Heft 5-6/2002
November
2002

Short Cuts

Peter Decker / Konrad Hecker: Das Proletariat. Die große Karriere der lohnabhängigen Klasse kommt an ihr gerechtes Ende. München 2002, Gegenstandpunkt, 280 Seiten, 20 Euro

Ein Buch, das zur Pflichtlektüre für alle Leninisten und sonstige Freunde der Arbeiterklasse werden sollte. Decker und Hecker zeichnen den Weg der zunächst mal gar nicht revolutionären Klasse vom Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts über die sozialstaatliche Integration bis zur geradezu debilen Anpassung an die Bedürfnisse von Staat, Nation und Kapital nach. Sie kritisieren das demokratische Recht aufs Mitmachen und erklären allen Linken, die in jeder auch noch so bescheuerten Nörgelei der abhängig Beschäftigten einen Ausdruck potentiell revolutionären Bewußtseins entdecken, „warum Kommunisten das Proletariat so wenig leiden können, dass sie nicht zuletzt deswegen gleich den ganzen Kapitalismus abschaffen wollen.“ Daß die Autoren dabei nicht ohne Seitenhiebe auf eine an Adorno orientierte negativ-dialektische Kritik am Verblendungszusammenhang bürgerlicher Vergesellschaftung auskommen, kennt man aus anderen Publikationen des Gegenstandpunkt-Verlags. Dass sie bei ihrer Darstellung selbst dann nicht auf den Antisemitismus zu sprechen kommen, wenn sie über den faschistischen Arbeitskult schreiben, zeigt, dass auch ein antileninistischer Marxismus nicht vor Ignoranz schützt.

Alex Demirovic / Manuela Bojadzijev (Hg.): Konjunkturen des Rassismus. Münster 2002, Westfälisches Dampfboot, 330 Seiten, 24,80 Euro

Die Herausgeber dieses Sammelbandes versuchen schon im Vorwort, Kritik des Rassismus und Kritik des Antisemitismus gegeneinander auszuspielen, indem sie die Differenz zwischen Rassismus und Antisemitismus einebnen. Sie entwickeln von beidem keinen vernünftigen Begriff. Das führt in der Konsequenz zu einer Negierung der Besonderheit der antisemitischen Verfolgungspraxis im Nationalsozialismus und zu einer Verharmlosung von migrantischem Antisemitismus in der heutigen BRD. In den Beiträgen des Sammelbandes finden sich dann die obligatorischen akademischen Fingerübungen zu „diskurstaktischen Problemen“, „Dispositiven“, „diskurstheoretischen Annäherungen“ und „zivilgesellschaftlichem Engagement“. In einigen Aufsätzen findet sich dennoch Brauchbares. Eva Kreisky beispielsweise arbeitet in ihrem Beitrag zwar mit dem wenig erhellenden Begriff des „Rechtspopulismus“, liefert aber eine beeindruckende Auflistung jener Projekte und Maßnahmen, welche die schwarz-blaue Koalition in den letzten zwei Jahren durchgesetzt hat.

Matthias Küntzel: Djihad und Judenhaß. Über den neuen antijüdischen Krieg. Freiburg 2002, ca ira, 200 Seiten, 13 Euro

Küntzel beschreibt die Frühgeschichte des Islamismus anhand der ägyptischen Muslimbrüder und analysiert die historischen und gegenwärtigen Bündnisse zwischen arabischen Antisemiten und deutschen Nazis. Er skizziert den Siegeszug eines eliminatorischen Judenhasses in der palästinensischen Gesellschaft und weist akribisch nach, daß die Anschläge vom 11. September der bisher radikalste Ausdruck eines weltweit intensivierten Djihadismus waren, der — schlimm genug, daß man das immer wieder betonen muß — nicht einmal im entferntesten etwas mit emanzipatorischer Kritik zu tun hat, sondern ein Programm des antisemitischen Vernichtungswahns darstellt. Während große Teile der Linken die islamistischen Attentate schon dadurch verharmlosen, daß sie mittels atemberaubender Interpretationen in ihnen immer auch einen irgendwie fehlgeleiteten Protest gegen Ausbeutung und Unterdrückung glauben erkennen zu können, nimmt Küntzel die Aussagen der Djihadisten ernst und braucht daher keinerlei Interpretationskünste aufzubieten, um die Zerstörung des World Trade Centers, die Ermordung von fast 3000 Zivilisten, die beabsichtigte Tötung von 250.000 Menschen und sämtliche von der islamistischen Internationale nachgelieferten Begründungen als tatkräftigen Antisemitismus zu charakterisieren. Ob eine antifaschistische Linke bereit ist, aus der Beschäftigung mit dem Islamismus Konsequenzen zu ziehen, oder ob sie weiterhin jede Kritik am dominierenden politischen Islam als Rassismus diskreditiert (und dabei so tun muß, als wären jene Menschen in den arabischen Gesellschaften, die der islamistischen Barbarei nichts abgewinnen können, vom Tugendterror und vom mordenden Ressentiment der klerikalfaschistischen Rackets gar nicht betroffen), wird sich auch an der Rezeption dieses Buches zeigen.

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