wird, dröhnte er von Willens- und Nerven- und aller Energien Anspannung, Ertragen großer Strapazen, wenig Schlaf, wenig Essen und Trinken, Ertragen extremer Temperaturen etc. und ließ sich die ungeschmälerte Geltung dieses maniaken Elaborats telefonisch vom Militärkommando NÖ. (Oberst Staudigl) bestätigen. Den Widerspruch zu anderen Erlassen und Befehlen, welche Erleichterungen zum Inhalt haben (Hitzeerlaß, Mitführen von Wasser, Ausrücken mit Sanitäter), quittierten militärische Zuhörer mit dem Ruf: „Bravo, nieder mit die Brüader!“

Michael Stern, der dem Gericht unaufgefordert Bilder von der amerikanischen Ranger-Ausbildung vorgelegt hatte, spickte seinen Schlußvortrag mit der Beschwörung des alten Reaktionärs Radetzky (dessen Leibspruch — zu lesen auf dem Sockel seines Denkmals am „Heldenberg“ im nahegelegenen Klein-Wetzdorf — freilich prophetisch klingt: „Kinder, der Kampf wird kurz sein!“). Als auch der Staatsanwalt die Väterlichkeit des Feldmarschalls strapaziert hatte („dieser Name hat alle Systeme, alle Weltanschauungen überlebt“), gab Vater Michael den guten Rat: „Vota Radetzky, schau net oba, sondern weg!“

Kanonenfutter abrichten

Wann aber tät’ er wieder herschauen aufs österreichische Heer? Wenn dasselbe „kein Pfadfinderverein“ und „kein Schützenverein“ ist. Seinerzeit zu meiner Zeit, macht Michael Stern geltend, gab es nicht „Ausbildung“, sondern „Abrichtung“ mit allen Schikanen. „Wenn diese Abrichtung noch 14 Tage dauert, springe ich vom zweiten Stock herunter, halt’ es nicht mehr aus“, fürchtete er damals. „Aber dann, bei der zehnten Isonzoschlacht, ist aus dem Saulus ein Paulus geworden. Nur die haben durchgehalten, die hart genug ausgebildet worden sind für so einen langen Krieg. Bei 45 Grad im Schatten. Dafür in Südtirol wieder in Schnee und Eis. Die Menschenwürde wahren? Preußischer Drill — das waren die besten Soldaten, die es gegeben hat. Denken wir an die Panzergrenadiere im israelischen Feldzug, in glühender Hitze. Entweder man schafft den Krieg ab, oder man schafft das Militär ab, es gibt kein Mittelding. Da kann i net sagen, Hitzeerlaß, Kälteerlaß. Zehntausend Kinder werden Kanonenfutter werden, wenn ihnen die Härte fehlt. Maria Theresia sagte zu Feldmarschall Daun: ‚Machen wir brave Soldaten aus den Österreichern!‘ Bin Gegner des Krieges, aber die Ausbildung kann nicht hart genug sein.“

Im Kreuzverhör hatte ein Zeuge den Sinn des körperlichen „Trainings“ beim Bundesheer bezweifelt: „Welchen Sinn soll der körperliche Drill jetzt haben, wenn der Ernstfall vielleicht in einigen Jahren ist?“ Nun antwortete Stern: „In drei bis vier Jahren? Nein, so ist das nicht! Die Armee verdorrt, hat ein General gesagt, es hat im Ersten Weltkrieg deshalb unsere ganze Tapferkeit nichts genutzt. Und ob das Bundesheer dann in der Lage ist, die Neutralität zu verteidigen? Caveant consules! Wollen Sie das auch noch aufgeben? Und dafür sollen wir Millionen ausgeben? Die Wehrkraft auf diese Weise zu untergraben?“

Mit dieser Geisteshaltung können sich Wallechner, Sandhacker, Hansen und Schrötter und deren Sympathisanten im Bundesheer identifizieren. Wallechner, der nach Aussage von Zeugen Freude daran zeigte, gegen „Untergebene“, die ihm bildungsmäßig und intellektuell überlegen waren, seine Macht auszuspielen, der Kranke und Schwache demütigte, verhöhnte und ihnen die einfachste Hilfe verweigerte, spielte mit Sandhacker vor dem Ausrücken mit zynischem Lächeln das Spiel: „Gibst du sie mir heute wieder?“ Sandhacker, der vor Gericht behauptete, er habe den todkranken Wandl mit Wasser benetzt, was offensichtlich gelogen war, gab zur Zeit der größten Hitze den Befehl, die mit Tee gefüllten Feldflaschen zurückzulassen, damit er daran die Gruppen im Feldstecher unterscheiden könne. Hansen wälzt seine Verantwortung auf andere ab, redet sich auf Bürokram aus. Der freigesprochene Schrötter, der es nicht der Mühe wert findet, sich an einem heißen Tag um die Feststellung der Hitzegrade zu kümmern, der also den Hitzeerlaß ignoriert („Es gibt in der Kaserne kein Thermometer, der Erlaß sieht Temperaturmessungen nicht bindend vor, ich sehe mir nur die Wettervorhersage im Fernsehen an, Radiohörer bin ich keiner“ — telefonieren kann er nicht), sucht alle Schuld bei der 24. Gehaltsgesetznovelle und bei Vorgesetzten, die einer Verschiebung der Ausbildungsstunden nicht zustimmen wollen (das würde im Tag 3.000 Schilling kosten — das ist also der Preis für ein Menschenleben im Bundesheer); allen Ernstes und in aggressivem Tonfall wagt Schrötter die Behauptung: „Einen harten Ausbilder habe ich in diesem Bundesheer noch keinen getroffen.“ (Statt dessen verwendet man hierzulande seit Kakaniens Zeit das Wort „dienstfordernd“). Einen verängstigten Soldatenvertreter belehrt er: „Sie haben sich nur um die Menage zu kümmern, und die ist bei uns eh in Ordnung.“ Ein ehemaliger Präsenzdiener erinnert sich: „Hauptmann Schrötter habe ich nur brüllend in Erinnerung. Ich weiß gar nicht, wie seine Stimme klingt, wenn er in Zimmerlautstärke spricht.“

Der Oberst will kein Thermometer

Schüler des Bundesgymnasiums Krems kaufen der Kaserne Mautern ein Thermometer

Im Prozeß wurde gesagt, daß in der Kaserne Mautern kein Thermometer angebracht war. So wurde der „Hitzeerlaß“, der Erleichterungen bringen soll, zur Farçe. Die Schüler der höheren Klassen des Bundesgymnasiums spenden nun ein solches Instrument, als „Präsenzdiener in spe“. „Es wird — in gar nicht so selbstloser Weise — der Kaserne geschenkt, in die ja die meisten von uns einrücken“, erklärt ein Schüler.

Niederösterreichische Nachrichten
17. März 1975
Thermometer nicht für das Heer. OberstdG Maerker stattete Bundesgymnasium einen Besuch ab und lud in Kaserne ein

MAUTERN, KREMS. Nach Erscheinen des Berichtes in der NÖN-Ausgabe „Kremser Zeitung“ vom 17. März, daß die Schüler des Bundesgymnasiums der Kaserne Mautern ein Thermometer spenden wollen, damit künftig dem Hitzeerlaß besser Rechnung getragen werden könne, stattete der Kommandant der 3. Panzergrenadierbrigade, Oberst des Generalstabes Maerker, dem Direktor dieser Schule einen Besuch ab.

„Dem Kommandant wurde die Gelegenheit zu einer Aussprache mit den Klassensprechern geboten, die feststellten, daß dem Akt keineswegs böswillige Absicht zugrunde lag.“ So heißt es in einer offiziellen Mitteilung der Presseabteilung der 3. Panzergrenadier-Brigade.

OberstdG Maerker lud die Klassensprecher zu einem Besuch der Raabkaserne ein. Er wolle ihnen damit dokumentieren, „daß die Problematik der militärischen Ausbildung nicht allein von herrschenden Temperaturen abhängt“.

Aus Kreisen der Schüler konnten wir erfahren, daß sie die Kontaktnahme mit dem Kommandanten aufrichtig gefreut hat. Das Thermometer werde nun nicht überreicht, sondern, wie OberstdG Maerker wünschte, einem wohltätigen Zweck zugeführt.

Niederösterreichische Nachrichten
24. März 1975
Das Gericht bei der Urteilsverkündung
(am Mikrofon der Vorsitzende Hofrat Dr. Herbert Schlinger)

Alles bleibt beim alten

Unsichtbar neben diesem Hauptmann saßen auf der Anklagebank in Krems Militärärzte, die kranke Soldaten (Wandl war kein Einzelfall) wider besseres medizinisches Wissen tauglich und dienstfähig schreiben („Und hier ist man gesund, sagt der Stabsarzt, und der Mensch ist im Grund nur a A-Befund“ — Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit), und die nicht erreichbar sind, wenn sie dringend gebraucht werden. Ebenso jene Personen, die dafür verantwortlich sind, daß keiner der Ausbilder einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat. Der Staatsanwalt hat vergessen, sie alle anzuklagen.

Jenen jungen Menschen, die sich trotz dieser Zustände entschließen, Präsenzdienst mit der Waffe und nicht Zivildienst zu leisten (bei dem es nach Auskunft des Majors Waldherr bei der Musterung in Krems nur die Möglichkeiten „Häuslputzen“ und „bis zum Bauch im Bachbett stehen“ geben soll — eine bewußt falsche Information), sei für die Zukunft große Zähigkeit und Härte anempfohlen — nicht gegen sich selbst, sondern gegen jene, die ihre eigenartige Kostümierung und ihren Status als Beamte mißbrauchen.

Die Verurteilten aber verbleiben weiter im Kaderstand des Bundesheeres — dafür wird die Disziplinarkommission im Ministerium schon sorgen. Minister General Lütgendorf sagte auf einem Vortragsabend des Bundes Sozialistischer Akademiker in Wels am 20. März 1975: „Wir sind nicht bereit, im derzeitigen Ausbildungssystem Änderungen vorzunehmen. Die Ausbildung unserer Soldaten duldet keine weiche Welle.“

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