MOZ, Nummer 51
April
1990
Wahlgang in Nicaragua:

Sieg des Bauches über die Scham

Trotz freier Wahlen und nationalistischer Euphorie hatte das nicaraguanische Volk auf lange Sicht keine andere Wahl, als die sandinistische Regierung in die Opposition zu schicken.

„Todos será mejor“ — „alles wird besser werden“: mit diesem Wahlkampfslogan hatte die sandinistische Befreiungsfront FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional) exakt jene Hoffnung des nicaraguanischen Volkes versprachlicht, die am 25. Februar 1990 auch den Ausgang der Wahlen entschieden hat. An sich hätte die sandinistische Regierung damit auch das Rennen machen können, hätte sie nicht längst bei zu vielen Nicaraguanerinnen und Nicaraguanern ihre Tauglichkeit als Trägerin eben dieser Hoffnung eingebüßt. Nicht etwa, weil im heutigen Nicaragua auch hausgemachte Unzulänglichkeiten zu entdecken sind, sondern ganz offensichtlich deshalb, weil die Einsicht nicht mehr zu unterbinden war, daß ein deklarierter Wirtschaftskrieg und ein von Söldnern nur verdeckter militärischer Konflikt mit der Supermacht USA auf Dauer nicht gewonnen werden können.

Die jüngsten Rechtsrutsche auf dem Isthmus in Honduras und Costa Rica sowie die Entwicklungen in Osteuropa haben diese Einsicht weiter beflügelt. Und warum soll es nicht ausgesprochen werden, nur weil es weh tut: Dieser Einsicht ist eigentlich nichts entgegenzusetzen. Seit Jahren wußten politische Beobachter, daß der ungleiche Kampf niemals gewinnbar sein würde. Die wirtschaftliche Talfahrt Nicaraguas seit 1984 hätte nur durch Aufhebung des seit 1985 totalen US-Wirtschaftsembargos oder durch eine um ein Vielfaches verstärkte Wirtschaftshilfe anderer, insbesondere europäischer Staaten gestoppt werden können. Für keine dieser beiden Varianten hätte im Falle der Bestätigung der sandinistischen Regierung irgendeine Hoffnung bestanden. Ganz im Gegenteil: Die Unsicherheit um die Fortsetzung der Wirtschaftshilfe seitens politisch umstrukturierter osteuropäischer Staaten gab Anlaß zu neuen Befürchtungen. In diesem Kontext war es für das Oppositionsbündnis UNO (Unión Nacional Opositora) ein Leichtes, in die freigewordene Hoffnungsträger-Rolle zu schlüpfen und sich als konkrete Alternative zu aufziehenden Hungerjahren anzubieten.

Daniel Ortega
Bild: Contrast / Silvia Liaison

Totenstille nach dem Wahlgang

Als die Stimmenauszählung am Morgen des 26. Februar 1990 den Trend zugunsten der UNO als unumkehrbar erscheinen ließ, überzog eine gespenstische Stille die Städte Nicaraguas. Vielleicht fürchteten einige unberechtigterweise das Eingreifen des sandinistischen Militärs, vielleicht wirkte sich die Überraschung vorerst noch lähmend aus. Doch auch in den nächsten Stunden warteten die Journalisten umsonst auf die erwarteten Freudenkundgebungen der UNO. Nur in Masaya, der von Touristen heimgesuchten Hochburg der UNO 30km südöstlich von Managua, kam es zu Reaktionen, die aber lange nicht an die Feststimmung der Exilnicaraguaner in Miami heranreichten. Daniel Ortega hatte in den frühen Morgenstunden seine Niederlage eingestanden und Violeta Chamorro wollte beruhigend wirken und erklärte, es habe nur Sieger bei dieser Wahl gegeben. Sie hättte die Stimmung besser getroffen, hätte sie von der Scham eines besiegten Volkes gesprochen, das bei den Wahlen eigentlich keine Wahl hatte.

Erst am 4. März wurde das amtliche Wahl-Endresultat veröffentlicht. Bei den Präsidentschaftswahlen hatte das Duo Chamorro/Godoy mit 54,7% jenes von Ortega und Ramirez, dem 40,8% Stimmenanteil zugesprochen wurde, klar deklassiert. In der Asamblea Nacional wird den 51 UNO-Abgeordneten, einem Vertreter des Partido Socialcristiano und einem des Movimiento de Unidad Revolucionaria eine Sperrminorität von 39 sandinistischen Abgeordneten gegenübersitzen. Die UNO sieht sich somit außerstande, irgendeine Bestimmung der sandinistischen Verfassung abzuändern. Doch die Ergebnisse waren für die FSLN schmerzlich: nur in León, Esteli und der Region San Juan konnte die Mehrheit verteidigt werden. Die Hauptstadt Managua fiel an die UNO, Bei den ersten freien Wahlen im November 1984, die von den hiesigen Medien konsequent übergangen wurden, hatte die FSLN noch die absolute Mehrheit von 62,9% der Stimmen erzielen können. Allerdings zog das damalige Oppositionsbündnis „Coordinadora Democrática“ im letzten Moment und in Absprache mit den USA seine Kandidatur zurück, um Präsident Reagan einen Vorwand für die Nichtanerkennung dieser Wahl zu bieten.

Friedenstaube gegen Kampfhahn

Mit „Daniel es mi gallo“ (Daniel ist mein Hahn) war die FSLN schon in den Herbsttagen darangegangen, ihren meist als Uniformträger bekannten Commandante ‚Spitzenkandidat‘ auf zivilen Macho umzustylen. Daß der als jugendlicher Macho und Kampfhahn präsentierte Staatschef erst bei der wirklich allerletzten Gelegenheit, nämlich der beeindrukkenden Abschlußkundgebung der Sandinisten in Managua, seine Militärkappe in die Menge warf und sich Argumenten seiner betagten Gegenkandidatin näherte, zeigt, daß die Stimmung im Volk gegen allgemeine Wehrpflicht und Militärausgaben nicht mehr ignoriert werden konnte. Gepunktet hat hier aber eindeutig Violeta Chamorro, die seit Monaten als weiße Friedenstaube durch das Land zog; ihre Beinverletzung, die sie sich — als gehörte es zum Wahlkampf — ausgerechnet in der Küche zugezogen hatte, verlieh ihr einen unvermuteten zusätzlichen antimilitaristischen Charakter.

2.000% Inflationsrate

Die nicaraguanischen Wirtschaftsdaten sprechen eine vernichtende Sprache. Höchste Pro-Kopf-Verschuldung der Welt, Inflationsraten um die 2.000% (im Jahr 1988 sogar 36.000%!), 50% des Budgets für Militärausgaben, Abbau der Staatsbediensteten um 35.000 Personen, 15% der Gesamtbevölkerung im Exil. Gewiß hat sich die Situation in den letzten zwei Jahren leicht gebessert, aber Hoffnung auf einen entscheidenden Umschwung hegte niemand mehr. Die beachtlichen Erfolge der Revolution in den Bereichen Landreform, Gesundheits- und Ausbildungswesen liegen schon lange zurück und werden zunehmend durch das Wirtschaftsdebakel gefährdet.

Ein voller Erfolg also für die brutale Aushungerungspolitik der Vereinigten Staaten, in deren Schlepptau auch europäische Demokratien als Schreibtisch-Mittäter aktiv wurden. So war etwa Österreichs Antwort auf die international verurteilte Verminung der nicaraguanischen Häfen und das totale Wirtschaftsembargo im Jahre 1985 eine Drittelung seiner Entwicklungshilfe. Statt über 4,4 Millionen Dollar erhielt Nicaragua, das die Folgen des Embargos sichtlich nicht verkraften konnte, 1986 nur noch 1,3 Millionen Dollar.

Violeta Chamorro
Bild: Contrast / Silvia Liaison

Kubanisches Exil für Tomás Borge?

Daß Daniel Ortega bei seinem Eingeständnis der Wahlniederlage am 26. Februar 1990 mit seinem Wahlkampfleiter Commandante Bayardo Arce allein war, mußte als Signal gewertet werden. Die Anerkennung des Wahlergebnisses war innerhalb der FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional) nicht unumstritten. Als vehementester Kritiker trat der bisherige Innenminister Tomás Borge in Erscheinung, der zweifellos auf Grund des Umstandes, das einzige Gründungsmitglied der FSLN im Direktorium zu sein, mit einem entsprechenden Rückhalt rechnen kann. Nach Meinungsverschiedenheiten zwischen Ortega und Castro in Fragen der Machtausübung und der Akzeptanz der Kirche hatte Borge stets den kubanischen Standpunkt vertreten. Aktuelle Stimmen aus Nicaragua sprechen nun von einem möglichen selbstgewählten Exil Borges in Kuba, wo dieser schriftstellerischen Tätigkeiten nachgehen könnte. Borge soll ausgerechnet vom gewählten Vizepräsidenten Virgilio Godoy, einem Vertreter der harten Rechten, abgelöst werden. Offenkundig beabsichtigt die UNO damit die Schaffung eines Gegengewichts zur unauflösbaren sandinistischen Armee.

Nationale Aussöhnung?

Wie wird es in Nicaragua weitergehen? Die UNO (Unión Nacional Opositora), ein unmögliches Zweckbündnis zum Sturz der Sandinisten, in das Kommunisten wie Rechtsradikale gezwängt wurden, wird sich kaum lange halten können. Erste Streitigkeiten gibt es nicht nur um Armee, die Rücknahme von Landtiteln oder die zu kontrollierenden Anteile einer gemischten Wirtschaft, sondern bereits auch schon um die Nominierung von Regierungsvertretern. So will die Linke in der UNO, die den 8 Sozialdemokraten und 35 deklariert rechten Mandataren ebenfalls 8 Abgeordnete entgegensetzen kann, den Ex-Contraführer Alfredo Cesar nicht zum Präsidenten der Asamblea Legislativa küren.

So versucht Violeta Chamorro, auf nationale Aussöhnung zu setzen. Das UNO-Kampfblatt „La Prensa“ spricht neuerdings die Contra nicht mehr mit „Resistencia Nicaragüense“, sondern mit „Contrarevolucionarios“ an, die zu entwaffnen seien. Und diese Absicht scheint ernstgemeint, obwohl sie angesichts des unveränderbaren Fortbestandes der konstitutionell geschützten sandinistischen Armee wenig Aussicht auf Erfolg besitzt. Wohl dürfte es Chamorro aber gelingen, die Aufhebung des US-Wirtschaftsembargos zu erreichen und damit eine wirtschaftliche Erholung des Landes zu ermöglichen.

Und die sandinistische Opposition ist stark genug, um für eine einigermassen gerechte Verteilung der Wertschöpfungen auch erfolgreich kämpfen zu können. Sie muß ihre neue Rolle als minorisierte Partei allerdings erst finden. Bei Durchführung einer intelligenten Oppositionspolitik und einer erfolgreichen Verteidigung der Errungenschaften ihrer Revolution haben die Sandinisten sogar Chancen auf ein Comeback, insbesondere, wenn die Dekompositionserscheinungen der UNO — was zu erwarten ist — andauern. Dann könnte der nächste Staatspräsident Nicaraguas vielleicht wieder Daniel Ortega heißen. Eine Perspektive, die seinem jetzt triumphierenden Erzkontrahenten Ronald Reagan wohl noch schlaflose Nächte bereiten wird. Denn dieser wird sicher nie wieder irgendein Präsident sein.

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