FORVM, No. 329/330
Mai
1981

Sie pfeifen auf Marx & Engels

Jugenddemonstrationen in Wien

Nach den Krawallen von Zürich und Berlin war es am Faschingssonntag, dem 1. März, auch in Wien soweit. Um 15 Uhr fanden sich etwa 500 Jugendliche am Stephansplatz ein, zogen durch die Kärntner Straße bis zur Oper, liefen über den Ring, vorbei an Burggarten und Parlament, über Schottengasse, Freyung, Hof zum Judenplatz, wo die Spekulationsobjekte (Abbruchhäuser) des Herrn Adalbert Kallinger zum Besetzen einladen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

In der Färbergasse flog der erste Stein in die Auslage einer Tapeziererei. Das war das Einsatzzeichen für die 400 Polizisten (samt Anti-Terror-Kobra), die dem Zug von Anfang an gefolgt waren. Die aufgescheuchte Menge verzog sich daraufhin grüppchenweise in andere Teile der Innenstadt, wobei noch einige Auslagen, Autos und Verkehrsschilder in Mitleidenschaft gezogen wurden.

96 wurden zur „erkennungsdienstlichen Behandlung“ festgenommen, drei deutsche Staatsbürger ausgewiesen. Verhandlungen stehen noch aus.

Die Schlacht vom 1. März war der erste Steinhagel in Wien seit dem 2. Oktober 1975, als im Rahmen einer Anti-Franco-Demo Steine gegen das Iberia-Büro flogen. [*] Damals vermutete man die Täter bei der trotzkistischen GRM (Gruppe Revolutionärer Marxisten) und dem maoistischen KB (Kommunistischer Bund). Inzwischen hat sich die GRM auf den Zeitungsmarkt zurückgezogen (die linke) und der KB zu Tode gespalten.

Die dritte Generation sind ganz andere Leute. Weniger büchelgeil, viel jünger. Sie pfeifen auf Marx und Engels, betreiben eine Politik des spektakulären Moments, wobei sie unverhohlen auf die Medien schielen. Sie sind unter vollem Medienbeschuß aufgewachsen. Die meisten von ihnen sind jünger als das Österreichische Fernsehen. Man ist erst wer, wenn man in den Medien vorkommt. Diese Lektion haben sie begriffen.

Die Journalisten sind dankbar. Zur Folge-Demo am 7. März erschien ein Heer von Lokalreportern, Kommentatoren, mehrere Fernsehteams. Und 1700 Polizisten! Es war wie bei einem Staatsbesuch. Zur Enttäuschung der Knüppelschwinger aus Redaktionsstuben und Wachzimmern verlief die Demo am 7. März friedlich, geriet eher zur Anti-Gewalt-Manifestation. Manche der Steinewerfer gingen gar nicht mehr mit.

[*Siehe dazu: Günther Nenning: Zur Psychopathologie der Weltrevolution, FORVM November/Dezember 1975; Dokumentation: Untermenschen! FORVM November/Dezember 1975; Michael Siegert: Reinliche Scheidung? FORVM November/Dezember 1975; Günther Nenning: Oi, liegen wir falsch! FORVM, Jänner/Februar 1976

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